Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.03.2017, RV/7102672/2010

Differenzzahlung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin RMS in der Beschwerdesache BF ,über die Beschwerde (vormals Berufung) vom gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom betreffend Gewährung von Familienbeihilfe (Differenzzahlung) für den Zeitraum Jänner bis Dezember 2008 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass die Familienbeihilfe in Höhe der Differenzzahlung antragsgemäß für die Monate Jänner bis Dezember 2008 gewährt wird.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Formular vom (beim Finanzamt eingelangt am ) beantragte der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz Bf.) für seine minderjährige Tochter, die Gewährung einer Differenzzahlung für den Zeitraum bis . Laut eigenen Angaben seien der Bf., Ehefrau und Tochter ungarische Staatsbürger und wohnten auch im gemeinsamen Haushalt in Ungarn.

Bezüglich der ausgeübten Beschäftigungen im Antragsjahr wurde Folgendes festgehalten:

Beschwerdeführer:


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Dienstgeber/auszahlende Stelle im Inland
Zeitraum
AMS
Firma
AMS

Ehefrau:


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Dienstgeber/auszahlende Stelle in Ungarn
Zeitraum
Firma1

Dem Antrag, der außerdem eine von der haushaltsführenden Ehefrau abgegebene Verzichtserklärung gem. § 2a Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 FLAG 1967 enthält, wurden u.a. beigelegt:

- EU-Freizügigkeitsbestätigung, ausgestellt vom AMS am datum, über das Recht des Bf. auf freien Arbeitsmarktzugang gem. § 32a Abs. 2 bzw. 3 AuslBG in Österreich.

- Heiratsurkunde des Bf. und Geburtsurkunde der Tochter, beide ausgestellt in Sopron (Ungarn).

- vom zuständigen Träger des Wohnorts der Familienangehörigen (Magyar XXY) am Datum ausgestelltes Formular E 411 (Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen), wonach von der Ehegattin des Bf. in der Zeit vom „ bis laufend“ eine Berufstätigkeit in Ungarn ausgeübt worden sei. Demnach habe die Ehefrau im Jahr 2008 weiters Anspruch auf Familienleistungen in Ungarn gehabt und diese auch bezogen.

Das Finanzamt gewährte dem Bf. auf Grund seines Antrages mit Bescheid vom für die Monate April 2008 bis Oktober 2008 Differenzzahlung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 inkl. Kinderabsetzbetrag im Betrag von € 859,68, verneinte aber den Anspruch auf Differenzzahlung für die Monate Jänner bis März und November bis Dezember 2008.

Dagegen berief der Bf. mit Schriftsatz vom mit nachstehender Begründung:

Ich habe im Jänner, Februar, März, November und Dezember 2008 Arbeitslosengeld in Österreich erhalten, was ich mit einer Bestätigung über den Arbeitslosengeldbezug AMS v nachweise. Somit habe ich auch Anspruch auf Familienbeihilfe in diesen Monaten in Österreich. Von bis habe ich bei der FIRMA gearbeitet. Natürlich an diesen Monaten habe ich die Differenzzahlung bekommen. Aber an die anderen Monaten – wenn ich Arbeitslose in Österreich war - habe ich kein Geld bekommen. Ich beantrage daher die Differenzzahlung nicht von April bis Oktober 2008, sondern von Jänner 2008 bis Dezember 2008.”

Als Beilage wurde eine Bezugsbestätigung des AMS vom vorgelegt, aus der bezüglich des Bf. folgende Daten hervorgehen:

Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung bzw. Beihilfenbezüge


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Von - bis
Art
Tagsatz (in EUR)
  -
Arbeitslosengeld 
24,90
-
Arbeitslosengeld 
24,90
-
Arbeitslosengeld 
24,90
-
Arbeitslosengeld - Schulung 
24,90
-
Arbeitslosengeld - Schulung 
24,90
-
Arbeitslosengeld - Schulung 
24,90
-
Arbeitslosengeld 
24,90
-
Arbeitslosengeld 
25,75

