Kein Alleinerzieherabsetzbetrag bei aufrechter Ehe und getrennten Wohnsitzen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. über die Beschwerden der Bf., AdrBf, gegen die Bescheide der belangten Behörde (FA) vom und vom , St.Nr. StNr betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2012 bis 2014 zu Recht erkannt:
Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerdeführerin (Bf.) erzielt Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit aus einem Dienstverhältnis bei der X in Wien.
Im Zuge der Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2012 bis 2014 wich das Finanzamt u.a. insoweit von den Erklärungen der Bf. ab, als es den Alleinerzieherabsetzbetrag nicht anerkannte (Begründung: „Der Alleinerzieherabsetzbetrag konnte nicht berücksichtigt werden, da Sie im Veranlagungsjahr mehr als sechs Monate in einer Gemeinschaft mit einem (Ehe-)Partner gelebt haben.“)
Mit Schriftsätzen vom 10.8. und erhob die Bf. Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide vom (betreffend 2012 und 2013) und vom (betreffend 2014) und brachte darin gleichlautend vor:
„Die Beschwerde richtet sich…gegen folgende Punkte des Bescheides:
Alleinerzieherabsetzbetrag
Sonderausgaben
Begründung:
Es bestand eine Ehe, jedoch lebt aus beruflichen Gründen mein jetziger Ehemann in Wien und ist dort Hauptwohnsitz gemeldet. Wir führen KEINEN gemeinsamen Haushalt.
Meine Tochter Name1 lebt nach wie vor in meinem Haushalt wegen Studium. Mein jetziger Ehemann ist NICHT der Kindesvater. Dieser ist bereits am 2004 verstorben. Es hat sich an der wirtschaftlichen Situation nichts geändert.
Ich beantrage, den Alleinerzieherabsetzbetrag und die erhöhten Sonderausgaben für zwei Personen (Tochter und mich) zu berücksichtigen und einen neuen Bescheid zu erlassen.“
Das Finanzamt ersuchte die Bf. um Vorlage der Heiratsurkunde sowie um „Vorlage schlüssiger Beweismittel, dass Sie nicht mit Ihrem Ehepartner in Gemeinschaft leben. Eine aufrechte Ehe spricht grundsätzlich gegen eine dauernd getrennte Lebensführung und widerspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens.“
Die Bf. übermittelte daraufhin eine Kopie der Heiratsurkunde vom 2012 sowie ein an sie gerichtetes E-Mail ihres Ehemannes mit nachstehendem Inhalt:
„Hallo VornameBf,
ich darf Dir Kopien meiner Steuerakte für die Jahre 2012, 2013 und 2014 und meinen gültigen Meldezettel übersenden
Hieraus ist ebenfalls ersichtlich, dass meine Hauptwohnsitz und somit meine Lebensmittelpunkt meine Wohnung in Adresse2 darstellt.
Den Einwand Deines Finanzamtes, dass getrennte Wohnsitze in einem Eheleben nicht möglich sind, kann ich nicht nachvollziehen.
Weder war ein gemeinsamer Haushalt eine Voraussetzung für die standesamtlichen Hochzeit, noch kann ich im Eherecht keine entsprechenden Verweise dazu finden.
Weiters habe ich mit dem Anwalt meines Dienstgebers Rücksprache gehalten und es wurde mir ebenfalls bestätigt, dass getrennte Wohnsitze durchaus in der heutigen Zeit üblich sind und steuerrechtlich keine Nachteile bringen.
Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit (Angestellter Versicherungsmakler) muss ich meine Kundentermine meist abends wahrnehmen und somit wäre, falls wir einen gemeinsamen Wohnsitz hätten, das tägliche pendeln von Wien nach OrtNÖ und retour eine zusätzliche Belastung.
Natürlich darfst Du die beiliegenden Unterlagen an Dein Finanzamt weiterleiten (ich gehe aber davon aus, dass das Finanzamt meine Steuerakte im Hintergrund schon abgefragt hat).
Sollte der Meldezettel als Nachweis für meine Hauptmeldung nicht ausreichen sein, möge das Finanzamt über das ZMR eine Abfrage durchführen.
Für weitere Fragen stehe ich Dir gerne zur Verfügung
Mit freundlichen Grüßen
…..“
Das Finanzamt wies die Beschwerden in weiterer Folge mit nachstehender Begründung ab:
„Gemäß § 33 (4) Zi.2 ESTG steht Alleinerziehenden ein Alleinerzieherabsetzbetrag zu. Alleinerziehende sind Steuerpflichtige, die mit mindestens einem Kind mehr als sechs Monate des Kalenderjahres nicht in Gemeinschaft mit einem (Ehe)Partner leben.
