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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.06.2016, RV/7500491/2016

In einem anhängigen Verwaltungsstrafverfahren kann ein Beschuldigter nach dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare" nicht gezwungen werden, einer Aufforderung gemäß § 2 Parkometergesetz 2006 Folge zu leisten, da er das Recht hat zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen.

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7500491/2016-RS1
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte EGMR hat der Beschuldigte unter Verweis auf Art. 6 EMRK das Recht zu schweigen. Er kann nach dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare" nicht unter Sanktionsandrohung gezwungen werden, sich selbst zu beschuldigen und sich als Zulassungsbesitzer selbst als Täter einer Verwaltungsübertretung zu bezeichnen, weshalb die gegenständliche Lenkererhebung ein Verstoß gegen das Selbstbezichtigungsverbot des Art. 6 MRK darstellt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter M. in den Verwaltungsstrafsachen gegen Herrn A., Deutschland, betreffend Verwaltungsübertretungen gemäß § 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006 über die Beschwerden des Beschuldigten vom  gegen

1. das Erkenntnis des Magistrat der Stadt Wien MA 67 als Abgabenstrafbehörde vom
    , Zahl: MA 67-1,

2. das Erkenntnis des Magistrat der Stadt Wien MA 67 als Abgabenstrafbehörde vom
    , Zahl: MA 67-2,

zu Recht erkannt:

Gemäß § 50 VwGVG wird den Beschwerden stattgegeben, die angefochtenen Straferkenntnisse aufgehoben und die Verwaltungsstrafverfahren wegen Verletzung der Auskunftspflicht gemäß § 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006 gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) eingestellt.

Gemäß § 52 Abs. 1 VwGVG hat Herr A. keinen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten.

Eine Revision ist für den Beschwerdeführer nach § 25a Abs. 4 VwGG unzulässig.

Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, Parkraumüberwachung, vom , Zahl: MA 67-1, wurde Herrn A. (in weiterer Folge: Beschuldigter) vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Abstellung des mehrspurigen Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen D (D) am um 14:19 Uhr in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Wien 3 folgende Verwaltungsübertretung begangen zu haben:

Als Zulassungsbesitzer habe der Beschuldigte dem schriftlichen Verlangen der Behörde vom , zugestellt am , innerhalb der Frist von zwei Wochen bekanntzugeben, wem er das gegenständliche, mehrspurige Kraftfahrzeug überlassen gehabt habe, nicht entsprochen, da die Auskunft nicht erteilt worden sei. Mit Schreiben vom sei keine konkrete Person als Lenker bzw. Lenkerin namhaft gemacht worden.

Der Beschuldigte habe dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006, LGBI. für Wien Nr. 9/2006, in der geltenden Fassung.

Gemäß § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006 werde gegen den Beschuldigten eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 60,00, im Falle der Uneinbringlichkeit 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.

Es werde dem Beschuldigten zudem ein Betrag von EUR 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt (§ 64 Abs. 2 des Verwaltungsstrafgesetzes). Der zu zahlende Gesamtbetrag betrage daher EUR 70,00.

2. Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, Parkraumüberwachung, vom , Zahl: MA 67-2, wurde dem Beschuldigten vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Abstellung des mehrspurigen Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen D (D) am um 10:27 Uhr in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Wien 4 folgende Verwaltungsübertretung begangen zu haben:

Als Zulassungsbesitzer habe der Beschuldigte dem schriftlichen Verlangen der Behörde vom , zugestellt am , innerhalb der Frist von zwei Wochen bekanntzugeben, wem er das gegenständliche, mehrspurige Kraftfahrzeug überlassen gehabt habe, nicht entsprochen, da die Auskunft nicht erteilt worden sei. Mit Schreiben vom sei keine konkrete Person als Lenker bzw. Lenkerin namhaft gemacht worden.

Der Beschuldigte habe dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006, LGBI. für Wien Nr. 9/2006, in der geltenden Fassung.

Gemäß § 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006 werde gegen den Beschuldigten eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 60,00, im Falle der Uneinbringlichkeit 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.

