Widersprüchliche Bescheinigungen des Sozialministeriumservice
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R
in der Beschwerdesache BF, vertreten durch Rechtsanwalt RA,
gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom zu VNR, mit dem ein Antrag vom auf erhöhte Familienbeihilfe für die Kinder
A
B und
C
jeweils ab Jänner 2015 abgewiesen wurde,
zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben.
Der Bescheid wird hinsichtlich des Spruchpunktes betreffend das Kind A aufgehoben.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
In einem ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) vom wurde beim Kind A Neurodermitis mit generalisierter Ausbreitung der Ekzeme sowie ein auffallender psychomotorischer Entwicklungsrückstand festgestellt. Der Grad der Behinderung wurde mit 50 %, rückwirkend ab , festgestellt. Eine Nachuntersuchung in drei Jahren sei erforderlich. Das Finanzamt gewährte aufgrund der dem Gutachten entsprechenden Bescheinigung des Bundessozialamtes ab Dezember 2006 neben dem Grundbetrag der Familienbeihilfe auch den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung des Kindes.
Im ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom wurde festgestellt, dass das Kind an einem Entwicklungsrückstand mit Gangataxie, Nystagmus, Gedeihstörung mit Minderwuchs und Dyslalie leide. Die Behinderung sei angeboren. Der Grad der Behinderung wurde im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wiederum mit 50 % festgestellt.
Eine gleichlautende Feststellung erfolgte auch im Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom .
In einer Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom wurde der Grad der Behinderung dagegen nur mehr mit 30 % ab festgestellt. Dies wurde wie folgt begründet: "Das führende Leiden unter Nr.1; die restlichen Leiden wirken aufgrund der geringen funktionellen Defizite nicht steigernd. Die Angaben im Formular E407 sind völlig unzureichend!!! Es werden keine klinischen Angaben gemacht, kein neurologisches Defizit beschrieben, keine psychologischen Angaben bzgl. der Lernbehinderung gemacht und keine Angaben bzgl. Häufigkeit und Ausdehnung/ Behandlung der Neurodermitis gemacht!"
Aufgrund dieser Bescheinigung wies das Finanzamt mit Bescheid vom einen (in den dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Aktenteilen nicht enthaltenen) Antrag des Beschwerdeführers vom auf erhöhte Familienbeihilfe für die Kinder A B und C , jeweils ab Jänner 2015 ab. In den gleichlautenden Begründungen wurde auf die Bestimmung des § 8 Abs. 5 FLAG verwiesen, derzufolge der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe einen Grad der Behinderung des Kindes von mindestens 50 % voraussetze.
Gegen diesen Bescheid brachte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom Beschwerde ein. Dieser Eingabe war eine schriftliche Vollmacht (einschließlich Zustellvollmacht) angeschlossen. Die Beschwerde wurde wie folgt begründet: "Der Abweisungsbescheid vom ist rechtswidrig. Nach Sachlage besteht ein Anspruch des Bf. auf erhöhte Familienbeihilfe für die Kinder A , geb. tt.mm.2005, B , geb. tt.mm.1998 und C , geb. tt.mm.2001. Sämtliche Kinder leiden unter dem gleichen Gendefekt, nämlich einer genetisch bedingten Kleinhirnstörung mit Feinmotorstörungen, lntensionstremor, Koordinationsstörungen und Ataxie. Die Kinder A und C haben in der Vergangenheit bereits auf Antrag meines Mandanten die erhöhte Familienbeihilfe zuerkannt bekommen. Erst nachdem nunmehr diese auch für das weitere Kind B beantragt wurde, wurde der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe nunmehr für sämtliche Kinder abgewiesen. Dies ist in keinster Weise nachvollziehbar. Die Voraussetzungen, nämlich ein Grad der Behinderung von mind. 50 % und eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung liegen allesamt vor und wurden seinerzeit bereits betreffend die Kinder A und C geprüft. Das nunmehr in Niederösterreich eingeholte Sachverständigengutachten bezieht sich lediglich auf das Kind C . Hinsichtlich dieses Gutachtens ist des Weiteren zu rügen, dass es offensichtlich nur aufgrund der übersandten Akten gefertigt wurde. Der Sachverständige, Herr Dr. F hat das Kind nie gesehen und vermag auch dementsprechend nicht zu beurteilen, wie sich die unstreitigen Funktionsstörungen konkret auf den Grad der Behinderung auswirken. Ein solches Gutachten, welches ohne den Patienten gesehen zu haben gefertigt wird, kann nicht als maßgeblich erachtet werden. Das Gutachten ist zudem insoweit falsch, als es nur von einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 % ausgeht. Ich beantrage daher, den Abweisungsbescheid dahingehend abzuändern, als sämtlichen Kindern die beantragte erhöhte Familienbeihilfe bewilligt wird."
In einer daraufhin vom Finanzamt angeforderten weiteren Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom wird der Grad der Behinderung für das Kind A mit 60 % ab festgestellt und dies wie folgt begründet: "Führende Funktionseinschränkung Nr.1, wird durch Nummer 2 erhöht um eine Stufe, weil von 1 unabhängige, das Gesamtbild negativ beeinflussende Funktionseinschränkung, 3 erhöht nicht weil zu gering - NAU: Zur Verlaufskontrolle".
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben und der angefochtene Bescheid "laut Beilage abgeändert". Diese Beilage ist nicht aktenkundig. In der Begründung wurde betreffend das Kind A ausgeführt: "Für A wurde eine 60 %ige Behinderung ab Juni 2015 bescheinigt. Es gebührt Ihnen für A ab Juni 2015 die erhöhte Familienbeihilfe. Die Erledigung erfolgt gesondert". Hinsichtlich der Kinder B und C wurde die Beschwerde abgewiesen.
