Wertung einer Beschwerde als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. R. in der Beschwerdesache des Bf., gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom betreffend Abweisung des Antrages gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2014 (Einkommensteuerbescheid 2014 vom ) zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben. Der Bescheid vom betreffend Abweisung des Antrages gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2014 wird aufgehoben.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) hat seinen Wohnsitz in X. und ist als Feuerwehrbeamter beim Magistrat der Stadt Wien unselbstständig erwerbstätig. Er reichte am die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 beim Finanzamt ein. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2014 mit einer Gutschrift in Höhe von 2.431,00 Euro erklärungsgemäß fest.
Am reichte der Bf. eine "2. Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014" beim Finanzamt ein und machte zusätzlich Reisekosten in Höhe von 1.224,96 Euro (264,00 Euro Taggeld und 960,96 Euro Kilometergeld) geltend. Diese Reisekosten standen im Zusammenhang mit vom Bf. durchgeführten Überwachungsdiensten in diversen Kultureinrichtungen (Theater an der Wien, Raimundtheater, Ronacher, Theater in der Josefstadt).
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt "den Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO vom auf Wiederaufnahme des mit Einkommensteuerbescheid 2014 vom abgeschlossenen Verfahrens" ab und begründete diesen Bescheid wie folgt:
"In der von der Abgabenbehörde als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) gewerteten "zweiten Erklärung" zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 wurden vom Abgabepflichtigen - durch Brandsicherheitswachdienste in verschiedenen Wiener Theatern veranlasste - Fahrtkosten (960,96 Euro) und Tagesgelder (264,00 Euro) als Werbungskosten geltend gemacht. Laut Bestätigung der MA 2, Personalservice, wurden die für diese Dienste ausbezahlten Entschädigungen (94,15 bzw. 46,93 Euro je Dienst) im Ausmaß von 12% als Taggeld gemäß § 26 EStG 1988 und im Ausmaß von 85% als gemäß § 68 Abs. 1 u. 2 EStG steuerfreie Mehrdienstleistungen behandelt. Daraus folgt, dass die geltend gemachten Fahrtkosten gemäß § 20 Abs. 2 EStG 1988 um 85% der im Jahr 2014 erhaltenen Entschädigungen (80,03 bzw. 39,89 Euro je Dienst) zu kürzen sind. Mangels Vorliegens von beruflich veranlassten Reisen iSd § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 (Veranstaltungsorte weniger als 25 km von der Arbeitsstätte entfernt) ist die Berücksichtigung von Tagesgeldern als Werbungkosten nicht möglich. Der Antrag war daher wegen Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen abzuweisen."
Mit Schreiben vom erhob der Bf. fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom und führte begründend aus:
"Ich kann diesen Bescheid, den sie mir am mittels RSb Brief zukommen ließen, nur mit einem leichten Schmunzeln betrachten, denn wenn da steht: ich zitiere: Mangels Vorliegens von beruflich veranlassten Reisen. Dann verstehe ich das ganze nicht, denn die Frau H. hat zu meinem Fall, alle nur erdenklichen Unterlagen erhalten, wo auch ganz klar hervor geht, das meine Dienstreisen zu den besagten Brandsicherheitswachdiensten in den diversen Theater in Wien verpflichtend durchzuführen sind, und diese Dienste nur an Dienstfreien Tagen anzutreten sind, und ich immer diese Dienste von zu Hause anfahre und nicht wie da dargestellt, ich zitiere: Veranstaltungsort weniger als 25 km von der Arbeitsstätte entfernt. Ich frage mich, was das mit der Arbeitsstätte zu tun hat, wenn ich an meinen Dienstfreien Tagen, diese Brandsicherheitswachdienste die hauptsächlich, es gibt auch Ausnahmen, um 18:30 stattfinden, von zu Hause angefahren werden. Das komische ist auch, dass ein Feuerwehrmann aus Salzburg schon mal bis zum Verwaltungsgerichtshof mit genau diesem Anliegen gegangen ist, und Recht bekommen hat. Dabei geht sehr definiert hervor wie folgt: Der Verwaltungsgerichtshof berücksichtigt mit dieser Rechtsauslegung, dass die Abgeltungswirkung des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 nicht über den Wortlaut der Tatbestandsmerkmale "Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" hinausgehen kann. Als Ergebnis dieser vorrangigen Wortinterpretation liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätten nur dann vor, wenn sie mit dem Ziel unternommen werden, die Arbeitsstätte aufzusuchen oder von dieser zur Wohnung zurückzukehren. Die Begriffe Wohnung und Arbeitsstätte definieren einen exakten, punktuellen Ort und umfassen nicht zB das ganze Gemeinde- oder Stadtgebiet (vgl. , vom , RV/1561-W/06, vom , RV/1140-W/10 und vom , RV//0171-W/10). Im gegenständlichen Fall wurde die Fahrt nicht mit dem Ziel durchgeführt die Arbeitsstätte aufzusuchen, sondern erfolgten direkt von der Wohnung zur jeweiligen Kulturstätte bzw. zum jeweiligen Aufführungsort, so wie es auch bei mir zutrifft. Die Fahren wurden außerhalb der normalen Arbeitszeit durchgeführt. Es handelt sich somit um zusätzliche Fahrten, und ist in der Tatsache eine Dienstreise. Wie oben schon erwähnt habe ich alle Unterlagen Frau H. (Finanzamt Horn) übergeben, die mir dann gesagt hatte, das die Dienstreise durch sei und es nur mehr Probleme mit dem Taggeld von € 2,20 pro Stunde gebe. Ich habe mich aber diesbezüglich auch bei der Arbeiterkammer informiert und habe auch von dieser bestätigt bekommen, dass mir das Taggeld zustehe, wenn die Dienstreise mehr als 25 km beträgt. Dienstreisen könne ich ab dem ersten Kilometer geltend machen. Das aller Beste kommt zum Schluss, alle meine Kollegen, egal wo sie in Niederösterreich wohnen und von welchem ihrer Wohnorte sie nach Wien fahren, um den verpflichtend durchzuführenden Brandsicherheitswachdienst in den diversen Kulturstätten zu verrichten, haben diese Dienstreisen von den diversen Finanzämtern genehmigt bekommen, da frage ich mich nicht ganz unbegründet, gibt es in Niederösterreich verschiedene Steuersysteme oder gibt es doch ein einheitliches System."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid vom als unbegründet ab und führte begründend aus:
"Der Bf. ist Feuerwehrbeamter der Stadt Wien und beantragte in seiner am eingereichten "2. Erklärung" zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2014 die (zusätzliche) Berücksichtigung von Fahrtkosten (960,96 Euro) und Verpflegungsmehraufwand aufgrund beruflich veranlasster Reisen (264,00 Euro) iZm durchgeführten Veranstaltungsaufsichten als Werbungskosten. Die Eingabe wurde seitens der Abgabenbehörde als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO gewertet.
