Aufhebung und Zurückverweisung
Entscheidungstext
Beschluss
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri in der Beschwerdesache Bf., nunmehr 1120, vertreten durch Marijan Kalapuric, Adalbert Stifter Straße 24/36, 1200 Wien, gegen den Bescheid des FA Wien 8/16/17 vom , betreffend Einkommensteuer der Jahre 2002 bis 2005 zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Bescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2005 werden gemäß § 278 Abs 1 BAO idgF aufgehoben und die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen (§ 115 BAO) an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen schätzte das Finanzamt die Besteuerungsunterlagen und erließ am Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 in denen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Jahr 2002 in Höhe von € 9.600,00, im Jahr 2003 in Höhe von € 10.300,00, im Jahr 2004 in Höhe von € 14.400,00 und im Jahr 2005 in Höhe von € 18.900,00 festsetzte.
Am erhob der Bf. Beschwerde (Berufung) und brachte vor, dass es richtig sei, dass er ein Lokal besitze. Dieses stehe jedoch leer und werde weder vermietet noch verpachtet.
Am erließ das Finanzamt die ursprünglichen Bescheide abändernde Berufungsvorentscheidungen für die Jahre 2002 bis 2005, die jedoch keine betraglichen Änderungen zu Folge hatten, mit nachfolgender Begründung:
Bei der Ermittlung des Steuersatzes (Progressionsvorbehaltes) - siehe Hinweise zur Berechnung - wurde in Ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein Betrag von € 2.247,55 (2002), 1.397,63 (2003), 3.843,67 (2004) und 6.489,13 (2005) durch 297 Tage dividiert und mit 365 Tagen multipliziert. Mit diesem umgerechneten Jahresbetrag und sonstigen allfälligen Einkünften wurde das Einkommen rechnerisch mit € 11.655,55 (2002), 18.473,78 (2003), 23.873,19 (2004) und 36.324,64 (2005) 12.170,14 ermittelt. Darauf wurden der Tarif angewendet und ein Durchschnittssteuersatz mit 8,91% (2002)17,82 (2003), 22,10 (2004) und 31,85 (2005) ermittelt. Dieser Steuersatz wurde dann wie im Bescheid dargestellt - hinsichtlich allfälliger ermäßigter Einkünfte entsprechend aliquotiert - auf Ihre Einkünfte angewendet.
Sie haben dem Auftrag, die Mängel Ihrer Eingabe zu beheben, nicht entsprochen. Daher war gemäß der oben zitierten Gesetzesstelle mit Bescheid abzusprechen, dass die Eingabe als zurückgenommen gilt."
Betreffend das Jahr 2005 führte das Finanzamt zusätzlich aus, dass die Topfsonderausgaben ab 1996 nur mehr zu einem Viertel berücksichtigt würden und bei einem Gesamtbetrag von € 36.400,00 zudem eingeschliffen würden.
Am brachte die steuerliche Vertretung des Bf. einen Vorlageantrag betreffend die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2002 bis 2005 ein und brachte vor:
In allen Fällen wurden von der Behörde im Schätzungsweg Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt. Dagegen richtet sich der Vorlageantrag:
Nach den mir übermittelten Unterlagen ist diese Schätzung sowohl formal auch auch inhaltlich unrichtig. Formal insofern, als die Behörde offenbar keine nachvollziehbaren Schätzungsgrundlagen ermittelt hat, inhaltlich insofern, weil diese Schätzung nicht annähernd den Tatsachen entspricht. Mein Mandant hat das Objekt im Dezember 2000 zum Preis von ATS 1.340.000 (€ 97.381, 60) erworben, zuzüglich 4,5% GrESt + Eintraggebühr (€ 4.382,17) = € 101.763,77. Notarkosten sind zwar angefallen, konnte mein Mandant aber bis dato keine Bestätigung finden, sodass die (vorab) nicht angesetzt werden. Von diesen Anschaffungskosten können etwa 20% als Anteil für Grund und Boden ausgeschieden werden, das ergibt somit eine Bemessungsgrundlage für die Afa in Höhe von € 81.411, davon 1,5% Afa = € 1.221,17 p.a. Auf den folgenden 3 Seiten in der Anlage hat Ihnen mein Mandant sämtliche Einnahmen und Ausgaben (teilweise zu aktivieren!) zusammengefasst. Wie Sie daraus erkennen können, ergaben sich in jedem Jahr letztlich hohe Verluste. Dies hat mein Mandant wie folgt erläutert: Zum Teil stand das Objekt wochenlang leer, zum Teil gab es zwar (betriebliche) Mieter, die jedoch in aller Regel nur einige Wochen im Lokal waren, und die Miete nicht bezahlten. Der Bf. hatte also nach eigenen Aussagen hohe Mietausfälle zu verkraften. Erst im ...