Eine aufrechte Ehe spricht grundsätzlich gegen eine dauernd getrennte Lebensführung. Es ist allerdings möglich diese Vermutung zu widerlegen. Maßgebend ist nicht die Anzahl der Wohnsitze einer der beiden Ehegatten oder dessen polizeiliche Meldung, sondern ausschließlich die Sachverhaltsfrage, ob der Steuerpflichtige tatsächlich in Gemeinschaft mit seinem Ehepartner lebt oder nicht. Der Umstand einer - auch längeren - beruflich notwendigen Abwesenheit eines Ehepartners steht der Annahme einer ehelichen Gemeinschaft nicht entgegen. Eine dauernde Haushaltsgemeinschaft ist dafür nicht erforderlich. Dass Ihr Gatte aus beruflichen Gründen eine andere Wohnung benutzt, spricht nicht gegen das Bestehen einer ehelichen Gemeinschaft.
Es besteht somit kein Anspruch auf den Alleinerzieherabsetzbetrag.“
In ihren Vorlageanträgen vom und verwies die Bf. auf ihre Beschwerdeausführungen und beantragte die Zeugeneinvernahme ihrer Tochter und ihres Ehemannes.
Über die Beschwerden wurde erwogen:
Das BFG geht aufgrund der Aktenlage sowie unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens von folgendem Sachverhalt aus:
Laut ZMR-Abfrage befand sich der Hauptwohnsitz der Bf. in den Streitjahren in AdrBf.
Die am 1992 geborene Tochter der Bf. war in den Streitjahren in einem Studentenwohnheim (-) und im Haushalt ihrer Mutter ( - ) mit dem Hauptwohnsitz gemeldet. Der Kindesvater und frühere Ehemann der Bf. ist im Jahr 2004 verstorben.
Der vorgelegten Heiratsurkunde zufolge ist die Bf. seit 2012 mit NameEhegatte verheiratet. Die Ehegatten verfügen über zwei getrennte Wohnsitze, die Bf. hat ihren Hauptwohnsitz in Niederösterreich (AdrBf), ihr Ehemann seinen in Wien (Adr2).
Die vorstehenden Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere das Vorhandensein zweier getrennter Wohnsitze, sind aktenkundig und unstrittig. Sie wurden daher vom Bundesfinanzgericht gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen angenommen.
Eine Einvernahme der von der Bf. beantragten Zeugen konnte somit unterbleiben.
§ 33 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 lautet:
„Alleinerziehenden steht ein Alleinerzieherabsetzbetrag zu. Dieser beträgt jährlich
bei einem Kind (§ 106 Abs. 1) 494 Euro,
bei zwei Kindern (§ 106 Abs. 1) 669 Euro
Dieser Betrag erhöht sich für das dritte und jedes weitere Kind (§ 106 Abs. 1) um jeweils 220 Euro jährlich.
Alleinerziehende sind Steuerpflichtige, die mit mindestens einem Kind (§ 106 Abs. 1) mehr als sechs Monate im Kalenderjahr nicht in Gemeinschaft mit einem (Ehe)Partner leben.“
Das Finanzamt hat die Bf. um Vorlage schlüssiger Beweismittel ersucht, aus denen sich ergibt, dass sie nicht mit ihrem Ehepartner in Gemeinschaft lebt. Die Bf. hat daraufhin die eingangs erwähnte E-Mail ihres Ehemannes, seinen Meldezettel sowie Daten aus dessen Steuerakt im FinanzOnline betreffend die Jahre 2012 bis 2014 übermittelt.
Diese Unterlagen eignen sich nicht als Nachweis darüber, dass die Bf. nicht in einer Gemeinschaft mit ihrem Ehepartner lebt.
Wie vorstehend bereits ausgeführt wird die Tatsache, dass die Ehegatten über unterschiedliche Wohnsitze verfügen vom BFG nicht Zweifel gezogen.
Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben verheiratete Personen nur dann Anspruch auf den Alleinerzieherabsetzbetrag, wenn sie von ihrem Ehegatten dauernd getrennt leben. Eine aufrechte Ehe spricht grundsätzlich gegen eine dauernd getrennte Lebensführung; es ist dem Ehegatten allerdings möglich, diese Vermutung zu widerlegen (). Mehrere Wohnsitze bewirken keine dauernde Trennung. Maßgebend für das Tatbestandsmerkmal, nicht dauernd getrennt zu leben, ist nicht die Anzahl der Wohnsitze oder die polizeiliche Meldung, sondern ausschließlich die Sachverhaltsfrage, ob der Steuerpflichtige, der den Alleinerzieherabsetzbetrag beantragt, bei an sich aufrechter Ehe tatsächlich in Gemeinschaft mit seinem Ehegatten lebt oder nicht (). Laut kann die nach der Rechtsprechung für ein Leben in Gemeinschaft geforderte "Wohnungs-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft" durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein, es kann sogar eines dieser Merkmale zur Gänze fehlen, ohne dass eine Gemeinschaft nicht mehr vorliegen würde. Es komme dabei regelmäßig auf die Umstände des Einzelfalles an.