Darüber hinaus wurde die Kopie eines Versicherungsdatenauszuges vom übermittelt, demzufolge der Bf. mit obigen Daten als Arbeitslosengeldbezieher erfasst gewesen ist, als Arbeiter jedoch wie gemeldet war:


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Von
bis
Art der Monate/meldende Stelle
Arbeiter GmbH
-"-
-"-
-"-
Arbeiter FIRMA
Arbeiter GmbH

Mit Berufungsvorentscheidung vom wurde der Berufung gegen den Bescheid vom teilweise stattgegeben und die Differenzzahlung auch für die Monate November und Dezember 2008 gewährt. Zur Begründung führte das Finanzamt aus:

Liegt in 2 EU-Staaten eine Beschäftigung vor und kommt es während eines Kalendermonats zu einem Zuständigkeitswechsel gilt folgendes: Jener Staat, der zu Monatsbeginn zuständig war, bleibt auch für den Rest des Monats zuständig. Eine allfällige Differenzzahlung kann daher erst im nächsten Monat zur Auszahlung gelangen. Diese Regelung wurde im Anhang 8 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 festgelegt und ist seit dem EU-Beitritt Ungarns in Geltung. Eventuell widersprüchliche Erledigungen in anderen Fällen können kein Grund sein, diese Bestimmungen anzuwenden. Für die Monate November und Dezember 2008 wird eine Differenzzahlung gewährt…"

Nachdem sich der Bf. im Schreiben vom gegen die in der Berufungsvorentscheidung vertretene Rechtsansicht wendete, erfolgte die Vorlage der Berufung (nunmehr Beschwerde) gegen den Differenzzahlungsbescheid an den unabhängigen Finanzsenat mit Vorlagebericht vom .

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Verfahrensrechtliche Vorgangsweise

Gemäß § 323 Abs. 38 Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, in der gegenständlich relevanten Fassung, sind die am bei dem unabhängigen Finanzsenat anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.

Inhaltliche Entscheidung

Laut Aktenlage (vorgelegte Unterlagen und Angaben des Bf. auf dem Antragsformular) ist folgender Sachverhalt unbestritten gegeben:

Bf., dessen Ehefrau und deren Tochter sind ungarische Staatsbürger. Die Familie lebt im gemeinsamen Haushalt in Ungarn. Der Bf. hat in Österreich keinen Wohnsitz. Die Ehefrau war im Jahr 2008 in Ungarn beschäftig und bezog laut Formular E 411 für ihre Tochter ungarische Familienbeihilfe. Der Bf. war laut Versicherungsdatenauszug im Jahr 2008 entweder als Arbeiter in Österreich beschäftigt oder erhielt (von bis , von bis , von bis , von bis , von bis und von bis Ende 2008) österreichisches Arbeitslosengeld.

Strittig ist, ob dem Bf. für das Jahr 2008 Differenzzahlung in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der österreichischen Familienbeihilfe und der ungarischen Kinderbeihilfe für seine in Ungarn lebende Tochter zu gewähren ist oder nicht.

Das Bestehen eines Anspruches auf österreichische Familienbeihilfe (Differenzzahlung) ist zunächst vom Vorliegen der im Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (nachfolgend mit FLAG 1967 abgekürzt und in der hier maßgebenden Fassung angeführt) dafür vorgesehenen Voraussetzungen abhängig.

Im gegenständlichen Fall sind folgende Gesetzesbestimmungen von Relevanz:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind nach § 2 Abs. 5 FLAG 1967 dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.

§ 3 FLAG 1967 legt zusätzliche Voraussetzungen für Personen und Kinder fest, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben.

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:

"Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."

