Aufhebung gemäß § 299 BAO wegen Missachtung des Vorrangs unionsrechtlicher Bestimmungen durch das Zollamt
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RV/7200050/2013-RS1 | Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Im Falle der Aussetzung der Vollziehung von Eingangsabgaben sind zwingend die Vorschriften des Art. 244 ZK anzuwenden (vgl. ). Prüft das Zollamt einen solchen Aussetzungsantrag ausschließlich nach den nationalen Kriterien des § 212a BAO und schenkt es bei der Erlassung des Aussetzungsbescheides laut Spruch und Begründung den unionsrechtlichen Bestimmungen des Art. 244 ZK keinerlei Beachtung, haftet diesem Bescheid eine Rechtswidrigkeit an, die als Aufhebungsgrund iSd § 299 Abs. 1 BAO zu werten ist. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch RA, gegen den Bescheid des Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt vom , Zl. xxx, betreffend Bescheidaufhebung gemäß § 299 Bundesabgabenordnung und Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 244 Zollkodex zu Recht erkannt:
1.) Im Spruch I des angefochtenen Bescheides wird die Wortfolge "Der am in Rechtskraft erwachsene Bescheid" ersetzt durch die Wortfolge "Der am ergangene und in der Folge unbeeinsprucht in Rechtskraft erwachsene Bescheid".
2.) Im Übrigen wird die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
3.) Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit dem gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer (Bf.), Herrn Bf. , gerichteten Bescheid vom , Zl. zzz , setzte das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt im Grunde des Art. 202 Abs. 1 und Abs. 3 dritter Anstrich Zollkodex (ZK) iVm § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) für die im Bescheid näher bezeichneten 320.000 Stück Zigaretten die Zollschuld fest und schrieb gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung vor.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bf. mit Eingabe vom das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr Bescheidbeschwerde). Über die Beschwerde entschied das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl. zZz , teilweise stattgebend.
Gleichzeitig mit der o.a. Berufung vom stellte der Bf. den Antrag auf Aussetzung der Einhebung.
Mit Bescheid vom , Zl. ZzZ , bewilligte das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt die Aussetzung der Vollziehung der in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten im Grunde des § 212a BAO.
Das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt erließ in der Folge den Sammelbescheid vom , Zl. xxx . Mit Bescheid I hob das Zollamt den vorbezeichneten Bescheid vom gemäß § 299 BAO von Amts wegen auf, da sich der Spruch dieses Bescheides als nicht richtig erwiesen hatte. Mit Bescheid II wies das Zollamt den Antrag des Bf. vom betreffend Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 244 Zollkodex (ZK) iVm § 212a BAO ab.
Gegen diesen Sammelbescheid richtet sich die vorliegende Berufung vom .
Das Zollamt wies diese Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom , Zl. ZZz , als unbegründet ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerdeschrift vom , ergänzt mit Eingabe vom .
Dieses Rechtsmittel ist nunmehr gemäß § 323 Abs. 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde iSd Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß Art. 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , idF der Berichtigung ABlEG Nr. L 79 vom , (Zollkodex-ZK), wird die Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung durch Einlegung des Rechtsbehelfs nicht ausgesetzt. Die Zollbehörden setzen die Vollziehung der Entscheidung jedoch ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte.
Nach Art. 245 ZK werden die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens von den Mitgliedstaaten erlassen.
Gemäß § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) gelten als Zollrecht auch die allgemeinen abgaberechtlichen Vorschriften, soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, für die Erhebung des Zolles und der Einfuhrumsatzsteuer.
Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einem Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zu Grunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des abgabepflichtigen rechnungstragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.
In Vollziehung des Art. 244 ZK sind die nationalen Bestimmungen des § 212a BAO anzuwenden, soweit der Zollkodex nicht (wie etwa hinsichtlich der Voraussetzung des § 212a Abs.1 BAO für die Aussetzung) anderes bestimmt (vgl. ).
Zum Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO:
Die Bestimmungen des § 299 BAO in der im Juli 2012 gültigen Fassung lauten:
„(1) Die Abgabenbehörde erster Instanz kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.
(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(3) Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.“
Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheids nicht dem Gesetz entspricht. Wodurch diese Rechtswidrigkeit gegeben ist, ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht ausschlaggebend (Ritz, BAO, 5. Auflage, Rz. 10 zu § 299 BAO).
Das Zollamt begründet die Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bescheides in seiner nunmehr angefochtenen Entscheidung damit, dass sich dieser auf eine falsche rechtliche Grundlage stütze. Der aufgehobene Bescheid sei nicht nach den Bestimmungen des Art. 244 ZK geprüft worden. Die zuletzt genannte Norm sei auch nicht in die Entscheidung eingeflossen.
Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung die nationalen Vorschriften anzuwenden sind, soweit dem nicht unionsrechtliche Bestimmungen entgegenstehen ().
Die im Falle von Eingangsabgaben zwingend anzuwendende Vorschrift des Art. 244 ZK verlangt von der Behörde die Prüfung, ob einer der beiden Tatbestände für eine Aussetzung der Vollziehung (begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der bekämpften Entscheidung und Möglichkeit, dass dem Schuldner ein unersetzbarer Schaden entsteht) erfüllt ist ().
Aus dem klaren Wortlaut des Abs. 3 des Art. 244 ZK ergibt sich darüber hinaus, dass die vom Rechtsmittelwerber beantragte Aussetzung von der Zollbehörde vom Erlag einer Sicherheitsleistung "abhängig gemacht wird", wobei ausdrücklich davon die Rede ist, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Sicherheit nicht "gefordert" zu werden braucht. Es bedarf daher vollkommen zweifelsfrei einer seitens der Behörde gegenüber dem Rechtsmittelwerber ausgesprochenen Forderung zum Erlag einer Sicherheitsleistung. Auch der EuGH spricht in seinem Urteil vom in der Rechtssache C-130/95 ausdrücklich von der "Forderung einer Sicherheitsleistung" ().
Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten ().
Das Zollamt hat den Aussetzungsantrag des Bf. vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides ausschließlich nach den nationalen Kriterien des § 212a BAO geprüft. Entgegen der oben stehenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung hat es den zwingend anzuwendenden unionsrechtlichen Bestimmungen des Art. 244 ZK bei der Bescheiderstellung keinerlei Beachtung geschenkt. Auch von der Forderung einer Sicherheitsleistung, die als Bedingung der Gewährung einer Aussetzung nach Art. 244 ZK gilt (vgl. ) hat es Abstand genommen. Aus all diesen Gründen haftet diesem Bescheid, der sich ausweislich seines Spruches und seiner Begründung ausschließlich auf die Bestimmungen des § 212a BAO stützt, eine Rechtswidrigkeit an, die zweifellos als Aufhebungsgrund iSd § 299 Abs. 1 BAO zu werten ist.
Zum Einwand des Bf., es sei ihm durch die Rechtskraft des aufgehobenen Bescheides eine Rechtsposition erwachsen, sodass er in seinem Recht auf Treu und Glauben auf die Gültigkeit von behördlichen Entscheidungen verletzt werde, wird ausgeführt:
Nach der Judikatur des VwGH schützt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit; die Behörde ist verpflichtet, von einer als gesetzwidrig erkannten Verwaltungsübung abzugehen. Nach der Judikatur müssten besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsauffassung durch die Finanzverwaltung unbillig erscheinen lassen, wie dies z.B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wird und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellt. (vgl. Ritz, BAO, 4. Auflage, § 114 Tz 9, mwN).
Die Einwendungen des Bf. enthalten kein substantiiertes Vorbringen dahingehend, welche besondere Umstände im vorliegenden Fall für die Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben sprechen. Der von ihm offensichtlich vertretenen Ansicht, dass jede Aufhebung eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides im Grunde des § 299 BAO per se einen Verstoß gegen diesen Grundsatz darstelle, kann nicht gefolgt werden. Denn dann wären die Bestimmungen der genannten Norm hinsichtlich rechtskräftiger Bescheide generell obsolet. Davon kann aber keine Rede sein.
Warum die Regelungen des § 299 BAO verfassungswidrig sein sollen bzw. warum sie das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 MRK verletzen sollen, ist für das BFG nicht erkennbar. Das diesbezügliche Vorbringen enthält auch dazu keinerlei nähere Begründung.
Außer Zweifel steht, dass es sich bei dem mit dem angefochtenen Bescheid aufgehobenen Bescheid um jenen Bescheid handelt, der vom Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt am unter der Geschäftszahl ZzZ, ergangen ist. Ein Rechtsmittelverzicht lag nicht vor. Bei der Feststellung im Spruch I des angefochtenen Bescheides, der aufgehobene Bescheid sei am in Rechtskraft erwachsen, kann es sich somit nur um einen Irrtum handeln, der im Zuge der Erledigung des vorliegenden Rechtsmittels richtig zu stellen war. Spruchpunkt 1.) des vorliegenden Erkenntnisses dient somit bloß der Klarstellung.
Zur Abweisung des Antrages auf Aussetzung:
Wie bereits oben festgestellt, hat das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt über die Beschwerde in der Hauptsache mit Beschwerdevorentscheidung vom entschieden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde im Aussetzungsverfahren war daher hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten kein Rechtsbehelf mehr anhängig.
Alleine auf Grund dieser für das Schicksal der vorliegenden Beschwerde entscheidenden Feststellung kommt die vom Bf. angestrebte Bewilligung der Aussetzung der Vollziehung durch das Bundesfinanzgericht nicht mehr in Betracht. Denn die Abgabenbehörde müsste gegebenenfalls entsprechend der Anordnung in § 212a Abs. 5 BAO eine solche zuerkannte Aussetzung wegen der ergangenen Hauptsachenentscheidung sofort widerrufen und den Bf. damit in dieselbe Rechtsposition versetzen wie im Fall der sofortigen Abweisung des Aussetzungsbegehrens ().
Das Bundesfinanzgericht teilt daher in jenen Fällen, in denen ein zeitgerechter Aussetzungsantrag vorliegt, die vom Verwaltungsgerichtshof in der Vergangenheit mehrfach ausgesprochene Ansicht, dass ab dem Zeitpunkt der Erledigung der Beschwerde eine Aussetzung der Vollziehung nicht mehr zu bewilligen ist. Eine solche ist in diesen Fällen auch nach dem Normzweck (Effizienz des Rechtsschutzes) nicht erforderlich, da die Abweisung des Aussetzungsantrages hinsichtlich der säumnis- und vollstreckungshemmenden Wirkung zu keinem anderen Ergebnis führt wie die nachträgliche Bewilligung der Aussetzung der Vollziehung samt dem gleichzeitig zu verfügenden Ablauf derselben.
Zur Unzulässigkeit der Revision:
Da keinerlei Umstände festgestellt werden konnten, die auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG hindeuten und sowohl zur Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO als auch zur Frage der Bewilligung einer Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 244 ZK iVm § 212a BAO nach Erledigung des Rechtsmittels in der Hauptsache eine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht, von der im Erkenntnis nicht abgewichen worden ist, war die Revision als unzulässig zu erklären.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 323 Abs. 38 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 130 Abs. 1 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 Art. 133 Abs. 4 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 § 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 108 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2015:RV.7200050.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
YAAAC-08518