Bindung an Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze | |
RV/5100723/2015-RS1 | Die Beihilfenbehörde ist an eine Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG auch dann gebunden, wenn darin schlüssig begründet wird, warum eine rückwirkende Feststellung betreffend einen 22 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt nicht möglich ist. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, gegen den Bescheid des Finanzamtes Linz vom zu VNR01, mit dem ein Eigenantrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab Oktober 2013 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die am tt.mm.1971 geborene Beschwerdeführerin beantragte am mittels Formblättern Beih 1 und Beih 3 die Gewährung von Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Eigenantrag).
Sie gab in diesen Anträgen unter anderem an, dass sie seit 1991 verheiratet sei. Als Ehegatte wurde JW angeführt. Zur (eigenen) Behinderung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie mit 15 Jahren vom Freund ihrer Mutter sexuell missbraucht worden sei. Sie habe nie darüber reden können, ihr gehe es psychisch sehr schlecht, sie sei auch im Wagner-Jauregg-Krankenhaus in Behandlung.
Die erhöhte Familienbeihilfe wurde ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung begehrt.
Aufgrund dieses Antrages veranlasste das Finanzamt eine Untersuchung durch das Sozialministeriumservice (vormals Bundessozialamt). Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde festgestellt:
Anamnese:
Die Patientin kommt erstmalig zur Untersuchung. Fr. W leidet an Depressionen seit einer Opiat- und Cannabisabhängigkeit, mehrmalige Entzugsbehandlung, rezidivierende depressive Störung, Alkoholabhängigkeit, Selbstmordversuch vor 10 Jahren. Die Patientin ist zur Zeit 43 Jahre alt. Fr. W wurde im 15. Lebensjahr vom Lebenspartner ihrer Mutter sexuell missbraucht, hat seither immer Probleme mit Alkohol und Drogen gehabt. Die Patientin war allerdings nie bei einem Arzt. Starke Depression mit immer wiederkehrenden deutlichen Stimmungsschwankungen, Platzangst, ansonsten keine wesentlichen Ängste.
Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
Mirtabene, Venlafaxin, Citalopram; laufende Psychotherapie
Untersuchungsbefund:
32 Jahre, weiblich, 164 cm, 53 kg, guter AEZ, die Patientin trägt eine Brille. Interner Status unauffällig. Herztöne leise, rein, rhythmisch, keine vitiumtypischen Geräusche. Die Lunge zeigt einen sonoren Klopfschall und VA, die Lungenbasen sind gut verschieblich. Abdomen im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz. Gliedmaßen sind frei beweglich. Die Haut ist unauffällig. Die Wirbelsäule ist im Lot, zeigt keinen Haltungsmangel, keine Beinachsenfehlstellung, das Becken ist gerade.
Status psychicus / Entwicklungsstand:
Fr. W ist zeitlich, örtlich, zur Person und situativ gut orientiert, im Duktus geordnet, es bestehen Ängste im Sinne einer Platzangst und Zukunftsängste, Selbstmordgedanken zur Zeit werden keine geäußert, keine Selbstverletzungen, derzeit keine Hinweise auf formale und inhaltliche Denkstörungen, deutliche Stimmungsschwankungen, Neigung zu schwerer Depression. Kognitiv, intellektuell zeigt sich eine gut durchschnittliche Leistungsfähigkeit. Der motorische Status ist altersgemäß unauffällig.
Relevante vorgelegte Befunde:
2014-01-30 WJKH Depression, Zust. n. Opiatentzug, Alkoholabhängigkeit
2013-10-15 WJKH Depression, Zust. n. Opiatentzug, Alkoholabhängigkeit
Diagnose(n):
schwere Depression, Z. n. Opiatabhängigkeit, Z. n. chronischem Alkoholsyndrom
Richtsatzposition: 030602 Gdb: 060% ICD: F41.2
Rahmensatzbegründung:
60 % aufgrund der schweren depressiven Erkrankung bei jahrelangem Alkohol- und Drogenmissbrauch
Gesamtgrad der Behinderung: 60 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.
Die Erkrankung besteht nachweislich lt. Befunden seit Oktober 2013. Anamnestisch bereits früher begonnen.
Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand. Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2013-10-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Unterhalt aus heutiger Sicht nicht möglich.
