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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.02.2017, RV/7103842/2015

Erlassen der BVE über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid erst nach Ergehen der BVE über die Beschwerde gegen den geänderten Sachbescheid

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden, Richter Mag. Dieter Fröhlich und die weiteren Senatsmitglieder sowie im Beisein der Schriftführerin in der Beschwerdesache der Bf., Stadt, Str., StNr.: OO, vertreten durch APP Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., 1010 Wien, Schenkenstraße 4/6, betreffend die nach Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2012 vom  in der Sitzung am  nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung 

zu Recht erkannt:

Die Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Wien 1/23 vom über die Bescheidbeschwerde vom gegen die Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 vom wird wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art 133 Abs. 4 B VG i.V.m. § 25a VwGG eine Revision nicht zulässig.

den Beschluss gefasst:

Der Vorlageantrag vom gegen die Beschwerdevorentscheidung vom wird als unzulässig (geworden) zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß Art 133 Abs. 4 B VG i.V.m. § 25a VwGG eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt:

Nach einer Außenprüfung hat das Finanzamt (FA) gegenüber der Beschwerdeführerin (Bf.) mit Bescheiden vom die Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer für Jahre 2009, 2010, 2011 und 2012 von Amts wegen gemäß § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommen und gleichzeitig geänderten Umsatzsteuerbescheide für diese Kalenderjahre erlassen.

Im Schriftsatz vom , eingebracht am , erhob die Bf. durch ihren steuerlichen Vertreter (StV) gegen die Wiederaufnahmebescheide und gegen die in einem erlassenen Sachbescheide form- und fristgerecht Bescheidbeschwerde.

Dazu erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung. Im Spruch dieses Bescheides gemäß § 262 BAO wurde unter ausdrücklicher Benennung des Entscheidungsgegenstandes, die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2012 als unbegründet abgewiesen.

In der ausführlichen Begründung des Bescheides wurde das gesamte Verwaltungsgeschehen dargelegt und den gesamten Einwendungen der Bf. – sowohl hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren als auch der Rechtmäßigkeit der, in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden vorgenommenen, Vorsteuerkürzung – detailliert entgegengetreten.

Gegen diese BVE vom wurde von der Bf. fristgerecht ein Vorlageantrag gestellt.

Mit Vorlagebericht vom legte das FA die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide und gegen die Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

Zu beurteilen ist die Rechtsfrage, ob das FA mit der BVE vom auch über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide abgesprochen hat und falls dies nicht geschehen ist, ob und welche Rechtswirkung eintreten, wenn die Abgabenbehörde eine BVE über die Beschwerde gegen die Sachbescheide erlässt ohne ebenso mit BVE gleichzeitig oder vorher über die Beschwerde gegen die in dieser Sache auch angefochtenen Wiederaufnahmebescheide zu entscheiden.

§ 303 Abs. 1 BAO über die Wiederaufnahme des Verfahrens lautet:

„Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

  • der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

  • Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

  • der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.“

Gemäß § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat (§ 307 Abs. 3 BAO).

Dazu vertritt die herrschende Meinung folgende Rechtsauffassung (vgl. Ritz, BAO5 zu § 307 Rz. 7):

„Der Wiederaufnahmebescheid und der neue Sachbescheid sind zwei Bescheide, die jeder für sich einer Bescheidbeschwerde zugänglich sind und der Rechtskraft teilhaftig werden können (zB ; , 2000/14/0142; , 2006/15/0367; , 2007/15/0041). Auch hinsichtlich ihrer Behebbarkeit (z.B. gem. § 299) sind sie getrennt zu beurteilen ( ).

Sind beide Bescheide mit Bescheidbeschwerde angefochten, so ist zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden ( ; , 2001/15/0004; , 2009/15/0170). Die Entscheidung über beide Beschwerden kann in einer Entscheidung verbunden werden (). Wurde das Rechtsmittel gegen den Wiederaufnahmebescheid unerledigt gelassen und vorerst über die Bescheidbeschwerde gegen den neuen Sachbescheid abgesprochen, so ist die Entscheidung inhaltlich rechtswidrig (vgl ; , 2005/15/0031; , 2012/15/0193).“

Es ist daher zu prüfen, ob mit der Beschwerdevorentscheidung vom das Finanzamt ausschließlich über die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide abgesprochen hat, wie dies im Bescheidspruch objektiv zu Ausdruck gebracht wurde, oder ob auch über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide entschieden wurde, weil in der Bescheidbegründung (Seite 2) auch Ausführungen über die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens und der vorgelegenen Wiederaufnahmegründe enthalten sind.

Für die Auslegung von Bescheiden sind die für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (nämlich die §§ 6 und 7 ABGB) analog heranzuziehen ( , ZfVB 1994/1/253). Für die Bedeutung einer Aussage im Spruch ist maßgebend, wie der Inhalt objektiv zu verstehen ist, und nicht, wie ihn die Behörde verstanden wissen wollte oder wie ihn der Empfänger verstand ( ).

Der Spruch eines Bescheides ist im Zweifel iSd angewendeten Gesetzes auszulegen („gesetzeskonforme“ Bescheidauslegung, ; , 2005/15/0055, , 2009/15/0182; , 2010/15/0064).

Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruches, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (zB ; , 2006/15/0257; , 2005/15/0035; , 2009/15/0182); es sei denn, dass zwischen Spruch und Begründung Widersprüche bestehen oder zumindest nicht ausgeschlossen sind ( ). Bei eindeutigem Spruch ist die Begründung nicht zu seiner Ergänzung oder Abänderung heranzuziehen ( , ZfVB 1997/1/424).