Es werde dem Beschuldigten zudem ein Betrag von EUR 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt (§ 64 Abs. 2 des Verwaltungsstrafgesetzes). Der zu zahlende Gesamtbetrag betrage daher EUR 70,00.

Als Begründung wurde in beiden Erkenntnissen Folgendes ausgeführt:

"Gemäß § 2 Abs. 1 Gesetz über die Regelung der Benützung von Straßen durch abgestellte mehrspurige Kraftfahrzeuge (Parkometergesetz 2006), LGBI. Nr. 09/2006 in der geltenden Fassung, hat der Zulassungsbesitzer und jeder, der einem Dritten das Lenken eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges oder die Verwendung eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges überlässt, für dessen Abstellen gemäß Verordnung des Wiener Gemeinderates eine Parkometerabgabe zu entrichten war, falls das Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone gemäß § 25 StVO 1960, BGBI. Nr. 159/1960, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBI. I Nr. 99/2005, abgestellt war, dem Magistrat darüber Auskunft zu geben, wem er das Kraftfahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen gehabt hat.

Gemäß § 2 Abs. 2 leg. cit. ist die Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten muss, unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung, zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht erteilt werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen.

Gemäß § 4 Abs. 2 leg. cit. sind Übertretungen des § 2 als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen bis zu 365 Euro zu bestrafen.

Wie der Aktenlage entnommen werden kann, wurde die Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers vom durch die persönliche Übernahme am zugestellt. Die Frist zur Erteilung der Lenkerauskunft begann daher am und endete am . Mit Schreiben vom wurde der Behörde lediglich mitgeteilt, dass Sie nicht mehr wissen, wer gefahren ist.

Mittels Strafverfügung vom wurde Ihnen die gegenständliche Verwaltungsübertretung angelastet. In dem dagegen erhobenen Einspruch vom wandten Sie ein, bereits mitgeteilt zu haben, dass Sie nicht gefahren sind.

Dazu wird Folgendes mitgeteilt:

Zweck einer Lenkerauskunft besteht darin, den Lenker zur Tatzeit ohne Umstände raschest festzustellen, somit ohne weitere Ermittlungen als identifiziert zu betrachten und zur Verantwortung ziehen zu können.

Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. Gegenüber der Befugnis, derartige Auskünfte zu verlangen treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

Im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes genügt es nicht, der Behörde irgendeine Mitteilung zu machen; vielmehr ist die zur Auskunftserteilung verpflichtete Person durch die Erteilung einer unrichtigen bzw. unvollständigen Auskunft – sei es, dass eine andere Person genannt wurde als diejenige, der das Fahrzeug tatsächlich überlassen worden ist, sei es, dass angegeben wurde, das Fahrzeug sei zu dieser Zeit nicht in Betrieb gewesen, sei es, dass angegeben wurde, nicht zu wissen, wem das Fahrzeug überlassen worden sei – der ihr durch das Gesetz auferlegten Verpflichtung nicht nachgekommen (vgl. ZVR 1971/120).

Die Nichterteilung bzw. die unrichtige unvollständige oder nicht fristgerechte Erteilung der Lenkerauskunft ist nach § 2 des Parkometergesetzes 2006 strafbar.

Da laut Aktenlage innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen kein Lenker bekannt gegeben wurde, haben Sie Ihrer Verpflichtung gemäß § 2 Parkometergesetz 2006 nicht entsprochen.

Zum Tatbestand der Ihnen vorgeworfenen Verwaltungsübertretung gehört weder der Eintritt eines Schadens noch einer Gefahr, es handelt sich bei dieser Verwaltungsübertretung um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs.1 VStG 1991. Nach dieser Gesetzesstelle ist Fahrlässigkeit - die im gegenständlichen Fall zur Strafbarkeit genügt - bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgen eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand dieser Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Es besteht daher in solchen Fällen von vornherein die Vermutung eines Verschuldens zumindest in Form fahrlässigen Verhaltens, welche jedoch vom Täter widerlegt werden kann. Es ist Sache des Beschuldigten, initiativ alles darzulegen, was seiner Entlastung dienen kann.

