VfGH vom 28.06.2023, G299/2022 ua

VfGH vom 28.06.2023, G299/2022 ua

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I.Die zu G299/2022, G319/2022 ua und G88/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung bloß von (Teilen des) §45 Abs1 StPO bzw von §§43 bis 45 StPO sowie der zu G119/2023 ua gestellte (Haupt-)Antrag auf Aufhebung des Wortes "erkennende" in §45 Abs1 zweiter Satz StPO und der Eventualantrag auf Aufhebung von §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO werden zurückgewiesen.

II.Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G299/2022 protokollierten Verfahren (ohne die Hervorhebungen im Original), "der Verfassungsgerichtshof möge

- die Wortfolge in §45 Abs1 StPO BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009 'Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.'

in eventu

- §45 Abs1 StPO BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009

in eventu

- §45 StPO BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009

als verfassungswidrig aufheben".

2. Der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G316/2022 protokollierten Verfahren begehrt gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (ohne die Hervorhebungen im Original), "der Verfassungsgerichtshof möge

1. die Wortfolge in §58 Abs3 StGB idF BGBl I 94/2021

'2. die Zeit zwischen der erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter, der erstmaligen Androhung oder Ausübung von Zwang gegen den Täter wegen der Tat (§§93 Abs1, 105 Abs1 StPO), der ersten staatsanwaltlichen Anordnung oder Antragstellung auf Durchführung oder Bewilligung von im 8. Hauptstück der StPO geregelten Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahmen zur Aufklärung des gegen den Täter gerichteten Verdachts, der Anordnung der Fahndung oder Festnahme, des Antrags auf Verhängung der Untersuchungshaft oder der Einbringung der Anklage, einschließlich vergleichbarer Maßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft, und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens.'

in eventu

2. §58 Abs3 StGB zur Gänze;

in eventu

3. §58 StGB zur Gänze;

als verfassungswidrig aufheben".

3. Gestützt auf Art139 Abs1 Z4 und Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G319-320/2022, G322/2022 und V256/2022 protokollierten Verfahren (ohne die Hervorhebungen im Original),

"der Verfassungsgerichtshof möge

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' in §3 Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 113/2020

und

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' sowie 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 138/2020

außerdem

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz idF BGBl I 16/2020

und

• in Bezug auf die Wortfolgen '276a,' sowie 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020

in eventu

• in Bezug auf §3 Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 113/2020

und

• in Bezug auf §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 138/2020

außerdem

• in Bezug auf §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz idF BGBl I 16/2020

und

• in Bezug auf §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020

die Verfassungswidrigkeit aussprechen".

Ferner begehrt der Antragsteller in dem zu G319-320/2022, G322/2022 und V256/2022 protokollierten Verfahren die Aufhebung des §45 Abs1 StPO idF BGBl I 40/2009, in eventu die Aufhebung der §§43 bis 45 StPO, BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009. Letztlich begehrt der Antragsteller die Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB idF BGBl I 94/2021.

4. Gemäß Art139 Abs1 Z4 und Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G88-89/2023 und V8/2023 protokollierten Verfahren (ohne die Hervorhebungen im Original),

"der Verfassungsgerichtshof möge

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' in §3 Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 113/2020

und

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' sowie 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 138/2020

außerdem

• in Bezug auf die Wortfolge '276a,' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz idF BGBl I 16/2020

und

• in Bezug auf die Wortfolgen '276a,' sowie 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020

in eventu

• in Bezug auf §3 Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 113/2020

und

• in Bezug auf §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden idF BGBl II 138/2020

außerdem

• in Bezug auf §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz idF BGBl I 16/2020

und

• in Bezug auf §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020

die Verfassungswidrigkeit aussprechen".

Ferner begehrt der Antragsteller, "der Verfassungsgerichtshof möge

die Wortfolge in §45 Abs1 StPO BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009 'Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.'

in eventu

die §§43 bis 45 StPO BGBl 631/1975 idF BGBl I 40/2009 zur Gänze

als verfassungswidrig aufheben".

5. Der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G119-121/2023 und V20/2023 protokollierten Verfahren begehrt gemäß Art139 Abs1 Z4 und Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (ohne die Hervorhebungen im Original), "der Verfassungsgerichtshof möge

a) das Wort 'erkennende ' in §45 Abs1 zweiter Satz StPO idF BGBl I 19/2004,

b) in eventu §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO idF BGBl I 19/2004,

c) in eventu §45 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz StPO idF BGBl I 19/2004,

d) in eventu §45 StPO idF BGBl I 40/2009 zur Gänze

und

a) das Wort 'nicht ' in §45 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004,

b) in eventu §45 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004 zur Gänze,

c) in eventu §45 StPO idF BGBl I 40/2009 zur Gänze,

und

a) §238 Abs2 sowie das Wort 'nicht ' in §238 Abs3 StPO idF BGBl I 93/2007,

b) in eventu §238 Abs2 und 3 StPO idF BGBl I 93/2007,

c) in eventu §238 StPO idF BGBl I 93/2007 zur Gänze

als verfassungswidrig aufheben".

Ferner beantragt der Antragsteller, "der Verfassungsgerichtshof möge

i) §58 Abs3 Z2 StGB idF BGBl I 40/2009 und BGBl I 94/2021

ii) §58 Abs3a StGB idF BGBl I BGBl I 112/2015

iii) in eventu §58 StGB idF BGBl I 40/2009, BGBl I 142/2009, BGBl I 101/2014, BGBl I 112/2015, BGBl I 117/2017 und BGBl I 94/2021

als verfassungswidrig aufheben bzw (in eventu) aussprechen, dass diese Bestimmungen verfassungswidrig waren und

iv) in allen Fällen gemäß Art140 Abs6 B-VG aussprechen, dass frühere Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten".

Schließlich begehrt der Antragsteller, "der Verfassungsgerichtshof möge

a) die Wortfolge '§276a, ' in §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020,

b) in eventu §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, zur Gänze

a) die Wortfolgen '§276a, ' und 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist ' in §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020 idF BGBl II 113/2020,

b) in eventu §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020 idF BGBl II 113/2020, zur Gänze

als gesetz- und verfassungswidrig aufheben bzw (in eventu) aussprechen, dass diese Bestimmungen gesetz- und verfassungswidrig waren und

a) die Wortfolge '§276a, ' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020

b) in eventu §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, zur Gänze

a) die Wortfolgen '§276a, ' und 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist ' in §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020,

b) in eventu §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020 idF BGBl I 24/2020, zur Gänze

als verfassungswidrig aufheben bzw (in eventu) aussprechen, dass diese Bestimmungen verfassungswidrig waren."

II. Rechtslage

1. Die §§43 bis 45, §238 und §276a der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 40/2009 lauten:

"4. Abschnitt

Ausschließung und Befangenheit

Ausgeschlossenheit von Richtern

§43. (1) Ein Richter ist vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn

1. er selbst oder einer seiner Angehörigen (§72 StGB) im Verfahren Staatsanwalt, Privatankläger, Privatbeteiligter, Beschuldigter, Verteidiger oder Vertreter ist oder war oder durch die Straftat geschädigt worden sein könnte, wobei die durch Ehe begründete Eigenschaft einer Person als Angehörige auch dann aufrecht bleibt, wenn die Ehe nicht mehr besteht,

2. er außerhalb seiner Dienstverrichtungen Zeuge der in Frage stehenden Handlung gewesen oder in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist oder vernommen werden soll oder

3. andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

(2) Ein Richter ist außerdem vom Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er im Ermittlungsverfahren Beweise aufgenommen hat (§104), ein gegen den Beschuldigten gerichtetes Zwangsmittel bewilligt, über einen von ihm erhobenen Einspruch oder einen Antrag auf Einstellung entschieden oder an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens oder an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde.

(3) Ein Richter eines Rechtsmittelgerichts ist überdies ausgeschlossen, wenn er selbst oder einer seiner Angehörigen im Verfahren als Richter der ersten Instanz, ein Richter der ersten Instanz, wenn er selbst oder sein Angehöriger als Richter eines übergeordneten Gerichts tätig gewesen ist.

(4) Ein Richter ist ebenso von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme oder einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§363a) und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist.

Anzeige der Ausgeschlossenheit und Antrag auf Ablehnung

§44. (1) Bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes hat sich ein Richter im Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit aller Handlungen zu enthalten. Unaufschiebbare Handlungen hat er jedoch vorzunehmen, es sei denn, dass er gegen einen Angehörigen einzuschreiten hätte; in diesem Fall hat er das Verfahren unverzüglich abzutreten.

(2) Ein Richter, dem ein Ausschließungsgrund bekannt wird, hat diesen sogleich dem Vorsteher oder Präsidenten des Gerichts, dem er angehört, der Vorsteher eines Bezirksgerichts und der Präsident eines Landesgerichts oder Oberlandesgerichts dem Präsidenten des jeweils übergeordneten Gerichts, der Präsident des Obersten Gerichtshofs dem Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs (§3 Abs5 des Bundesgesetzes vom über den Obersten Gerichtshof) anzuzeigen.

(3) Allen Beteiligten des Verfahrens steht der Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung zu. Er ist bei dem Richter einzubringen, dem die Ausschließung gemäß Abs2 anzuzeigen wäre.

Entscheidung über Ausschließung

§45. (1) Über die Ausschließung hat der Richter zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 anzuzeigen ist, über die Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofs jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat. Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.

(2) Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn er von einer Person eingebracht wurde, der er nicht zusteht. Im Übrigen ist in der Sache zu entscheiden. Wird auf Ausschließung erkannt, so ist der Richter oder das Gericht zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird; der ausgeschlossene Richter hat sich von diesem Zeitpunkt an bei sonstiger Nichtigkeit der Ausübung seines Amtes zu enthalten.

(3) Gegen einen Beschluss nach Abs2 steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu.

[…]

§238. (1) Über Beweisanträge (§55 Abs1 und 2), die in der Hauptverhandlung gestellt werden, entscheidet das Schöffengericht mit Beschluss (§40 Abs2 und §116 Abs4 Geo), soweit ihnen der Vorsitzende (§254) nicht Folge zu geben gedenkt.

(2) Nach Abs1 ist auch vorzugehen, wenn von den Beteiligten des Verfahrens in der Hauptverhandlung sonst gegensätzliche Anträge gestellt werden oder der Vorsitzende einem unbestrittenen Antrag eines Beteiligten nicht Folge zu geben gedenkt.

(3) Der Beschluss ist samt seinen Entscheidungsgründen sofort, jedenfalls jedoch vor Schluss der Verhandlung mündlich zu verkünden. Den Beteiligten steht ein selbständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel gegen ihn nicht zu (§86 Abs3).

[…]

§276a. Ist die Verhandlung, nachdem sie begonnen hatte, vertagt worden (§§274 bis 276), so kann der Vorsitzende in der späteren Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der früheren nach dem Protokoll und den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die Fortsetzung der Verhandlung daran anknüpfen. Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind, es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten."

2. §57 und §58 des Bundesgesetzes vom über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (StrafgesetzbuchStGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 94/2021 lauten:

"Verjährung

Verjährung der Strafbarkeit

§57. (1) Strafbare Handlungen, die mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, sowie strafbare Handlungen nach dem fünfundzwanzigsten Abschnitt verjähren nicht. Nach Ablauf einer Frist von zwanzig Jahren tritt jedoch an die Stelle der angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren. Für die Frist gelten Abs2 und §58 entsprechend.

(2) Die Strafbarkeit anderer Taten erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört.

(3) Die Verjährungsfrist beträgt

zwanzig Jahre,

wenn die Handlung zwar nicht mit lebenslanger Freiheitsstrafe, aber mit mehr als zehnjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist;

zehn Jahre,

wenn die Handlung mit mehr als fünfjähriger, aber höchstens zehnjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist;

fünf Jahre,

wenn die Handlung mit mehr als einjähriger, aber höchstens fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist;

drei Jahre,

wenn die Handlung mit mehr als sechsmonatiger, aber höchstens einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist;

ein Jahr,

wenn die Handlung mit nicht mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe oder nur mit Geldstrafe bedroht ist.

(4) Mit dem Eintritt der Verjährung werden auch der Verfall und vorbeugende Maßnahmen unzulässig.

Verlängerung der Verjährungsfrist

§58. (1) Tritt ein zum Tatbild gehörender Erfolg erst ein, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, so endet die Verjährungsfrist nicht, bevor sie entweder auch vom Eintritt des Erfolges ab verstrichen ist oder seit dem im §57 Abs2 bezeichneten Zeitpunkt ihr Eineinhalbfaches, mindestens aber drei Jahre abgelaufen sind.

(2) Begeht der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, so tritt die Verjährung nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist.

(3) In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit, während der nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann, soweit das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr 1/1930, und Abs4 nichts anderes bestimmen;

2. die Zeit zwischen der erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter, der erstmaligen Androhung oder Ausübung von Zwang gegen den Täter wegen der Tat (§§93 Abs1, 105 Abs1 StPO), der ersten staatsanwaltlichen Anordnung oder Antragstellung auf Durchführung oder Bewilligung von im 8. Hauptstück der StPO geregelten Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahmen zur Aufklärung des gegen den Täter gerichteten Verdachts, der Anordnung der Fahndung oder Festnahme, des Antrags auf Verhängung der Untersuchungshaft oder der Einbringung der Anklage, einschließlich vergleichbarer Maßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft, und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens;

3. die Zeit bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war;

4. die Probezeit nach §203 Abs1 StPO, die Fristen zur Zahlung eines Geldbetrages samt allfälliger Schadensgutmachung und zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen samt allfälligem Tatfolgenausgleich (§§200 Abs2 und 3, 201 Abs1 und 3 StPO), sowie die Zeit von der Stellung eines Ersuchens der Staatsanwaltschaft gemäß §204 Abs3 StPO bis zur Mitteilung des Konfliktreglers über die Ausgleichsvereinbarungen und ihre Erfüllung (§204 Abs4 StPO).

(3a) Eine nach den vorstehenden Absätzen eingetretene Hemmung der Verjährung bleibt wirksam, auch wenn durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Hemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

(4) Wird die Tat nur auf Verlangen oder mit Ermächtigung eines dazu Berechtigten verfolgt, so wird der Lauf der Verjährung nicht dadurch gehemmt, daß die Verfolgung nicht verlangt oder die Ermächtigung nicht erteilt wird."

3. §9 Z3 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 1. COVID-19-JuBG), BGBl I 16/2020, lautete:

"Besondere Vorkehrungen in Strafsachen

§9. In Strafsachen kann die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass

[…]

3. die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §108a, §276a, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO für die Dauer der angeordneten Betretungsverbote unterbrochen werden;

[…]"

4. §9 Z3 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 1. COVID-19-JuBG), BGBl I 16/2020, idF BGBl I 24/2020 lautet:

"Besondere Vorkehrungen in Strafsachen

§9. In Strafsachen kann die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass

[…]

3. die Fristen nach §88 Abs1, §92 Abs1, §106 Abs3 und Abs5 letzter Satz, §194 Abs2, §195 Abs2, §213 Abs2, §276a, §284 Abs1, §285 Abs1 und Abs4, §294 Abs1 und 2, §357 Abs2, §408 Abs1, §409 Abs1, §427 Abs3, §430 Abs5, §466 Abs1 und 2, §467 Abs1 und Abs5, §478 Abs1 und §491 Abs6 StPO sowie sonstige von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gesetzte Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen in Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;

[…]."

5. §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, lautete:

"§3. Die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §276a, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO werden für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19- Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, angeordneten Betretungsverbote unterbrochen."

Diese Verordnung der Bundesministerin für Justiz trat am in Kraft und mit Ablauf des außer Kraft (§8 der Verordnung BGBl II 113/2020).

6. §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, idF BGBl II 138/2020 lautete:

"§3. Die Fristen nach §88 Abs1, §92 Abs1, §106 Abs3 und Abs5 letzter Satz, §194 Abs2, §195 Abs2, §213 Abs2, §276a, §284 Abs1, §285 Abs1 und Abs4, §294 Abs1 und 2, §357 Abs2, §408 Abs1, §409 Abs1, §427 Abs3, §430 Abs5, §466 Abs1 und 2, §467 Abs1 und Abs5, §478 Abs1 und §491 Abs6 StPO sowie sonstige von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gesetzte Fristen werden bis zum Ablauf des unterbrochen und beginnen mit neu zu laufen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen in Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird."

Diese Verordnung der Bundesministerin für Justiz änderte die Verordnung BGBl II 113/2020 und trat mit in Kraft.