Im Vorlageantrag vom wurde ausgeführt: "Der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht bezieht sich auf das Kind A , geb. tt.mm.2005, für welchen Familienbeihilfe zwar für Dezember 2006 bis Dezember 2014 erhöht wurde und für Juni 2015 bis Dezember 2015 ebenfalls, aber nicht für den Zeitraum Januar 2015 bis Mai 2015. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bezieht sich somit nur auf die Ablehnung der Erhöhung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Januar bis Mai 2015. Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar. Es ist schlechterdings ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für eine erhöhte Familienbeihilfe, nämlich ein Grad der Behinderung von mind. 50 % vom Jahr 2006 bis Dezember 2014 verlegen und nunmehr seit Juni 2015 wieder vorliegen und der Grad der Behinderung gerade für die fünf Monate von Januar bis Mai 2015 niedriger gewesen sein soll. Ausweislich des ärztlichen Attests von Frau Dr. G vom bestehen die gesundheitlichen Einschränkungen bereits seit Geburt. Der Zustand des Kindes hat sich zu keinem Zeitpunkt geändert bzw. insbesondere nicht verbessert. Jede andere Annahme ist absolut abwegig."
Zu diesem Vorlageantrag wurden mit Ergänzungsschriftsatz vom noch ein ärztliches Attest der Dr. G vom und eine Bescheinigung des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region Niederbayern, Versorgungsamt vom vorgelegt. Im ärztlichen Attest wurde erläutert, dass die beim Kind A festgestellten schweren neurologischen Störungen genetisch bedingt seien, diese seit Geburt bestünden und auch nicht ausheilen würden. Es handle sich um eine genetisch bedingte chronische und ein Leben lang bleibende Erkrankung. In der ferner vorgelegten Bescheinigung vom wurde für das Kind ein Grad der Behinderung von 80 % bescheinigt.
Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht mit dem Hinweis zur Entscheidung vor, dass der Beschwerde stattgegeben werden könne. Das Gutachten vom beruhe offenbar auf einem unzureichend ausgefüllten Formular E 407.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um die dort angeführten Beträge. Dieser Erhöhungsbetrag wird gemäß § 10 Abs. 1 FLAG nur auf Antrag gewährt.
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).
Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen, können von ihr aber bei entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde zwar grundsätzlich an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden, hat diese aber insoweit zu prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN).
Der angefochtene Bescheid hat über die Gewährung der Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe für die Kinder A , B und C abgesprochen. Dieser Bescheidspruch stellt sich als hinsichtlich der einzelnen Kinder teilbar dar, weshalb der Bescheid auch hinsichtlich seines Abspruches betreffend ein einzelnes Kind aufgehoben werden kann (vgl. zur Teilbarkeit von Bescheiden Stoll, BAO, 948 f, sowie hilfsweise etwa zur Teilbarkeit des Spruches eines Haftungsbescheides).
Im Vorlageantrag wurde das Beschwerdebegehren eingeschränkt und nur mehr die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für das Kind A für den Zeitraum Jänner bis Mai 2015 angefochten. Diesem (eingeschränkten) Beschwerdebegehren kommt Berechtigung zu:
Die Einschätzung des Grades der Behinderung in der Bescheinigung vom nur mit 30 % wird im Wesentlichen damit "begründet", dass die Angaben im Formular E 407 (ärztliche Bescheinigung zur Gewährung einer besonderen Familienleistung oder einer erhöhten Familienleistung für behinderte Kinder) völlig unzureichend wären. Auch dieses Formular findet sich in den vom Finanzamt vorgelegten Aktenteilen nicht. Ob die Angaben des untersuchenden Arztes in der in diesem Formular enthaltenen Bescheinigung ausreichend waren oder nicht, kann im gegenständlichen Fall allerdings dahingestellt bleiben, da bereits mehrere Bescheinigungen des Bundessozialamtes (aus den Jahren 2007, 2009 und 2011) vorlagen, mit denen sich der untersuchende Arzt des Sozialministeriumservice anlässlich der Erstellung seines "Gutachtens" im Jahr 2015 offenkundig nicht näher auseinander gesetzt hat. Bei der auch dem Sozialministeriumservice bekannten und aktenkundigen Krankheitsgeschichte des Kindes eine Einschätzung des Grades der Behinderung allein aufgrund eines unzureichend ausgefüllten Formblattes vorzunehmen, ist schlichtweg grotesk. Einer solcherart erstellten Bescheinigung kommt keinerlei Aussagekraft und auch kein Beweiswert zu. Die Beihilfenbehörde ist an eine derartige Bescheinigung im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung auch nicht gebunden und kann von dieser eine abweichende Entscheidung hinsichtlich der Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe treffen, dies umso mehr, als im gegenständlichen Fall in der Bescheinigung vom ein Grad der Behinderung von 60 % festgestellt wurde. Das dem angefochtenen Erstbescheid vom zugrunde gelegte Gutachten widerspricht sowohl den davor, als auch dem danach erstellten Gutachten, und ist daher auch aus diesem Grund für die Beihilfenbehörde nicht bindend. Aufgrund des vorgelegten ärztlichen Attests der Dr. G steht fest, dass sich im Zeitraum Jänner bis Mai 2015 am Gesundheitszustand des Kindes nichts geändert hatte, sodass auch für diesen Zeitraum der Erhöhungsbetrag für das Kind wegen erheblicher Behinderung zusteht, und damit spruchgemäß zu entscheiden war.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gegen das gegenständliche Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof somit nicht zulässig, da die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind, und die gegenständliche Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht.
Linz, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2015:RV.5101806.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at