Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.01.2016, RV/7103549/2014

Maßgeblichkeit der letztgültigen amtlichen Bescheinigung für den Behindertenfreibetrag

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/7103549/2014-RS1
wie RV/0346-W/10-RS1
Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, ist die jeweils letztgültige amtliche Bescheinigung maßgeblich. Die bei der Voreinstufung durch den Amtsarzt getroffenen Feststellungen werden durch eine aktuellere Einstufung durch das Bundessozialamt ersetzt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, gegen den Bescheid des Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart vom , betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2012, zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) beantragte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2012 den Abzug des pauschalen Freibetrages wegen Behinderung gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 (Grad der Behinderung: 90 %) sowie des pauschalen Freibetrages für Diät­verpflegung (wegen Magenkrankheit oder anderer innerer Erkrankung) als außer­gewöhnliche Belastungen.

Das Finanzamt berücksichtigte im Einkommen­steuer­bescheid 2012 vom lediglich den Freibetrag bei einem Grad der Behinderung von 45 % bis 54 % in Höhe von 243 Euro als außer­gewöhnliche Belastung. Es führte in der Bescheid­begründung Folgendes aus:

"Laut Behinderten­ausweis des Bundes­sozial­amtes Nr.  xxxxxxx wurde Ihre Behinderung im Jahr 1994 mit 50 % festgelegt.

Die Bescheinigung des Amts­arztes der BH xxxxxxxxxxxx vom (90 % Behinderung sowie Diät D3 /Magen, innere Erkrankung) verliert somit ihre Gültigkeit."

Der Bf. erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 Berufung (nunmehr: Beschwerde) mit folgender Begründung:

"Die Bescheinigung des Amts­arztes verliert meines Erachtens erst dann die Gültigkeit, wenn nach dem eine aktuellere Einstufung durch das Bundes­sozial­amt vorliegt. Nachdem dies nicht der Fall ist, behält die Bescheinigung des Amts­arztes Gültigkeit (vgl. Die Lohnsteuer in Frage und Antwort, L839a zu § 34 EStG)."

Am erging an den Bf. ein Ergänzungs­ersuchen des Finanzamtes mit folgendem Inhalt:

"Laut Aktenlage hat das Bundes­sozial­amt im Jänner 1997 Ihren Grad der Behinderung mit 50 % (Behindertenpass-Nr.  xxxxxxx ) neu fest­ge­setzt (die Notwendigkeit einer Kranken­diät­verpflegung wurde nicht bescheinigt). Die Bescheinigung des Amts­arztes vom (Grad der Behinderung 90 % und Diät) hatte daher nur bis zur Ausstellung des Behinderten­passes Gültigkeit. Sollte im Jahr 2012 eine Diät­verpflegung notwendig gewesen sein, kann diese nur bei rück­wirkender Bestätigung durch das Bundes­sozial­amt berücksichtigt werden.

Um Stellung­nahme wird ersucht."

Mit Schreiben vom teilte der Bf. dem Finanzamt Folgendes mit:

"Das Bundes­sozial­amt hat den Grad der Behinderung im Jahr 1997 mit 50 % erst­malig (nicht neu) fest­ge­setzt. Eine Eintragung der Diäten im Behindertenpass war damals noch nicht vorgesehen und auch nicht von Bedeutung.

Ihre Feststellung, die Bescheinigung des Amts­arztes hätte nur bis zur Ausstellung des Behinderten­passes Gültigkeit, deckt sich meines Erachtens nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen. Erst ab wurde die Zuständigkeit für die Feststellung der Behinderung und der Diäten (in Verbindung mit Übergangs­bestimmungen) neu geregelt.

Nachdem eine aktuelle, nach dem erbrachte, Einstufung durch das Bundes­sozial­amt nicht vorliegt, hat die früher erstellte Amts­bescheinigung weiterhin Gültigkeit."

Mit Beschwerde­vorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung der Beschwerde­vorentscheidung wird insbesondere Folgendes ausgeführt:

"§ 124b Z 111 EStG 1988 lautet:

§ 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 ist erstmals auf Bescheinigungen anzuwenden, die nach dem ausgestellt werden. Bescheinigungen, die vor dem gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung vor dem Bundes­gesetz BGBl. I Nr. 180/2004 ausgestellt werden, gelten ab dem als Bescheinigungen im Sinne des § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004.

Laut Aktenlage wurde Ihnen im Jahr 1989 vom Amtsarzt ein Grad der Behinderung von 90 % und eine Diät (Magenkrankheit oder andere innere Krankheit) bescheinigt. Im Jahr 1997 wurde vom Bundes­sozial­amt ein Behindertenpass (Nr.  xxxxxxx ) ausgestellt (fest­ge­stellter Grad der Behinderung 50 %). Die Notwendigkeit einer Kranken­diät­verpflegung wurde nicht bescheinigt.

Im Zuge des Ergänzungs­ersuchens vom wurden Sie ersucht, eine entsprechende Bescheinigung (Diät­verpflegung) vorzulegen. Diesem Ersuchen sind Sie nicht nachgekommen.

