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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.02.2017, RV/7101239/2015

Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr - keine erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache der Bf., Adr., vertreten durch Dr. Herbert Eisserer, Rechtsanwalt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamts Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung des Antrags vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe (für den Zeitraum ab Oktober 2013) zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am 1951, stellte am  durch ihren Sachwalter einen Eigenantrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe und gab als erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung "rezidivierende depressive Symptomatik" an.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom  unter Hinweis auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 ab.

Der Sachwalter der Bf. erhob gegen den Abweisungsbescheid fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass das fachärztliche Sachverständigengutachten nicht schlüssig ist. Aufgrund der Sprachbarriere konnte der Entwicklungsstand und der Status psychicus nicht richtig erfasst werden.

Die Bf. wurde auf Grund der eingebrachten Beschwerde neuerlich untersucht und im Sachverständigengutachten vom der Behinderungsgrad mit 10 % (ab Februar 2014) festgesetzt. Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde nicht bescheinigt.

Das Finanzamt erließ am eine Beschwerdevorentscheidung und wies die Beschwerde unter Verweis auf die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 5 und 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) und die in dem nunmehrigen (zweiten) Gutachten getroffenen Feststellungen ab.

Mit Schreiben vom brachte der Sachwalter der Bf. einen Vorlageantrag (ohne weitere Begründung) ein.  

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Gesetzliche Bestimmungen:

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967

- für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 gleichgestellte volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. (ab : 25.) Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sowie

nach § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967

- für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 gleichgestellte volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 27. (ab : 25.) Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind nicht anzuwenden.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Die Feststellung des Behinderungsgrades eines Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 beantragt wurde, hat somit nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen.

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

2. Sachverhaltsfeststellungen

2.1. Allgemeine Feststellungen

Die Bf. hat 1977 das 25. Lebensjahr vollendet.

2.2. In den Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden zwei Sachverständigengutachten erstellt ( und ):

Im fachärztlichen Sachverständigengutachten vom (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie) wurde Folgendes festgestellt:

"Anamnese:

AW kommt aus der Türkei, versteht praktisch nicht deutsch, es liegen keinerlei Befunde vor, der Begleiter kann nicht übersetzen, kann keine Angaben über Medikation machen , seit 3a wohne sie in Wien , ist besachwaltet (kein SW Gutachten vorliegend), sie lebe relativ selbständig

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): 0

Untersuchungsbefund:

Neurostatus: Die Hirnnerven sind unauff., die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen. li OE nach Unfall vor einigen Tagen in der Beweglichkeit schmerzhaft eingeschränkt , MER mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ, das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauff., Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben.

Status psychicus / Entwicklungsstand:

kann fast nicht deutsch, Stimmung depressiv, zurückgezogen, Schlaf schlecht, keine prod. Symptome faßbar

Relevante vorgelegte Befunde:

keine

Diagnose(n):

Depression

Richtsatzposition: 030601 Gdb: 010% ICD: F32.0

Rahmensatzbegründung:

URS, da ohne fachärztl. Behandlungsdokumentation

Gesamtgrad der Behinderung: 10 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich n i c h t dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Auf Grund fehlender fachärztlicher Behandlungsdokumentation kann der GdB ab Untersuchung (2014-02) angenommen werden."

3. Rechtliche Würdigung

Strittig ist im vorliegenden Beschwerdefall, ob der Bf. der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht.

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde in dem Gutachten vom der Behinderungsgrad der Bf. mit 10 % ab Februar 2014 festgestellt. Eine voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde in beiden Gutachten nicht bescheinigt.

Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass die Sachverständigengutachten schlüssig sind und die darin getroffenen Feststellungen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, dies aus folgenden Gründen:

Bei einem im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Bundessozialamt, neu: Sozialministeriumsservice) erstellten Gutachten handelt es sich um das einzige Beweismittel, das im Verfahren betreffend Zuerkennung von erhöhter Familienbeihilfe vorgesehen ist.

Der Verfassungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis , aus, dass sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ergebe, dass der Gesetzgeber sowohl die Frage des Grades der Behinderung als auch die Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeigneten Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Die Beihilfenbehörde hätte bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnte von dieser nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in mehreren Erkenntnissen (siehe zB ; ) der Rechtsansicht des VfGH angeschlossen.

Somit hat der Gesetzgeber in § 8 Abs. 6 FLAG 1967 eine ausdrückliche Beweisregel aufstellt.

Auch das Bundesfinanzgericht hat somit für seine Entscheidung die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens festzustellen, ob die gegenständlichen Gutachten diesem Kriterium entsprechen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein ärztliches Gutachten, soll damit eine Behinderung im Sinne des FLAG dargetan werden, Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens, sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten. Insbesondere muss deutlich sein, welcher Bestimmung der erwähnten Verordnung der festgestellte Behinderungsgrad zugeordnet wird ( unter Hinweis auf ).

Das Gutachten vom  entspricht diesen Voraussetzungen. In dem für das Beschwerdeverfahren relevanten im Wege des Sozialministeriumservice (Bundessozialamt) erstellten Gutachten wurde auf die Art des Leidens und das Ausmaß der hieraus resultierenden Behinderung der Bf. eingegangen.

Die in den Gutachten getroffenen Feststellungen sind daher vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf.

Alle Gutachten gehen in der im Beschwerdefall allein entscheidenden Frage davon aus, dass beim Bf. eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, jedenfalls nicht vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer späteren Berufsausbildung eingetreten ist.

Es ist zwar nach der Rechtsprechung des VwGH nicht (mehr) zulässig, dass die Behörde entgegen einem Gutachten oder ohne ein Gutachten die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auf Grund einer langjährigen Berufstätigkeit abspricht. Dass sich jedoch die/der fachärztliche Sachverständige neben der medizinischen Anamnese bei zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Sachverhalten nicht auch auf eine langjährige Berufstätigkeit als weiteres Indiz stützen dürfte, ist der Rechtsprechung nicht zu entnehmen (). Bereits unter diesem Aspekt sind die Gutachten als schlüssig anzusehen.

Hingewiesen sei aber insbesondere auf das Erkenntnis des , in dem der Gerichtshof Folgendes ausführt:

"§ 6 Abs 2 lit d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs 2 lit d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

Auch hieraus ergibt sich, dass es nicht auf den (latenten) Bestand einer Krankheit an sich ankommt, sondern nur auf den Zeitpunkt, zu dem die Krankheit ein Ausmaß erreicht, die eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann bedenkenlos davon ausgegangen werden, dass die Gutachten als schlüssig anzusehen sind, woran auch die Ausführungen des Sachwalters der Bf. in der Beschwerde nichts ändern können.

Da im vorliegenden Beschwerdefall die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 nicht vorliegen, weil bei der Bf. eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, jedenfalls nicht vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer späteren Berufsausbildung eingetreten ist, musste die Beschwerde abgewiesen werden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da eine Tat­sachen­frage und nicht eine grundsätzliche Rechtsfrage zu klären war.

Wien, am

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