Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.06.2015, RV/7101947/2015

Ausgleichszahlung für eine slowakische Pflegerin

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. XX in der Beschwerdesache VN_Bf. NN_Bf., Straßenbez, Ortsbezeichnung, Buchstaben-Zahlen-Kombination, Großbritannien, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab April 2014 zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid und die Beschwerdevorentscheidung werden aufgehoben und die Sache an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

VN_Bf. NN_Bf. , in der Folge mit Bf. bezeichnet, brachte am beim Finanzamt einen mit datierten, unvollständig ausgefüllten Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ein. Als Beruf wurde „Pflegerin“ angegeben, als Adresse 1210 Wien, Straßenbez_Wien. Als Partner, von dem die Bf. nicht dauernd getrennt lebt, wurde NN_KV VN_KV, LKW-Fahrer, angegeben. Als Dienstgeber desselben wurde ein Unternehmen in Großbritannien angeführt.

Das Finanzamt forderte die Bf. daraufhin zweimal mit Vorhalt auf, das Formular Beih.1 vollständig auszufüllen und bekanntzugeben, für welches Kind die Familienbeihilfe beantragt werde (Name, Versicherungsnummer und Geburtsdatum) sowie das Geburtsdatum des Gatten. Weiters wurde die Bf. aufgefordert, ihre Anmeldebescheinigung sowie die ihres Gatten vorzulegen.

Der zweite Vorhalt wurde der Bf. offenbar eingeschrieben geschickt, jedoch weder behoben noch beantwortet.

Die Bf. legte ein Schreiben des Spitals vor, welches Angaben zur Geburt Ihres Sohnes am GebDat in Großbritannien enthielt. Als Adresse wurde Straßenbez , Ortsbezeichnung , Buchstaben-Zahlen-Kombination , angeführt. Weiters legte die Bf. eine Geburtsurkunde ihres Sohnes VN_KV NN_KV (im Bescheid: " NN_Bf. NN_KV ") in The Spitalsbez_kurz , Ortsbezeichnung , vor. In dieser wurde als gewöhnliche Adresse Straßenbez , Ortsteil , Ortsbezeichnung , angeführt. Diese Unterlagen befinden sich im Akt des Finanzamtes nach dem Antrag.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe ab April 2014 mit der Begründung ab, die Bf. habe trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht und sei dadurch ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weshalb angenommen wurde, dass kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden habe bzw. bestehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Bf. fristgerecht Beschwerde und führte aus, sie habe ein Schreiben des Finanzamtes an der österrreichischen Nebenwohnsitzanschrift erhalten, wo sie jedoch schon länger nicht wohne und arbeite (seit einem Jahr). Wenn sie das gewusst hätte, hätte sie dem Finanzamt die fehlenden Unterlagen geschickt. Darum bitte sie „wieder den Bezug der Familienbeihilfe beantragen zu dürfen“. Sie werde die fehlenden Unterlagen schicken und ersuche um Bestätigung über den Bezug der Familienbeihilfe für das Kind.

Die Bf. legte neuerlich einen unvollständig ausgefüllten Antrag auf Familienbeihilfe vor sowie ein ausgefülltes Formular E001 einer slowakischen Behörde, weiters Verträge und Rechnungen, die ihre Tätigkeit als Personenbetreuerin bis Juni 2013 belegen.

Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde ab und führte begründend aus, Anspruch auf Ausgleichszahlung für die Zeit der Karenz (maximal zwei Jahre) habe die Bf. nur dann, wenn sie vor und nach der Geburt des Kindes Wochengeld in Österreich bezogen habe und das Gewerbe noch aufrecht sei. Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger sei das Gewerbe mit also vor der Geburt des Kindes beendet worden. Es bestehe daher auch kein Anspruch auf Ausgleichszahlung.

