Höhe des Behindertenfreibetrages nach § 35 EStG
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch R in der Beschwerdesache Bf., W, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , 03 370/5633 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2015 zu recht erkannt:
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer, in der Folge Bf. genannt, beantragte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2015 eine Freibetrag wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 %.
Weiters wurden Sonderausgaben i.H. von € 140, 84 beantragt.
Im Einkommensteuerbescheid vom wurde lediglich ein Freibetrag in Höhe von € 99,00 gewährt. Dies entspricht gem. § 35 Abs. 3 EStG 1988 einem Grad der Behinderung von 40%. Zur Begründung verwies das Finanzamt darauf, dass ihm nur dieser Grad der Behinderung bekannt sei.
Hinsichtlich der Sonderausgaben wurde nur der Pauschbetrag von € 60.- gewährt.
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde verwies der Bf darauf, dass bei ihm seit ein Behindertenstaus von 100 % vorliege und er ersuche, mit Fr. L vom Sozialministeriumsevice in Kontakt zu treten.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, dass § 35 EStG auf einen einen längeren Zeitraum bestehenden Zustand abstelle, nicht aber auf eine vorübergehende , tageweise Minderung der Erwerbsfähigkeit. Nach der Verkehrsauffassung sei unter einer körperlichen Behinderung eine längerfristige Einschränkung zu verstehen.Sonderausgaben wurden wiederum, ohne Begründung, nur in Höhe des Pauschbetrages gewährt.
Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom , in dem der Bf. auch die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragte.
Er verwies darauf, dass er seit dem Jahr 2015 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Erst mit Mitteilung des Sozialministeriumservice vom sei diese Eigenschaft aberkannt worden. Auch ende die Eigenschaft als begünstigter Behinderter erst mit dieser Mitteilung.
Dem Bundesfinanzgericht liegen folgende entscheidungswesentliche Schreiben des Sozialministeriumservice vor:
1.:Schreiben des Sozialministeriumservice vom , wonach der Bf. seit dem Kreis der begünstigten Behinderten gem. § 14 Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz angehöre.
2.: Mitteilung vom an den Bf., wonach lt. rechtskräftigem Bescheid der AUVA vom der Behinderungsgrad auf 20 % herabgesetzt wurde.
3.: Bestätigung vom :
Hiermit wird bestätigt, dass aufgrund des AUVA-Bescheides vom
ein Grad der Behinderung von 100 v.H. zumindest seit besteht.
Des Weiteren wird mitgeteilt, dass laut AUVA-Bescheid vom der
Behinderungsgrad herabgesetzt wurde und somit demnächst die Begünstigteneigenschaft
aberkannt wird.
Danach besteht wieder der im Jahr 2010 festgestellte Grad der Behinderung von 40 v.H.
4.: E-Mail des Sozialministeriumservice vom :
- Gemäß § 14 Abs. 2 BEinstG erlöschen die Begünstigungen mit Ablauf des Monats, der auf die Zustellung des Bescheides bzw. Mitteilung folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.
Im Übrigen wurde auch die Notwendigkeit einer Diätverpflegung bestätigt.
E-Mail des Finanzamtes vom zur Beantwortung der Frage des Bundesfinanzgerichtes auf Grund welcher Feststellungen das FA zur Auffassung gelangt sei, beim Bf. liege eine vorübergehende, tageweise Minderung der Erwerbsfähigkeit vor (siehe BVE vom ):
Zur Auffassung, dass eine vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, erlangte das FA auf Grund der übermittelten Datensätze seitens des Bundessozialamtes (40%) und der vom Beschwerdeführer beigelegten Schreiben vom Sozialministeriumservice, dass eine 100% Erwerbsminderung nur im Zeitraum von bis vorliegt und anschließend der % Satz wieder herabgesetzt wird .
Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Schreiben vom zurückgezogen.