III. Anlassverfahren

Alle Antragsteller sind Angeklagte in dem vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Zahl 15 Hv 1/17z geführten Strafverfahren. Mit Urteil vom erkannte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Antragsteller näher bezeichneter Verbrechen bzw Vergehen für schuldig und verhängte über sie näher bezeichnete Strafen.

Gegen dieses Urteil erhoben die Antragsteller innerhalb der (jeweils unterschiedlich verlängerten) Rechtsmittelfrist Nichtigkeitsbeschwerden sowie Berufungen und stellten aus Anlass dieser Rechtsmittel die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge und teilweise auch Verordnungsprüfungsanträge.

IV. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Zur Anfechtung (von Teilen) des §45 StPO und §238 StPO

1.1. Die Antragsteller in den beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G299/2022, G319/2022 ua, G88/2023 ua sowie G119/2023 ua protokollierten Verfahren fechten (Teile des) §45 StPO an. Der Antragsteller zu G119/2023 ua ficht darüber hinaus in diesem Zusammenhang (Teile des) §238 StPO an.

Die Antragsteller legen ihre Bedenken gegen (insbesondere) §45 Abs1 StPO und (nur im Verfahren zu G119/2023 ua) auch gegen §238 StPO zusammengefasst – und soweit für den vorliegenden Zusammenhang von Relevanz – wie folgt dar:

An dem Urteil im strafgerichtlichen Anlassverfahren seien zwei ausgeschlossene Richter beteiligt gewesen, nämlich die Vorsitzende des Schöffensenates sowie ein beisitzender Richter. Das Schöffengericht sei aus diesem Grund nicht gehörig besetzt gewesen. In der Hauptverhandlung sei ein Antrag auf Ausschließung der beiden Richter gestellt worden; diese hätten in weiterer Folge gemäß §45 Abs1 (und §238 Abs2) StPO über ihre eigene Ausgeschlossenheit entschieden.

Die Regelungen des §45 Abs1 (und §238 Abs2) StPO verstießen gegen Art6 EMRK, weil sie ermöglichten, dass ein Richter bei unmittelbar vor oder in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen auf Ablehnung eines Richters selbst an der Entscheidung über seine eigene Ausgeschlossenheit mitwirke. Art6 Abs1 EMRK garantiere die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Entscheidungsorgane. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheide zwischen subjektiver und objektiver Unparteilichkeit. Bei letzter werde hinterfragt, ob unabhängig von dem persönlichen Verhalten des Richters ein Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehe bzw ob ausreichende Garantien für den Ausschluss berechtigter Zweifel bestünden. Dabei komme es auch auf den äußeren Anschein an, den die Parteien vom Gericht haben müssten. Bereits eine "missliche Optik" stelle die objektive Unparteilichkeit in Frage.

Es sei offenkundig, dass ein Richter in einem öffentlichen Verfahren nicht unparteilich darüber entscheiden könne, ob er unparteilich sei oder nicht. Zum Ersten könne nämlich die eigene Ansicht den Blick darauf verstellen, ob bei einem verständigen objektiven Beurteiler Zweifel an der Unparteilichkeit geweckt werden könnten oder nicht. Zum Zweiten müsse der Richter bei Stattgabe des Antrages öffentlich eingestehen, es seien Umstände vorgelegen, die zu seiner Ausgeschlossenheit geführt hätten. Der Richter müsse dadurch einen eigenen Fehler eingestehen. Die Tatsache, dass der zur Ausschließung beantragte Richter selbst über seine Ausschließung entscheide, lasse objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit entstehen. Der entscheidende Richter unterliege diesfalls einem Interessenkonflikt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eine solche Rechtslage bereits als konventionswidrig erkannt (unter Verweis auf EGMR , 58.138/09, Mikhail Mironov).

Die angefochtene Bestimmung verstoße zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass §45 Abs1 StPO zwischen Anträgen auf Ausschließung eines Richters vor der Hauptverhandlung und solchen während (oder unmittelbar vor) der Hauptverhandlung unterscheide. Im ersten Fall entscheide in der Regel der Vorsteher oder Präsident jenes Gerichtes, dem der zur Ausschließung beantragte Richter angehöre, und damit ein unparteiisches Gericht. Im zweiten Fall entscheide das erkennende Gericht selbst, bei dem allerdings erhebliche Zweifel hinsichtlich der Unparteilichkeit bestünden.

Eine derartige Ungleichbehandlung könne nur durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt werden. Der Grund für diese Differenzierung liege in verfahrensökonomischen Überlegungen. Nach der Grundkonzeption der Strafprozessordnung sollten Strafprozesse grundsätzlich an einem Tag und als Einheit abgewickelt werden. Wenn ein Ablehnungsantrag unmittelbar vor oder in der Verhandlung gestellt werde, solle die Befassung anderer Instanzen als des erkennenden Gerichtes verhindert werden. Aus heutiger Sicht jedoch sei das Festhalten an diesen Grundsätzen realitätsfern; die Verfahrensökonomie könne die angefochtene Bestimmung nicht rechtfertigen.

Die angefochtene Bestimmung sei zudem nicht verhältnismäßig. Verfahrensökonomische Zielsetzungen dürften nämlich nicht dazu führen, dass Entscheidungen von einem ausgeschlossenen Richter getroffen würden, dessen Unparteilichkeit nicht garantiert werden könne. Das Recht auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht wiege schwerer als verfahrensökonomische Erwägungen. Zudem gebe es weniger eingriffsintensive Möglichkeiten, das verfolgte Ziel der Verfahrensökonomie zu erreichen.

1.2. Die Bundesregierung erstattete in dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G299/2022 protokollierten Verfahren eine Äußerung (auf welche die Bundesregierung auch in ihrer Äußerung im Verfahren zu G88/2023 ua hinweist), in der sie den Antrag als unzulässig erachtet und (teilweise) den im Antrag erhobenen Bedenken gegen (Teile des) §45 StPO wie folgt entgegentritt:

"I. Zur Rechtslage:

[…]

Die §§43 ff StPO regeln das System der Ausgeschlossenheit von Richtern, das durch die §§334 Abs3, 489 Abs3 und 491 Abs8 StPO ergänzt wird.

§43 StPO fasst alle Gründe zusammen, die geeignet sind, Zweifel an der Objektivität des Betroffenen zu wecken (Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§43-47 Rz 1). Dabei wird nicht auf die tatsächliche (oder vermeintliche) Unfähigkeit zu unvoreingenommener sowie unparteilicher Dienstverrichtung abgestellt, sondern – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR (vgl statt vieler EGMR , Fall Campbell und Fell, Appl 7819/77, 7878/77, EuGRZ1985, 540) – auf entsprechende äußere Umstände. Die Umstände werden zum einen in §43 Abs1 Z1 und 2 sowie Abs2 bis 4 StPO ausdrücklich aufgezählt, zum anderen sieht §43 Abs1 Z3 StPO in einer Generalklausel vor, dass ein Richter vom gesamten Verfahren ausgeschlossen ist, wenn andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

Zu beachten ist, dass die Wahrnehmung von Ausschließungsgründen regelmäßig eine Kompetenzverschiebung bewirkt. Damit stehen sie in einem – wenngleich verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden – Spannungsverhältnis zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und zum – dieses Recht ausgestaltenden – Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art87 Abs3 B-VG). Nach Rechtsprechung und Lehre bedarf es daher einer strikten Auslegung der Regelungen über den Ausschluss des Richters, um die – neben der Unabsetzbarkeit und der Unversetzbarkeit (Art88 Abs2 B-VG) – wesentlichsten Säulen der richterlichen Unabhängigkeit (Art87 Abs1 B-VG) nicht auszuhöhlen (; , 15 Os 80/13y; , 12 Ns 13/19m; , 12 Ns 3/14h; Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§43–47 Rz 3).

Das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes ist gemäß §44 Abs2 StPO sogleich dem Vorsteher oder Präsidenten des Gerichts, dem der Richter angehört, anzuzeigen (vgl auch RIS-Justiz RS0126457). §44 Abs2 StPO regelt dabei auch die Vorgehensweise bei Ausgeschlossenheit der Vorsteher bzw Präsidenten der Gerichte. §45 StPO regelt, wer über die Ausgeschlossenheit zu entscheiden hat. Demnach ist gemäß §45 Abs1 erster Satz StPO grundsätzlich jener Richter zur Entscheidung berufen, dem die Ausgeschlossenheit anzuzeigen ist (im Fall der Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofes jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat).

Entscheidungen über die Ausschließung von Richtern gemäß §45 StPO sind Akte der Rechtsprechung. Wird auf Ausschließung erkannt, kommt die Entscheidung in dem von der Ausschließung betroffenen Verfahren dem Vertreter des Ausgeschlossenen nach Maßgabe der Geschäftsverteilung zu (RIS-Justiz RS0129338; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, stopp I2 §45 Rz 4 mwN).

Die – bekämpfte – Regelung des §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO kommt nur in bestimmten Fallkonstellationen zur Anwendung, nämlich dann, wenn der Antrag auf Ablehnung eines Richters während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellt wurde oder der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung möglich ist. In diesen Fällen entscheidet das erkennende Gericht (wobei im Gerichtshofverfahren der gesamte Senat dazu berufen ist).

3.2. §45 StPO wurde mit dem Strafprozessreformgesetz, BGBl I Nr 19/2004, geschaffen. Wie auch die Materialien ausführen (ErlRV 25 BlgNR XXII. GP 62), entsprach die Neuregelung jedoch weitgehend der (bereits damals) geltenden Rechtslage.

Vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes war die Entscheidung über die Ablehnung von Richtern in §74 StPO geregelt, wobei die Vorgehensweise bei erst in der Hauptverhandlung (bzw kurz davor) gestellten Ausschließungsanträgen nicht ausdrücklich geregelt war. Die §§73 und 74 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz lauteten:

'§73. Das Gesuch, womit ein Beteiligter die Ablehnung eines Richters geltend machen will, ist jederzeit bei dem Gerichte, dem der Abgelehnte angehört, und zwar, wenn es sich um die Ablehnung eines Mitgliedes des erkennenden Gerichtes handelt, längstens binnen vierundzwanzig Stunden vor Beginn der Verhandlung und, wenn es sich um die Ablehnung eines ganzen Gerichtshofes handelt, längstens binnen drei Tagen nach der Vorladung zur Verhandlung zu überreichen oder zu Protokoll zu geben. In diesem Gesuche müssen die Gründe der Ablehnung genau angegeben und, soviel als möglich, bescheinigt sein.

§74. (1) Über die Zulässigkeit der Ablehnung einer Gerichtsperson entscheidet in der Regel der Vorsteher des Gerichtes, dem sie angehört.

(2) und (3) ...'

Die Befristung des Ablehnungsrechts nach §73 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz sollte verhindern, dass ein verzögertes Vorbringen den Gang des Verfahrens hemmen konnte. Aus dem Sinnzusammenhang der Ablehnungsnormen wurde aber abgeleitet, dass auch nach Fristablauf eingebrachte Ablehnungsgesuche grundsätzlich zulässig waren (Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO altes Vorverfahren §73 Rz 1); die Kompetenz zur Entscheidung über solche Anträge ergab sich jedoch nicht aus §73 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz, sondern aus §74 und §238 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz.

§74 Abs1 StPO beschrieb dabei den 'Normalfall' der Entscheidung über einen Ablehnungsantrag und legte dafür die Entscheidungskompetenz des Gerichtsvorstehers fest. Jene Fälle, in denen der Vorsteher bzw Präsident selbst oder ein ganzes Gericht bzw ein ganzer Gerichtshof abgelehnt wurde, waren in Abs2 geregelt.

Die Regelung des §74 in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz, nach der grundsätzlich der Vorsteher des Gerichts über die 'Ablehnung einer Gerichtsperson' zu entscheiden hatte, galt nach hM und ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht für die während der Hauptverhandlung (bzw unmittelbar davor) erklärte Ablehnung eines Richters. In diesen Fallkonstellationen hatte vielmehr gemäß §238 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz das erkennende Gericht zu entscheiden (RIS-Justiz RS0097161, RS0097143, RS0097116; statt vieler ; , 9 Os 76/85; Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO altes Vorverfahren §74 Rz 5). Im kollegialgerichtlichen Verfahren war damit der (Schwur-)Gerichtshof (unter Beteiligung des abgelehnten Richters, vgl RIS-Justiz RS0106290) zur Entscheidung berufen (§§238 Abs1, 302 Abs1 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz), im einzel- und bezirksgerichtlichen Prozess der betroffene Richter (§238 Abs1 iVm. §488 bzw §477 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz).

Der OGH führte schon zur damaligen Rechtslage aus, dass es dem Grundgedanken des Ablehnungsrechts gerade nicht widersprechen würde, wenn der abgelehnte Richter an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag mitwirkt. Hinsichtlich der Entscheidungskompetenz wies der OGH – ungeachtet des Wortlauts des §74 Abs1 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz – auf den 'wesentlichen Unterschied zwischen der Ablehnung eines Richters außerhalb der Hauptverhandlung und einer solchen in der Hauptverhandlung' hin ().

Entsprechendes galt nach damaliger Rechtslage auch dann, wenn der Ablehnungsantrag unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung eingebracht wurde. Bei einem spätestens 24 Stunden vor Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag waren die in §74 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz genannten Personen zur Entscheidung berufen (§§74 iVm. 73 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz; ).

Die Einfügung des §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO diente daher lediglich der Klarstellung der ohnehin bereits geltenden Rechtslage (iSd. der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung). Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang auf §238 Abs2 iVm. §238 Abs1 StPO, wonach das Schöffengericht mit Beschluss entscheidet, wenn von den Beteiligten des Verfahrens in der Hauptverhandlung 'sonst gegensätzliche Anträge' gestellt werden oder der Vorsitzende einem unbestrittenen Antrag eines Beteiligten nicht Folge zu geben gedenkt. Auch ohne die ausdrückliche Regelung in §45 Abs1 StPO hätte über einen während der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters – sofern der Vorsitzende diesem nicht Folge zu geben gedenkt – daher das Schöffengericht selbst zu entscheiden. Im Verhältnis zu §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO ist anzumerken, dass in diesem Fall das erkennende Gericht und nicht bloß der Vorsitzende zu entscheiden hat (vgl Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §238 Rz 1). Dieser Unterschied ist in der Praxis allerdings insoweit vernachlässigbar, als ein Vorsitzender, der einem Ablehnungsantrag stattzugeben gedenkt, ohnehin mittels Anzeige seiner Ausgeschlossenheit nach §44 Abs2 StPO vorzugehen hätte.

Für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter gilt §238 Abs2 iVm. §238 Abs1 StPO, mithin das Gesagte in sinngemäßer Weise, gemäß §488 Abs1 StPO.

3.3. Gemäß §45 Abs3 StPO steht gegen einen Beschluss nach Abs2 leg. cit. zwar kein selbstständiges Rechtsmittel zu; der Beschuldigte genießt allerdings dennoch umfassenden Rechtsschutz. So steht ihm ungeachtet einer ablehnenden Entscheidung des erkennenden Gerichts die Möglichkeit offen, mittels Nichtigkeitsbeschwerde nach §281 Abs1 Z1 StPO die Ausgeschlossenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters geltend zu machen (sog Besetzungsrüge). Der zuvor abweisenden Entscheidung über den Ablehnungsantrag kommt bei Prüfung des Beschwerdevorbringens dabei keine bindende Wirkung zu (RIS-Justiz RS0125766; Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO §45 Rz 13; Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO §281 Rz 131; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, stopp I2 §45 Rz 5). Im Übrigen sind in der Hauptverhandlung getroffene Entscheidungen über Ablehnungsanträge zwar nicht (mehr) Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde; die Abweisung eines Antrags auf Erhebungen zum Nachweis von Ausgeschlossenheit (§43 StPO) kann jedoch Nichtigkeit nach §281 Abs1 Z4 StPO bewirken (RIS-Justiz RS0124803 [T2] [T3]).

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung zu den Prozessvoraussetzungen von Normenkontrollverfahren stets vom Grundgedanken aus, dass ein solches Verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl zB VfSlg 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008). Unzulässig ist ein Antrag daher auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 13.299/1992, 14.740/1997, 16.191/2001, 19.496/2011, 19.824/2013).