Auf Basis der dargestellten Rechtslage lässt sich zusammenfassend folgendes festhalten:

§ 2 FLAG 1967 legt die allgemeinen Voraussetzungen fest, unter denen einer Person ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich zusteht. Um Familienbeihilfe für minderjährige Kinder zu erhalten, ist es zunächst einmal erforderlich, in Österreich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben. Zudem räumt das Gesetz den Anspruch auf Familienbeihilfe primär demjenigen ein, zu dessen Haushalt das Kind gehört. Ergänzend dazu stellt die Bestimmung des § 3 FLAG 1967 für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, darauf ab, dass sich sowohl Elternteil als auch Kind rechtmäßig im Inland aufhalten. Darüber hinaus fordert § 5 Abs. 3 FLAG 1967 auch für die anspruchsvermittelnden Kinder einen ständigen Aufenthalt in Österreich.

Im vorliegenden Fall besteht kein Streit über das Vorliegen der in § 3 FLAG 1967 für Nichtösterreicher geforderten Anspruchsvoraussetzungen sowohl bezüglich des Bf. als auch seiner Tochter. So hat das Finanzamt weder seine abweisende Entscheidung darauf gestützt, noch Argumente vorgebracht, die sich gegen die Annahme eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels nach § 8 bzw. § 9 NAG wenden, zumal für den Bf. als Bürger der Union unionsrechtliches Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht gilt. Das Finanzamt hat weiters nicht in Abrede gestellt, dass das Mädchen dem Haushalt des Bf. zuzurechnen ist.

Fest steht aber auch, dass der Wohnsitz des Bf. sowie der ständige Aufenthalt der Tochter nicht in Österreich gelegen sind. Dieser Umstand steht dem Anspruch auf Differenzzahlung jedoch dann nicht entgegen, wenn der Bf. unter den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der relevanten Fassung, (im Folgenden kurz VO Nr. 1408/71) fällt und auch die in den unionsrechtlichen Bestimmungen für den Erhalt der beantragten Geldleistung geforderten Voraussetzungen erfüllt sind.

Dass dies bei der gegebenen Sachlage der Fall ist, ergibt sich aus folgendem:

Zum einen liegt gegenständlich ein mitgliedstaatenübergreifender Sachverhalt vor, nämlich eines Unionsbürgers, der in einem Mitgliedstaat einer Erwerbstätigkeit nachgeht bzw. Arbeitslosengeld bezieht, während seine Familie in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, sodass die VO Nr. 1408/71 im Beschwerdefall zur Anwendung gelangt (vgl. dazu Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, „Gamlitzer Kommentar“ zum FLAG 1967, Rz 40 zu § 53).

Zum anderen ist der Bf. im Beschwerdezeitraum auch von dem in Artikel 2 der VO Nr. 1408/71 geregelten persönlichen Geltungsbereich erfasst, der sich unter anderem auf Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene erstreckt.

Als “Arbeitnehmer“ ist gemäß Artikel 1 Buchstabe a der VO Nr. 1408/71 u.a. jede Person zu verstehen, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Dabei ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH eine Person die Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. der VO 1408/71 besitzt, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Artikel 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (, Dodl und Oberhollenzer).

Insofern ist die VO Nr. 1408/71 auch auf eine Person anwendbar, die - wie der Bf. - zunächst in einem Mitgliedstaat erwerbstätig war, und danach nach dem System der sozialen Sicherheit eines Staates Leistungen bei Arbeitslosigkeit bezog (vgl. (Anne Kuusijärvi), sodass im Ergebnis auch dem Bf. die Arbeitnehmereigenschaft  im Sinne der VO Nr. 1408/71 zukommt, zumal er im Beschwerdejahr vom österr. Sozialversicherungssystem als Arbeiter bzw. Arbeitsloser erfasst worden ist.

Sachlich gilt die VO Nr. 1408/71 nach ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, welche Familienleistungen betreffen. Die österreichische Familienbeihilfe (hier in Form einer Differenzzahlung) ist ohne Zweifel eine Familienleistung im Sinne des Art. 1 Buchstabe u sublit. i der VO Nr. 1408/71, wonach darunter alle Sach- oder Geldleistungen zu verstehen sind, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind (siehe ).