Aufgrund dieses Gutachtens bzw. der diesem entsprechenden Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG wies das Finanzamt den Antrag vom mit Bescheid vom für den Zeitraum ab Oktober 2013 ab. In der Begründung wurde auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG verwiesen, demzufolge ein Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe nur bei einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung besteht, aufgrund welcher der Anspruchsberechtigte voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Im angeführten Gutachten sei die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin erst "per " festgestellt worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , eingelangt am . Die Beschwerdeführerin führte darin aus, dass sie in ihren jugendlichen Jahren (im Alter von 15 Jahren) vom damaligen Lebensgefährten ihrer Mutter sexuell missbraucht worden sei. Den größten Teil ihrer Jugend habe sie im Heim (Zentrum S in L ) verbracht. Ein halbes Jahr vor ihrer Volljährigkeit habe sie aufgrund von Erziehungsmaßnahmen auf einem Schiff verbracht. Dies müsste alles noch im Jugendamt der Stadt L archiviert sein. Diese Ereignisse, die ihren späteren Lebensweg geprägt hätten, seien alle vor ihrem 21. Lebensjahr passiert. Da sie schön langsam ihrer Drogen- sowie Alkoholsucht verfallen sei, schon in den jugendlichen Jahren, habe sie sich dafür geschämt und nicht gedacht, dass sie dies "im Alter so einholen" würde. Es sei alles von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Das alles sei vor ihrer Volljährigkeit passiert. Noch viel schlimmer sei dies geworden, als sie ins Heim gekommen sei, weil sie sich ausgesprochen ausgestoßen vorgekommen sei, weil ihr das mit dem sexuellen Missbrauch passiert sei und sie eben dann den Drogen und dem Alkohol verfallen sei. Sie bitte um nochmalige Überprüfung und neuerliche ärztliche Untersuchung.
Aufgrund der Beschwerde veranlasste das Finanzamt eine neuerliche Untersuchung durch das Sozialministeriumservice. Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde festgestellt:
Anamnese:
Beschwerde gegen VGA von 5/2014. GdB : 60% wegen schwerer Depression , Z. n. Opiatabhängigkeit und chronischem Alkoholsyndrom. Sie beantragt die rückwirkende Anerkennung des GdB bis vor das 21. Lj. Sie wohnt zusammen mit ihrem Gatten, den sie mit 12 Jahren kennengelernt hat und mit dem sie 3 Kinder (25, 22 und 21 Jahre) hat, in eigener Wohnung. Der Gatte und der ältere Sohn sind ebenfalls drogenabhängig, sie hatten zuletzt 1/2014 gemeinsam einen Entzug im WJ gemacht. Sie selber habe trotz der Drogen außer der Karenzzeiten immer in der Reinigung gearbeitet. Sie hätte die Drogen nie gespritzt immer nur gesnifft und geraucht. Beginn der Drogen war bereits sehr früh mit 15 Jahren nahm sie schon Drogen. Sie hat bereits mehrere Entzüge hinter sich, sie trinkt seit dem letzten SMV 5/2012 keinen Alkohol mehr. Sie leidet unter Schlafstörungen, wacht nachts oft schweißgebadet auf, sie wurde mit 15 sex. missbraucht, das kommt ihr immer wieder unter.
Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
Mirtabenem Quetiapin, Trittico b. Bed., Seretide Discus
Untersuchungsbefund:
guter AEZ, 164 cm, 57 kg, int. Status: Cor. frei, Pulmo: deutliche RG`s über beiden Lungen, Brillenträgerin, WS und Gelenke : altersgemäß beweglich, Gangbild: frei, Nik. 15 - 18 Zig/Tag.
Status psychicus / Entwicklungsstand:
freundlich, allseits gut orientiert, Ductus kohärent, intellektuelle Leistungen in der Altersnorm. Stimmungslage stabil, Antrieb in der Norm, vermehrte Ängstlichkeit, derzeit aber sehr zuversichtlich was das zukünftige Leben unter Drogenabstinenz bringen wird.
Relevante vorgelegte Befunde:
2014-03-12 STAT. A. IM WJ BIS WEGEN KOMB. PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG, Alk.abhängigkeit, derzeit abstinent, Opiat u. Cannabisabhängigkeit ggw. abstinent, COPD II, geleg. Alpträume als Traumafolge, zeitweilige Ängstlichkeit, keine SMG.
Diagnose(n):
schwere Depression, Zustand nach Substanzmissbrauch
Richtsatzposition: 030602 Gdb: 060% ICD: F41.2
Rahmensatzbegründung:
aufgrund der langjährigen Beschwerden mit jahrelanger Substanzabhängigkeit unter Berücksichtigung einer Traumafolge.
Gesamtgrad der Behinderung: 60 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.
Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2013-10-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Anamnestisch problematische Jugend, hat aber 3 Kinder großgezogen und immer gearbeitet, ob dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21.LJ.eingetreten ist oder der GdB vor dem 21. Lj. 50% betrug, kann rückwirkend nicht beurteilt werden.