Letzteres trifft jedoch sowohl auf den Hauptantrag als auch auf die Eventualanträge zu:

Wäre §45 Abs1 zweiter bis vierter Satz StPO als verfassungswidrig aufzuheben, dann wäre nicht – wie der Antragsteller vermeint – von einem 'unerledigten Antrag' auszugehen, über den das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hätte. Vielmehr wäre die Rechtslage jene, wie sie vor der Neufassung des §45 StPO durch das Strafprozessreformgesetz BGBl I Nr 19/2004 bestand (vgl dazu schon oben I.3.): Gemäß §238 Abs1 StPO entscheidet das Schöffengericht mit Beschluss über Beweisanträge, die in der Hauptverhandlung gestellt werden, soweit ihnen der Vorsitzende nicht Folge zu geben gedenkt. Auf dieselbe Weise ist gemäß §238 Abs2 StPO auch dann vorzugehen, wenn von den Beteiligten des Verfahrens in der Hauptverhandlung sonst gegensätzliche Anträge gestellt werden oder der Vorsitzende einem unbestrittenen Antrag eines Beteiligten nicht Folge zu geben gedenkt (vgl Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §238 Rz 1 und 7/2).

Auch die nach der – im Sinne des Hauptantrages – bereinigten Rechtslage weiterhin bestehenden Regelungen der §§44 Abs3 und 45 Abs1 (erster Satz) StPO würden nichts daran ändern, dass ein in (bzw unmittelbar vor) der Hauptverhandlung gestellter Antrag auf Ablehnung nach §238 StPO zu behandeln wäre. So zeigt sich anhand der Gesamtsystematik der StPO, dass die Entscheidungskompetenz nach §45 Abs1 (erster Satz) StPO nur im Hinblick auf außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Anträge gilt. Demgegenüber regelt §238 StPO die Vorgehensweise hinsichtlich im Rahmen der Hauptverhandlung gestellter Anträge. Diese Systematik galt im Übrigen auch vor dem Strafprozessreformgesetz, BGBl I Nr 19/2004. Wenngleich nach §74 Abs1 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz über die Ablehnung einer Gerichtsperson in der Regel der 'Vorsteher des Gerichts' zu entscheiden hatte, galt dies nach hM und höchstgerichtlicher Rechtsprechung gerade nicht für das Stadium der Hauptverhandlung (Näheres dazu schon unter Punkt I.3.). Auch nach bereinigter Rechtslage wären die Regelungen der §§44 Abs3 und 45 Abs1 (erster Satz) StPO folglich nur für außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Anträge einschlägig.

Soweit in §45 Abs1 StPO keine explizite Befugnis des Gerichts zur Entscheidung über in der Hauptverhandlung gestellte Anträge auf Ablehnung wegen Ausschließung vorgesehen wäre, würde sich – ungeachtet der §§44 Abs3 und 45 Abs1 (erster Satz) StPO – demnach aus §238 Abs2 StPO ebenjene Entscheidungskompetenz ergeben. Die Entscheidung des erkennenden Gerichts über den in diesem Zeitpunkt gestellten Ausschließungsantrag wird damit durch §238 StPO mitkonstituiert. Weder die Aufhebung des §45 Abs1 zweiter bis vierter Satz StPO noch die Aufhebung des §45 Abs1 bzw des §45 StPO zur Gänze hätte folglich eine Auswirkung auf die behauptete Rechtsverletzung; an der Rechtsposition des Antragstellers würde sich auch bei 'bereinigter' Rechtslage nichts ändern.

2.2. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014).

Der vorliegende Antrag enthält keine (inhaltliche) Begründung der Eventualanträge. Vor dem Hintergrund der im Zusammenhang mit dem Hauptantrag dargelegten Bedenken des Antragstellers ist für die Bundesregierung auch nicht ersichtlich, dass zwischen den mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen und den darüber hinaus gehenden, mit den Eventualanträgen angefochtenen Bestimmungen ein untrennbarer Zusammenhang bestünde. Somit fehlt bezüglich der Eventualanträge die Darlegung der sie tragenden Bedenken.

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung.

IV. In der Sache:

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012, 20.433/2020). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK:

1.1. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, dass der Umstand, dass bei unmittelbar vor oder in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen auf Ablehnung eines Richters, dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit durch einen solchen Antrag in Zweifel gezogen werde, dieser Richter gemäß §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO an der Entscheidung mitzuwirken habe, schon per se Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des betroffenen Richters begründe. Zweck der Ausgeschlossenheit von Richtern sei nämlich ua der Erhalt des Vertrauens, das die Öffentlichkeit den Gerichten in einer demokratischen Gesellschaft entgegenbringen müsse. Ein verständig würdigender objektiver Beurteiler hege aber in der durch §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO geschaffenen Konstellation jedenfalls Zweifel an einer unparteilichen und unvoreingenommenen Entscheidung durch den betroffenen Richter selbst.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe erst jüngst in seiner Entscheidung vom , Mikhail Mironov gegen Russland, No. 58138/09, ausgesprochen, dass das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren durch ein unparteiisches Gericht verletzt werde, wenn Umstände vorgebracht würden, die die Unparteilichkeit des Richters beeinträchtigen könnten, wozu auch ein Verfahren zähle, in dem der Richter über die Ablehnung gegen sich selbst zu entscheiden habe. Damit sich der jeweilige Richter erst gar nicht mit dieser Entscheidungsproblematik konfrontiert sehe, dürfe die Kompetenz zur Entscheidung bei verfassungskonformer Rechtslage nicht bei jenem Richter selbst liegen, über dessen Ausgeschlossenheit entschieden werden solle.

1.2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erfordert das Gebot der objektiven Unparteilichkeit des Richters, dass die Gesetzgebung verfahrensrechtlich sicherstellt, dass keine parteilichen Richter am Verfahren beteiligt sind.

Bei der Beurteilung der Unparteilichkeit des Richters kommt auch dem 'äußeren Anschein' Bedeutung zu: Das Recht auf ein faires Verfahren gebiete es, dass der Richter nicht erst dann vom Verfahren ausgeschlossen wird, wenn dieser unparteilich ist, sondern schon dann, wenn Umstände vorliegen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu begründen vermögen. Dadurch soll das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gerichtsbarkeit gestärkt werden. Unparteilichkeit des Richters liegt daher schon dann vor, wenn die Sorge der Partei um die Unparteilichkeit des Richters objektiv gerechtfertigt ist (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 48).

Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Vorgehensweise, nach der über ein die Unparteilichkeit in Zweifel ziehendes Vorbringen zu entscheiden ist, spielt die Art der Gründe, auf die sich das Vorbringen beruft, eine Rolle. Darüber hinaus sind weitere Elemente zu berücksichtigen, wie beispielsweise, ob die Gründe für eine etwaige Zurückweisung der vorgebrachten Zweifel angemessen waren und ob der Verfahrensmangel durch eine nachfolgende gerichtliche Instanz behoben wurde (EGMR , Fall Pastörs, Appl 55225/14, Rz 57 und 62-63).

Auch ein mehrfaches Einschreiten eines Richters gegenüber einer Partei kann Fragen der Unparteilichkeit des Richters aufwerfen. So können etwa Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters bestehen, wenn in vorangegangenen Urteilen des Richters bereits eine Vorverurteilung hinsichtlich der Schuld des Angeklagten zum Ausdruck kommt. Der bloße Umstand aber, dass ein Richter gegenüber einem Angeklagten mehrfach einschreitet, begründet solche Zweifel nicht per se. Auch ist davon auszugehen, dass Berufsrichter in der Lage sind, sich (anders als Laienrichter) von auf Grund des mehrfachen Einschreitens bereits gewonnenen Eindrücken einer Partei in neuen Verfahren zu lösen (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 49).

1.3. Nach Auffassung der Bundesregierung sind daher bei der Beurteilung der Frage, ob die angefochtene Bestimmung einer Entscheidung durch einen unparteilichen Richter entgegensteht, mehrere Aspekte in Betracht zu ziehen.

Der angefochtene Teil des §45 Abs1 StPO sieht abweichend von der Grundregel des ersten Satzes eine Sonderregel für die Entscheidung über Ablehnungsanträge vor, die während oder unmittelbar vor der Verhandlung gestellt werden und folglich das Potential haben, zu einer ungebührlichen Verzögerung der Verhandlung, mithin des Verfahrens zu führen (müsste doch die Hauptverhandlung jeweils zur Entscheidung über einen Ablehnungsantrag durch ein anderes Organ vertagt werden, wobei es dem Angeklagten freistünde, in jeder Hauptverhandlung einen derartigen Antrag zu stellen, vgl ). Die Gesetzgebung macht daher die Zuständigkeit, über einen Ablehnungsantrag zu entscheiden, von spezifischen – zeitlichen – Umständen abhängig (wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, schloss sie sich darin der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu §74 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz an – siehe dazu schon oben I.3.). Dass das Vertrauen, das die Öffentlichkeit den Gerichten entgegenbringen muss, allein durch eine Sonderregel betreffend die Zuständigkeit, über Ablehnungsanträge zu entscheiden, unterminiert würde, ist insofern nicht ersichtlich. Die Regelung gibt auch sonst keinen Anlass für begründete Zweifel am bloßen Anschein der Unparteilichkeit des Richters, steht dem Betroffenen mit der Nichtigkeitsbeschwerde doch ein ausreichendes Rechtsmittel zur Verfügung, die Ausgeschlossenheit des Richters durchzusetzen. Die Entscheidung über die Ausgeschlossenheit ist – wenngleich nicht selbstständig bekämpfbar – jedenfalls inhaltlich umfassend überprüfbar. Soweit Inhalte erhoben werden müssen, die für die Beurteilung der Ausgeschlossenheit erforderlich sind, kann der Betroffene ferner in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Antrag erheben und dessen Abweisung mit Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grunde des §281 Abs1 Z4 StPO bekämpfen.

Die vorliegend relevierten Bedenken, nämlich die der Ausgeschlossenheit eines einem Schöffensenat angehörenden Richters aufgrund der Tatsache, dass das Schöffengericht in der Hauptverhandlung selbst über den Ablehnungsantrag entschied, war bereits Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Der Oberste Gerichtshof sah dabei keine Nichtigkeit nach §281 Abs1 Z1 StPO gegeben und verwies ausdrücklich auf ein vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte geführtes Vorverfahren, das insoweit gleichgelagert war, als zwei Mitglieder eines (österreichischen) Schwurgerichtshofes in der Hauptverhandlung abgelehnt worden waren und als Mitglieder dieses Senates über den Ablehnungsantrag entschieden hatten. Eine Unparteilichkeit der Berufsrichter, wie sie durch den Beschwerdeführer im Verfahren vor der Kommission geltend gemacht worden war, habe diese als 'offensichtlich unbegründet' erachtet ( unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung sowie EKMR , No. 12350/86; vgl die deutsche Übersetzung in ÖJZ1991, 319 ff).

Auch die durch den Antragsteller zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom , Fall Mikhail Mironov, Appl 58138/09, lässt keine andere Beurteilung zu, sondern unterstreicht die Verfassungskonformität der österreichischen Regelung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigte sich in diesem Fall eingehend mit der Frage, ob die durch den erkennenden Richter selbst getroffene Ablehnungsentscheidung der Unparteilichkeit des Gerichts entgegensteht und damit eine Verletzung des Art6 EMRK begründet. Dabei führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung zunächst aus, dass der bloße Umstand früherer Entscheidungen eines Richters in derselben Sache nicht als solcher die Befürchtung begründet, er sei nicht unparteilich (vgl EGMR , Fall Ringeisen, Serie A Nr 13). Dies gilt selbst dann, wenn ein und derselbe Richter eine Entscheidung erlässt und neuerlich in einem Verfahren aufgreift, nachdem sie in einer höheren Instanz aufgehoben wurde. Ob die Unparteilichkeit des Richters durch eine Entscheidung des Richters über seine eigene Ausgeschlossenheit verletzt ist, beurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letztlich anhand verschiedener verfahrensbezogener Kriterien. So sei zu berücksichtigen, auf welchen Gründen die Behauptung der Ausgeschlossenheit beruht. Handelt es sich etwa lediglich um eine generelle Begründung ('general and abstract grounds'), so bestehen dadurch noch keine berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit des darüber entscheidenden Richters. Als weitere zu berücksichtigende Kriterien nennt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Begründung, mit welcher der Richter den Ausschließungsantrag ablehnt, sowie ob der Verfahrensmangel durch ein höheres Gericht behoben wurde. Im konkreten Fall sah der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung des Art6 EMRK insbesondere deshalb als gegeben an, weil der Richter seine ablehnende Entscheidung kaum begründet und bloß allgemein auf die Rechtslage verwiesen habe. Darüber hinaus sei kein effektives Rechtsmittel zur Verfügung gestanden, um Abhilfe zu schaffen (EGMR vom , Fall Mikhail Mironov, Appl 58138/09, Rz 35-40).

Gerade die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Absicherungen und verfahrensrechtlichen Garantien sind in der StPO vorgesehen: Zunächst hat das erkennende Gericht den Beschluss samt seinen Entscheidungsgründen zu verkünden. Eine bloß floskelhafte Begründung – wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für unzureichend erachtet – reicht dabei nicht aus (vgl Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §238 Rz 10). Darüber hinaus entscheidet – anders als im vorgenannten Fall Mikhail Mironov – nicht zwingend der abgelehnte Richter für sich über einen Ablehnungsantrag, sondern das gesamte erkennende Gericht, somit je nach Zusammensetzung gegebenenfalls unter Einbeziehung anderer Berufs- sowie Laienrichter. Schließlich besteht – wie dargelegt – die Möglichkeit einer umfassenden Überprüfung durch das ordentliche Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde. Die Entscheidungsbefugnis des erkennenden Gerichts über einen Ablehnungsantrag nach §45 Abs1 StPO ist überdies auf bestimmte, zeitlich eng definierte Fallkonstellationen beschränkt, bei denen andernfalls die Gefahr einer ungebührlichen Verfahrensverzögerung bestünde. Mit den angeführten verfahrensrechtlichen Absicherungen wird auch für diese Fallkonstellationen sichergestellt, dass ein in seiner Gesamtheit faires Verfahren durchgeführt wird.

Vor diesem Hintergrund ist dem Antragsteller entgegenzuhalten, dass die angefochtene Bestimmung nicht schon per se Zweifel an der Unparteilichkeit des über einen gegen ihn selbst gerichteten Ablehnungsantrag entscheidenden Richters und somit keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren begründet.

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

2.1. Der Antragsteller erachtet einen Vergleich zwischen einer Antragstellung auf Ablehnung eines Richters vor der Verhandlung (und zwar so rechtzeitig, dass eine Vertagung nicht notwendig ist) und einer Antragstellung unmittelbar vor oder während der Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren (sodass eine Vertagung notwendig ist) für geboten. Ausgehend von der Annahme, dass bei beiden Konstellationen derselbe Sachverhalt vorliege, macht der Antragsteller geltend, dass das verfahrensökonomische Ziel der Verhinderung einer Vertagung der Verhandlung eine Sonderregelung der zweiten Konstellation, der zufolge ein vom Ablehnungsantrag betroffener Richter an der Entscheidung über diesen mitwirkt, nicht rechtfertige. Nicht nur seien die zugrundeliegenden verfahrensökonomischen Erwägungen im Lichte des unbestreitbar erfolgten rechtlichen und tatsächlichen Wandels unzeitgemäß, in Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot sei die angefochtene Regelung vielmehr selbst überschießend und unverhältnismäßig. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht wiege nämlich unzweifelhaft viel schwerer als verfahrensökonomische Aspekte. Auch ließe sich das Ziel der Vermeidung einer Vertagung der Verhandlung durch die gesetzliche Normierung milderer geeigneter Mittel erreichen.

2.2. Der Gleichheitssatz bindet auch die Gesetzgebung (vgl VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihr insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung jedoch von Verfassung wegen nicht verwehrt, ihre politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002, 20.409/2020). Dem Verfassungsgerichtshof kommt daher grundsätzlich nicht die Beurteilung zu, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles zweckmäßig ist. Er kann der Gesetzgebung nur entgegentreten, wenn diese Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (VfSlg 9911/1983, 11.483/1987, 11.652/1988, 12.082/1989, 20.268/2018, 20.285/2018).

Liegen an sich geeignete Mittel zur Erreichung eines legitimen Zieles vor, so dürfen die vorgenommenen Differenzierungen keine Benachteiligung zur Folge haben, welche die Differenzierungen in ihrer gegebenen Ausgestaltung unverhältnismäßig erscheinen ließe; im Rahmen der Sachlichkeitsprüfung ist daher eine Interessenabwägung vorzunehmen (Holoubek in Korinek/Holoubek ua [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar, Art7 Abs1 Sätze 1 und 2 B-VG Rz 133). Das Ausmaß der ungleichen Auswirkungen einer generellen Norm hängt damit nicht nur vom Grad der Schwierigkeit ab, die eine nach verschiedenen Sachverhalten differenzierende Lösung der Vollziehung bereiten würden, sondern auch vom Gewicht der angeordneten Rechtsfolge (Grabenwarter/Frank, B-VG Art7 Rz 17; VfSlg 8871/1980).

