Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.06.2017, RV/7101737/2015

Erhöhte Familienbeihilfe - ist die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch Sachwalterin über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Waldviertel vom , betreffend Abweisung eines Antrags auf Gewährung von (erhöhter) Familienbeihilfe ab Jänner 2012 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Das Finanzamt wies einen (Eigen)Antrag der seit besachwalterten Beschwerdeführerin (Bf.), geb. 1990, auf Gewährung (erhöhter) Familienbeihilfe zunächst mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass die Bf. mit ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt lebe, weshalb diese vorrangigen Anspruch auf Familienbeihilfe habe.

Aufgrund der Beschwerdeausführungen, durch die dokumentiert wurde, dass die Bf. nicht zu ihrer Mutter haushaltszugehörig war, stützte das Finanzamt seine Rechtsansicht, dass keine Familienbeihilfe zusteht, nunmehr auf zwei im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellte Gutachten und erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung.

Die Gutachten lauten wie folgt:

1) Gutachten vom :

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten
Betr.: C. I.
Vers.Nr.: 1234
Untersuchung am: 2014-05-13 08:10 im Bundessozialamt Niederösterreich
Identität nachgewiesen durch: Reisepaß
Anamnese:
AW hat VS, HS, 1 a wirtschaftl. Fachschule absolviert, dann 1/2 Jahr im Einzelhandel gearbeitet, dann Geburt der Tochter (2006). Sie blieb 3 Jahre bei der Tochter in der Karenz und blieb dann weiter bei der Tochter zu Hause. Seit 3 Jahren lebt die Tochter bei der Großmutter, die auch die Obsorge habe. Psychiatrische Anamnese lt. Angabe: Im 9. LJ der AW starb die Oma zu der AW ein enges Verhältniss hatte. Im 10. LJ wurde über die Schule und die Mutter ein psychologischer Kontakt hergestellt, weil Schulprobleme auftraten, dies wurde für ein Jahr 1x/ Woche wahrgenommen. Im 12. LJ habe es sie auch stark belastet, daß sie erst dann erfahren habe, daß sie eine ältere Stiefschwester habe. lm 14. LJ war sie beim Tod des Onkels, der an Krebs verstarb, dabei, seither lagen auch Selbstverletzungen vor. Sie wollte keine medizinische Hilfe, erstmals 1/ 2012 war sie stationär auf einer Psychiatrie, weil es große Probleme mit dem damaligen LG und im Rahmen der Übersiedlung nach Kärtnen gab. Sie sei überhaupt viel umgezogen. Nach dem ersten stat. Aufenthalt war sie in St. Radegund zur Langzeittherapie für 6 Wochen. Neuerliche stat. Aufnahme an der Psychiatrie Tulln 10/ 2012 und zuletzt in Mauer 10/ 2013. Sie sei jetzt in Gmunden ambulant in Behandlung. Sie lebe seit 8 Wochen mit dem LG in Gmunden, es gehe ihr von psychischer Seite etwas besser. Selbstverletzungen liegen nicht mehr vor, ab und zu habe sie Selbstmordgedanken, aber nie konkret. Es belaste sie auch die Situation mit ihrer Tochter, die sie auf Grund der Trennung ihrer Eltern nicht so oft sehe. Seit 2011 sei sie wegen Schulden besachwaltet (alle Belange außer medizinischen Bereich). Sie habe eine Zystenniere, die Blutwerte wären in Ordnung, sie werde aber jetzt in Gmunden vorsorglich 2x/ Woche dialysiert, Shunt habe sie keinen. Den Führerschein habe sie gemacht, habe ihn aber auf Anraten des Psychologen abgegeben, wegen der Medikamente, die sie einnehme. Anmerkung der Sachwalterin: AW sei sehr sprunghaft je nach Tagesverfassung, sei viel übersiedelt, habe sie davon manchmal nicht in Kenntnis gesetzt, manchmal nehme sie es mit der Wahrheit nicht so genau.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
Temesta 2,5 0-0-1, Trittico 150 0m0—1/3, Seroquel 100 1—0-0, lx/ Monat Psych FA, 1x/ Wo Psychotherapie

Untersuchungsbefund:
24 jährige in guten AZ/ EZ, Größe: 1.68, Gewicht: 72, Nikotin und Alkohol: negiert

Status psychicus / Entwicklungsstand:
voll orientiert, Ductus kohärent, gut auskunftsfähig, kooperativ, freundlich, gut affizierbar

Relevante vorgelegte Befunde:
2012-03-19 ARZTBRIEF PSYCHIATRIE KH GRAZ BARMHERZIGE BRUDER - komb. Persönlichkeitsstörung, depressive Reaktion mittel
2012-11-16 ARZTBRIEF LK TULLN PSYCHIATRIE 05 11 -
emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ, bipolar affektive Störung
2012-10-10 ARZTBRIEF LK TULLN 09 08 -
emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ, bipolar affektive Störung ...zum ersten Mal stationär
2012-10-30 GUTACHTEN NERVENFA DR. O. BZGL. SACHWALTERSCHAFT
emotional instabile Persönlichkeit, Hinweise für bipolar effektive Störung... Krankheit ab dem 10. LJ zu datieren
Diagnose (n):
emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline
Richtsatzposition: 030402 Gdb: 050% ICD: F60.3
Rahmensatzbegründung:
e Typ, bipolar affektive Störung. Unterer Rahmensatz, da keine anhaltende Stabilität aber im Alltag selbstständig, Sachwalterschaft erforderlich.