Aufgrund dieses Gutachtens bzw. der diesem entsprechenden Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. In beiden vorliegenden Gutachten sei bescheinigt worden, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit nach dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.
Gegen diese Beschwerdevorentscheidung richtet sich der als "Berufung" bezeichnete Vorlageantrag vom . Im Zuge dessen legte die Beschwerdeführerin zwei Befunde des Wagner-Jauregg-Krankenhauses betreffend die dortigen stationären Aufenthalte in den Jahren 2013 und 2014 sowie einen Ärztlichen Verlaufsbefund des Dr. K vom vor, und ersuchte um nochmalige Überprüfung ihrer Unterlagen.
Das Finanzamt übermittelte diese Unterlagen dem Sozialministeriumservice mit der Bitte "um Überprüfung". Das Sozialministeriumservice führte dazu in einer Stellungnahme vom aus, dass die nachgereichten Befunde die oben erwähnten stationären Aufenthalte im Wagner-Jauregg-Krankenhaus in den Jahren 2013 und 2014 betreffen würden. Die Befunde würden im Grunde die bereits eingeschätzten Erkrankungen beschreiben. Es könne daraus nicht geschlossen werden, dass ein Grad der Behinderung von 50 % bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden habe. Jedenfalls sei wiederholt zu sagen, dass die Beschwerdeführerin drei Kinder groß gezogen und immer gearbeitet habe, was bestätige, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Durch die nachgereichten Befunde ergebe sich keine wesentliche Änderung des Gutachtens vom (gemeint: das oben zitierte Gutachten vom ). Lediglich die rückwirkende Anerkennung des Grades der Behinderung von 60 % könne ab 3/2013 erfolgen.
Einem aktenkundigen Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin neben Bezug von Karenzurlaubsgeld und Wochengeld sowie Arbeitslosengeld und Notstandshilfe auch über längere, zum Teil mehrjährige Zeiträume erwerbstätig war. Folgende Zeiten als Arbeiterin oder Angestellte werden ausgewiesen:
bis Arbeiterin beim Verein A
bis Arbeiterin bei der B GmbH (B)
bis Arbeiterin im Pflegeheim C
bis Angestellte der Diözese L
bis Arbeiterin der D (D)
bis Arbeiterin bei der D bzw. B
bis Arbeiterin bei der B
bis Arbeiterin bei Fa. E Gebäudereinigung
bis Arbeiterin Fa. F Reinigungsdienstleistungen GmbH
Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht (außer in den Fällen des § 278) immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabebehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem für Berufungsentscheidungen bisher geltenden § 289 Abs. 2 BAO. Die Änderungsbefugnis ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (Ritz, BAO-Kommentar, 5. Auflage, § 279 Tz 10 mit Hinweis auf ; und ).
Im Spruch des angefochtenen Bescheides hat das Finanzamt über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum ab Oktober 2013 abgesprochen. Damit ist auch die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes auf den Zeitraum ab Oktober 2013 beschränkt.
Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis Abs. 3).
§ 6 Abs. 1 bis Abs. 3 FLAG lauten (auszugsweise):
(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie ...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 10.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. …
Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz in Österreich, für sie ist auch keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren. Ob ihr von ihrem Ehegatten Unterhalt zu leisten ist, wurde vom Finanzamt nicht näher geprüft. Für den Zeitraum ab September 2013 werden im Versicherungsdatenauszug betreffend den Ehegatten der Beschwerdeführerin im Wesentlichen aber nur Notstandshilfe und Krankengeldbezug ausgewiesen. Notstandshilfe ist bei der Prüfung des Vorliegens eines aufrechten Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin gegen ihren Ehegatten zwar zu berücksichtigen. Allerdings setzt eine Unterhaltspflicht voraus, dass die Einkünfte des potenziell Unterhaltsverpflichteten über die eigenen bescheidensten Unterhaltsbedürfnisse hinausgehen (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 6 Tz 16 und 17 mit Judikaturnachweisen). Diese Frage ist im gegenständlichen Fall im Hinblick auf die Höhe der vom Ehegatten der Beschwerdeführerin empfangenen Notstandshilfe (vgl. dazu die Einkommensteuerbescheide 2013 und 2014 sowie die entsprechenden Meldungen des AMS an das Finanzamt) zu verneinen.
Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall daher weiters die Frage, ob die Beschwerdeführerin wegen einer bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung der Beihilfenbehörden an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig anzusehen sind (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 mwN; ebenso z.B. ; ; ). Dies gilt auch für rückwirkende Feststellungen im Gutachten zur Frage, ab wann der festgestellte Grad der Behinderung eingetreten ist. Der Sachverständige kann dabei insbesondere aufgrund von vorliegen Befunden Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32; ; ). Gleiches gilt auch für die Frage, wann eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist.