Gegen die Beschwerdevorentscheidung erhob die Bf. „Beschwerde“, welche als Vorlageantrag anzusehen ist und führte aus, sie hätte Anspruch auf Ausgleichszahlung für die Zeit der Karenz, weil sie im „Wiederbetrieb der Gewerbeberechtigung“ gewesen sei. Das Gewerbe sei ab aktiv gewesen. Gleichzeitig legte die Bf. eine Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom vor, wonach die Bf. zuletzt wegen Ruhendmeldung der Gewerbeberechtigung von der Pflichtversicherung in der Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung ausgenommen gewesen sei. Ab habe sie den Wiederbetrieb der Gewerbeberechtigung angezeigt. Sie sei daher ab in der Pensions- und Krankenversicherung nach dem GSVG sowie in der Unfallversicherung nach dem ASVG pflichtversichert. Der Antrag der Bf. auf Ausnahme von der Pflichtversicherung während des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld werde in Evidenz gehalten. Dieser werde nach Erlangen der Unterlagen für die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld überprüft.

Laut Rücksprache der Sachbearbeiterin des Finanzamtes mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bestehe Anspruch auf Wochengeld vom bis . Ausbezahlt worden sei aber nur bis . Die Bf. könne ihren Wochengeldanspruch noch geltend machen. Laut WKO sei der Nichtbetrieb des Gewerbes am rückwirkend mit gemeldet worden. Am sei der Wiederbetrieb mit gemeldet worden.

Laut Zentralmelderegisterauskunft war die Bf. am noch an der Adresse Adressbez_Wien_kurz , 1210 Wien, mit Nebenwohnsitz gemeldet. Die von ihr laut Rechnung zuletzt im Juni 2013 an dieser Adresse betreute Person, NN_BP VN1_BP (laut Personenbetreuungsvertrag: NN2_BP NN_BP ), ist am TodesDat verstorben.

Laut Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger war die Bf. bis und ab bis laufend gewerblich selbständig erwerbstätig. Vom bis wurden die Beiträge BSVG, GSVG und FSVG nicht bezahlt.

Der Bf. wurde Folgendes vorgehalten und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt:

„Sie haben im April 2013 (richtig: 2014) beim Finanzamt einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe gestellt und auf diesem ihre Adresse mit 1210 Wien, Straßenbez_Wien bekannt gegeben.

Das Finanzamt wies Ihren Antrag mit Bescheid vom ab, weil sie trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht hätten, weshalb angenommen wurde, dass kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht.

Am brachten Sie Beschwerde gegen diesen Bescheid beim Finanzamt ein und führten begründend aus, das Finanzamt habe Sie betreffend die fehlenden Unterlagen an der österreichischen Nebenwohnsitzanschrift informiert, wo sie schon länger (seit einem Jahr) nicht wohnten und arbeiteten.

Es wird darauf hingewiesen, dass Sie an dieser Adresse aufrecht gemeldet sind, obwohl Sie nach eigenen Angaben nicht mehr dort wohnen und die von Ihnen betreute Person bereits verstorben ist.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab und führte begründend aus, Anspruch auf Ausgleichszahlung für die Zeit der Karenz (maximal zwei Jahre) hätten Sie nur, wenn Sie vor und nach der Geburt des Kindes Wochengeld in Österreich bezogen hätten und das Gewerbe noch aufrecht sei. Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger sei das Gewerbe vor der Geburt des Kindes beendet worden. Daher bestehe kein Anspruch auf Ausgleichszahlung. In der Beschwerdevorentscheidung wurden Sie unter der Überschrift „Rechtsmittelbelehrung“ darauf aufmerksam gemacht, dass Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung beim Finanzamt einen Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) durch das Bundesfinanzgericht stellen könnten.

Die Beschwerdevorentscheidung wurde Ihnen am an einer Adresse in der Slowakei zugestellt und von Ihnen persönlich übernommen (siehe Beilage).

Die Frist von einem Monat ab Zustellung der Beschwerde ist daher am abgelaufen (der war ein Sonntag, weshalb die Einbringung des Vorlageantrages auch noch am nächsten Werktag, also am , rechtzeitig gewesen wäre).

