Muss der Beschuldigte nachweisen, dass er nicht der Lenker war, der das Kfz ohne Parkschein abgestellt hat?
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7500082/2016-RS1 | Das Vorbringen des Beschuldigten (Beschwerdeführers), nicht derjenige Lenker des auf eine andere Person zugelassenen Kfz gewesen zu sein, welcher das Kfz ohne Kennzeichnung mit einem Parkschein und ohne Aktivierung eines elektronischen Parkscheines in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt hat, ist eine konkrete Behauptung, auch wenn der Beschwerdeführer dafür keine Nachweise erbringt. Es ist daher auf diese Behauptung einzugehen. |
RV/7500082/2016-RS2 | Die Verkürzung der Parkometerabgabe gemäß § 4 Abs. 1 Parkometergesetz ist ein Erfolgsdelikt und somit kein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG. Die widerlegliche Vermutung der Fahrlässigkeit (hins. der Schuld) des nachgewiesenen Verhaltens bei Ungehorsamsdelikten ist auf die Verkürzung der Parkometerabgabe daher nicht anwendbar. Im Übrigen wäre auch bei Ungehorsamsdelikten (ggfs. nach § 4 Abs. 3 Parkometergesetz 2006) dem Beschuldigten die Tatbestandsmäßigkeit (inkl. der faktischen Tatbegehung) und die Rechtswidrigkeit nachzuweisen. Jedenfalls ist der Beschuldigte nicht zum Nachweis dafür verpflichtet, dass er den § 5 Abs. 2 Parkometerabgabeverordnung nicht verletzt habe. |
Folgerechtssätze | |
RV/7500082/2016-RS3 | wie RV/7500022/2016-RS1 Die Tat kann nicht erwiesen werden, wenn die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichen oder wenn nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens noch Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten bestehen (in dubio pro reo; vgl. Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG § 45 Rz 3 mwN). |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch den Richter R über die Beschwerde des Bf (Beschwerdeführer, Bf.), AdrBf, vom gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien (belangte Behörde) vom , zugestellt am , zur Zahl MA 67-PA-zahl, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 Parkometerabgabeverordnung in Verbindung mit (iVm) § 4 Abs. 1 Parkometergesetz 2006, hinsichtlich Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen Autonummer, Beanstandungsort Kurzparkzone, Beanstandungszeitpunkt , 16:14 Uhr, zu Recht erkannt:
I.) Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) iVm § 24 Abs. 1 Bundesfinanzgerichtsgesetz (BFGG) und § 5 Gesetz über die Organisation der Abgabenverwaltung und besondere abgabenrechtliche Bestimmungen in Wien (WAOR) wird der Beschwerde Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben. Das Strafverfahren wird gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 erster Fall Verwaltungsstrafgesetz (VStG) eingestellt.
II.) Der Bf. hat gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision der belangten Behörde gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
Das mehrspurige Kraftfahrzeug der Marke Automarke, Farbe schwarz, mit dem behördlichen Kennzeichen Autonummer wurde am Mittwoch, um 16:14 beanstandet, weil es in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Kurzparkzone, abgestellt war, ohne mit einem gültig entwerteten Parkschein gekennzeichnet zu sein und ohne dass dafür ein elektronischer Parkschein aktiviert worden wäre. Diese Sachverhaltselemente sind unstrittig. Strittig ist, wer das Fahrzeug abgestellt hatte.
Das Fahrzeug war auf die ExarbeitgeberDesBf zugelassen. Der rechtsfreundliche Vertreter eines der Gesellschafter teilte der belangten Behörde (Magistrat der Stadt Wien) am per E-Mail mit, dass der Beschwerdeführer (Bf.) zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiter der ExarbeitgeberDesBf gewesen sei und dieser ausschließlich den einzigen Firmenwagen gefahren habe.