2.3. Dem Antragsteller ist zwar insoweit zuzustimmen, als unabhängig davon, ob ein Ausschließungsantrag (rechtzeitig) vor oder in der Hauptverhandlung gestellt wird, inhaltlich jeweils die Ausschließung des Richters angestrebt wird. Der Antragsteller verkennt jedoch, dass für die an den Antragszeitpunkt geknüpfte unterschiedliche Entscheidungskompetenz sachliche Gründe bestehen, die nicht bloß verfahrensökonomischen Erwägungen folgen, sondern gerade auch dem Schutz der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Betroffenen dienen. Dabei ist insbesondere auf das in Art6 EMRK verankerte Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer sowie auf das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG zu verweisen.

Das Recht auf angemessene Verfahrensdauer findet sich auf einfachgesetzlicher Ebene unter anderem im Beschleunigungsgebot des §9 StPO wieder. Aus dem Gebot zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist folgt die Verpflichtung der Gesetzgebung, die angemessene Verfahrensdauer bei der Ausgestaltung des Gerichtswesens durch geeignete Vorkehrungen, vor allem auch durch entsprechende verfahrensrechtliche Regelungen sicherzustellen (Klaushofer in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer, HB der Grundrechte2 §18 Rz 76 mwN). Soweit das Verfahren zur Abhandlung von Ausschließungsanträgen jeweils unterbrochen werden müsste, wäre damit eine mitunter erhebliche, das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer berührende Verfahrensverzögerung verbunden. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass durch die Ablehnung eines Richters in einem Strafverfahren mit mehreren Angeklagten auch die (verfassungsrechtlich garantierten) Rechte der jeweils anderen Angeklagten berührt werden.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine Verfahrensverzögerung auch durch eine Ad-hoc-Entscheidung des Präsidenten bzw Vorstehers nicht vermieden werden könnte. Zunächst wäre die Erreichbarkeit des Präsidenten bzw einer seiner Stellvertreter nicht allzeit, insbesondere nicht bei großen Wirtschaftsstrafverfahren, deren Verhandlungen sich oft bis in die späten Abendstunden ziehen, gewährleistet. Ein präsidialer Journaldienst besteht ebenfalls nicht, sodass eine Entscheidung ohne längerfristige Unterbrechung des Verfahrens nicht garantiert werden könnte. Darüber hinaus verfügt der Präsident bzw Vorsteher oder deren jeweiliger Vertreter idR auch über keine Aktenkenntnis, was eine Ad-hoc-Entscheidung über relevierte Befangenheits- oder Ausgeschlossenheitsgründe unmöglich machen würde. Es würde vielmehr ein umfassendes Aktenstudium erforderlich werden, das zu einer Verzögerung des Fortgangs der Hauptverhandlung führen würde.

Auch dem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG wird durch die Regelung des §45 Abs1 StPO besonders Rechnung getragen. Dies wurde auch schon durch den Verfassungsgerichtshof bestätigt, der eine im Gerichtsorganisationsgesetz (§§28, 22 Abs3 GOG) enthaltene Regelung, nach der bei einem Ablehnungsantrag (ohne dass die Berechtigung des Antrages zu prüfen wäre) eine Übertragung an einen anderen Richter im Wege der Justizverwaltung vorgesehen war, als dem Art87 Abs3 B-VG widersprechend aufhob. Den Prozessparteien sollte nicht die Möglichkeit zukommen, einen an sich zuständigen Richter durch einen 'unbegründeten Ablehnungsantrag' an der Entscheidungsfindung zu hindern (VfSlg 3511/1959, ÖJZ1959, 472; Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO §45 Rz 1).

Der skizzierte Regelungszusammenhang macht deutlich, dass die monierte Ungleichbehandlung von unmittelbar vor oder während der Verhandlung gestellten Ablehnungsanträgen weder überschießend noch unverhältnismäßig ist, sodass die angefochtene Sonderregelung sohin eine sachliche Rechtfertigung aufweist.

3. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass der angefochtene Teil der Bestimmung bzw die Bestimmung als Ganze nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind."

1.3. In den zu G119/2023 ua beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren äußerte sich die Bundesministerin für Justiz zu dem Antrag des Antragstellers auf Aufhebung des §45 und §238 StPO sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht:

"IV. Zur Anfechtung der§§45 und 238 StPO:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung zu den Prozessvoraussetzungen von Normenkontrollverfahren stets vom Grundgedanken aus, dass ein solches Verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl zB VfSlg 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008). Unzulässig ist ein Antrag daher auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 13.299/1992, 14.740/1997, 16.191/2001, 19.496/2011, 19.824/2013).

1.2. Letzteres trifft auf den Hauptantrag zu:

Bei Aufhebung des Worts 'erkennende' in §45 Abs1 zweiter Satz StPO, des Worts 'nicht' in §45 Abs3 StPO, des§238 Abs2 StPO sowie des Worts 'nicht' in §238 Abs3 StPO wäre entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht aus §43 Abs1 Z3 StPO zu schließen, dass der abgelehnte Richter nicht mitwirken dürfte, und die Entscheidung über den Ablehnungsantrag unter 'Rückgriff auf allgemeine Zuständigkeitsregelungen zu klären' wäre (vgl Rz 118 des Antrags). Ebenso wenig würde – wie der Antragsteller vorbringt – 'stets die Regelung in §45 Abs1 erster Satz StPO' greifen und somit die Entscheidungskompetenz bei jenem Richter liegen, dem die Ausschließung nach §44 Abs2 StPO anzuzeigen ist.

Die in §43 Abs1 StPO vorgenommene Differenzierung zwischen jenen äußeren Umständen, die ausdrücklich aufgezählt werden (Z1 und Z2) und der Generalklausel der Z3 zeigt, dass das Gesetz die Ausgeschlossenheit, die allein aus einer bestimmten Stellung folgt, abschließend regelt (Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§43-47 Rz 5). Vor diesem Hintergrund wäre ein Rückgriff auf die Generalklausel des §43 Abs1 Z3 StPO nicht schon aus der Stellung des Richters als erkennendes Gericht in der Hauptsache zulässig.

Da sich die StPO bei Verwendung des Begriffs des Gerichts weitestgehend auf das erkennende Gericht bezieht (vgl nur exemplarisch §210 Abs2, §213 Abs1, §258 Abs1 StPO), würde dies – auch bei Streichung des Wortes 'erkennende' – gleichermaßen für§45 Abs1 StPO gelten. Dass die Entscheidungskompetenz darüber hinaus nicht bei jenem Richter liegen würde, dem die Ausschließung nach §44 Abs2 StPO anzuzeigen ist, ergibt sich überdies aus dem weiterhin geltenden dritten Satz des §45 Abs1 StPO. So beginnt §45 Abs1 dritter Satz StPO mit der Wortfolge 'Gleiches gilt' und bezieht sich dann wiederum auf jenen Fall, in dem eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung möglich ist.

Die Aufhebung der im Hauptantrag beantragten Worte bzw Bestimmungen hätte damit keine Auswirkung auf die Rechtsposition des Antragstellers.

1.3. Aus diesen Gründen ist die Bundesministerin für Justiz der Auffassung, dass der Hauptantrag unzulässig ist.

2. In der Sache:

2.1. Die Bedenken des Antragstellers zu §45 StPO im Hinblick auf eine Verletzung des Art6 EMRK sowie des Art7 B-VG und Art2 StGG entsprechen im Wesentlichen jenen, die der Antragsteller im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G299/2022 vorbringt. Die Bundesministerin für Justiz teilt die Ausführungen der Bundesregierung in deren zu diesem Verfahren erstatteten Äußerung und erhebt diese hinsichtlich der Ausführungen in der Sache zur Gänze zum Inhalt ihrer Äußerung im gegenständlichen Verfahren.

2.2. Da §238 StPO für die Behandlung von in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen im Wesentlichen dieselbe rechtliche Vorgehensweise festlegt, die explizit auch nach §45 StPO vorgesehen ist, hätte eine Beschränkung der Aufhebung auf §45 StPO keine Auswirkungen auf die durch den Antragsteller behauptete Rechtsverletzung. Vor diesem Hintergrund bekämpft der Antragsteller auch §238 StPO, wobei sich seine Bedenken mit den bereits zu §45 StPO vorgebrachten decken. Die Bundesministerin für Justiz erhebt folglich die Äußerung der Bundesregierung im Verfahren G299/2022 auch hinsichtlich der Rechtslage und der Ausführungen in der Sache zur Gänze zum Inhalt ihrer Äußerung zur Verfassungswidrigkeit des §238 StPO im gegenständlichen Verfahren.

2.3. Ergänzend nimmt die Bundesministerin für Justiz zu den Bedenken im Hinblick auf Art13 EMRK wie folgt Stellung:

2.3.1. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, dass der Ausschluss eines selbständigen Rechtsmittels in §45 Abs3 StPO sowie §238 Abs3 StPO das Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art13 EMRK verletzt.

2.3.2. Das Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art13 EMRK zählt zu den Verfahrensgarantien der EMRK und hat den Zweck, die Durchsetzbarkeit der übrigen Rechte der EMRK sicherzustellen (Lukan in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art13 EMRK Rz 1). Für die Anwendbarkeit des Art13 EMRK ist nicht erforderlich, dass eine Verletzung eines Konventionsrechts tatsächlich feststeht. Vielmehr genügt die vertretbare Behauptung einer Verletzung (Lukan in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art13 EMRK Rz 6).

Art13 EMRK erfordert die Möglichkeit einer faktisch und rechtlich wirksamen Beschwerde gegen die Rechtsverletzung. Bei der Ausgestaltung des Rechtsmittels verfügen die Konventionsstaaten über einen gewissen Gestaltungsspielraum. Die Beschwerde muss für den Einzelfall adäquat ausgestaltet sein. Die nationale Instanz muss eine Sachentscheidung über den Inhalt der Beschwerde treffen und im Fall der Verletzung angemessene Abhilfe schaffen können (Lukan in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art13 EMRK Rz 8 ff; EGMR , Soering, EuGRZ1989, 324; , Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; , Chahal, ÖJZ1997, 632ff [636]; , Jabari, ÖJZ 2002, 37ff [39]).

Die Anforderungen an die Wirksamkeit des Rechtsmittels sind je nach den mit der Grundrechtsverletzung verbundenen Folgen und der Reversibilität differenziert zu betrachten. So wird eine besonders rasche Beschwerdemöglichkeit bzw eine aufschiebende Wirkung vor allem dann erforderlich sein, wenn die Gefahr eines irreversiblen Schadens besteht (vgl Muzak, B-VG6 Art13 EMRK Rz 3).

2.3.3. Die Bundesministerin für Justiz verweist auf die Äußerung der Bundesregierung im Verfahren G299/2022, in welcher bereits dargelegt wird, dass dem von einer Entscheidung des erkennenden Gerichts nach §45 Abs1 StPO Betroffenen umfassender Rechtsschutz zusteht: Ungeachtet einer ablehnenden Entscheidung des erkennenden Gerichts nach §45 Abs1 zweiter Satz StPO hat der Betroffene die Möglichkeit, mittels Nichtigkeitsbeschwerde nach §281 Abs1 Z1 StPO die Ausgeschlossenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters geltend zu machen (sog Besetzungsrüge). Der zuvor abweisenden Entscheidung über den Ablehnungsantrag kommt für die Prüfung des Beschwerdeverbringens keine bindende Wirkung zu (RIS-Justiz RS0125766; Lässig in Fuchs/Ratz, WK StPO §45 Rz 13; Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO §281 Rz 131; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I2 §45 Rz 5). Im Übrigen sind in der Hauptverhandlung getroffene Entscheidungen über Ablehnungsanträge zwar nicht (mehr) Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde; die Abweisung eines Antrags auf Erhebungen zum Nachweis von Ausgeschlossenheit (§43 StPO) kann jedoch Nichtigkeit nach §281 Abs1 Z4 StPO bewirken (vgl RIS-Justiz RS0124803 [T2] [T3]).

Soweit ein Antrag nach §238 StPO in der Hauptverhandlung nicht erledigt oder abgewiesen wird, steht dem Beteiligten im Übrigen die Möglichkeit offen, das Urteil aus dem Nichtigkeitsgrund des §281 Abs1 Z4 StPO anzufechten (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §238 Rz 13; Wiesinger in LiK, StPO §238 Rz 16).

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Garantien des Art13 EMRK aus Sicht der Bundesministerin für Justiz somit sowohl im Hinblick auf §45 StPO als auch auf §238 StPO durch das Rechtsschutzsystem ausreichend gewahrt. Dass die Bestimmungen die Möglichkeit eines selbständigen, die weitere Verhandlung hemmenden Rechtsmittels ausschließen, schadet dabei nicht. So droht dem Betroffenen bei (zeitlich späterem) Aufgreifen seiner Beschwerdepunkte mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil kein irreversibler Schaden. Nicht zuletzt unter Berücksichtigung des in Art6 EMRK verankerten Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer (auch der anderen Angeklagten) und der in §13 StPO verankerten Konzentrationsmaxime ist der Ausschluss eines die Verhandlung hemmenden Rechtsmittels sachgerecht. Soweit der Antragsteller weiters auf die unterschiedliche Regelung in §23 der Jurisdiktionsnorm, RGBl Nr 111/1895, in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle 2022, BGBl I Nr 61/2022, verweist, bleibt anzumerken, dass der Österreichische Zivilprozess bereits aufgrund des dort vorherrschenden Dispositionsgrundsatzes grundlegend anders ausgestaltet ist, als der Strafprozess (vgl Fucik in Fasching/Konecny3 111/2 §405 ZPO Rz 1 ff), womit auch der Vergleich im Hinblick auf die Ablehnung des Richters und der diesbezüglich vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten nicht tauglich erscheint.

3. Zusammenfassend sind daher die §§45 und 238 StPO nach Ansicht der Bundesministerin für Justiz nicht verfassungswidrig."

2. Zur Anfechtung des §58 Abs3 Z2 und §58 Abs3a StGB

2.1. Die Antragsteller in den beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G316/2022, G319/2022 ua sowie G119/2023 ua protokollierten Verfahren legen ihre Bedenken gegen §58 Abs3 Z2 StGB zusammengefasst wie folgt dar:

§58 Abs3 Z2 StGB verstoße gegen Art6 EMRK und das Rechtsstaatsprinzip des Art18 B-VG. Art6 Abs1 EMRK garantiere jedermann das Recht auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist. Insbesondere in Strafverfahren solle die Ungewissheit des Angeklagten über den Verfahrensausgang möglichst kurz gehalten werden. Im Einzelfall werde die angemessene Verfahrensdauer anhand der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers, des Verhaltens der Behörde im Verfahren sowie der Bedeutung der Sache für die Partei beurteilt. Einfachgesetzlich sei das Beschleunigungsgebot in §9 StPO geregelt.

Je länger ein Verfahren dauere, desto weniger bestünden Erinnerungen und Beweismittel, was die Wahrheitserforschung beeinträchtige. Es bestehe unweigerlich die Gefahr, dass länger zurückliegende Beweismittel in Vergessenheit gerieten oder weniger greifbar würden. Hinzu trete die immer stärker werdende Belastung für die Beschuldigten. Aus diesem Grund werde auf die Dauer eines Strafverfahrens ein besonderes Augenmerk gelegt. Durch das in Art6 Abs1 EMRK garantierte Recht auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist würden die Konventionsstaaten verpflichtet, ihre Gerichtsorganisation so auszugestalten, dass eine Verfahrensbeendigung binnen dieser Frist möglich sei. Der Staat sei nicht nur für Verzögerungen des Gerichtes, sondern auch für jene der anderen Staatsorgane verantwortlich.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führe keine Prüfung anhand starrer Kriterien durch, sondern stelle je nach Einzelfall auf die Gesamtverfahrensdauer ab. In einer Gesamtschau zeige sich, dass der Gerichtshof Verfahren, die länger als fünf Jahre dauerten, nur in seltenen Fällen als angemessen beurteile. Dies gelte selbst dann, wenn eine besondere Komplexität des Falles grundsätzlich eine längere Verfahrensdauer rechtfertige. Das vorliegende Ermittlungsverfahren dauere bereits über zehn Jahre. Eine Verjährung sei wegen der angefochtenen Bestimmung bisher nicht eingetreten und könne auch in den kommenden Jahren nicht eintreten.