Die belangte Behörde hat im Spruch folgende normative Willensäußerung vorgenommen:

„Beschwerdevorentscheidung

Es ergeht die Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde vom von derBf., vertreten durch Apellator Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. gegen

Umsatzsteuerbescheid 2009 vom

Umsatzsteuerbescheid 2010 vom

Umsatzsteuerbescheid 2011 vom

Umsatzsteuerbescheid 2012 vom

Umsatzsteuerbescheid 7/2014 vom

Über die Beschwerde wird auf Grund des § 263 Bundesabgabenordnung (BAO) entschieden:

Ihre Beschwerde vom wird als unbegründet abgewiesen

Begründung: …“

Der Spruch des Bescheides enthält einen zweifelsfreien Inhalt. Es wurde nach objektiven Erklärungsgehalt mit der BVE eindeutig nur über die Beschwerde vom gegen die Sachbescheide abgesprochen.

Diese objektiv erklärte Willensäußerung der Behörde – nur über die Beschwerde gegen die Sachbescheide zu entscheiden - kann nicht mittels Bescheidauslegung auf einen anderen Spruchinhalt umgeändert werden – nämlich dahingehend, dass auch die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide abgewiesen worden sei. Da der Spruch keine Zweifel aufkommen lässt, vermögen die zusätzlichen Ausführungen der Behörde in der Bescheidbegründung zur Wiederaufnahme des Verfahrens, am eindeutigen Inhalt der normativen Willensäußerung nichts zu ändern.

Es steht daher fest, dass das FA in der gegenständlichen Beschwerdesache mit der BVE vorerst  nur über die Bescheidbeschwerde gegen die neuen Umsatzsteuerbescheide vom abgesprochen hat. Die gleichzeitig vorgelegenen Rechtsmittel gegen die Wiederaufnahmebescheide hat die Abgabenbehörde dabei unerledigt gelassen. Indem die belangte Behörde es unterlassen hat, zumindest gleichzeitig mit der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Sachbescheide auch über die Beschwerde geben die Wiederaufnahmebescheide abzusprechen, hat sie die angefochtene BVE mit wesentlicher Rechtswidrigkeit belastet, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht saniert werden kann.

Die BVE vom war hinsichtlich ihrer selbständigen Spruchteile betreffend die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 als rechtswidrig aufzuheben und der gegen sie erhobene Vorlageantrag der Bf. vom gemäß § 260 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 264 Abs. 1 und Abs. 4 lit. e BAO in Folge der Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung mit Beschluss als unzulässig geworden zurückzuweisen. Ein Vorlageantrag setzt nämlich zwingend eine im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung voraus (zur gleichen Sachlage BFG, , RV/310053/2013).

Die Beschwerde gegen die Sachbescheide betreffend Umsatzsteuer 2009 bis 2012 ist damit wieder unerledigt.

Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide betreffend die Umsatzsteuerveranlagung 2009 bis 2012 ist bisher vom FA nicht erledigt worden. Nach der geltenden Rechtslage des § 262 Abs. 1 BAO hat das FA zwingend eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen. Erst wenn sie mit BVE über die Beschwerde gegen diese Verfahrensbescheide entschieden hat und dabei zum Ergebnis gelangt, dass diese Beschwerde abzuweisen ist, tritt in einer logischen Sekunde die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beschwerde gegen Sachbescheide ein.

Das FA wird daher mit BVE vorerst über die Beschwerde gegen die WA-Bescheide gemäß § 303 BAO und dann über die Bescheidbeschwerde gegen die das wiederaufgenommene Veranlagungsverfahren abschließenden neuen Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 zu entscheiden haben, bzw. die Absprache über beide Beschwerde in einer Erledigung zu verbinden haben.

Der Umstand, dass das FA im Vorlagebericht an das BFG auch die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide angeführt hat und deren Abweisung anregt, hat keine rechtliche Relevanz. Im Verfahren über Bescheidbeschwerden beginnen die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes sowie der Lauf der Entscheidungsfrist erst mit der Vorlage einer Beschwerde entsprechend der Anordnung des § 265 Abs. 1 BAO. Zuständig zu einer Entscheidung (in der Sache) ist das BFG freilich im Regelfall nur dann, wenn zuvor bereits die Abgabenbehörde mit BVE entschieden hat und dagegen ein Vorlageantrag erhoben worden ist (VwGH, , Ro 2015/15/0001). Dies trifft im gegenständlichen Fall hinsichtlich der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide jedoch nicht zu.

Die BVE vom spricht in mehreren selbständigen Spruchteilen über die Beschwerden gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide 2009, 2010, 2011 und 2012 sowie gegen den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum7/2014 ab. Dementsprechend enthält auch der Schriftsatz vom der Bf. mehrere selbständige Vorlageanträge gegen alle Spruchteile der BVE bezüglich der Umsatzsteuer 2009 bis 2012 und Umsatzsteuer 7/2014. Die spruchgemäße Zurückweisung betrifft nur die Vorlageanträge gegen die BVE hinischtlich der auf Grund einer Wiederaufnahme der Verfahren erlassenen Umsatzsteuerjahresbescheide 2009 bis 2012.

Dazu ist anzumerken, dass die USt-Festsetzung für den UVA-Zeitraum 7/2014 mit einem Erstbescheid erfolgt ist. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid vom wurde daher rechtsrichtig nach Erlassung der BVE vom und Einbringung des Vorlageantrages gegen diesen selbständigen Spruchteil der BVE dem BFG gemäß § 265 BAO vorgelegt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit, erfolgt die materiellrechtliche Entscheidung über die Beschwerde gegen diesen Sachbescheid  in einem eigenen Erkenntnis.

Zulässigkeit der Revision

Gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis oder der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Im gegenständlichen Fall war keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Entscheidung folgte der zitierten einhelligen Rechtsprechung des VwGH.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.7103842.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at