Da Sie den Vorlageantrag erst am beim Finanzamt persönlich überreicht haben, ist die Frist nicht gewahrt worden und wäre der Vorlageantrag als verspätet zurückzuweisen.“

Die Bf. hat dazu wie folgt Stellung genommen:

„1. Mein Kind ist am   GebDat geboren. Das Wochengeld hatte ich vom - bezogen.
2.Gewerbe ..... Ruhenmeldung
Aktivierung
Mein Gewerbe war aktiv, also es besteht Anspruch auf Ausgleichzahlung. Das Finanzamt hat alle Unterlagen - alle meine Honorarnoten und auch dass ich alle Abgaben an SVA bezahlt hatte, also immer verstehe nich wo das Problem ist.

Am war ich personlich am Finanzamt und habe informiert warum die Frist nicht gewahrt worden ist. Ich lebe in England und mein Hauptwohnsitz ist in der Slowakei. Meine Mutter hat mir diesen Brief nach England geschickt, es war durch die Weihnachtszeit und das Brief ist verloren - keine Ahnung wie soll ich den Beweismittel besorgen? ... .Ich bin dann am von England nach Osterreich geflogen, weil per Telefon konnte ich nichts erfahren - niemand konnte mir sagen was in diesen Brief gestanden ist. Personlich habe ich dann einen Duplikat Brief bekommen und zu dem Inhalt Stellung genommen.

Mein Sohn wird fast 2 Jahre alt und ich habe bis jetzt nur Wochengeld bekommen. Ohne Familienbeihilfe habe ich auch keinen Anspruch auf das Kinderbetreungsgeld. Ich habe Probleme zu ueberleben. Bitte helfen Sie mir und uberprufen Sie alles ... mein Gewerbe war aktiv, alle Abgaben an SVA bezahlt.“

Der Brief enthält keine Unterschrift und wurde im 14. Bezirk in Wien eingeschrieben aufgegeben. Als Adresse wurde eine Adresse in der Slowakei angeführt.

Dem Brief waren u.a. folgende im Finanzamtsakt noch nicht enthaltenen Unterlagen beigelegt, die offenbar einer dritten Person in Kopie per Mail übermittelt worden waren:

- eine Anzeige bei der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft gemäß § 93 GewO betreffend die Meldung des Nichtbetriebes des Gewerbes der Bf. ab , gemeldet am

- ein Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom , wonach die Bf. für die Kaiserschnittgeburt am GebDat einen Wochengeldanspruch vom bis bezogen habe

- ein Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom , wonach die Bf. den Nichtbetrieb des Gewerbes ab angezeigt habe. Damit fielen die Voraussetzungen für die Pflichtversicherung als aktiv Erwerbstätige in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung weg. Die entsprechende Meldung sei am bei der Kammer eingelangt. Die Pflichtversicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung ende daher mit .

- ein Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom , in welchem bestätigt wurde, dass die Bf. einen Wochengeldanspruch vom bis bezogen habe.

Nach Rücksprache mit dem Finanzamt erklärte die zuständige Sachbearbeiterin, der Vorlageantrag könne als rechtzeitig eingebracht angesehen werden. Im Hinblick auf die nunmehr aufrechte Meldung des Gewerbes mit entsprechender Versicherung würde der Bf. die Ausgleichszahlung zustehen, wenn sich Mutter und Kind in England befinden und der Kindesvater dort beschäftigt ist, weil in diesem Fall England vorrangig die Familienleistungen auszahlen müsste.

Rechtslage:

Gemäß Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der Folge kurz VO 883/2004, wurde folgende allgemeine Regelung getroffen:

(1)  Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2)  Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3)  Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats; …

Gemäß Artikel 67 der VO 883/2004 wurde festgelegt, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.

Gemäß Artikel 68 der VO 883/2004 wurden folgende Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen getroffen:

(1)  Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2)  Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist.

Erwägungen:

Die Bf. hat einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihren in England geborenen Sohn gestellt. Der Vater des Kindes ist nach Angaben der Bf. Slowake und von Beruf LKW-Fahrer für ein Unternehmen in Großbritannien. Der Familienwohnort ist nach den vorgelegten Unterlagen Ortsbezeichnung, Großbritannien. Die Bf. hat selbst in ihrem letzten Schreiben an das Bundesfinanzgericht ausgeführt, sie lebe in England, ihr Hauptwohnsitz sei in der Slowakei.