Mit Schreiben vom wurde das Finanzamt ersucht den Verwaltungsakt vorzulegen, weiters den Darlehensvertrag mit Nachweis der Zinszahlungen, die Mietverträge, Versicherungsverträge, Zahlungsbelege, Rechnungen betreffend Fenster, Belege betreffend Betriebskosten abzuverlangen und zu klären wofür bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eine Eiswürfelmaschine benötigt werde.
Am 22.2.1016 wurde die Abgabenbehörde nochmals ersucht den Verwaltungsakt betreffend die Jahre 2002 - 2005 vorzulegen und die Angaben des Bf. hinsichtlich des Vermietungszeitraums zu überprüfen. Außerdem wurde ersucht darzustellen welche Berechnungen der Schätzung zugrunde lagen.
Bis dato ist das Finanzamt diesen Ersuchen nicht nachgekommen.
Das Gericht hat erkannt
§ 278 BAO lautet:
(1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes
a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandlos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,
so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
(3) Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.
§ 115 BAO lautet auszugsweise:
(1) Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.
(3) Die Abgabenbehörden haben Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen.
Aufgabe des behördlichen Ermittlungsverfahrens ist es, "Vermutungen" durch Fakten solange zu erhärten, bis der Sachverhalt auf Grund schlüssiger Wertung dieser Fakten in freier Beweiswürdigung als erwiesen angesehen werden kann (). Die Aufgabe, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind (§ 115 Abs. 1 BAO), kommt dabei in erster Linie der Abgabenbehörde zu.
Bescheide der Abgabenbehörde haben nach § 93 Abs. 3 lit. a BAO eine Begründung zu enthalten. Von zentraler Bedeutung für die Tragfähigkeit der Begründung eines Bescheides ist die zusammenhängende Darstellung des von der Behörde festgestellten Sachverhaltes. Anzustreben ist eine leicht lesbare Erzählung, die knapp und dennoch vollständig, präzise und gleichzeitig anschaulich den rechtlich bedeutsamen Sachverhalt soweit beschreibt, dass ein des Falles Unkundiger weiß, was sich zugetragen hat ().
Es genügt daher nicht, wenn der Bescheid lediglich das Ergebnis einer - im gegenständlichen Fall auf Grund des fehlenden Verwaltungsaktes nicht nachvollziehbaren - rechtlichen Würdigung enthält, jedoch nicht in der erforderlichen, einer nachprüfenden Kontrolle durch den Steuerpflichtigen und das Bundesfinanzgericht zugänglichen Weise dargestellt wird, auf welchen Sachverhalt sich die einzelnen Feststellungen stützen (), welche Beweismittel herangezogen wurden und welche Ergebnisse die Würdigung der einzelnen Beweismittel erbracht hat ().
Aus den bekämpften Bescheiden und den Berufungsvorentscheidungen in keiner Weise nachvollziehbar, wie die Abgabenbehörde die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung festgestellt hat. Auf welchen Sachverhalt und welche konkreten Ermittlungsergebnisse sich diese Feststellungen im Einzelnen stützen, wurde nicht dargelegt. Auch hat das Finanzamt – trotz wiederholter Aufforderung - keinen Veranlagungsakt vorgelegt.
Es wäre die Aufgabe der Abgabenbehörde gewesen, in einer für den Steuerpflichtigen und die Berufungsbehörde nachvollziehbaren Weise darzustellen, wie die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ermittelt wurden.
Primäre Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes ist die Überprüfung der Sachverhaltsfeststellungen und der rechtlichen Würdigung. Daher erscheint es zweckmäßig, dass diese Ermittlungen und rechtlichen Würdigungen von der Abgabenbehörde, die über einen entsprechenden Erhebungsapparat verfügt, nachgeholt werden.
Gegen die Verfahrensergänzung durch das BFG spricht zudem der Umstand, dass im Hinblick auf das kontradiktorische Rechtsmittelverfahren alle Beweisergebnisse erst der Amtspartei zur allfälligen Stellungnahme wiederum vorgehalten werden müssten, weshalb auch prozessökonomische Gründe für die Aufhebung unter Zurückverweisung an die Vorinstanz sprechen.
Einer aufgrund vorstehender Zweckmäßigkeitsüberlegungen angedachten Aufhebung des angefochtenen Bescheides stehen auch Billigkeitsgründe nicht entgegen, da dem Bf. dadurch - auch im Hinblick auf eine möglicherweise eingetretene Verjährung - der volle Instanzenzug zugute kommen würde.