Seit der Einbringung der Anklageschrift stünde den Antragstellern keine Möglichkeit zur Verfügung, sich effektiv gegen die überlange Verfahrensdauer zur Wehr zu setzen; diese könne nur mehr im Rahmen der Strafzumessung nach §34 Abs2 StGB berücksichtigt werden. Es sprächen gute Gründe dafür, dass die Festlegung von absoluten Verjährungsfristen verfassungsrechtlich geboten sei. Dies zeige auch ein Blick auf die deutsche Rechtslage, wonach das vorliegende Verfahren gemäß §78c Abs3 des deutschen Strafgesetzbuches bereits einzustellen gewesen wäre, weil das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist bereits verstrichen sei. Die angefochtene Bestimmung sei verfassungswidrig, weil dadurch die an sich vorgesehenen Verjährungsfristen ausgehöhlt würden.

Darüber hinaus verstoße die angefochtene Bestimmung auch gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes, weil der Gesetzgeber in anderen Materien, insbesondere auch im Verwaltungsstrafrecht, Regelungen vorgesehen habe, die eine "unendliche" Ablaufhemmung der Verjährungsfrist unterbänden. Das Verwaltungsstrafrecht kenne damit absolute Fristen, während im gerichtlichen Strafrecht nur im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Einzelfall zu prüfen sei, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliege. Es sei einzuräumen, dass gerichtliche (Wirtschafts-)Strafverfahren oftmals länger dauerten als Verwaltungsstrafverfahren; diesem Umstand werde aber bereits durch die längeren Verjährungsfristen im Kriminalstrafrecht Rechnung getragen.

In den zu G119/2023 ua geführten Verfahren ficht der Antragsteller auch §58 Abs3a StGB an. Diese Bestimmung bewirke in Verbindung mit §58 Abs3 Z2 StGB, dass sich an einer einmal eingetretenen Verjährungshemmung selbst dann nichts ändere, wenn es zu einer Gesetzesänderung komme. Selbst im Fall einer Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB durch den Verfassungsgerichtshof bleibe die Verjährungshemmung weiter wirksam. Darüber hinaus sei §58 Abs3a StGB mit einer eigenständigen Verfassungswidrigkeit belastet, weil im Fall einer Aufhebung des §58 Abs3 StGB durch die Bestimmung des §58 Abs3a StGB die Normbereinigungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes unterlaufen werde. Dies widerspreche den in Art140 (Abs7) B-VG vorgesehenen Rechtsfolgen (vgl VfSlg 16.327/2001).

2.2. Die Bundesregierung hat sich in keinem Verfahren zur Anfechtung des §58 Abs3 Z2 StGB geäußert.

2.3. Die Staatsanwaltschaft Wien erstattete im Verfahren G316/2022 als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie zur Zulässigkeit des Antrages Stellung bezieht und den Bedenken im Wesentlichen wie folgt entgegentritt:

"I. Zur Rechtslage:

1. […]

Die – für den vorliegenden Parteiantrag allein maßgebliche – Verfolgungsverjährung gemäß §57 Abs2 StGB hat das Erlöschen der Strafbarkeit der Tat zur Folge. Ihre Notwendigkeit ergibt sich (jedenfalls für die meisten Taten) aus einer Verringerung des Strafbedürfnisses mit zunehmendem zeitlichem Abstand von der Tat (vgl Schallmoser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] Vorbemerkungen zu den §§57 bis 60 Rz 12). Spezialpräventive Aspekte zur Vermeidung künftiger Rechtsbrüche treten bei langem Wohlverhalten nach der Tat in den Hintergrund und generalpräventive Aspekte entfallen mit zunehmendem Verblassen der Erinnerung an die Straftat (Marek in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §§57 bis 60 Rz 3).

Ergänzend spielen prozessuale Überlegungen eine Rolle: Nach einer langen Zeitspanne zwischen der Tatbegehung und dem Strafverfahren ist häufig die Beweisführung erschwert; damit geht wiederum eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung einher. Dem österreichischen Strafrecht wohnt außerdem insgesamt das Ziel inne, dass strafrechtliche Vorwürfe vom Staat nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden können sollen (Schallmoser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] Vorbemerkungen zu den §§57 bis 60 Rz 14).

3.2. Die Verfolgungsverjährung stellt einen materiellen Strafaufhebungsgrund dar, der amtswegig zu berücksichtigen ist und dessen Eintritt zu einem Freispruch bzw zu einer Einstellung des Verfahrens führt. Ein Gericht ist daher verpflichtet, entsprechende Feststellungen zu treffen, wenn das in der Hauptverhandlung hervorgekommene Sachverhaltssubstrat die Verjährungsfrage indiziert. Die Außerachtlassung der Verjährungsfrage führt zu materieller Nichtigkeit nach §281 Abs1 Z9 litb StPO (Schallmoser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] §57 Rz 44 f).

Maßgeblich für die Verfolgungsverjährung sind die gesetzlichen Strafdrohungen. Nach ihnen bestimmt sich, ob Verjährung überhaupt eintreten kann bzw welche Verjährungsfrist zur Anwendung kommt (Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 §57 Rz 3). Bestimmte strafbare Handlungen sind unverjährbar, nämlich solche, die mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, sowie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (§57 Abs1 erster Satz – Verjährungsausschluss; Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 §57 Rz 6). Bei den übrigen strafbaren Handlungen hebt der Ablauf der Verjährungsfrist die Strafbarkeit auf (Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 §57 Rz 10).

Es werden insgesamt fünf Fristen unterschieden (20, zehn, fünf und drei Jahre sowie ein Jahr; siehe dazu §57 Abs3 StGB). Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat (§57 Abs2 Satz 2 StGB) und zwar an dem Tag, der dem Tag der Beendigung des strafbaren Verhaltens nachfolgt (Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 §57 Rz 11).

3.3. Das StGB baut auf dem System der relativen Verjährung auf. Demnach können die Verjährungsfristen gemäß §57 StGB bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §58 StGB durch Hemmung verlängert werden. Wesensmerkmal der Hemmung ist, dass der noch nicht abgelaufene Teil der Frist nach Wegfall der Voraussetzungen weiterläuft (Schallmoser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] Vorbemerkungen zu den §§57-60 Rz 18, 20). §58 Abs1 und 2 StGB normiert eine Ablaufhemmung, Abs3 eine Fortlaufhemmung der Verjährungsfrist (Marek in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §58 Rz 1).

3.3.1. §58 Abs1 StGB sieht eine Ablaufhemmung für den Fall des zeitlichen Auseinanderfallens von Täterverhalten und Erfolgseintritt vor: Tritt ein zum Tatbild gehörender Erfolg erst ein, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, endet die Verjährungsfrist nicht, bevor sie entweder auch vom Eintritt des Erfolges ab verstrichen ist oder seit dem im §57 Abs2 StGB bezeichneten Zeitpunkt ihr Eineinhalbfaches, mindestens aber drei Jahre abgelaufen sind.

3.3.2. §58 Abs2 StGB sieht eine Ablaufhemmung für den Fall vor, dass der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht. In diesem Fall verlängert sich die Verjährungsfrist der Ersttat bis zu jenem Zeitpunkt, in dem auch die Zweittat verjährt ist.

3.3.3. §58 Abs3 StGB legt Zeiten fest, die in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet werden.

3.3.3.1. §58 Abs3 Z1 StGB bezieht sich auf Zeiten gesetzlicher Verfolgungshindernisse.

3.3.3.2. Der mit dem Hauptantrag angefochtene §58 Abs3 Z2 StGB regelt den für die Praxis bedeutsamen Fall der Fortlaufhemmung der Verjährung ab einem der in dieser Bestimmung genannten Verfahrensschritte in einem laufenden Strafverfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten wegen einer bestimmten Tat (vgl Tipold in Leukauf/Steininger, StGB §58 Rz 18; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 §58 Rz 5), die zu einer Fortlaufhemmung der Verjährung führen. Diese Hemmung gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens (Schallmaser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] §58 Rz 67 ff).

3.3.3.3. Gemäß §58 Abs3 Z3 StGB wird in die Verjährungsfrist die Zeit bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres eines Opfers einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung nicht eingerechnet, wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war.

3.3.3.4. §58 Abs3 Z4 StGB bezieht sich auf Zeiten im Zusammenhang mit diversionellem Vorgehen.

3.4. §58 Abs3 Z2 StGB stellte seit seiner Einführung mit Inkrafttreten des StGB bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl 1 Nr 93/2007 bezüglich der Fortlaufhemmung auf jene Zeit ab, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei Gericht anhängig war. Auf Grund der Neuregelung des Vorverfahrens durch das Strafprozessreformgesetz, BGBl 1 Nr 19/2004, konnte jedoch nicht weiter auf die Gerichtsanhängigkeit abgestellt werden, da das Ermittlungsverfahren seither – abgesehen von punktuellen gerichtlichen Entscheidungen oder Beweisaufnahmen – von der Staatsanwaltschaft geleitet wird. In rechtstechnischer Hinsicht wurde der Anfang der Hemmung jedoch nicht an den Beginn des Strafverfahrens geknüpft (§1 Abs2 StPO: erste Ermittlung oder erstmalige Anwendung von Zwang gegen den Beschuldigten), sondern wurde ein Katalog von Verfahrenshandlungen, welche die Hemmung auslösen, vorgesehen (vgl Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB' §58 Rz 5). Dies betraf die Zeit zwischen der erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter (§§164, 165 StPO), der Ergreifung von Fahndungsmaßnahmen durch die Staatsanwaltschaft (§168 Abs1 StPO) oder der erstmaligen Androhung oder Ausübung von Zwang gegen den Täter (§§93 Abs1, 105 Abs1 StPO) wegen der Tat und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens.

Durch das Zweite Gewaltschutzgesetz 2009, BGBl I Nr 40/2009, wurde §58 Abs3 Z2 StGB um einige Tatbestände erweitert, da sich in der praktischen Anwendung der Bestimmung zeigte, dass die bis dahin geltende Rechtslage nicht alle Fälle erfasste, in welchen die Hemmung des Fortlaufs der Verjährungsfrist rechtspolitisch geboten war. So konnte die Staatsanwaltschaft den Eintritt der Verjährung etwa dann nicht verhindern, wenn sie erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist Kenntnis von einer Straftat erlangte, der Beschuldigte nicht rechtzeitig für eine Vernehmung zur Verfügung stand bzw nicht rechtzeitig unter Androhung von Zwang geladen werden konnte und die Anwendung von Zwangsmitteln nicht angebracht bzw unverhältnismäßig war (ErIRV 678 BIgNR XXIII.GP, 23). Um dieser Problematik zu begegnen, wurde daher vorgesehen, dass zusätzlich zu den bestehenden Tatbeständen auch alle Maßnahmen nach dem 8. Hauptstück der StPO, der Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft sowie das Einbringen der Anklage die Fortlaufhemmung auslösen.

Zuletzt wurde §58 Abs3 Z2 StGB durch das Strafrechtliche EU-Anpassungsgesetz 2021, BGBl I Nr 94/2021, dahingehend geändert, dass auch bestimmte Maßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft eine Fortlaufhemmung bewirken.

3.5. §58 Abs3a StGB:

Mit dem StRÄG 2015 (BGBl 12015/112) wurde in einem neuen Abs3a das allgemeine Prinzip eingeführt, dass eine nach früherem Recht rechtzeitig eingetretene Hemmung der Verjährung durch günstigere neue Bestimmungen nicht rückwirkend unwirksam wird. Wäre durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Verjährungshemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen, so bleibt die einmal eingetretene Hemmung der Verjährung dennoch wirksam (Marek in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §58 Rz 35 mwN).

Das StRÄG 2015 enthält eine Übergangsbestimmung für Taten, derentwegen am bereits ein Ermittlungsverfahren anhängig war (Art12 §2): für die Berechnung der Verjährungsfrist dieser Taten nach §57 Abs3, §58 StGB sind noch die zum geltenden Strafdrohungen heranzuziehen. So soll vermieden werden, dass bereits strafrechtlich verfolgte Taten nicht mehr geahndet werden können, weil sie aufgrund einer Strafrahmenreduzierung mit nunmehr unter günstigere Verjährungsbestimmungen fallen und damit verjährt sein würden (Schallmoser in SbgK §58 Rz 111).

Der Verfassungsgerichtshof hat einen Parteienantrag auf Normenkontrolle, in dem die Verfassungswidrigkeit des §58 Abs3a StGB und der genannten Übergangsbestimmung behauptet worden war, abgewiesen (vgl Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , G368/2020, G370/2020).

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014).

Der vorliegende Antrag enthält keine (inhaltliche) Begründung der Eventualanträge. Vor dem Hintergrund der im Zusammenhang mit dem Hauptantrag dargelegten Bedenken des Antragstellers ist für die Staatsanwaltschaft Wien auch nicht ersichtlich, dass zwischen den mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen und den darüber hinaus gehenden, mit den Eventualanträgen angefochtenen Bestimmungen ein untrennbarer Zusammenhang bestünde. Somit fehlt bezüglich der Eventualanträge die Darlegung der sie tragenden Bedenken.

Aus den zur Stützung des Hauptantrages geäußerten Bedenken zu einem Verstoß gegen das 'Rechtsstaatsprinzip' des Art18 B-VG geht darüber hinaus nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, inwiefern die mit der angefochtenen Bestimmung gesetzlich verankerte Verlängerung der Verfolgungsverjährung zur genannten Verfassungsbestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Auffassung sprechen würden.

2.2. Im Umfang der vom Antragsteller hinsichtlich des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer (Art6 EMRK) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG, Art2 StGG) dargelegten Bedenken sind der Staatsanwaltschaft Wien keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Hauptantrages oder die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sprächen.

III. In der Sache:

Die Staatsanwaltschaft Wien verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012, 20.433/2020). Die Staatsanwaltschaft Wien beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK:

1.1. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, die angefochtene Bestimmung verletze das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist insofern, als die in §57 StGB vorgesehenen Verjährungsfristen durch die in §58 Abs3 Z2 StGB vorgesehene Fortlaufhemmung für die Dauer vom Beginn des Ermittlungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 'ausgehöhlt' würden. Indem die angefochtene Bestimmung den Behörden de facto eine beliebige Zeitspanne bis zur rechtskräftigen Verfahrensbeendigung zubillige, konterkariere der Gesetzgeber das im StGB verankerte System der Verjährung, wonach der staatliche Verfolgungs- und Strafbarkeitsanspruch nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Begehung der Straftat bestehen solle. Da dem Angeklagten nach Einbringung der Anklageschrift nach dem StGB und der StPO keine Möglichkeiten mehr zur Verfügung stünden, sich effektiv gegen eine überlange Verfahrensdauer zur Wehr zu setzen, sei die Festlegung von absoluten Verjährungsfristen verfassungsrechtlich geboten.

Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lasse sich zwar aufgrund der Einzelfallbetrachtung keine fixe Obergrenze für eine zulässige Verfahrensdauer entnehmen. In einer Gesamtschau der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeige sich aber, dass Verfahren die länger als fünf Jahre andauern würden, nur in seltenen Fällen als angemessen angesehen worden seien. Dies gelte selbst dann, wenn eine besondere Komplexität des Falles im Hinblick auf Sach- und Rechtslage grundsätzlich eine längere Verfahrensdauer rechtfertige.

1.2. Nach Art6 Abs1 EMRK hat das Gericht 'innerhalb einer angemessenen Frist' zu entscheiden. Der Zweck des Rechts auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist besteht darin, den Einzelnen, insbesondere in Strafverfahren, davor zu schützen, zu lange in einem Zustand der Ungewissheit über sein Schicksal zu verharren. Die Garantie ist aber auch Bestandteil des Gebots effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes, wenngleich es in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen Aspekten eines fairen Verfahrens steht, zumal jedes zusätzlich ausgeübte Verfahrensrecht regelmäßig zu Verzögerungen führen kann (Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 84). Einerseits sollen Verfahrensrechte der vorn Strafverfahren Betroffenen nicht verkürzt und der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung beachtet werden. Andererseits muss das Verfahren in vertretbarer Zeit zu Ende geführt werden, will man die (belastende) Ungewissheit des Beschuldigten über den Ausgang erträglich halten. In diesem Licht ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer immer abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles und somit Einzelfallentscheidung (Kier in Fuchs/Ratz, WK StPO §9 Rz 2).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht als Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer die Schwierigkeit (Komplexität) des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und der Behörde im Verfahren sowie die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei heran. Auch die Anzahl der Instanzen und Verhandlungen ist dabei relevant (Muzak, B-VG6 Art6 EMRK Rz 29). Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung des Art6 EMRK, sondern nur Verzögerungen, die dem Staat zuzuschreiben sind (Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 85 f). Aus dem Gebot angemessener Verfahrensdauer folgert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung eine Pflicht des Staates, seine Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass Verfahren innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens abgeschlossen werden können (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 84). Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist jedoch keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 85).