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.
Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2012-01-01 auf Grund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nachuntersuchung erforderlich, da Besserung mit Therapie möglich. Die angegebene Nierenfunktionsstörung (Dialyse anamn.??) kann nicht beurteilt werden‚ da keine Befunde vorliegen - werden nachgereicht. Nierenwerte 11/2012: o.B.
erstellt am 2014-05-13 von FANP
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
zugestimmt am 2014-05-14
Leitender Arzt: LA1

2) Gutachten vom :

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten
Betr.: C. I.
Vers.Nr.: 1234
Untersuchung am: 2014-11-03 10:30 im Bundessozialamt Niederösterreich
Identität nachgewiesen durch: Sachwalterschaftsurkunde

Anamnese:
Das Gespräch wurde mit der Sachwalterin geführt. Die Antragwerberin erschien nicht zum Termin. Laut Sachwalterin kann die Antragwerberin keine Termine einhaltman, sie zieht in monatlichen Abständen um. Die Sachwalterin erfährt nur sporadisch von dem momentanen Aufenthaltsort. Sie sei nun gerade in Bregenz, erfuhr die Sachwalterin am Telefon. Zuvor lebte sie in Grafenegg und Hainfeld. Es gelingt der Sachwalterin nicht, in persönlichen Kontakt zu Frau C. zu treten.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
Temesta, Trittico, Seroquel,

Untersuchungsbefund:
siehe Vorgutachten vom
Status psychicus / Entwicklungsstand:
laut Sachwalterin ist es sehr schwierig, mit der Antragwerberin in Kontakt zu treten

Relevante vorgelegte Befunde:
2013-10-21 LK MAUER, AUFENTHALTSBESTÄTIGUNG: IN LAUFENDER STATIONÄRER Krankenhausbehandlung seit bis laufend

Diagnose(n):
emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline
Richtsatzposition: 030402 Gdb: 050% ICD: F60.3
Rahmensatzbegründung:
e-Typ, bipolar effektive Störung; unterer Rahmensatz, da keine anhaltende Stabilität, jedoch im Alltag selbständig; Erfordernis einer Sachwalterschaft wird mitberücksichtigt

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.
Stellungnahme zum Vorgutachten: der GdB wird gegenüber dem Vorgutachten vom 2014-05-13 nicht verändert. Aufgrund der verliegenden Befunde kann keine Abänderung der rückwirkenden Anerkennung des GdB vorgenommen werden.
Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2012-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
erstellt am 2014-12-14 von AfA
Arzt für Allgemeinmedizin
zugestimmt am 2014-12-16
Leitender Arzt: LA2

Die Beschwerdevorentscheidung war wie folgt begründet:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind. sich selbst Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die ärztliche Bescheinigung bildet jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen. Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen.

Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlangt, so hat ein solches Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten ().

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).

Im vorliegenden Fall wurde für Frau C. I. am ein Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung gestellt.

Bei der am durchgeführten ärztlichen Untersuchung durch das Bundessozialamt wurde der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 v.H. diagnostiziert. Frau C. ist lt. ärztlichen Sachverständigengutachten dauernd außerstande sich den Unterhalt selbst zu verschaffen. Die rückwirkende Anerkennung erfolgte ab . Es wird darauf hingewiesen, dass Frau C. zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 21 Jahre alt war.

Laut Vorhalteverfahren wurde bezüglich des Wohnsitzes von der Sachwalterin Frau G.E. angegeben, dass Frau C. ständig umziehe ohne sie in Kenntnis zu setzen oder ihrer Meldepflicht nachzukommen. Laut Zentralem Melderegister (ZMR) war und ist bis dato Frau C. bei ihrer Mutter gemeldet.