Das Tatbestandsmerkmal des "nicht in einer Gemeinschaft mit einem (Ehe-)Partner Lebens" ist erfüllt, wenn die Voraussetzungen des "Nicht dauernd getrennt Lebens" mit einem (Ehe)Partner nicht vorliegen (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 11. EL § 33 Anm. 86).
Die räumliche Trennung allein ist kein "Dauernd-getrennt" Leben iSd Z 1. Maßgebend ist das Beenden der ehelichen (partnerlichen) Lebensgemeinschaft iSd §§ 90 ff ABGB beziehungsweise §§ 8 f EPG, die in Ausnahmefällen auch bei getrennten Wohnsitzen weiter bestehen kann (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 11. EL § 33 Anm. 51).
Im vorliegenden Fall wohnen die Bf. und ihr Ehegatte zwar getrennt, dieser Umstand beruht jedoch - wie übereinstimmend aus dem Vorbringen der Bf. und dem von ihr vorgelegten E-Mail ihres Gatten entnommen werden kann – auf beruflichen Überlegungen des Ehegatten, um abendliche Fahrten nach OrtNÖ nach Absolvierung von Kundenbesuchen zu vermeiden. Wenn sich die Ehegatten im beiderseitigen Einvernehmen darauf verständigt haben, getrennt voneinander zu wohnen, bedeutet dies allerdings nicht unbedingt, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht besteht ().
Die fehlende Wohngemeinschaft allein indiziert noch nicht zwingend, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt, weil auch in einer Ehe, bei der die Ehegatten nach § 91 ABGB ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, einvernehmlich getrenntes Wohnen als zulässig betrachtet wird.
Außerdem weist die Bf. selbst in ihren Beschwerden auf das Bestehen einer intakten Ehe hin („Es bestand eine Ehe, jedoch lebt aus beruflichen Gründen mein jetziger Ehemann in Wien…“). Von einem "dauernd getrennten Leben" der Ehepartner kann daher im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, zumal nicht einmal die Bf. vorbringt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben bzw. beendet wäre. Ebenso wie eine längere Abwesenheit vom Familienwohnsitz aus beruflichen Gründen noch nicht als "dauernd getrennt leben" gilt, kann selbst bei getrennten Wohnsitzen die eheliche Lebensgemeinschaft durchaus weiter bestehen.
Auch in aufrechter Ehe ist die Beibehaltung oder Gründung mehrerer Wohnsitze keineswegs außergewöhnlich, ebenso die Aufteilung der Kosten in der Weise, dass jeder der Partner für jeweils eine Wohnung aufkommt (vgl. ).
Nach dem Beschwerdevorbringen und den von der Bf. vorgelegten Unterlagen ergibt sich kein Hinweis auf das Nichtbestehen einer aufrechten Ehe. Es ist dem geschilderten Sacherhalt jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die Bf. und ihr Ehepartner wegen des Umstands des Wohnens in zwei Wohnungen den Kontakt, der zwischen Ehepartnern üblich ist, bzw. den Willen zu einer gemeinsamen Lebensführung, aufgegeben haben.
Dem Umstand, dass Ehegatten sich etwa aus beruflichen Gründen zu getrennten Wohnungen entschließen und dadurch einer finanziellen Mehrbelastung ausgesetzt sind, misst der Gesetzgeber im Rahmen der Vorschriften betreffend die Zuerkennung des Alleinerzieherabsetzbetrages keine tatbestandsmäßige Bedeutung zu. Im gegenständlichen Fall sind das Unterhalten von zwei Wohnungen und die damit verbundenen finanziellen Mehraufwendungen durch persönliche Umstände bedingt.
Da aus den angeführten Gründen das Tatbestandsmerkmal des dauernd Getrenntlebens im Sinne der Rechtsprechung des VwGH nicht vorliegt, zumal die Bf. in den Streitjahren in einer funktionierenden Beziehung mit ihrem Ehepartner lebte und die gewählte Wohnsituation einer liberalen Lebensform entspricht, in der nicht nach konventionellen Modellen Zusammenleben an einem gemeinsamen Wohnsitz geübt wird, steht ihr der Alleinerzieherabsetzbetrag nicht zu (vgl. ).
Nachdem vom BFG die gegenständliche Wohnsituation bzw. das Beibehalten von zwei Wohnsitzen nicht angezweifelt wird, konnte die von der Bf. im Vorlageantrag beantragte Einvernahme ihres Ehemannes und ihrer Tochter unterbleiben.
Die Beschwerden waren aus vorstehenden Gründen als unbegründet abzuweisen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Revision ist im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig geklärt und gelöst ist, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht zu ziehen ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 33 Abs. 4 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.7100097.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at