Einfachgesetzlich findet sich die Verpflichtung zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist im allgemeinen Beschleunigungsgebot des §9 StPO, dessen Abs1 zufolge – über den Anspruch des Beschuldigten auf Beendigung des Verfahrens innerhalb angemessener Frist hinaus – das Verfahren stets zügig und ohne unnötige Verzögerung durchzuführen ist. Genauer verpflichtet §9 Abs1 StPO die Staatsanwaltschaft bzw Kriminalpolizei zur effizienten Durchführung ihrer Ermittlungen, das Erstgericht zur zügigen Durchführung der Hauptverhandlung sowie zeitnahen Ausfertigung des Urteils und das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über ein Rechtsmittel innerhalb eines angemessenen Zeitraums (vgl McAllister in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK-StPO §9 Rz 4).

Verjährungsfristen dienen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mehreren wichtigen Zwecken, nämlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Endgültigkeit, dem Schutz potenzieller Angeklagter vor veralteten Ansprüchen, die möglicherweise schwer zu kontern sind, und der Verhinderung von Ungerechtigkeiten, die entstehen könnten, wenn Gerichte über Ereignisse auf Grundlage von Beweisen, die auf Grund des Zeitablaufs unzuverlässig und unvollständig geworden sein könnten, entscheiden müssten (EGMR , Stubbings ua, Appl 22083 und 22095/93, Rz 51; , Oleksandr Volkov, Appl 21722/11, Rz 137). Obgleich nicht feststeht, wie lange Verjährungsfristen zu sein haben, stellt ein gänzliches Fehlen einer Verjährungsfrist jedoch eine ernsthafte Bedrohung des Grundsatzes der Rechtssicherheit dar (EGMR, Oleksandr Volkov, Rz 139).

1.3. Vor diesem Hintergrund ist für die Staatsanwaltschaft Wien nicht ersichtlich, wie die angefochtene Bestimmung das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzen könnte.

Gesetzliche Verjährungsfristen dienen anderen Zwecken als der Sicherstellung einer angemessenen Verfahrensdauer, mögen sie die Strafverfolgungsbehörden im Ergebnis durchaus auch zu einem zeitnahen Tätigwerden anhalten (vgl Schallmoser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] Vorbemerkungen zu den §§57 bis 60 Rz 14). Eine – allenfalls im Einzelfall vorliegende – überlange Verfahrensdauer ist bereits prinzipiell nicht in der Regelung des §58 Abs3 Z2 StGB begründet (sondern ist allenfalls Fehlern bzw Verzögerungen auf Vollziehungsebene geschuldet). Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wien kann die angefochtene Bestimmung per se daher bereits ihrem Wesen nach keine Verletzung des Rechts auf Entscheidung binnen angemessener Frist bewirken.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom zu G385/2020 ua die Behandlung eines Antrags auf Aufhebung des §58 StGB mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt. Der Antragsteller hatte behauptet, §58 StGB verstoße gegen Art6 EMRK, weil diese Bestimmung dem Telos des Art6 EMRK, ein Verfahren innerhalb angemessener Zeit zu beenden, entgegenstehe. Der Verfassungsgerichtshof stellte zunächst fest, dass das StGB in den §§57 und 58 ein nach Strafdrohungen abgestuftes, mitunter auch von prozessualen Erwägungen getragenes System der Verjährung der Strafbarkeit vorsieht. Dass §58 StGB für bestimmte Fälle, insbesondere für ein laufendes Verfahren (Abs3 Z2), die Hemmung der Verjährungsfrist vorsehe, komme nicht dem gänzlichen Fehlen einer Verjährungsfrist gleich. Vereinzelte Fälle überlanger Verfahrensdauer, in denen die Verjährung als Folge der langen Verfahrensdauer gehemmt sei, bedeuteten noch keinen Verstoß des Regelungssystems an sich gegen Art6 EMRK. Solche vereinzelten Fälle beträfen den Vollzug der Gesetze durch die Strafverfolgungsbehörden, führten jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Ein strukturelles Problem in der Verfahrensordnung sei nicht erkennbar.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wien liegt eine Verletzung des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist in Form einer 'Aushöhlung' der in §57 StGB vorgesehenen Verjährungsfristen durch die in §58 Abs3 Z2 StGB normierte Fortlaufhemmung somit nicht vor.

1.4. Soweit der Antragsteller einen Mangel an Rechtsschutzmöglichkeiten moniert, ist ihm entgegenzuhalten, dass er eine Verletzung des Art13 EMRK nicht geltend macht. Dessen ungeachtet ist nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wien ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet:

Neben den für den Bereich des Ermittlungsverfahrens zur Verfügung stehenden – und vom Antragsteller hervorgehobenen – Instrumenten des Antrags auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO und der Überprüfung der Dauer des Ermittlungsverfahrens gemäß §108a StPO besteht während des gesamten Strafverfahrens, sohin auch im Rahmen des gerichtlichen Hauptverfahrens, die Möglichkeit eines Fristsetzungsantrags gemäß §91 des Gerichtsorganisationsgesetzes – GOG, RGBl Nr 217/1896, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 343/1989. §91 GOG gewährt dem Angeklagten das Recht, bei Säumnis des Gerichts hinsichtlich der Vornahme einer Verfahrenshandlung einen an den übergeordneten Gerichtshof gerichteten Antrag (Fristsetzungsantrag) zu stellen, dem säumigen Gericht für die Vornahme der Verfahrenshandlung eine angemessene Frist zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist – auch im Bereich des gerichtlichen Strafverfahrens – der Fristsetzungsantrag gemäß §91 GOG grundsätzlich ein wirksames Rechtsmittel gegen gerichtliche Verfahrensverzögerungen (vgl EGMR , Talirz, Appl 37323/97; EGMR , Meidl, Appl 33951/05).

Bei bereits eingetretener Verletzung des Beschleunigungsgebotes sieht das Gesetz ausgleichende Maßnahmen vor. Dazu gehören insbesondere der Milderungsgrund gemäß §34 Abs2 StGB sowie der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß den §§363a bis 363c StPO (Herbst/Wess in Lewisch, Jahrbuch [2015] 237 [251]). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann im Falle einer unangemessen langen Verfahrensdauer wegen Verletzung des Art6 Abs1 EMRK eine Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung der §§363a ff StPO auch ohne vorhergehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erwirkt werden (, RS0122228).

Im Ergebnis stehen dem Antragsteller im Einklang mit Art13 EMRK sohin umfassende Rechtsbehelfe bzw Maßnahmen zur Verhinderung einer überlangen Verfahrensdauer im Strafverfahren bzw ausgleichende Maßnahmen zur Verfügung. Eine Verfassungswidrigkeit des §58 Abs2 Z3 StGB unter dem Blickwinkel des Art6 EMRK liegt nicht vor.

1.5. Soweit der Antragsteller eine überlange Verfahrensdauer infolge Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte rügt, macht er lediglich Vollziehungsfehler geltend. Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG jedoch nicht für die Korrektur von Vollziehungsfehlern der ordentlichen Gerichte zuständig, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Diesbezüglich ist der Rechtsschutz auf der Ebene des gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens geblieben (VfSlg 20.001/2015).

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:

2.1. Der Antragsteller hält die angefochtene Bestimmung im Lichte des Rechtsstaatsprinzips nach Art18 B-VG insofern für bedenklich, als §58 Abs3 Z2 StGB zu einer (theoretisch) unendlichen Fortlaufhemmung ('Verlängerung') der Verjährungsfrist führen könne. Mangels weiterer Begründung ist es für die Staatsanwaltschaft Wien nicht nachvollziehbar, worin die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips konkret gelegen sein soll.

Sollte der Antragsteller damit einen Verstoß gegen das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist oder einen Mangel an effektivem Rechtsschutz geltend machen, ist auf die Ausführungen unter Punkt III.1. zu verweisen.

Sollte sich der Antragsteller mit seiner Bezugnahme auf Art18 B-VG auf das Bestimmtheitsgebot berufen, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich §58 Abs3 Z2 StGB als inhaltlich ausreichend bestimmt erweist. Schon aus dem Wortlaut ist infolge ausdrücklicher Aufzählung alternativer Anknüpfungspunkte für den Beginn der Fortlaufhemmung sowie Festlegung des Endes derselben mit der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens klar erkennbar, welche Zeiten nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, worin ein Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot erblickt werden könnte.

3. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

3.1. Der Antragsteller führt einen Vergleich der Regelungen zur Verjährung im Kriminalstrafrecht mit jenen im Verwaltungsstrafrecht ins Treffen. Das Verwaltungsstrafrecht sehe absolute Fristen vor, während im gerichtlichen Strafrecht nur im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Einzelfall zu prüfen sei, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliege. Es sei zwar einzuräumen, dass gerichtliche Strafverfahren und insbesondere Wirtschaftsstrafverfahren aus guten Gründen oft länger als Verwaltungsstrafverfahren dauern würden, allerdings werde diesem Umstand ohnehin durch die per se längeren kriminalstrafrechtlichen Verjährungsfristen Rechnung getragen. §58 Abs3 Z2 StGB verstoße insofern gegen den Gleichheitssatz und widerspreche insofern dem Sachlichkeitsgebot, als der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen und insbesondere im Verwaltungsstrafrecht Regelungen vorgesehen habe, die eine unendliche Fortlaufhemmung ('Verlängerung') der Verjährungsfristen unterbinden würden.

3.2. Diesen Bedenken des Antragstellers ist zunächst entgegenzuhalten, dass das gerichtliche Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht unterschiedliche Ordnungssysteme darstellen, die (grundsätzlich) nicht miteinander vergleichbar sind. Bei der Regelung unterschiedlicher Ordnungssysteme ist nämlich jedes System für sich am Gleichheitssatz zu messen (vgl VfSlg 5727/1968, 7331/1974 uva.). Mit anderen Worten steht es der Gesetzgebung frei, sich in den einzelnen Bereichen der Verfahren für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahren adäquat Rechnung tragen, sofern nur die strittigen Regelungen in sich – dh jeweils für sich betrachtet – gleichheitsgemäß gestaltet sind (VfSlg 12.863/1991, 20.280/2018). Eine Gleichheitswidrigkeit liegt daher insoweit nicht vor.

Inwiefern die angefochtene Bestimmung andererseits dem Sachlichkeitsgebot widerspräche, führt der Antrag nicht aus. In Anbetracht des staatlichen Bedürfnisses nach wirksamer Strafrechtspflege ist auch nicht erkennbar, dass die Nichteinrechnung der Zeit zwischen der Setzung bestimmter Verfahrensschritte und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vor dem Hintergrund des ohnehin bestehenden allgemeinen Beschleunigungsgebotes unsachlich wäre.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Bestimmung nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Wien nicht verfassungswidrig ist."

2.4. Das Bundesministerium für Justiz erstattete in den beim Verfassungsgerichtshof zu G319/2022 ua und G119/2023 ua geführten Verfahren eine Äußerung zur Zulässigkeit des Antrages und zur Verfassungskonformität des §58 Abs3 Z2 und §58 Abs3a StGB:

"V. Zur Anfechtung des §58 Abs3 Z2 StGB sowie des §58 Abs3a StGB, in eventu des §58 StGB:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014).

Der vorliegende Antrag enthält keine (inhaltliche) Begründung der Eventualanträge. Vor dem Hintergrund der im Zusammenhang mit dem Hauptantrag dargelegten Bedenken des Antragstellers ist für die Bundesministerin für Justiz auch nicht ersichtlich, dass zwischen den mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen und den darüber hinaus gehenden, mit den Eventualanträgen angefochtenen Bestimmungen ein untrennbarer Zusammenhang bestünde. Somit fehlt bezüglich der Eventualanträge die Darlegung der sie tragenden Bedenken.

Aus den zur Stützung des Hauptantrages geäußerten Bedenken zu einem Verstoß gegen das 'Rechtsstaatsprinzip' des Art18 B-VG geht darüber hinaus nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, inwiefern die mit der angefochtenen Bestimmung gesetzlich verankerte Verlängerung der Verfolgungsverjährung zur genannten Verfassungsbestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Auffassung sprechen würden.

1.2. Im Umfang der vom Antragsteller hinsichtlich des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer (Art6 EMRK) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG, Art2 StGG) dargelegten Bedenken sind der Bundesministerin für Justiz keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Hauptantrages oder die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sprächen.

2. In der Sache:

Die Bundesministerin für Justiz verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012, 20.433/2020). Die Bundesministerin für Justiz beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

2.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK:

2.1.1. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, §58 Abs3 Z2 StGB verletze das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist insofern, als die in §57 StGB vorgesehenen Verjährungsfristen durch die in §58 Abs3 Z2 StGB vorgesehene Fortlaufhemmung für die Dauer vom Beginn des Ermittlungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 'ausgehöhlt' würden. Indem die angefochtene Bestimmung den Behörden de facto eine beliebige Zeitspanne bis zur rechtskräftigen Verfahrensbeendigung zubillige, konterkariere der Gesetzgeber das im StGB verankerte System der Verjährung, wonach der staatliche Verfolgungs- und Strafbarkeitsanspruch nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Begehung der Straftat bestehen solle. Dieses völlige Fehlen einer zeitlichen Beschränkung wiege umso schwerer, als es pauschal für alle Delikte des StGB (und vieler Nebengesetze) gelte, also auch für minderschwere Delikte wie bloße Vergehen. Da dem Angeklagten nach Einbringung der Anklageschrift nach dem StGB und der StPO keine Möglichkeiten mehr zur Verfügung stünden, sich effektiv gegen eine überlange Verfahrensdauer zur Wehr zu setzen, sei die Festlegung von absoluten Verjährungsfristen verfassungsrechtlich geboten. Eine gewisse Verlängerung der Verjährungsfrist bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens könne allenfalls von Verfassungs wegen zulässig sein, keinerlei wie immer geartete zeitliche Beschränkungen des Ermittlungsverfahrens nach Eintritt eines verjährungshemmenden Ereignisses seien aber jedenfalls unzulässig. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lasse sich zwar aufgrund der Einzelfallbetrachtung keine fixe Obergrenze für eine zulässige Verfahrensdauer entnehmen. In einer Gesamtschau der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeige sich aber, dass Verfahren die länger als fünf Jahre andauern würden, nur in seltenen Fällen als angemessen angesehen worden seien. Dies gelte selbst dann, wenn eine besondere Komplexität des Falles im Hinblick auf Sach- und Rechtslage grundsätzlich eine längere Verfahrensdauer rechtfertige.

Darüber hinaus sei §58 Abs3a StGB zur Bereinigung der Rechtslage mitanzufechten, da dieser in Kombination mit §58 Abs3 Z2 StGB bewirke, dass sich an einer einmal eingetretenen Hemmung nichts mehr ändere, selbst wenn es zu einer Gesetzesänderung kommen sollte. Dadurch werde auch die Normbereinigungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des VfGH unterlaufen, was der in Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG angeordneten Anlassfallwirkung widerspreche und verfassungswidrig sei.

2.1.2. Nach Art6 Abs1 EMRK hat das Gericht 'innerhalb einer angemessenen Frist' zu entscheiden. Der Zweck des Rechts auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist besteht darin, den Einzelnen, insbesondere in Strafverfahren, davor zu schützen, zu lange in einem Zustand der Ungewissheit über sein Schicksal zu verharren. Die Garantie ist aber auch Bestandteil des Gebots effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes, wenngleich es in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen Aspekten eines fairen Verfahrens steht, zumal jedes zusätzlich ausgeübte Verfahrensrecht regelmäßig zu Verzögerungen führen kann (Autengruber in Kahi/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 84). Einerseits sollen Verfahrensrechte der vom Strafverfahren Betroffenen nicht verkürzt und der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung beachtet werden. Andererseits muss das Verfahren in vertretbarer Zeit zu Ende geführt werden, will man die (belastende) Ungewissheit des Beschuldigten über den Ausgang erträglich halten. In diesem Licht ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer immer abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles und somit Einzelfallentscheidung (Kier in Fuchs/Ratz, WK StPO §9 Rz 2).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht als Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer die Schwierigkeit (Komplexität) des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und der Behörde im Verfahren sowie die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei heran. Auch die Anzahl der Instanzen und Verhandlungen ist dabei relevant (Muzak, B-VG6 Art6 EMRK Rz 29). Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung des Art6 EMRK, sondern nur Verzögerungen, die dem Staat zuzuschreiben sind (Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 85 f). Aus dem Gebot angemessener Verfahrensdauer folgert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung eine Pflicht des Staates, seine Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass Verfahren innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens abgeschlossen werden können (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 84). Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist jedoch keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (Autengruber in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art6 EMRK Rz 85).