Die Abweisung erfolgte somit mit der Begründung, dass I. im Haushalt ihrer Mutter lebt und somit diese gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichgesetz 1967 (FLAG 1967) vorrangig Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Am langt hieramts eine Beschwerde ein, in der die Wohnsitzproblematik abermals beschrieben wurde, und die Eltern jeweils per Unterschrift bestätigen keinen Unterhalt zu leisten. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurde ein weiteres Gutachten abverlangt. Bei der neuerlichen Untersuchung am wurde der Gesamtgrad der Behinderung mit wiederum 50 % v.H. und voraussichtlich dauernd außerstande bestätigt.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung ist wiederum erst ab aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 besteht jedoch nur dann ein Anspruch auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag, wenn wegen einer vor Vollendung des 21. LJ oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. LJ eingetreten körperlichen oder geistigen Behinderung der Antragsteller voraussichtlich dauernd außerstande ist sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Besteht keine vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr eingetretene dauernde (Anm.: Unfähigkeit), sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag zu.

Da die Behinderung bzw. die dauernde Erwerbsunfähigkeit von Frau C. erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, kann aufgrund der oben angeführten Gesetzeslage die Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden. Dies ist unabhängig vom tatsächlichen Wohnsitz oder eines nicht geleisteten Unterhaltes."

Der dagegen gerichtete Vorlageantrag war wie folgt begründet:

"Das der Beschwerdevorentscheidung zugrunde liegende, im Zuge des Sachwalterschaftsverfahrens erstellte, fachärztliche Gutachten von Dr. F. O., vom , hält fest, dass die Krankheit von Frau I. C. ab dem 10. Lebensjahr zu datieren ist.

Aus den Entlassungsberichten des Landeskrankenhaus Tulln vom und vom ist ersichtlich, dass Frau C. bereits zu diesen Zeitpunkten bereits 8 Selbstmordversuche unternommen hatte, wobei der erste Selbstmordversuch bereits im
Alter von 12 Jahren unternommen wurde.

Frau C. war überdies bereits vor Beginn ihrer Schwangerschaft — daher noch im 16. Lebensjahr - zu psychotherapeutischen Beratungsgesprächen bei Frau A. von Rat und Hilfe in Krems.

Aus den angeführten Gründen stelle ich daher den Antrag, das Gericht möge der Beschwerde vollinhaltlich stattgeben, den angefochtenen Bescheid aufheben und Frau C. die erhöhte Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend ab Antragstellung gewähren.

Beweise:
Entlassungsbericht Landesklinikum Tulln vom
Entlassungsbericht Landesklinikum Tulln vom
Fachärztliches Gutachten von Dr. F. O. vom
Schreiben von Frau A. von Rat und Hilfe vom "

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

Das Bundesfinanzgericht nimmt es als erwiesen an, dass bei der Bf. zwar derzeit eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit vorliegt, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt, diese aber nicht vor ihrem 21. Lebensjahr eingetreten ist.

2. Beweiswürdigung

Dieser als erwiesen angenommener Sachverhalt beruht auf den beiden im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten. Die Begründung, (nur) diese beiden Gutachten als Beweismittel heranzuziehen, ist folgende:

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (sh. zB , und ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.

Dies ist zu bejahen; die Gutachterinnen haben bei ihrer Einschätzung sämtlich ihnen vorliegende Gutachten und Bestätigungen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen.

Wenn die Bf. im Vorlageantrag ausführt, laut dem fachärztlichen Gutachten von Dr. F. O. vom sei ihre Krankheit ab dem 10. Lebensjahr zu datieren ist, so ist sie einerseits darauf hinzuweisen, dass auch dieses Gutachten bei Erstellung der Sachverständigengutachten zur Verfügung stand und gewürdigt wurde.

Hingewiesen sei aber auch auf das Erkenntnis des , in dem der Gerichtshof Folgendes ausführt:

"§ 6 Abs 2 lit d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs 2 lit d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

Unter diesem Gesichtspunkt mag es zwar sein, dass die Grunderkrankung schon seit Längerem vorliegt. Es erscheint aber als schlüssig, dass sie erst ab einen derart erheblichen Grad erreicht hat, der zur (voraussichtlich) dauernden Erwerbsunfähigkeit geführt hat.

3. Rechtliche Beurteilung

Bezüglich der Rechtsgrundlagen sei auf die Beschwerdevorentscheidung verwiesen, in der das Finanzamt die für die gegenständliche Entscheidung relevanten Bestimmungen (insbes.  § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, § 8 Abs. 5 FLAG 1967, § 8 Abs. 6 FLAG 1967 und § 167 Abs. 2 BAO) bereits dargelegt hat.

Bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, ist also der Grad der Behinderung ohne Bedeutung, und würde er auch 100% betragen. Besteht also keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu (sh. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Da aufgrund der schlüssigen Gutachten feststeht, dass eine solche Erwerbsunfähigkeit bei der Bf. nicht vor ihrem 21. Lebensjahr eingetreten ist, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da keine Rechtsfrage gegeben ist, sondern der Umstand, dass die Bf. nicht bereits vor ihrem 21. Lebensjahr voraussichtlich dauernd unfähig war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, aufgrund der vorliegenden schlüssigen Gutachten in freier Beweiswürdigung beurteilt wurde.

Wien, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.7101737.2015

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