Die belangte Behörde, der Magistrat der Stadt Wien, erließ an den Bf. eine mit datierte, am (Beginn der Abholfrist der hinterlegten Sendung, § 17 Abs. 3 ZustG) zugestellte und vom Bf. am übernommene Strafverfügung zur Zahl MA-67-PA-zahl, mit welcher dem Bf. angelastet wurde: Der Bf. habe am um 16:14 Uhr in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone am Beanstandungsort das mehrspurige Kraftfahrzeug mit dem gegenständlichen behördlichen Kennzeichen abgestellt, ohne für seine Kennzeichnung mit einem für den Beanstandungszeitpunkt gültigen Parkschein gesorgt zu haben. Demnach habe der Bf. die Parkometerabgabe fahrlässig verkürzt. Wegen Verletzung des § 5 Abs. 2 Parkometerabgabeverordnung verhängte die belangte Behörde über den Bf. eine Geldstrafe iHv 60 €, im Falle der Uneinbringlichkeit 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe. Der Bf. erhob am per E-Mail Einspruch gegen die Strafverfügung, welche dadurch gemäß § 49 Abs. 2 VStG außer Kraft trat. (Das Geschehen hinsichtlich einer zweiten Strafverfügung, gegen welche in derselben E-Mail Einspruch erhoben wurde, ist hier nicht anhängig.)
Mit Schreiben vom verständigte die belangte Behörde den Bf. vom Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Bf. teilte der belangten Behörde mit E-Mail vom 16./ mit, dass er das Fahrzeug mit dem gegenständlichen Kennzeichen nicht gelenkt habe und für dieses nicht verantwortlich sei. Der Halter des Kfz bzw. dessen Sohn hätten ausschließlich Zugang zu diesem Fahrzeug.
Die belangte Behörde lastete dem Bf. in dem beschwerdegegenständlichen, mit datierten und laut Rückschein am (Beginn der Abholfrist der hinterlegten Sendung, § 17 Abs. 3 ZustG) zugestellten Straferkenntnis zur Zahl MA 67-PA-zahl an: Der Bf. habe am um 16:14 Uhr in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone am Beanstandungsort das mehrspurige Kraftfahrzeug mit dem gegenständlichen behördlichen Kennzeichen abgestellt, ohne dieses mit einem gültig entwerteten Parkschein gekennzeichnet oder einen elektronischen Parkschein aktiviert zu haben. Die Parkometerabgabe sei daher fahrlässig verkürzt worden. Wegen Verletzung des § 5 Abs. 2 Parkometerabgabeverordnung iVm § 4 Abs. 1 Parkometergesetz verhängte die belangte Behörde über den Bf. eine Geldstrafe iHv 60 €, im Falle der Uneinbringlichkeit 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe. Zudem wurde dem Bf. ein Betrag von 10 € als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.
In der Begründung des Straferkenntnisses – des angefochtenen Bescheides – führte die belangte Behörde u.a. aus: „... Die Angaben zur Lenkerauskunft und die Organstrafverfügung samt Fotos wurden Ihnen mit ha. Schreiben vom zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig wurden Ihnen Gelegenheit geboten dazu Stellung zu nehmen.
In Ihrer diesbezüglichen Stellungnahme wendeten Sie erneut ein, nicht der Lenker des Fahrzeuges gewesen zu sein.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 81/04/0127, dargelegt hat, ist die Partei zur Mitwirkung im Verwaltungsstrafverfahren verpflichtet, wenn die Behörde ohne Zuhilfenahme dieser Mitwirkung nicht in der Lage ist, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln.
Ihre bloße Erklärung, der Vorhalt der Ihnen zur Last gelegten Verwaltungsübertretung sei nicht richtig, ist nicht ausreichend, diesen zu widerlegen. Vielmehr ist es Ihre Aufgabe als Beschuldigter, den konkreten Erhebungsergebnissen nicht nur konkrete Behauptungen entgegenzusetzen, sondern entsprechende Beweise vorzulegen. Geschieht dies nicht, ist die Behörde in weiterer Folge nicht gehalten, auf Grund allgemein gehaltener Einwendungen des Beschuldigten weitere Beweiserhebungen durchzuführen.
Taugliche Beweismittel, die den Tatvorwurf zu widerlegen im Stande gewesen wären, wurden von Ihnen weder angeboten noch vorgelegt.
Daher ist davon auszugehen, dass Sie Lenker des verfahrensgegenständlichen Fahrzeuges waren.“
In der Rechtsmittelbelehrung wurde u.a. ausgeführt: „Wenn Sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wünschen, müssen Sie diese gleichzeitig mit der Erhebung der Beschwerde beantragen.“
Der Bf. erhob per E-Mail vom Beschwerde gegen das vorgenannte Straferkenntnis und brachte vor, dass er das Fahrzeug Automarke SUV mit dem gegenständlichen behördlichen Kennzeichen nicht gefahren habe. Mit der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Verwaltungsstrafakt dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vor, welche dem BFG gemäß Art. 131 Abs. 5 B-VG iVm § 5 des (Wiener Landes-)Gesetzes über die Organisation der Abgabenverwaltung und besondere abgabenrechtliche Bestimmungen in Wien (WAOR) – bestätigt durch – obliegt.