Sie brachten keine Gründe vor, um ihr mangelndes Verschulden darzutun, und es waren auch aus der Aktenlage keine Umstände ersichtlich, dass Sie an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden träfe, weshalb von zumindest fahrlässigem Verhalten auszugehen ist.

Somit sind sowohl die objektiven als auch subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit als erwiesen anzusehen.

Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität einer Beeinträchtigung durch die Tat Grundlage für die Bemessung der Strafe.

Die der Bestrafung zugrundeliegende Handlung schädigte in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der raschen Ermittlung der im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehenden Person, dem die Strafdrohung dient, weshalb der objektive Unrechtsgehalt der Tat, selbst bei Fehlen sonstiger nachteiliger Folgen, nicht gering war.

Auch bei Annahme ungünstiger Einkommens- und Vermögensverhältnissen und allfälliger Sorgepflichten ist die Strafe nicht überhöht, soll sie doch in ihrer Höhe geeignet sein, Sie von der Begehung weiterer gleichartiger Übertretungen abzuhalten.

Als mildernd wurde berücksichtigt, dass hieramts keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen nach dem Parkometergesetz 2006 vorliegen.

Unter Bedachtnahme auf die Strafzumessungsgründe und den bis zu 365 Euro reichenden Strafsatz sowie den Unrechtsgehalt der Tat ist die verhängte Geldstrafe als angemessen zu betrachten.

Der Ausspruch über die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens ist im § 64 VStG begründet."

Mit fristgerechter Eingabe vom teilte der Beschuldigte mit, dass er bereits alles zu diesem Sachverhalt mitgeteilt habe. Ergänzend teilte der Beschuldigte am mit, dass er seine Eingabe als Beschwerde (gegen beide Erkenntnisse) sehe und nochmals darauf hinweisen wolle, dass er nicht gefahren sei.

Über die Beschwerden wurde erwogen:

Rechtslage:

§ 2 Abs. 1 Parkometergesetz 2006: Der Zulassungsbesitzer und jeder, der einem Dritten das Lenken eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges oder die Verwendung eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges überlässt, für dessen Abstellen gemäß Verordnung des Wiener Gemeinderates eine Parkometerabgabe zu entrichten war, hat, falls das Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone gemäß § 25 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 99/2005, abgestellt war, dem Magistrat darüber Auskunft zu geben, wem er das Kraftfahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen gehabt hat.

§ 2 Abs. 2 Parkometergesetz 2006: Die Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten muss, ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung, zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht erteilt werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen.

§ 4 Abs. 2 Parkometergesetz 2006: Übertretungen des § 2 sind als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen bis zu 365 Euro zu bestrafen.

Zu den Beschwerden:

Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (; ), ist mit "Zulassungsbesitzer" im Sinne des § 1a Wiener Parkometergesetz (Anmerkung: inhaltlich vergleichbar mit § 2 Parkometergesetz 2006) jene Person gemeint, welcher diese Eigenschaft in jenem Zeitpunkt zukam, auf den sich die behördliche Anfrage bezieht ().

Wie sich aus der oben zitierten Bestimmung des § 2 Parkometergesetz 2006 und der dementsprechend formulierten Anfrage im Aufforderungsschreiben vom ergibt, hätte der Beschuldigte als Zulassungsbesitzer die Auskunft darüber zu erteilen gehabt, wem er das besagte Fahrzeug überlassen hatte. Die entsprechende Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden natürlichen Person enthalten muss, wäre binnen zwei Wochen nach der am erfolgten Zustellung des Auskunftsverlangens zu erteilen gewesen.

Innerhalb der zweiwöchigen Frist hat der Beschuldigte der Behörde mit Schreiben vom die entsprechende Auskunft insoweit nicht erteilt, als keine konkrete Person als Lenker(in) bekannt gegeben wurde.