....
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag der Partei oder von Amts wegen ua dann wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
....
Da die steuerlichen Auswirkungen der vorgebrachten Wiederaufnahmegründe - (auch) nach Einbeziehung der im Beschwerdeverfahren neu hervorgekommenen Tatsachen - insgesamt als nur geringfügig (Anm.: nunmehr zu Ungunsten des Bf.) anzusehen sind, wird im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensübung von einer Wiederaufnahme des Verfahrens Abstand genommen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Mit Schreiben vom stellte der Bf. fristgerecht den Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Der Bf. begehrt die Anerkennung von Reisekosten in Höhe von 1.224,96 Euro (264,00 Taggeld und 960,96 Euro Fahrtkosten - Kilometergeld) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit. Diese Aufwendungen fielen im Zusammenhang mit den verpflichtend zu leistenden sogenannten Kulturdiensten als Feuerwehrmann in diversen Theatereinrichtungen in Wien an.
In der am beim Finanzamt eingereichten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 wurden diese Aufwendungen vom Bf. nicht geltend gemacht.
Die erklärungsgemäße Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2014 erfolgte mit Bescheid vom .
Mit der am und damit innerhalb der Beschwerdefrist gemäß § 245 BAO eingereichten "2. Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014" machte der Bf. die o.a. zusätzlichen Reisekosten in Höhe von 1.224,96 Euro als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt wertete dieses Anbringen des Bf. als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO und wies diesen wegen Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen ab.
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b Bundesabgabenordnung (BAO), in der Fassung BGBl. I 2013/14, kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Bewilligung der Wiederaufnahme liegt im Ermessen der Behörde. Dabei sind der Sinn des Gesetzes und § 20 BAO als Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen (vgl. ).
Gegen Bescheide, die Abgabenbehörden erlassen, sind gemäß § 243 BAO Beschwerden (Bescheidbeschwerden) an die Verwaltungsgerichte zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist.
Gemäß § 245 BAO beträgt die Frist zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde einen Monat.
Die Bundesabgabenordnung kennt verschiedene Rechtsbehelfe. Das ordentliche Rechtsmittel ist seit 2014 die Beschwerde (§ 243 BAO). Daneben sieht das Abgabenverfahrensrecht aber in §§ 293 ff. BAO eine Reihe von Maßnahmen zur Abänderung, Zurücknahme und Aufhebung von Bescheiden ebenso wie die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) vor. Um welchen Rechtsbehelf es sich handelt, ist aus dem Zusammenhang des Anbringens zu schließen. Bei verbleibenden Unklarheiten ist ein Mängelbehebungsverfahren (§ 85 Abs. 2 BAO) durchzuführen, in dessen Rahmen bei nicht rechtsfreundlich vertretenen Parteien diesen im Rahmen der Manuduktionspflicht (§ 113 BAO) die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe näher zu erläutern wären.
Hinsichtlich der Wertung eines Anbringens kommt es nicht auf die Formulierung, sondern auf dessen erkennbaren Inhalt an (vgl. Zl. 83/16/0161; ).
Stehen dem Steuerpflichtigen mehrere verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Bescheiden und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige einen Antrag stellen möchte, der einer inhaltlichen Erledigung zugänglich ist (vgl. ).
Die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 BAO setzt nicht nur das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel voraus, sondern hängt auch von der weiteren Voraussetzung ab, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens seinerzeit einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Darüber hinaus liegt die Bewilligung einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Ermessen der Behörde.
Daraus folgt, dass die Einbringung der geänderten (zweiten) Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 des Bf. vor Ablauf der Frist des § 245 BAO als Bescheidbeschwerde zu werten ist, weil nur eine solche Wertung dem Rechtschutzinteresse des Bf. Rechnung trägt.
Daher ist die Eingabe des Bf. vom zweifellos nicht als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2014 anzusehen, sondern als rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist des § 245 BAO eingebrachte Beschwerde gemäß § 243 BAO.
Damit erweist sich der Bescheid vom betreffend Abweisung eines Antrages gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2014 als rechtswidrig, da Gegenstand der Eingabe vom eine Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vom ist.
Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 279 BAO ersatzlos aufzuheben.
In weiterer Folge wird die unerledigte Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vom von der zuständigen Abgabenbehörde einer Erledigung zugeführt werden müssen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2016:RV.7104241.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at