Einfachgesetzlich findet sich die Verpflichtung zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist im allgemeinen Beschleunigungsgebot des §9 StPO, dessen Abs1 zufolge – über den Anspruch des Beschuldigten auf Beendigung des Verfahrens innerhalb angemessener Frist hinaus – das Verfahren stets zügig und ohne unnötige Verzögerung durchzuführen ist. Genauer verpflichtet §9 Abs1 StPO die Staatsanwaltschaft bzw Kriminalpolizei zur effizienten Durchführung ihrer Ermittlungen, das Erstgericht zur zügigen Durchführung der Hauptverhandlung sowie zeitnahen Ausfertigung des Urteils und das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über ein Rechtsmittel innerhalb eines angemessenen Zeitraums (vgl McAIlister in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK-StPO §9 Rz 4).

Verjährungsfristen dienen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mehreren wichtigen Zwecken, nämlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Endgültigkeit, dem Schutz potenzieller Angeklagter vor veralteten Ansprüchen, die möglicherweise schwer zu kontern sind, und der Verhinderung von Ungerechtigkeiten, die entstehen könnten, wenn Gerichte über Ereignisse auf Grundlage von Beweisen, die auf Grund des Zeitablaufs unzuverlässig und unvollständig geworden sein könnten, entscheiden müssten (EGMR , Stubbings ua, Appl 22083/93 und 22095/93, Rz 51; , Oleksandr Volkov, Appl 21722/11, Rz 137). Obgleich nicht feststeht, wie lange Verjährungsfristen zu sein haben, stellt ein gänzliches Fehlen einer Verjährungsfrist jedoch eine ernsthafte Bedrohung des Grundsatzes der Rechtssicherheit dar (EGMR, Oleksandr Volkov, Rz 139).

2.1.3. Vor diesem Hintergrund ist für die Bundesministerin für Justiz nicht ersichtlich, wie die angefochtene Bestimmung das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzen könnte.

Gesetzliche Verjährungsfristen dienen anderen Zwecken als der Sicherstellung einer angemessenen Verfahrensdauer, mögen sie die Strafverfolgungsbehörden im Ergebnis durchaus auch zu einem zeitnahen Tätigwerden anhalten (vgl Schallmaser in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [Dezember 2016] Vorbemerkungen zu den §§57 bis 60 Rz 14). Eine – allenfalls im Einzelfall vorliegende – überlange Verfahrensdauer ist bereits prinzipiell nicht in der Regelung des §58 Abs3 Z2 StGB begründet (sondern ist allenfalls Fehlern bzw Verzögerungen auf Vollziehungsebene geschuldet). Nach Auffassung der Bundesministerin für Justiz kann die angefochtene Bestimmung per se daher bereits ihrem Wesen nach keine Verletzung des Rechts auf Entscheidung binnen angemessener Frist bewirken.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom zu G385/2020 ua die Behandlung eines Antrags auf Aufhebung des §58 StGB mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt. Der Antragsteller hatte behauptet, §58 StGB verstoße gegen Art6 EMRK, weil diese Bestimmung dem Telos des Art6 EMRK, ein Verfahren innerhalb angemessener Zeit zu beenden, entgegenstehe. Der Verfassungsgerichtshof stellte zunächst fest, dass das StGB in den §§57 und 58 ein nach Strafdrohungen abgestuftes, mitunter auch von prozessualen Erwägungen getragenes System der Verjährung der Strafbarkeit vorsieht. Dass §58 StGB für bestimmte Fälle, insbesondere für ein laufendes Verfahren (Abs3 Z2), die Hemmung der Verjährungsfrist vorsehe, komme nicht dem gänzlichen Fehlen einer Verjährungsfrist gleich. Vereinzelte Fälle überlanger Verfahrensdauer, in denen die Verjährung als Folge der langen Verfahrensdauer gehemmt sei, bedeuteten noch keinen Verstoß des Regelungssystems an sich gegen Art6 EMRK. Solche vereinzelten Fälle beträfen den Vollzug der Gesetze durch die Strafverfolgungsbehörden, führten jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Ein strukturelles Problem in der Verfahrensordnung sei nicht erkennbar.

Nach Auffassung der Bundesministerin für Justiz liegt eine Verletzung des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist in Form einer 'Aushöhlung' der in §57 StGB vorgesehenen Verjährungsfristen durch die in §58 Abs3 Z2 StGB normierte Fortlaufhemmung somit nicht vor.

2.1.4. Soweit der Antragsteller einen Mangel an Rechtsschutzmöglichkeiten moniert, ist ihm entgegenzuhalten, dass er eine Verletzung des Art13 EMRK nicht geltend macht. Dessen ungeachtet ist nach Auffassung der Bundesministerin für Justiz ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet:

Neben den für den Bereich des Ermittlungsverfahrens zur Verfügung stehenden – und vom Antragsteller hervorgehobenen – Instrumenten des Antrags auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO und der Überprüfung der Dauer des Ermittlungsverfahrens gemäߧ108a StPO besteht während des gesamten Strafverfahrens, sohin auch im Rahmen des gerichtlichen Hauptverfahrens, die Möglichkeit eines Fristsetzungsantrags gemäß §91 des Gerichtsorganisationsgesetzes – GOG, RGBl Nr 217/1896, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 343/1989. §91 GOG gewährt dem Angeklagten das Recht, bei Säumnis des Gerichts hinsichtlich der Vornahme einer Verfahrenshandlung einen an den übergeordneten Gerichtshof gerichteten Antrag (Fristsetzungsantrag) zu stellen, dem säumigen Gericht für die Vornahme der Verfahrenshandlung eine angemessene Frist zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist – auch im Bereich des gerichtlichen Strafverfahrens – der Fristsetzungsantrag gemäß §91 GOG grundsätzlich ein wirksames Rechtsmittel gegen gerichtliche Verfahrensverzögerungen (vgl EGMR , Talirz, Appl 37323/97; EGMR , Meidl, Appl 33951/05).

Bei bereits eingetretener Verletzung des Beschleunigungsgebotes sieht das Gesetz ausgleichende Maßnahmen vor. Dazu gehören insbesondere der Milderungsgrund gemäß §34 Abs2 StGB sowie der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß den §§363a bis 363c StPO (Herbst/Wess in Lewisch, Jahrbuch [2015] 237 [251]). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann im Falle einer unangemessen langen Verfahrensdauer wegen Verletzung des Art6 Abs1 EMRK eine Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung der §§363a ff StPO auch ohne vorhergehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erwirkt werden (, RS0122228).

Im Ergebnis stehen dem Antragsteller im Einklang mit Art13 EMRK sohin umfassende Rechtsbehelfe bzw Maßnahmen zur Verhinderung einer überlangen Verfahrensdauer im Strafverfahren bzw ausgleichende Maßnahmen zur Verfügung. Eine Verfassungswidrigkeit des §58 Abs2 Z3 StGB unter dem Blickwinkel des Art6 EMRK liegt nicht vor.

2.1.5. Soweit der Antragsteller eine überlange Verfahrensdauer infolge Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte rügt, macht er lediglich Vollziehungsfehler geltend. Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG jedoch nicht für die Korrektur von Vollziehungsfehlern der ordentlichen Gerichte zuständig, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Diesbezüglich ist der Rechtsschutz auf der Ebene des gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens geblieben (VfSlg 20.001/2015).

2.1.6. Im Hinblick auf §58 Abs3a StGB bringt der Antragsteller vor, dass diese Regelung selbst im Falle der Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB durch den VfGH zur Folge hätte, dass die Verjährungshemmung weiterhin wirksam bleibt. Dadurch werde zum einen die aus den gegen §58 Abs3 Z2 StGB vorgebrachten Bedenken resultierende eigenständige Verfassungswidrigkeit des §58 Abs3a StGB konstituiert. Zum anderen sei §58 Abs3a StGB mit einer eigenständigen Verfassungswidrigkeit belastet, weil sie die Normbereinigungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des VfGH unterlaufe. Die Anfechtung des §58 Abs3a StGB sei erforderlich, um im Falle einer Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB von der in Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG angeordneten Anlassfallwirkung profitieren zu können. Hinsichtlich der behaupteten Verfassungswidrigkeit des §58 Abs3a StGB aufgrund der zu §58 Abs3 Z2 StGB vorgebrachten Bedenken ist auf die dazu oben dargestellten Entgegnungen zu verweisen.

Darüber hinaus ist die vom Antragsteller als Beispiel für ein die Rechtsfolgen verfassungsgerichtlicher Ergebnisse unterlaufendes Erkenntnis angeführte Entscheidung VfSlg 16.327/2001 mit dem gegenständlichen Sachverhalt in keiner Weise vergleichbar: So behandelte dieser Fall die Aufhebung der Verfassungsbestimmung des §126a BundesvergabeG 1997, BGBl I 56. In diesem Zusammenhang hielt der VfGH fest, dass diese Bestimmung – wenn auch aus einem konkreten Anlass heraus – eine umfassende Freizeichnung landesgesetzlicher Vorschriften über die Vergabekontrolle bewirken sollte, sodass die Bundesverfassung für diesen Teil der Landesrechtsordnungen ihre Funktion als Schranke für den Landesgesetzgeber verlieren sollte. Der VfGH führt weiters aus, dass es dem einfachen Verfassungsgesetzgeber nicht gestattet sei, die Bundesverfassung auch nur für einen Teilbereich der Rechtsordnung in ihrer Wirkung schlechthin zu suspendieren.

Die einfachgesetzliche Regelung des §58 Abs3a StGB soll bestehende verfassungsrechtliche Vorschriften keineswegs 'aushebeln'. Vielmehr sollte durch deren Einführung eine auf einfachgesetzlicher Ebene bestehende Meinungsdivergenz in der Judikatur einer abschließenden Lösung und insofern einer einheitlichen Anwendung bestehender Gesetze zugeführt werden. Eine bloße Aufhebung des §58 Abs3a StGB – ohne gleichzeitige Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB – hätte im konkreten Fall auch keinerlei Auswirkung auf die in Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG angeordnete Anlassfallwirkung. Ein Verstoß gegen Art6 EMRK (oder Art47 GRC) durch §58 Abs3a StGB liegt nicht vor.

2.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:

2.2.1. Der Antragsteller hält die angefochtene Bestimmung im Lichte des Rechtsstaatsprinzips nach Art18 B-VG insofern für bedenklich, als §58 Abs3 Z2 StGB zu einer (theoretisch) unendlichen Fortlaufhemmung ('Verlängerung') der Verjährungsfrist führen könne. Mangels weiterer Begründung ist es für die Bundesministerin für Justiz nicht nachvollziehbar, worin die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips konkret gelegen sein soll.

Sollte der Antragsteller damit einen Verstoß gegen das Recht auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist oder einen Mangel an effektivem Rechtsschutz geltend machen, ist auf die Ausführungen unter Punkt III.1. zu verweisen.

Sollte sich der Antragsteller mit seiner Bezugnahme auf Art18 B-VG auf das Bestimmtheitsgebot berufen, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich §58 Abs3 Z2 StGB als inhaltlich ausreichend bestimmt erweist. Schon aus dem Wortlaut ist infolge ausdrücklicher Aufzählung alternativer Anknüpfungspunkte für den Beginn der Fortlaufhemmung sowie Festlegung des Endes derselben mit der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens klar erkennbar, welche Zeiten nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, worin ein Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot erblickt werden könnte.

2.3. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

2.3.1. Der Antragsteller führt einen Vergleich der Regelungen zur Verjährung im Kriminalstrafrecht mit jenen im Verwaltungsstrafrecht ins Treffen. Das Verwaltungsstrafrecht sehe absolute Fristen vor, während im gerichtlichen Strafrecht nur im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Einzelfall zu prüfen sei, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliege. Es sei zwar einzuräumen, dass gerichtliche Strafverfahren und insbesondere Wirtschaftsstrafverfahren aus guten Gründen oft länger als Verwaltungsstrafverfahren dauern würden, allerdings werde diesem Umstand ohnehin durch die per se längeren kriminalstrafrechtlichen Verjährungsfristen Rechnung getragen. §58 Abs3 Z2 StGB verstoße insofern gegen den Gleichheitssatz und widerspreche insofern dem Sachlichkeitsgebot, als der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen und insbesondere im Verwaltungsstrafrecht Regelungen vorgesehen habe, die eine unendliche Fortlaufhemmung ('Verlängerung') der Verjährungsfristen unterbinden würden.

2.3.2. Diesen Bedenken des Antragstellers ist zunächst entgegenzuhalten, dass das gerichtliche Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht unterschiedliche Ordnungssysteme darstellen, die (grundsätzlich) nicht miteinander vergleichbar sind. Bei der Regelung unterschiedlicher Ordnungssysteme ist nämlich jedes System für sich am Gleichheitssatz zu messen (vgl VfSlg 5727/1968, 7331/1974 uva.). Mit anderen Worten steht es der Gesetzgebung frei, sich in den einzelnen Bereichen der Verfahren für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahren adäquat Rechnung tragen, sofern nur die strittigen Regelungen in sich – dh jeweils für sich betrachtet – gleichheitsgemäß gestaltet sind (VfSlg 12.863/1991, 20.280/2018). Eine Gleichheitswidrigkeit liegt daher insoweit nicht vor.

Inwiefern die angefochtene Bestimmung andererseits dem Sachlichkeitsgebot widerspräche, führt der Antrag nicht aus. ln Anbetracht des staatlichen Bedürfnisses nach wirksamer Strafrechtspflege ist auch nicht erkennbar, dass die Nichteinrechnung der Zeit zwischen der Setzung bestimmter Verfahrensschritte und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vor dem Hintergrund des ohnehin bestehenden allgemeinen Beschleunigungsgebotes unsachlich wäre.

2.4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen des §58 Abs3 Z2 und Abs3a StGB nach Ansicht der Bundesministerin für Justiz nicht verfassungswidrig sind."

3. Zur Anfechtung von §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020

3.1. Die Antragsteller in den beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G319/2022 ua, G88/2023 ua sowie G119/2023 ua protokollierten Verfahren legen ihre Bedenken gegen §9 Z3 1. COVID-19-JuBG sowie §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020 (in der Folge: COVID-19-VO), zusammengefasst wie folgt dar:

§3 COVID-19-VO habe in Konkretisierung des §9 Z3 1. COVID-19-JuBG angeordnet, dass die Frist des §276a StPO, der eine Wiederholung der Verhandlung für den Fall vorsehe, dass seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen seien, für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, angeordneten Betretungsverbote unterbrochen werde.

Die genannten Regelungen verstießen gegen Art6 EMRK. Zwar sei der strafprozessuale Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht explizit verfassungsrechtlich abgesichert, jedoch lasse sich dieser auf das Recht auf ein faires Verfahren zurückführen. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz schaffe nämlich die Voraussetzungen dafür, dass andere explizit gewährleistete Verfahrensgarantien eingehalten werden könnten. Dahinter stehe der Gedanke, dass die Wahrheitserforschung erfahrungsgemäß am besten anhand einer direkten Wahrnehmung der Beweise seitens des erkennenden Gerichtes gewährleistet werde. Die direkte und eigene Wahrnehmung sei jedoch nur zielführend, wenn das erkennende Gericht diese direkt aus der Verhandlung schöpfen könne. Lägen zwischen den einzelnen Wahrnehmungen längere Zeitabstände, bestehe die Gefahr, dass länger zurückliegende Beweismittel in Vergessenheit gerieten oder zumindest immer weniger greifbar würden. Dies beeinträchtige unweigerlich die Beweiswürdigung, was insbesondere (aber nicht nur) für Laienrichter gelte.

Die angefochtenen Bestimmungen verstießen vor diesem Hintergrund insofern gegen Art6 EMRK, als bei einer Vertagung, bei der die in §276a StPO normierte Zweimonatsfrist überschritten werde, die erforderliche Unmittelbarkeit nicht mehr gewahrt sei. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit sei ein tragendes Prinzip des Strafprozesses und von zentraler Bedeutung für dessen verfassungskonforme Ausgestaltung. §3 COVID-19-VO habe für ein Abgehen von diesem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz nicht einmal die Voraussetzung der Einvernehmlichkeit der Verfahrensparteien vorgesehen.

Die angefochtenen Bestimmungen bewirkten einen Verzicht der Parteien auf ihre Grundrechte und griffen in die Wahrheitserforschung und Beweiswürdigung ein. Die Parteien hätten keine Möglichkeit gehabt, sich gegen diese wesentliche Beschränkung ihrer Verfahrensrechte zur Wehr zu setzen.