Der Auskunftspflicht nach § 1a Parkometergesetz wird nur dann entsprochen, wenn eine bestimmte Person, der das Lenken des Fahrzeuges überlassen wurde, vom Zulassungsbesitzer namhaft gemacht wird (vgl. ).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Erteilung einer unrichtigen (vgl. etwa ), einer unvollständigen (vgl. ), einer unklaren bzw. widersprüchlichen (vgl. ) aber auch einer verspäteten Auskunft (vgl. ) der Nichterteilung einer Auskunft gleichzuhalten. Hiebei handelt es sich um voneinander nicht zu unterscheidende strafbare Handlungen. Es genügt insoweit die Tatanlastung, dass der Beschuldigte als Zulassungsbesitzer die begehrte Auskunft unterlassen bzw. dem individuell bezeichneten Auskunftsverlangen nicht entsprochen hat, welcher natürlichen Person das Kraftfahrzeug zur Verfügung gestellt wurde (vgl. ; ).

Da der Beschuldigte den diesbezüglichen Auskunftsverlangen des Magistrats der Stadt Wien vom (dem Beschuldigten nachweislich zugestellt am ) nicht gesetzeskonform entsprochen hat, hat er den objektiven Tatbestand der Übertretung des § 2 Parkometergesetz 2006 verwirklicht.

Beschuldigtenstatus:

Dem Beschuldigten wurde allerdings mit persönlich an ihn adressierten Strafverfügungen vom mit je einer Geldstrafe von € 60,00 bestraft, da er einerseits das Fahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen D am um 14:19 Uhr in Wien 3, andererseits dasselbe Fahrzeug am um 10:27 Uhr in Wien 4 jeweils ohne gültigen Parkschein abgestellt zu hat.  

Der Beschuldigte verweist in seinen Einsprüchen an die Behörde darauf, nicht selbst gefahren zu sein, und hat dies auch in seiner Antwort auf die Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers vom so mitgeteilt.

Von Amtswegen war zu berücksichtigen, dass die belangte Behörde bisher nicht bedacht hat, dass in einem anhängigen Verwaltungsstrafverfahren nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte EGMR unter Verweis auf Art. 6 EMRK der Beschuldigte das Recht hat zu schweigen und nicht unter Sanktionsandrohung gezwungen werden kann, sich selbst zu beschuldigen und sich als Zulassungsbesitzer selbst als Täter einer Verwaltungsübertretung zu bezeichnen, weshalb die gegenständliche Lenkererhebung ein Verstoß gegen das Selbstbezichtigungsverbot des Art. 6 MRK darstellt.

Das Instrument der Lenkerauskunft nach § 2 des Wiener Parkometergesetzes 2006 und der inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 103 Abs. 2 KFG steht im Spannungsfeld zur Rechtsposition des Beschuldigten nach Art. 6 EMRK, ist aber unter bestimmten Voraussetzungen damit vereinbar, solange nicht der Wesensgehalt der Garantie ausgehöhlt wird. Das Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen, ist kein absolutes Recht und kann aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen eingeschränkt werden. Die Verletzung des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ ist in der Rechtsprechung des EGMR nach Art eines beweglichen Systems beurteilt worden, wobei Kriterien wie Art und Schwere des Zwangs zur Beweiserlangung, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Straftat und Bestrafung des Täters, die Existenz angemessener Verfahrensgarantien (Rechtschutzeinrichtungen) und die Art der Verwertung des Beweismittels maßgeblich waren (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³, 367f, RZ 119).

Zur Grundrechtsproblematik im Zusammenhang mit Lenkerauskünften gibt es eine Judikaturlinie des EGMR, die den Wesensgehalt des Art. 6 EMRK konkreter festlegt.

Im Fall Weh gegen Österreich hat der EGMR mit Urteil vom , Beschw.Nr. 38544/97 eine Verletzung des Art. 6 EMRK mit der Begründung verneint, dass nach den konkreten Umständen des Falles nur ein entfernter und hypothetischer Zusammenhang zwischen der Verpflichtung des Beschwerdeführers, über den Lenker des Fahrzeuges Auskunft zu geben, und einem möglichen Strafverfahren gegen ihn bestanden habe. Ohne ausreichend konkrete Verbindung zu einem Strafverfahren sei der Zwang zur Erlangung von Informationen kein Problem. In der Begründung wies der Gerichtshof auf seine Judikatur hin, wonach das Recht, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, nicht per se die Anwendung von Zwang außerhalb des Strafverfahrens verbiete. Im Fall Weh gegen Österreich wurde zu keiner Zeit ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer geführt. Ein Strafverfahren wegen Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit sei lediglich gegen unbekannte Täter geführt worden, als der Beschwerdeführer zur Lenkerauskunft nach § 103 Abs. 2 KFG aufgefordert wurde. Somit habe der Fall nicht die Verwendung von unter Zwang erlangten Informationen in einem nachfolgenden Strafverfahren betroffen. Nichts weise darauf hin, dass der Beschwerdeführer als einer Straftat beschuldigt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK angesehen hätte werden können. Er sollte nur als Zulassungsinhaber Auskunft erteilen, wer sein Fahrzeug gelenkt hatte.