Da selbst die Beschwerdevorentscheidung, von welcher bisher davon ausgegangen wurde, dass sie der Bf. am Wohnort in der Slowakei zugestellt worden ist, laut Bf. von deren Mutter übernommen wurde und auch der Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes offenbar von einer anderen Person im Auftrag der Bf. beantwortet wurde (fehlende Unterschrift, Aufgabe in Österreich, Übermittlung von Dokumenten per Mail), ist zweifelhaft, ob die Bf. überhaupt noch einen aktuellen Wohnort in der Slowakei hat, selbst wenn sie dort gemeldet sein sollte. Dass die Bf. ihre Meldepflichten nicht genau nimmt, geht daraus hervor, dass sie in Österreich noch am Wohnort der zuletzt von ihr betreuten Person polizeilich gemeldet ist, obwohl diese bereits verstorben ist und die Bf. laut eigenen Angaben in der Beschwerde dort bereits länger nicht mehr wohnte.

Aufgrund der bisher vorgelegten Unterlagen wird davon auszugehen sein, dass die Bf. mit dem Kindesvater, welcher in Großbritannien erwerbstätig ist, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist und die Familie in England ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Familienwohnort) hat. Unter diesen Umständen wäre England vorrangig für die Gewährung der Familienbeihilfe zuständig und würde in Österreich bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Ausgleichszahlung gebühren.

Da die Bf. im Antrag auf Familienbeihilfe eine österreichische Adresse und in der Beschwerde eine slowakische Adresse angeführt hat, ist das Finanzamt davon ausgegangen, die Bf. wohne mit ihrem Kind in der Slowakei. Erhebungen betreffend den tatsächlichen Wohnort der Bf. und des Kindes sowie einer allfälligen vorrangigen Zuständigkeit Großbritanniens betreffend die Gewährung von Familienleistungen sind daher zunächst unterblieben. Die Bf. hat bisher auch keine Adresse angegeben, an welcher ihr persönlich behördliche Schriftstücke zugestellt werden können.

Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht wenn die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes

a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandlos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären ist,

die Beschwerde mit Beschluss durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.

(3) Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.

Gegenständlich ist keine Rechtsfrage zu klären. Es sind jedoch für die Beurteilung des Anspruches der Bf. auf Ausgleichszahlung wesentliche Sachverhaltsermittlungen unterblieben, weil bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes und Erwerbstätigkeit des Kindesvaters in Großbritannien dieser Staat für die Gewährung von Familienleistungen vorrangig zuständig wäre. Aufgrund des Auslandsbezuges und der bisherigen Schwierigkeiten, mit der Bf. in Kontakt zu treten – die Beantwortung des letzten Vorhaltes wurde offenbar in ihrem Auftrag von einer dritten Person durchgeführt – ist in jedem Fall mit einer längeren Bearbeitungsdauer zu rechnen. Die Ermittlung des Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst liegt daher nicht im Interesse der Raschheit. Auch würde es durch die Durchführung von Ermittlungen durch das Verwaltungsgericht selbst nicht zu einer erheblichen Kostenersparnis kommen. Es besteht vielmehr die Möglichkeit, dass nach Klärung der offenen Sachverhaltsfragen eine Befassung des Bundesfinanzgerichtes nicht mehr erforderlich ist, wenn der Bf. Familienleistungen im gesetzlich zustehenden Ausmaß gewährt werden, zumal das Finanzamt die prinzipielle Anspruchsberechtigung aufgrund der rückwirkenden Wiederanmeldung des Gewerbes durch die Bf. nicht mehr in Zweifel zieht.

Aus den genannten Gründen wurden der Bescheid und die Beschwerdevorentscheidung daher aufgehoben und die Sache an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG i. V. m. § 25a Abs. 1 VwGG ist gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu beantworten, weil ausschließlich der Sachverhalt strittig war.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 278 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.7101947.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at