Ihre Beschwerde war abzuweisen, da aufgrund der Bestimmungen des § 124b Z 111 EStG 1988 der in dem im Jahr 1997 ausgestellten Behindertenpass fest­ge­stellte Grad der Behinderung (50 %) weiterhin Gültigkeit hat und Ihrem Argument, dass die amts­ärztliche Bescheinigung aus dem Jahr 1989 bei der Ermittlung der pauschalen Freibeträge heran­zu­ziehen sei, zu erwidern ist, dass ein Amtsarzt keine im § 35 Abs. 2 EStG 1988 angeführte Stelle zur Begutachtung von Minderungen der Erwerbs­fähigkeit (Grad der Behinderung) ist."

Gegen die Beschwerde­vorentscheidung stellte der Bf. einen Vorlageantrag.

In der in den Finanzamts­akten befindlichen Bescheinigung des Amts­arztes vom wird bestätigt, dass der Bf. zu 90 % erwerbs­gemindert ist. Weiters ist dort angeführt: "Amblyopie links, stark verminderte Seh­schärfe li Auge, erhöhte Blut­fette, keine strenge Diät einzuhalten."

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Im gegenständlichen Fall ist strittig, in welcher Höhe der pauschale Freibetrag wegen Behinderung (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) als außer­gewöhnliche Belastung anzuerkennen ist. Weiters ist strittig, ob der pauschale Freibetrag für Diät­verpflegung als außer­gewöhnliche Belastung zu berücksichtigen ist.

Der mit "Behinderte" überschriebene § 35 EStG 1988 sieht einen Freibetrag für den Fall einer körperlichen oder geistigen Behinderung vor. Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit. In § 35 Abs. 2 EStG 1988 wird festgelegt, dass die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung bestimmt bezeichneter Stellen (Landeshauptmann, Sozialversicherungsträger, Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) nachzuweisen ist.

Gemäß § 124b Z 111 EStG 1988 ist § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 erstmals auf Bescheinigungen anzuwenden, die nach dem ausgestellt werden. Bescheinigungen, die vor dem gemäß § 35 Abs. 2 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 180/2004 ausgestellt werden, gelten ab als Bescheinigungen im Sinne des § 35 Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004.

Mit dieser Regelung wurde klargestellt, dass die vor dem ausgestellten Bescheinigungen den nach dem ausgestellten gleichgestellt werden und diese für den Nachweis der Behinderung und für das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch nach dem verwendet werden können. Bei Fehlen dieser Übergangsbestimmung wäre der Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 nur dann zugestanden, wenn die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine Bescheinigung der zuständigen Stelle gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 (Landeshauptmann, Sozialversicherungsträger oder Bundessozialamt) nachgewiesen hätte werden können. Die Inhaber von vor dem ausgestellten Bescheinigungen wären (bei Fehlen dieser Übergangsbestimmung) verpflichtet gewesen, die Ausstellung neuer Bescheinigungen zu beantragen. Um dies zu verhindern, sah der Gesetzgeber mit dieser Übergangsbestimmung die Möglichkeit vor, die vor dem ausgestellten Bescheinigungen bis zur Ausstellung einer neuen für die Inanspruchnahme des Freibetrages verwenden zu können (vgl. -G/10).

Bescheinigungen, die vor dem Jahr 2005 ausgestellt wurden, sind jedoch nur solange weiter gültig, bis eine aktuellere Einstufung erfolgt (§ 124b Z 111 EStG 1988). Die aktuellere Einstufung ersetzt dann sämtliche früheren Feststellungen (vgl. Lohn­steuer­richtlinien 2002, Rz 839a; Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 35 Rz 7; Doralt, EStG15, § 35 Tz 7). Dies gilt auch dann, wenn die aktuellere Einstufung vor dem erfolgt ist (vgl. , zum Entfall der Wirkungen einer polizei­ärztlichen Bestätigung aus dem Jahr 1990 durch ein im Jahr 1991 erstelltes Gutachten des Bundes­sozial­amtes).

Die Abgabenbehörde hat ihrer Entscheidung die jeweils vorliegende amtliche Bescheinigung zugrunde zu legen ().

Im gegenständlichen Fall weist der vom Bundes­sozial­amt im Jahr 1997 ausgestellte Behinderten­pass den Grad der Behinderung mit 50 % aus. Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, war im Sinne obiger Ausführungen die Feststellung des Bundes­sozial­amtes maßgeblich und die Abgabenbehörde war an diese gebunden. Die am und somit vor Ausstellung des Behinderten­passes vom Amtsarzt der BH xxxxxxxxxxxx ausgestellte Bescheinigung war nicht zu berücksichtigen, weil die aktuellere Einstufung durch das Bundes­sozial­amt die bei der Vor­einstufung durch den Amtsarzt getroffenen Feststellungen ersetzt.

Da in dem vom Bundes­sozial­amt ausgestellten Behinderten­pass die Notwendigkeit einer Kranken­diät­verpflegung nicht bescheinigt wird und vom Bf. trotz Aufforderung des Finanzamtes keine diesbezügliche Bescheinigung vorgelegt wurde, wurde im angefochtenen Bescheid auch zu Recht der pauschale Freibetrag für Diät­verpflegung nicht gewährt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da die Entscheidung des Bundes­finanz­gerichtes der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2016:RV.7103549.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at