Erwägungen über die Beschwerde:
§ 4 Abs. 1 Parkometergesetz 2006 bestimmt: „§ 4. (1) Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Abgabe hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen bis zu 365 Euro zu bestrafen.“ Daher ist das dem Bf. mit dem angefochtenen Bescheid (Straferkenntnis) angelastete Verhalten nach dem Tatbild ein Erfolgsdelikt (vgl. zur ähnlich formulierten, damaligen Fassung des § 19 Abs. 1 erster Satz Wiener Vergnügungssteuergesetzes) und kein sogenanntes Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG, welcher lautet: „Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.“ Die widerlegliche Vermutung der Fahrlässigkeit (hins. der Schuld) des Verhaltens bei Ungehorsamsdelikten ist auf den vorliegenden Fall daher nicht anwendbar; weiters ist auch bei Ungehorsamsdelikten (ggfs. nach § 4 Abs. 3 Parkometergesetz 2006) dem Beschuldigten die Tatbestandsmäßigkeit (inkl. der faktischen Tatbegehung) und Rechtswidrigkeit in der Regel nachzuweisen (vgl. Wessely in N. Raschauer/Wessely, VStG2, Rz 29 zu § 5 VStG).
Jedenfalls ist der Bf. ist nicht zum Nachweis dafür verpflichtet, dass er den § 5 Abs. 2 Parkometerabgabeverordnung nicht verletzt habe.
Das Vorbringen des Bf., nicht derjenige Lenker des gegenständlichen Fahrzeuges gewesen zu sein, ist eine konkrete Behauptung, auch wenn der Bf. dafür keine Nachweise erbringt. Es ist daher auf diese Behauptung einzugehen.
Bei der Entscheidung über die faktische Tatbegehung gilt die Regel, dass die Bestrafung ausgeschlossen ist, wenn dem Beschuldigten die Tat nicht nachgewiesen werden kann; hierbei hat sich ein erfolgreicher Nachweis auf alle Tatbestandselemente zu beziehen (vgl. Kneihs in N. Raschauer/Wessely, VStG2, Rz 5 zu § 45 VStG). Dem entspricht der Einstellungsgrund des ersten Falles des § 45 Abs. 1 Z 1 VStG, welcher die Verfügung der Einstellung des Verfahrens vorsieht, wenn „die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann“. Nicht erwiesen werden kann die Tat, wenn die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichen oder wenn nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens noch Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten bestehen, d.h. in dubio pro reo (vgl. Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, § 45 VStG Rz 3).
Der letzte Satz von Rz 5 zu § 45 VStG bei Kneihs in N. Raschauer/Wessely, VStG2, lautet: „Zweifel an der Verwirklichung aller Tatbestandselemente durch den Beschuldigten schlagen zu seinen Gunsten aus; solche Zweifel bestehen freilich nur, wenn die Entlastungsmomente überwiegen oder sich mit den Belastungsmomenten die Waage halten (; , 89/03/0268). Letzteres könnte dahingehend (miss)verstanden werden, als ob im Verwaltungsstrafverfahren zur Feststellung der faktischen Tatbegehung nur das Beweismaß der sogenannten ´größten Wahrscheinlichkeit´ (= überragende = überwiegende Wahrscheinlichkeit) ausreichend wäre, welche laut Kotschnigg/Pohnert in Kotschnigg, Beweisrecht der BAO, Einführung Rz 98, am unteren Ende der Skala des Beweismaßes bzw. des Grades der Überzeugung stehe und einen Überzeugungsgrad von knapp über 50% meine. Jedoch bestanden in dem zugrundeliegenden Fall laut Erkenntnisbegründung gar keine Zweifel an der Tatbegehung. Ebenso konnte die belangte Behörde in dem zugrundeliegenden Verfahren aufgrund der Zeugenaussagen der Gendarmen ohne Zweifel die Tatbegehung feststellen. Die Analyse der Volltexte dieser beiden Entscheidungen des VwGH zeigt also, dass die nachfolgend dargestellte Auffassung zum Nachweis der Tat nicht der Rechtsprechung des VwGH widerspricht. (Im vorliegenden Fall werden überdies nicht einmal die 50% überschritten.)