Insgesamt ergibt sich daher sowohl für den Bf. als auch für seine Gattin die grundsätzliche Anwendbarkeit der in Rede stehenden Verordnung in sachlicher und persönlicher Hinsicht.

Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der VO Nr. 1408/71 bestimmt nun folgendes:

"a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat."

Wie sich aus dieser allgemeinen Regelung in Artikel 13 der VO Nr. 1408/71 ergibt, ist der für Familienleistungen zuständige Staat der Beschäftigungsstaat. Demnach unterliegt eine Person (grundsätzlich) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem sie eine Beschäftigung ausübt oder in dem zuletzt eine Beschäftigung ausgeübt worden ist und der daher für Leistungen bei Arbeitslosigkeit zuständig ist (vgl. und die dort angeführten und zu Art. 13 Abs. 2 lit. a der Verordnung Nr. 1408/71 ergangenen Urteile des EuGH).

Vor diesem Hintergrund sowie in Anbetracht der - trotz vorübergehender Arbeitslosigkeit  - nach wie vor auf den Beschäftigungsmitgliedstaat bezogenen und damit in Österreich verbliebenen Interessen (der Bf. ist im Beschwerdezeitraum in Österreich immer wieder erwerbstätig gewesen und hat vom in Österreich zuständige AMS nach österreichischen Rechtsvorschriften Arbeitslosengeld bezogen) gelangt hier Art. 13 der VO Nr. 1408/71 zur Anwendung, sodass grundsätzlich Österreich für die Gewährung von Leistungen zuständig ist.

Dass auch der Aufenthalt der Kinder in Ungarn für den österreichischen Beihilfenanspruch nicht schädlich ist, ergibt sich aus Art. 73 und 74 der VO Nr. 1408/71 wie folgt:

Gemäß Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Ebenso hat nach Art. 74 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bezieht, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Als Familienangehöriger gilt nach Art. 1 Buchstabe f sublit. i der VO Nr. 1408/71 jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist.

Das FLAG 1967 spricht in diesem Zusammenhang nicht von Familienangehörigen, sondern stellt auf den gemeinsamen Haushalt ab. Die Bestimmung des § 2 FLAG 1967 sieht nämlich einen Beihilfenanspruch primär für die haushaltszugehörigen Kinder vor. Im Beschwerdefall ist unbestritten und ergibt sich auch aus der vorliegenden Aktenlage, dass die Familie in Ungarn im gemeinsamen Haushalt lebt, weshalb Mutter und Tochter als Familienangehörige im Sinne der Verordnung zu beurteilen sind.

Insgesamt folgt daraus für den im Beschwerdezeitraum entweder als Arbeitnehmer oder Empfänger von Leistungen bei Arbeitslosengeld vom österreichischen Sozialversicherungssystem erfassten Bf. der grundsätzliche Anspruch auf Familienleistungen in Österreich als dem Beschäftigungsland.

Diesem Anspruch, der dem Bf. als Arbeitnehmer oder Arbeitslosengeldbezieher aus den Artikeln 13 und 73 bzw. 74 der Verordnung Nr. 1408/71 erwächst, sind jedoch die „Antikumulierungs“-Regeln der VO Nr. 1408/71 und der im Fall der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch beide Eltern weiters anwendbaren Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO Nr. 574/72 und in der relevanten Fassung wiedergegeben) gegenüberzustellen, wenn eine Kumulierung der Ansprüche nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats mit den Ansprüchen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats droht.

So hat die Kindesmutter nach den ungarischen Rechtsvorschriften Anspruch auf Familienbeihilfe, weil sie und das Kind dort wohnen. Außerdem hat diese ihrerseits im Streitzeitraum am Wohnsitz der Familie in Ungarn eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und ist insoweit als berufstätig im Sinne der VO Nr. 1408/01 einzuordnen.

Diesbezüglich bestimmt der mit "Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen" überschriebene Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71:

"(1) Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag."