Im gegenständlichen Fall wurde in beiden Bescheinigungen des Sozialministeriumservice bzw. in den diesen zugrunde liegenden ärztlichen Sachverständigengutachten festgestellt, dass die Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Entscheidend für den Beihilfenanspruch der Beschwerdeführerin ist die Frage, wann diese Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, da ein Eigenanspruch nur besteht, wenn dies vor dem 21. Lebensjahr der Fall war.
Das 21. Lebensjahr hat die Beschwerdeführerin am tt.mm.1992 vollendet, die ärztlichen Untersuchungen durch das Sozialministeriumservice erfolgten im Jahr 2014, somit 22 Jahre nach diesem entscheidungsrelevanten Zeitpunkt. In einem solchen Fall kann auch ein Arzt aufgrund seines medizinischen Fachwissens regelmäßig nur dann schlüssige und nachvollziehbare Feststellungen zum Zeitpunkt des Eintrittes der Behinderung sowie der daraus resultierenden dauernden Erwerbsunfähigkeit treffen, wenn entsprechende ärztliche Befunde in einer gewissen zeitlichen Nähe zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt vorliegen, aus denen verlässliche Rückschlüsse auf den damaligen Gesundheitszustand des Patienten gezogen werden können. Ohne solche Befunde hätte eine dennoch getroffene ärztliche "Feststellung" lediglich den Charakter einer durch nichts untermauerten Hypothese. Dazu kommt noch, dass psychische Krankheiten häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Die Beschwerdeführerin hat selbst in der Beschwerde ausgeführt, sie hätte nicht gedacht, dass sie die näher dargestellten, vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Ereignisse "im Alter so einholen" würden. Ärztliche Befunde, die Anfang der 1990er Jahre und damit in zeitlicher Nähe zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin erstellt worden wären, konnten nicht vorgelegt werden. Bereits im ersten Gutachten vom wurde festgehalten, dass die Patientin im Zusammenhang mit dem geschilderten Missbrauch im Alter von 15 Jahren und die seit diesem Zeitpunkt bestehenden Probleme mit Alkohol und Drogen "nie bei einem Arzt" gewesen sei. Bei dieser Sachlage ist es aber nicht unschlüssig, wenn im Gutachten vom festgehalten wird, dass im gegenständlichen Fall weder festgestellt werden kann, ob die dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, noch ob der Grad der Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (mindestens) 50 % betragen habe. Auch die im Zuge des Vorlageantrages vorgelegten Befunde lassen keinen Rückschluss darauf zu, worauf in der Stellungnahme des Sozialministeriumservice vom zutreffend hingewiesen wurde.
Zwar hat die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die Annahme widerlege, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, im Rahmen der durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 2002/105, geschaffenen neuen Rechtslage (ab ) keinen Anwendungsbereich mehr, da der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist (z.B. ). Es ist aber nicht als unschlüssig zu erkennen, wenn das Sozialministeriumservice die unbestrittene Tatsache, dass die Beschwerdeführerin "immer wieder gearbeitet" habe, als Indiz dafür gewertet hat, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Die Zeiten der Erwerbstätigkeit wurden oben näher dargestellt. Gerade bei einem schleichenden Verlauf psychischer Erkrankungen ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Gesundheitszustand des Patienten zunächst über Jahre nicht nur eine Erwerbstätigkeit zulässt, sondern der Patient auch tatsächlich voraussichtlich auf Dauer in der Lage ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sich die Erkrankung aber dann so verschlechtert, dass dies eben nicht mehr der Fall ist.
Abgesehen davon ändert auch dieses Indiz nichts daran, dass im gegenständlichen Fall vom Sozialministeriumservice (in den vorliegenden Bescheinigungen bzw. den diesen zugrunde liegenden ärztlichen Sachverständigengutachten) insgesamt gesehen eben nicht festgestellt werden konnte, dass die derzeit bestehende und voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit aufgrund der diagnostizierten schweren Depression bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin eingetreten wäre. Diese Feststellung der "Nichtfeststellbarkeit" wurde schlüssig und mängelfrei getroffen. Es besteht daher eine Bindung an diese Feststellung im Beihilfenverfahren im oben aufgezeigten Sinn. Da es somit im vorliegenden Fall an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG fehlt, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig und war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gegen das gegenständliche Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof somit nicht zulässig, da die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die gegenständliche Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht.
Linz, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2016:RV.5100723.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at