Das Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes vom , den in der Erklärung und in der Beschwerde geltend gemachten Betrag von € 140,84 als Sonderausgabe nachzuweisen, wurde wie folgt erläutert:
Es handle sich um eine Beitrag zu einer freiwilligen Krankenversicherung, den er und nicht seine Mutter geltend gemacht habe. Es wurde eine Versicherungsbestätigung vorgelegt. Demnach ist Versicherungsnehmerin bzw. versicherte Person Frau X.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Folgender Sachverhalt steht auf Grund der vorliegenden Unterlagen fest:
Beim Bf. lag jedenfalls im Zeitraum bis ein Behinderungsgrad von 100 % vor.
Daraus ergibt sich folgende rechtliche Konsequenz:
§ 35 (1) EStG 1988 lautet:
"Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners (§ 106 Abs. 3),
-ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und von (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-) Partner Einkünfte im Sinne des 3 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6000 Euro jährlich erzielt,
- durch eine Behinderung eines Kindes (3 106 Abs. 1 und 2), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-) Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werde, nach der hierfür maßgebenden Einschätzung,
2. .....
Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:
- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).
-Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.
- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
Es wird jährlich gewährt
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bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von | ein Freibetrag von Euro |
25% bis 34% | 75 |
35% bis 44% | 99 |
45% bis 54% | 243 |
55% bis 64% | 294 |
655 bis 74% | 363 |
75% bis 84% | 435 |
85% bis 94% | 507 |
ab 95% | 726 |
Wie sich aus dem Gesetzestext des § 35 Abs. 2 EStG 1988 unmissverständlich ergibt, kann der Nachweis der Behinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Stelle erbracht werden. Zuständig ist im Regelfall das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr kurz "Sozialministeriumservice".
Die im Laufe eines Kalenderjahres erfolgte Feststellung des Grades einer Behinderung gilt für Zwecke der Steuerermäßigung aus Vereinfachungsgründen immer für das ganze Kalenderjahr. Einen Aliquotierung ist nicht vorzunehmen (). Werden in einem Kalenderjahr vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) aufgrund mehrerer Befunde (zB auf Grund eines Antrages auf Neufestsetzung oder einer Neuuntersuchung bei Befristung) unterschiedliche Grade der Behinderung festgesetzt, ist aus Vereinfachungsgründen für das ganze Kalenderjahr der höhere festgestellte Grad der Behinderung anzusetzen(siehe auch ).
Nach Jakom, 8. Auflage Rz 12 zu § 35 ist unter einer Behinderung nur eine längerfristige Einschränkung zu verstehen. § 35 stellt – im Unterschied zu § 34 – nicht auf eine vorübergehende, tageweise Minderung der Erwerbsfähigkeit ab, sondern auf einen eine längere Zeit bestehenden Zustand ().
Gem. § 3 BEinstG ist die Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Dem Bundesfinanzgericht liegt eine Bestätigung des Sozialministeriumsrvice vom vor, mit der ein Grad der Behinderung von 100% zumindest seit bis bestätigt wird. Erst danach lag ein Behinderungsgrad von 40% vor.
Das Sozialministeriumservice wiederum stützte sich, lt. § 14 Abs. 1 lit. b BEinstG zulässigerweise, auf rechtskräftige Bescheide der AUVA.
Das Bundesfinanzgericht sieht keine Grund von der Tatsache einer Behinderung sowie den bescheinigten Prozentsätzen im Jahr 2015 abzugehen. Wurde der Bf. als begünstigter Behinderter i.S. des BEinstG eingestuft, ist davon auszugehen, dass es sich nicht um eine bloß tageweise körperliche Beeinträchtigung handelte, sondern um eine voraussichtlich mehr als sechs Monate andauernde. Tatsächlich wurde auch die Behinderung für einen Zeitraum von rund acht Monaten bestätigt.
Es kann daher bei einer festgestellten Behinderung von 100% zumindest seit bis entgegen der Auffassung des Finanzamtes nicht von einer vorübergehenden, tageweisen Minderung der Erwerbsfähigkeit gesprochen werden. Im Erkenntnis vom , 99/14/0262 verneinte der VwGH hingegen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des § 35 EStG 1988 bei bloßen Prellungen und Rissquetschwunden.