Weiters sieht Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der VO Nr. 574/72 u. a. vor, dass, wenn die Familienleistungen im Wohnstaat des Kindes unabhängig von Versicherungs- oder Beschäftigungsvoraussetzungen geschuldet werden, diese Ansprüche dann ruhen, wenn Leistungen nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung Nr. 1408/71 geschuldet werden.

Den umgekehrten Fall, nämlich das Ruhen der im Beschäftigungsstaat nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung Nr. 1408/71 bestehenden Ansprüche auf diese Leistungen, normiert hingegen Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der VO Nr. 574/72 dann, wenn die Person, die Anspruch auf die Familienleistungen hat, oder die Person, an die sie zu zahlen sind, im Wohnstaat des Kindes eine Erwerbstätigkeit ausübt.

Im Ergebnis hat somit die im Jahr 2008 im Wohnmitgliedstaat des Kindes ausgeübte Berufstätigkeit der Mutter ein Ruhen des in Österreich nach Artikel 73 und 74 der VO Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungsanspruches des Bf. bis zur Höhe der vom Wohnmitgliedstaat tatsächlich gezahlten Beihilfen gleicher Art zur Folge. Auf die vom Bf. beantragte Differenzzahlung besteht jedoch nach Art. 76 der VO Nr. 1407/81 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 lit. b der VO Nr. 574/72 sehr wohl Anspruch im Beschäftigungsland Österreich und zwar für das gesamte Jahr 2008.

Entgegen den Ausführungen des FA besteht nämlich für die Anwendung des in der VO 574/72 außerdem enthaltenen Artikels 10a aus folgendem Grund kein Raum:

Art. 10a der VO Nr. 574/72 ist wie folgt überschrieben:

"Art. 10a

Vorschriften für Arbeitnehmer oder Selbständige, für die während ein und desselben Zeitraums oder eines Teils eines Zeitraums nacheinander Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gelten…"

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Überschrift des Art. 10a der VO Nr. 574/72 ist diese Bestimmung nur anwendbar, wenn in einem Bezugszeitraum (hier der Kalendermonat) nacheinander die Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten galten, sohin wenn für einen Teil des Zeitraums die Rechtsvorschriften des einen Mitgliedstaates und danach für den weiteren Teil (ausschließlich) die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates galten.

Im Beschwerdefall galten jedoch nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des Finanzamtes, dass der Bf. im gesamten Streitzeitraum in Österreich entweder beschäftigt oder Arbeitslosengeldbezieher gewesen ist, zufolge Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 die österreichischen Rechtsvorschriften hinsichtlich des Bf. für das gesamte Jahr 2008, zumal Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Arbeitslosigkeit (solange Leistungen im Zusammenhang mit solchen Versicherungsfällen zu zahlen sind) der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt sind. Die Rechtsvorschriften Ungarns galten nach derselben Bestimmung für die Ehefrau des Bf. im Jahr 2008.

Damit kann aber nicht davon gesprochen werden, dass im Beschwerdefall die Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten nacheinander gegolten haben. Im gesamten Jahr 2008 haben nämlich die Rechtsvorschriften beider Mitgliedstaaten nebeneinander gegolten, weshalb der Tatbestand des Art. 10a der VO Nr. 574/72 gar nicht erfüllt ist.

Es sind somit auch für die Kalendermonate Jänner bis März 2008 sowie für November bis Dezember 2008 für den Bf. nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der VO Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften Österreichs anzuwenden. Er hat damit im gesamten Streitzeitraum nach Art. 73 und 74 der Verordnung Anspruch auf Familienbeihilfe unter Anwendung der Antikumulierungsvorschriften nach Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und des Art. 10 der VO Nr. 574/72 und unter Beachtung des Anspruchs auf Familienleistungen im Wohnmitgliedstaat.                                                                          

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, zumal die Entscheidung mit der darin angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Einklang steht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 13 Abs. 2 lit. a VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
Art. 76 VO 1401/2002, ABl. Nr. L 203 vom S. 42
Art. 10 VO 574/72, ABl. Nr. L 74 vom S. 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.7102672.2010

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at