Es wird hier davon ausgegangen, dass zur Feststellung der faktischen Tatbegehung in einem Verwaltungsstrafverfahren ein höherer Überzeugungsgrad (Beweismaß) als knapp über 50% Wahrscheinlichkeit erforderlich ist: Die Tat ist eben zu „erweisen“ im Sinne von „nachweisen“, ohne dass es sinnvoll wäre, die diesbezüglich notwendige Wahrscheinlichkeit zu beziffern. Im vorliegenden Fall ergibt das Beweisverfahren, dass von den zwei widerstreitenden Sachverhaltsvarianten – einerseits sei der Bf. der Lenker gewesen, andererseits sei der Bf. nicht der Lenker gewesen – keine Variante die andere in der Wahrscheinlichkeit überragt. Bei dem aus dem Beweisverfahren resultierenden Überzeugungsgrad bestehen daher zumindest erhebliche Zweifel, dass der Bf. jener Lenker des gegenständlichen Kraftfahrzeuges war, welcher es ohne Kennzeichnung mit einem Parkschein und ohne Aktivierung eines elektronischen Parkscheines in der Kurzparkzone am Beanstandungsort abgestellt hat.
Die belangte Behörde bringt Zl. 81/04/0127 vor. Volltexte der Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes aus Jahrgängen vor 1990 sind erfahrungsgemäß nur vereinzelt im RIS abrufbar, Rechtssätze aber zumeist schon. Zur Zahl 81/04/0127 sind folgende drei Rechtssätze im RIS abrufbar, deren erster bereits zeigt, dass es sich bei dem zugrundeliegenden Verfahren nicht um ein Verwaltungsstrafverfahren, sondern um ein Konzessionserteilungsverfahren handelte:
, Rechtssatz 1 (Index 50/01 Gewerbeordnung): „Bei der Beurteilung der "Zuverlässigkeit" kann vom Konzessionswerber kein "Berufsrisiko" im Zusammenhang mit den dieser Beurteilung herangezogenen Handlungen oder Unterlassungen für sich in Anspruch genommen werden. (Hinweis auf VorE 1575/75 vom ) Die Behörde hat den Zweifel an der Zuverlässigkeit allein damit begründet, der Bfr sei "im Jahre 1976 wegen fahrlässiger Körperverletzung (Verkehrsunfall) rechtskräftig verurteilt und von der Verwaltungsbehörde wegen Fahrerflucht bestraft" worden. Da aber diese mit einem bloßen Hinweis auf den Deliktstypus bezeichneten Strafen ihrer Art und Anzahl nach es nicht ohne weiteres als zweifelhaft erscheinen lassen, daß der Bfr die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, und außerdem seither immerhin eine geraume Zeit bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichen war, hätte sich die Behörde nicht mit diesem Hinweis für die Begründung ihres Zweifels begnügen dürfen, sondern hätte sich mit diesen beiden Strafen unter dem Blickwinkel des (oben dargestellten) Begriffes der Zuverlässigkeit unter Berücksichtigung des inzwischen verstrichenen Zeitraumes (1976- 1981) näher auseinander zusetzen gehabt, um eine der Überprüfung durch den VwGH zugängliche Begründung dafür zu geben, inwiefern dem Bfr die angestrebte Konzession nicht erteilt werden kann.“
, Rechtssatz 2 (Index 40/01 Verwaltungsverfahren): „Eine Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts besteht insoweit nicht, als die Behörde nicht gehindert ist, diese Ermittlungen (hier: Feststellungen aus Straftaten) von Amts wegen vorzunehmen, wenn sie gem § 39 Abs 2 AVG verpflichtet ist. (Hinweis auf E vom , 0997/72)“
, Rechtssatz 3 (Index 40/01 Verwaltungsverfahren): „Die Verletzung der Mitwirkungspflicht kann nur bewirken, daß die säumige Partei eine sich daraus ebenfalls ergebende unvollständige oder unrichtige Sachverhaltsannahme seitens der bel. Behörde vor dem VwGH zwar nicht mehr geltend machen kann, sie enthebt jedoch die Behörde keineswegs ihrer aus § 60 AVG erwachsenen Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Bescheidbegründung (Hinweis auf VorE vom , 81/11/0009)“
Aus Zl. 81/04/0127 ist daher für den Standpunkt der belangten Behörde im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen.