Daher lagen sehrwohl nach dem oben Gesagten, im Jahr 2015 die Voraussetzungen für den Behindertenfreibetrag im Höchstausmaß, somit € 726.-, vor.
Obwohl nicht verfahrensgegenständlich teilt das Bundesfinanzgericht die Auffassung des Bf. nicht, der Behindertenfreibetrag stehe im allenfalls auch im Jahr 2016 zu, weil im die Mitteilung über die Aberkennung des Status als begünstigter Behinderter i.S. des Behinderteneinstellungsgesetzes erst im September 2016 zugestellt wurde.
In diesem Zusammenhang ist daher der Zweck des Behinderteneinstellungsgesetzes näher zu beleuchten:
Zweck des Behinderteneinstellungsgesetzes ist, die (vollversicherungs- pflichtige) Einstellung von begünstigt behinderten Menschen zu forcieren und zu schützen.
Die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigt behinderten Personen ( definiert in § 2 leg.cit. als österreichische Staatsbürger und diesen gleich gestellte Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 %) entfaltet einige bedeutsame Rechtsfolgen, insbesondere in arbeitsrechtlicher Hinsicht, etwa die in § 1 geregelte Beschäftigungspflicht für Betriebe ab 25 Arbeitnehmern und den besonderen Kündigungsschutz, Förderungen und die Regelung einer Ausgleichstaxe für Betriebe, die keine begünstigten Behinderten einstellen.
Im Sinne dieses Regelungszweckes ist es daher für das Bundesfinanzgericht nachvollziehbar, wenn im Sinne der Ausführungen des Sozialministeriumservice (siehe E-Mail vom ) die Eigenschaft als begünstigter Behinderter im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes erst am endete.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass lt. Mitteilung vom der Grad der Behinderung lt. rechtskräftigem Bescheid der AUVA vom mit 20% festgesetzt wurde. Ändert sich während des Jahres der Grad der Behinderung so ist lt. Jakom, Einkommensteuergesetz Kommentar, 8. Aufl. 2015, Rz 12 zu § 35 für das gesamte Kalenderjahr der höhere Betrag anzusetzen.
Der Freibetrag steht daher für das Jahr 2015 in voller Höhe zu, nicht jedoch für das Jahr 2016.
Der in der Erklärung beantragte Betrag von € 140,84 wurde im bekämpften Bescheid zu recht nicht gewährt:
Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung sind grundsätzlich Sonderausgaben im Sinne des § 18 Abs. 1 Zif. 2 EStG 1988. Abzugsfähig ist grundsätzlich der Versicherungsnehmer, d.h. der aus dem Versicherungsvertrag Verpflichtete, also hier die Mutter. Werden Versicherungsbeiträge für andere bezahlt, so sind diese gem. Abs. 3 Zif. 1 leg. cit. nur abzugsfähig, wenn es sich um Ausgaben für den Ehegatten oder die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder im Sinne des §106 handelt. Außerhalb dieses Personenkreises ist eine Geltendmachung fremder Sonderausgaben ausgeschlossen. Leisten Kinder Ausgaben für ihre Eltern, steht den Kindern kein Abzug zu (vgl. ).
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Sowohl die Frage, wann eine Behinderung im Sinne des § 35 EStG 1988 vorliegt, als auch in welcher Höhe der Freibetrag nach § 35 bei unterjähriger Änderung des Prozentsatzes zu gewähren ist wurden bereits vom Verwaltungsgerichtshof geklärt, sodass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt.
Beilage: 1 Berechnungsblatt
Hinweis: Auf Grund technischer Gegebenheiten wurde das Berechnungsblatt vom zuständigen Finanzamt in der äußeren Form einer Beschwerdevorentscheidung, gekennzeichnet als "Entwurf", erstellt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 35 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte | Behindertenfreibetrag |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.7100577.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at