Auch im Fall Rieg gegen Österreich (Urteil vom , Beschw.Nr. 63207/00) hat der EGMR unter Bezugnahme auf den Fall Weh gegen Österreich eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK gesehen. Wieder ging es um eine Lenkerauskunft nach § 103 Abs. 2 KFG und abermals war dem Gerichtshof die Feststellung wichtig, dass ein Strafverfahren weder zur Zeit der Aufforderung zur Bekanntgabe des Lenkers noch danach gegen die Beschwerdeführerin geführt worden sei. Nichts weise darauf hin, dass die Beschwerdeführerin als auskunftspflichtige Zulassungsbesitzerin „wesentlich berührt“ und als der Straftat im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK angeklagt anzusehen gewesen sei (Urteil des EGMR vom , Beschw.Nr. 63207/00).

Aus dem, dem gegenständlichen Fall zugrundeliegenden, oben geschilderten Verfahrensablauf ergibt sich nunmehr aber, dass sich der Anlassfall wesentlich von den vorerwähnten, den Urteilen des EGMR zugrundeliegenden Fällen unterscheidet. Im hier zugrundeliegenden Fall wurden gegen den Beschuldigten nämlich jeweils vor der Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers im Sinne des § 2 Wiener Parkometergesetz zunächst ein Verwaltungsstrafverfahren wegen des Verdachtes der fahrlässigen Verkürzung der Parkometerabgabe gemäß § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz eingeleitet und es erging an ihn für die am bzw. am vollendeten Delikte je eine Strafverfügung vom , gegen welche der Beschuldigte auch Einspruch erhob.

Wie bereits oben ausgeführt hatte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Aufforderung der Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers vom unzweifelhaft bereits konkrete Verdachtsmomente gegen den Beschuldigten geäußert und ihn als Beschuldigten geführt, wobei beide genannte Verwaltungsstrafverfahren nach der Aktenlage noch offen sind.

Laut Ausführungen der Judikatur des EGMR sowie dem Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-1-774/E1-2004 (gleichlautend siehe auch UVS Steiermark vom , Zl. 30.16-28/2006) sinngemäß Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vom , Zl. LVwG-400038/2/MS/HUE/SH, würde im gegenständlichen Fall eine Bestrafung wegen einer nicht ordnungsgemäß erfolgten Beantwortung einer Lenkerauskunft gegen das Recht nach Art. 6 EMRK, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, verstoßen.

Aufgrund der Stellung des Beschwerdeführers als materiell Beschuldigter führt eine Art. 6 EMRK konforme Auslegung des § 2 Wiener Parkometergesetz zum Ergebnis, dass die gegenständlichen Straferkenntnisse aufzuheben und die diesbezüglichen Verwaltungsstrafverfahren einzustellen waren.

Kosten

Gemäß § 52 Abs. 1 VwGVG ist in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.

Da den Beschwerden stattgegeben wurde, waren auch keine Beiträge zu den Verfahrenskosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens festzusetzen.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Eine Revision durch die beschwerdeführende Partei wegen Verletzung in Rechten nach Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG ist gemäß § 25a Abs. 4 VwGG kraft Gesetzes nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision durch die belangte Behörde nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Verwaltungsstrafsachen Wien
betroffene Normen
Art. 6 EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958
§ 2 Wiener Parkometergesetz 2006, LGBl. Nr. 09/2006
§ 2 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz 2006, LGBl. Nr. 09/2006
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2016:RV.7500491.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at