Es darf im vorliegenden Fall schon aus den folgenden rechtlichen Gründen das Verwaltungsgericht (BFG als Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen gemäß Art. 129 B-VG ) nicht durch weitere Ermittlungen und Aufnahme weiterer Beweise aus eigener Initiative versuchen, den Zweifel an der Tätereigenschaft des Bf. auszuräumen bzw. die Tätereigenschaft des Bf. nachzuweisen:
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), gemäß Bundesverfassungsgesetz vom BGBl. Nr. 59/1964 mit Verfassungsrang ausgestattet, bestimmt: „Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.“
Die in Heft 7 der Zeitschrift der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 665 ff., dargestellte Entscheidung des EGMR , appl. 926/08 (Karelin/Russland) mit anschließender Anmerkung von Grof stellt klar, dass die Abwesenheit eines Anklagevertreters (bzw. eines Vertreters der belangten Behörde in einem Verwaltungsstrafverfahren) in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht nicht dazu führen darf, dass der Richter zusätzlich die Rolle des Anklägers übernimmt. Unzulässig ist laut Grof„eine vom VwG autonom erfolgte Determinierung der Anklage oder eine aus eigenem Antrieb vorgenommene, dh nicht durch einen Parteienantrag veranlasste Beweisaufnahme zu Lasten des Beschuldigten, oder anders gewendet: In Verwaltungsstrafsachen-Beschwerdeverfahren dürfen vom VwG nur insoweit neue Beweise zugelassen, gewürdigt und in seine Entscheidung einbezogen werden, als diese zuvor von den Verfahrensparteien, insbesondere von der Anklagevertretung (belangte Behörde oder Amtspartei), geltend gemacht und entsprechend substantiiert wurden.“
Auch wenn – wie im vorliegenden Fall – keine öffentliche mündliche Verhandlung stattfindet und somit die Sache nicht im engsten Wortsinne „gehört“ wird, hat sich das Gericht im Sinne des im Verfassungsrang befindlichen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK unabhängig und unparteiisch zu verhalten.
Gegenüber dem aktuellen Verfahrensstand, welcher dem Bf. schon aufgrund des Grundsatzes „in dubio pro reo“ die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens verschafft, würde der Versuch der Ausräumung des Zweifels an der Tatbegehung durch den Bf. bzw. der Versuch des Nachweises der Tatbegehung mittels weiterer Beweisaufnahmen aus eigenem Antrieb des BFG zu Lasten des Bf. erfolgen. Ein solches Vorgehen zu Lasten des Bf. aus eigenem Antrieb des Verwaltungsgerichtes würde bedeuten, dass das Verwaltungsgericht auch Funktionen des Anklägers übernähme, was im Gegensatz zur unabhängigen und unparteiischen Stellung des Gerichtes stünde.
Da die belangte Behörde keine derartigen zusätzlichen Beweise geltend gemacht hat, darf sie das BFG nicht aus eigenem Antrieb aufnehmen.
Ob solche zusätzlichen, geeigneten Beweise tatsächlich erbracht werden könnten, ist hier nicht relevant und es ist darauf nicht näher einzugehen.
Somit kann nicht erwiesen werden, dass der Bf. die ihm angelastete Tat begangen hat. Das angefochtene Straferkenntnis ist daher aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 erster Fall VStG einzustellen.
Eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt, weshalb von der Durchführung einer solchen gemäß § 44 Abs. 2 Z 3 VwGVG abgesehen wird.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine (ordentliche) Revision durch die belangte Behörde nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG zulässig, weil zu der Argumentation mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hinsichtlich Unzulässigkeit weiterer Beweisaufnahmen zu Lasten des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren über die Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung aus Eigenantrieb des Verwaltungsgerichtes noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich ist.
Für den Bf. hingegen geht die absolute Unzulässigkeit einer Revision gemäß § 25a Abs. 4 VwGG vor (siehe Rechtsmittelbelehrung), welche im letzten Satz von Art. 133 Abs. 4 B-VG auch verfassungsrechtlich vorgezeichnet ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Verwaltungsstrafsachen Wien |
betroffene Normen | § 5 Abs. 1 VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991 § 4 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz 2006, LGBl. Nr. 09/2006 § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, ABl. Nr. 51/2005 Art. 6 Abs. 1 EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.7500082.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at