Entscheidend ist, ob die Unterlassung der Ermittlungen „wesentlich" ist. Dies ist aus objektiver Sicht zu beurteilen; ein diesbezügliches Verschulden der Abgabenbehörde ist für die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 1 BAO nicht erforderlich (Ritz, BAO5, Kommentar, Tz. 11 zu § 278 BAO).
Eine derartige Unterlassung von Ermittlungen kann sich auch daraus ergeben, dass erstmals in der Beschwerde oder im Vorlageantrag Umstände releviert werden (kein Neuerungsverbot nach § 270) und die Abgabenbehörde vor der Beschwerdevorlage keine diesbezüglichen Ermittlungen durchgeführt hat (Ritz, BAO5, Kommentar, Tz. 11 zu § 278 BAO).
Gemäß § 278 Abs. 1 BAO ist eine Aufhebung unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Nach Ansicht des BFG sind in Hinblick auf eine sachgerechte Entscheidungsfindung umfangreiche und vor allem wesentliche Ermittlungen im Sinne des § 115 Abs. 1 BAO unterlassen worden.
Würde das BFG im Beschwerdefall die fehlenden Ermittlungen erstmals durchführen, würde dies zu einer nicht unbeträchtlichen Verfahrensverzögerung führen, weil alle Ermittlungsergebnisse immer der jeweils anderen Verfahrenspartei zur Stellungnahme bzw. Gegenäußerung unter Beachtung des Parteiengehörs iSd § 115 Abs. 2 BAO zur Kenntnis gebracht werden müssten.
Auch verfügt das BFG über keinen Erhebungsapparat.
Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass es auch nicht Aufgabe des BFG ist, anstatt seine Kontrollbefugnis wahrzunehmen, erstmals den für eine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und einer Beurteilung zu unterziehen (vgl. RV/0496-G/08, zitiert in Ritz, BAO5, Kommentar, Tz. 5 zu § 278 BAO).
Die Aufhebung nach § 278 Abs. 1 BAO stellt eine Ermessensentscheidung dar, welche gemäß § 20 BAO nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu treffen ist.
Zweckmäßig ist die Zurückverweisung im gegenständlichen Fall deshalb, weil zur Klärung des für eine Entscheidung wesentlichen Sachverhaltes noch umfangreiche und wesentliche Ermittlungen notwendig sind, welche von der belangten Abgabenbehörde rascher und wirtschaftlicher erledigt werden können als vom BFG.
Billig ist die Zurückverweisung, weil es dem Bf. nicht zumutbar ist, die Entscheidung über die Beschwerde durch das deutlich aufwendigere Ermittlungsverfahren vor dem BFG noch weiter zu verzögern. Nicht zuletzt würde dem Bf. dadurch - auch im Hinblick auf eine allenfalls eingetretene Verjährung - der volle Instanzenzug zugute kommen.
Auch dem Umstand, dass durch eine wesentliche Verfahrensverlagerung zum BFG der Rechtsschutz und die Kontrollmechanismen eingeschränkt werden könnten, kommt im Rahmen der Billigkeitserwägungen Bedeutung zu.
Weil wesentliche Ermittlungen im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse fehlen, der von der Abgabenbehörde zugrunde gelegte Sachverhalt nicht mit der für ein Abgabenverfahren notwendigen Sicherheit bewiesen ist, ist aus der Sicht des BFG eine Entscheidungsreife noch nicht erreicht.
Da von der Abgabenbehörde notwendige Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderer Bescheid - vor allem im Hinblick auf die strittige Menge - hätte erlassen werden können und Unzulässigkeitsgründe nicht vorliegen, hat das BFG im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens beschlossen, die streitgegenständlichen Bescheide gemäß § 278 Abs. 1 BAO aufzuheben und die Sache zur Durchführung von weiteren Ermittlungen an die Abgabenbehörde zurückzuverweisen.
Zulässigkeit einer Revision
Gemäß Art. 133 Abs. 4 iVm Abs. 9 B-VG ist gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird.
Auf § 278 Abs. 1 BAO gestützte Beschlüsse sind mit VfGH-Beschwerde und nach Maßgabe des Art. 133 Abs. 4 B-VG (idF BGBl. I 51/2012) mit Revision beim VwGH anfechtbar (Ritz, BAO5, Kommentar, Tz. 29 zu § 278 BAO).
Die Formalerledigung der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde bei Unterlassung wesentlicher Ermittlungen hat grundsätzlich Eingang in die höchstgerichtliche Judikatur gefunden (vgl. z.B. , ). Die dazu vorliegende Rechtsprechung des VwGH ist nicht als uneinheitlich zu bezeichnen und die vorliegende Entscheidung berücksichtigt die Überlegungen des VwGH zu Formalerledigungen der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde bei Unterlassung wesentlicher Ermittlungen.
Die Revision ist somit im gegenständlichen Fall nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2016:RV.7103258.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at