3.2. Die Bundesregierung erstattete in den beim Verfassungsgerichtshof zu G88/2023 ua protokollierten Verfahren eine Äußerung zur Zulässigkeit und zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz:

"I. Zur Rechtslage:

Mit seinem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller aus Anlass seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , mit dem er der Verbrechen der Untreue und der Geschenkannahme durch Beamte sowie der Vergehen der Fälschung eines Beweismittels und der Bestechung für schuldig befunden wurde, den Ausspruch der Verfassungswidrigkeit bzw die Aufhebung der Zeichenfolge '276a' in §9 Z3 des 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes – 1. COVID-19-JuBG, BGBl I Nr 16/2020, sowie der Zeichen- bzw Wortfolgen '276a' und 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG in der Fassung des 4. COVID-19-Gesetzes, BGBl I Nr 24/2020, in eventu des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG zur Gänze. Der Antragsteller begehrt weiters die Aufhebung des §45 Abs1 zweiter bis vierter Satz der Strafprozeßordnung 1975 – StPO, BGBl Nr 631/1975, in eventu der §§43 bis 45 StPO, jeweils in der Fassung des Zweiten Gewaltschutzgesetzes, BGBl I Nr 40/2009.

2. §9 des 1. COVID-19-JuBG, BGBl I Nr 16/2020, hatte samt Überschrift auszugsweise folgenden Wortlaut (die mit dem diesbezüglichen Hauptantrag angefochtene Zeichenfolge ist unterstrichen):

'Besondere Vorkehrungen in Strafsachen

§9. In Strafsachen kann die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass

1. ein wichtiger Grund für die Bestimmung der Zuständigkeit nach §28 der Strafprozeßordnung (StPO), BGBl Nr 631/1975, oder für eine Delegierung nach §39 StPO vorliegt;

2. Zustellungen, Ladungen und Aufforderungen nach §83 Abs1 bis 4 StPO nur in Fällen angeordnet werden dürfen, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;

3. die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §108a, §276a, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO für die Dauer der angeordneten Betretungsverbote unterbrochen werden;

4. bis 7. ...'

§9 des 1. COVID-19-JuBG in der Fassung des 4. COVID-19-Gesetzes, BGBl I Nr 24/2020, hat samt Überschrift auszugsweise folgenden Wortlaut (die mit dem diesbezüglichen Hauptantrag angefochtenen Zeichen- bzw Wortfolgen sind unterstrichen):

'Besondere Vorkehrungen in Strafsachen

§9. In Strafsachen kann die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass

1. ein wichtiger Grund für die Bestimmung der Zuständigkeit nach §28 der Strafprozeßordnung (StPO), BGBl Nr 631/1975, oder für eine Delegierung nach §39 StPO vorliegt;

2. Zustellungen, Ladungen und Aufforderungen nach §83 Abs3 erster Satz StPO nur in Fällen angeordnet werden dürfen, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;

3. die Fristen nach §88 Abs1, §92 Abs1, §106 Abs3 und Abs5 letzter Satz, §194 Abs2, §195 Abs2, §213 Abs2, §276a, §284 Abs1, §285 Abs1 und Abs4, §294 Abs1 und 2, §357 Abs2, §408 Abs1, §409 Abs1, §427 Abs3, §430 Abs5, §466 Abs1 und 2, §467 Abs1 und Abs5, §478 Abs1 und §491 Abs6 StPO sowie sonstige von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gesetzte Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen in Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;

4. bis 7. ...'

[…]

3. Im Hinblick auf §9 des 1. COVID-19-JuBG stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:

3.1. §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG steht kraft Verweises in Zusammenhang mit §276a StPO, der wie folgt lautet:

'§276a. Ist die Verhandlung, nachdem sie begonnen hatte, vertagt worden (§§274 bis 276), so kann der Vorsitzende in der späteren Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der früheren nach dem Protokoll und den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die Fortsetzung der Verhandlung daran anknüpfen. Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind, es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten.'

§276a StPO fand sich bereits in der Stammfassung der StPO, wobei nach dem zweiten Satz die Verhandlung dann zu wiederholen war, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes änderte, seit der Vertagung mehr als ein Monat verstrichen war, oder wenn es eine der Parteien nach dem Vortrage des Vorsitzenden und vor der Fortsetzung der Verhandlung begehrte, es sei denn, dass das Begehren offenbar mutwillig oder nur zur Verzögerung der Sache gestellt worden war. Da sich die einmonatige Frist in der Praxis als zu kurz erwies und sich die Gerichte zur Verhinderung der Wiederholung des gesamten Beweisverfahrens gezwungen sahen, ohne sachliche Notwendigkeit eine Hauptverhandlung anzuberaumen, wurde die Frist durch das Bundesgesetz BGBl Nr 526/1993 auf zwei Monate verlängert. In den Materialien wurde dazu ausdrücklich festgehalten, dass damit der Zielsetzung der Bestimmung, nämlich der Wahrung der Unmittelbarkeit und Kontinuität der Hauptverhandlung, insbesondere auch im Fall der Laienbeteiligung, entsprochen werden konnte (ErlRV 924 BlgNR XVIII. GP 39).

Durch die Strafprozessnovelle 2005, BGBl I Nr 164/2004, erhielt §276a zweiter Satz StPO die nunmehr geltende Fassung. Das Erfordernis der Wiederholung der Verhandlung und somit der Neudurchführung des Beweisverfahrens sollte nur in Ermangelung eines entsprechenden Verzichts der Parteien gelten. Damit sollten gerade im Fall von Großverfahren sowie bei der Notwendigkeit der Einholung eines ergänzenden Gutachtens ein frustrierter Verfahrensaufwand sowie 'Hauptverhandlungen ohne wirklichen Inhalt' vermieden werden (ErlRV 679 BlgNR XXII. GP 15).

3.2. §276a StPO trägt mehreren strafprozessualen Verfahrensgrundsätzen Rechnung. So dient die Zweimonatsfrist der Verfahrensbeschleunigung und damit dem in §9 StPO verankerten und in Art6 EMRK abgesicherten Beschleunigungsgebot. Bei Vertagungen hat das Gericht darauf zu achten, den neuen Termin innerhalb der Frist des §276a StPO festzusetzen (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §276a Rz 7).

Darüber hinaus trägt §276a StPO dem Grundsatz der Unmittelbarkeit (§13 StPO) und der Verfahrenskonzentration Rechnung (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 24). Gemäß §13 StPO bildet die Hauptverhandlung den Schwerpunkt des Verfahrens. In ihr sind die Beweise aufzunehmen, aufgrund deren das Urteil zu fällen ist. Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist zum einen die Wahrheitserforschung; es soll ein möglichst ungefilterter Eindruck über die relevanten Beweismittel gewährleistet werden. Zum anderen sollen diese Beweise in der Verhandlung hinterfragt werden können und damit die Verteidigungsrechte bestmöglich gewahrt werden (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 7 f). Zugleich ist das Unmittelbarkeitsprinzip nicht als absolutes Erfordernis des Strafverfahrens zu werten. Vielmehr ist das Verfahren 'möglichst unmittelbar' zu führen; Abstriche sind insbesondere aus faktischen oder rechtlichen Gründen hinzunehmen (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 9).

Die in §276a StPO enthaltene Verzichtsmöglichkeit dient auch den Interessen der Verfahrensbeteiligten in jenen Fällen, in denen die Zweimonatsfrist nicht eingehalten werden kann. Zwar könnten die Verfahrensbeteiligten auch im Rahmen des §252 Abs1 Z4 StPO einer Verlesung der bisherigen Verfahrensergebnisse zustimmen und damit eine tatsächliche Wiederholung der Beweisaufnahmen hintanhalten. Da im Zeitpunkt der Vertagung keine Garantie der späteren Zustimmung von Ankläger und Angeklagtem zur Verlesung vorliegt, müsste das Gericht dennoch – entgegen den Interessen der Verfahrensbeteiligten – ohne inhaltliche Notwendigkeit sogenannte 'Pro-forma-Verhandlungen' abhalten (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §276a Rz 7).

Ein Verstoß gegen §276a StPO begründet keine Urteilsnichtigkeit in der Bedeutung des allein in Betracht kommenden Nichtigkeitsgrundes des §281 Abs1 Z3 StPO (RIS-Justiz RS0099019; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO §276a Rz 8). Nach dem Wortlaut des Gesetzes und der weit überwiegenden Rechtsprechung ist allein nach dem im Verhandlungsprotokoll dokumentierten tatsächlichen Geschehen zu beurteilen, ob die Hauptverhandlung fortgesetzt (§276a erster Satz StPO) oder wiederholt (§276a zweiter Satz StPO) wurde; die Hauptverhandlung wird damit nicht ipso iure neu durchgeführt (RIS-Justiz RS0099052, RS0099022 [T1], zuletzt ). Entgegen den Behauptungen des Antragstellers dürfen die Verfahrensergebnisse früherer Hauptverhandlungstermine nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch bei einer zwar gesetzwidrigen, aber wirksamen Fortsetzung der Hauptverhandlung in tatsächlicher Sicht verwertet werden ( = EVBl-LS 2021/179).

3.3. Zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie wurde am ua das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGBl I Nr 12/2020, kundgemacht, das die Grundlage für allenfalls erforderliche vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 schaffen sollte (IA 396/A XXVII. GP 11). Aufgrund des §2 COVID-19-MG erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am die Verordnung gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, ('COVID-19-Maßnahmenverordnung'), mit der Betretungsverbote sowie Ausnahmen von diesen geregelt wurden. Die COVID-19-Maßnahmenverordnung wurde in weiterer Folge mehrfach geändert; die Betretungsverbote standen im hier relevanten Zeitraum von bis zum Ablauf des in Geltung.

In Ergänzung zu diesen allgemeinen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 traf die Gesetzgebung mit dem 1. COVID-19-JuBG besondere pandemiebezogene Vorkehrungen für Gerichtsverfahren. Damit sollte berücksichtigt werden, dass ein Tätigwerden des Gerichtspersonals sowie der rechtsberatenden Berufe und der Parteien innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen aufgrund krankheits- oder maßnahmenbedingter Ausfälle sowie des Ziels der Vermeidung persönlicher Kontakte zwischen Menschen nicht immer möglich oder tunlich war (IA 397/A XXVII. GP 35).

§9 des 1. COVID-19-JuBG enthielt besondere Vorkehrungen in Strafsachen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass nicht zuletzt aufgrund der Gebietsbeschränkungen zur Eindämmung der weiteren Verbreitung von COVID-19 mangels Erreichbarkeit bzw Zugangs zum Gericht besondere Maßnahmen erforderlich seien (IA 397/A XXVII. GP 38). Das 1. COVID-19-JuBG trat am in Kraft, sein Außerkrafttreten wurde mehrfach geändert und zuletzt durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 224/2022 mit dem Ablauf des festgelegt.

Am wurde aufgrund des §9 des 1. COVID-19-JuBG, BGBl I Nr 16/2020, sowie der §§174 Abs1 zweiter Satz und 286 Abs1a StPO die Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II Nr 113/2020, kundgemacht, um unter anderem die Fristen für die Neudurchführung einer unterbrochenen Hauptverhandlung (§276a StPO) sowie die Anmeldung und Ausführung von Rechtsmitteln (§88 Abs1, §106 Abs3, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO) für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes angeordneten Betretungsverbote zu unterbrechen. Die Verordnung trat mit dem der Kundmachung folgenden Tag, somit dem , in Kraft; ihr Außerkrafttreten war mit Ablauf des vorgesehen.

3.4. Durch das am kundgemachte 4. COVID-19-Gesetz, BGBl I Nr 24/2020, wurde das 1. COVID-19-JuBG, BGBl I Nr 16/2020, ua mit dem Ziel abgeändert, Rechtsklarheit zu schaffen und die Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten auch in Zeiten von COVID-19 zu gewährleisten (IA 403/A XXVII. GP 36 f). Die Anpassungen betrafen ua die Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG, die im Sinne der Vorhersehbarkeit und des Gleichklangs mit den Fristen im Zivilrecht dahingehend abgeändert wurde, dass angeordnet werden kann, dass alle in Z3 genannten Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen. Aufgrund des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen wurde überdies klargestellt, dass in Haftsachen – mit Ausnahme der Frist für die Neudurchführung der Hauptverhandlung nach §276a zweiter Satz StPO – keine Fristunterbrechungen erfolgen und in diesen Fällen Fristen, die bereits aufgrund einer gemäß §9 Z3 oder §10 des 1. COVID-19-JuBG erlassenen Verordnung, unterbrochen waren, mit neu zu laufen beginnen.

Aufgrund des §9 des 1. COVID-19-JuBG in der Fassung des 4. COVID-19-Gesetzes, BGBl I Nr 24/2020, wurde die Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, durch die Verordnung BGBl II Nr 138/2020 geändert und in deren §3 eine Unterbrechung der in §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG genannten Fristen bis zum Ablauf des angeordnet. Diese Anordnung trat gemäß §8 Abs4 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 180/2020, mit Ablauf des außer Kraft. Von der Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID- 19-JuBG wurde somit lediglich in der Zeit von bis zum Ablauf des , somit ausschließlich in der Zeit des ersten sog 'Lockdowns' Gebrauch gemacht.

Das 1. COVID-19-JuBG tritt mit Ablauf des außer Kraft.

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit im Hinblick auf die Anfechtung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG:

1. Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit im Hinblick auf die Anfechtung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG:

2.1. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dasselbe hat für einen Antrag zu gelten, mit dem der Ausspruch der Verfassungswidrigkeit eines nicht mehr in Geltung stehenden Gesetzes begehrt wird. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014). Nach dem Wortlaut des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antragsteller seine Bedenken im Einzelnen darzulegen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist dies als strenges Formerfordernis zu werten. Erforderlich ist daher eine präzise Umschreibung der Bedenken sowie deren schlüssige und überprüfbare Darlegung. Bloß rudimentär vorhandene Begründungen reichen nicht aus (vgl Rohregger in Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar, Art140 B-VG Rz 220 mwN).

Der Antragsteller macht eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK geltend. Dabei unterlässt er es jedoch, konkret darzulegen, inwiefern die angefochtenen Bestimmungen im Einzelnen gegen Art6 EMRK verstoßen würden, und begnügt sich vielmehr mit einem allgemeinen und pauschalen Verweis auf einen Verstoß gegen den 'Unmittelbarkeitsgrundsatz', ohne diesen näher in Bezug zu Art6 EMRK zu setzen.

Soweit der Antragsteller einen Verstoß gegen §13 StPO geltend macht, genügt der Hinweis, dass einfachgesetzliche Bestimmungen keinen Prüfungsmaßstab im Gesetzesprüfungsverfahren darstellen.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene setzt sich der Antragsteller – wenngleich er eine Verletzung des Art6 EMRK behauptet – weder damit auseinander, inwieweit Art6 EMRK überhaupt ein Recht auf 'Unmittelbarkeit des Verfahrens' beinhaltet, noch ist dem Antrag eine Begründung dafür zu entnehmen, weshalb unter Berücksichtigung der weiteren Verfahrensgarantien des Art6 EMRK ein Verstoß gegen die Fairness des Verfahrens vorliegen soll.

Im Ergebnis legt der Antragsteller somit nicht im Einzelnen dar, weshalb die Ermächtigung, aufgrund der außergewöhnlichen Umstände der COVID-19-Pandemie mit Verordnung Einschränkungen des Gerichtsbetriebs vorzusehen und prozessuale Begleitregelungen zu schaffen, die – wie unten näher ausgeführt – nicht zuletzt auch dem Schutz und den Interessen der Verfahrensparteien dienten, einen Verstoß gegen Art6 EMRK begründet haben soll. Die lediglich pauschale Begründung durch den Verweis auf Art6 EMRK entspricht somit nicht den formalen Anforderungen nach §62 Abs1 VfGG.

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag im Hinblick auf §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG zur Gänze unzulässig ist.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung.

III. In der Sache im Hinblick auf die Anfechtung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG:

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK:

1.1. Der Antragsteller ist der Auffassung, mit der Unterbrechung der Frist in §276a StPO durch den ua auf §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG gestützten §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, sei insofern gegen den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Unmittelbarkeitsgrundsatz in Art6 EMRK verstoßen worden, als bei einer Vertagung, welche die in §276a StPO normierte Zweimonatsfrist überschreite, die erforderliche Unmittelbarkeit nicht mehr gewahrt sei. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz sei zwar nicht explizit verfassungsrechtlich abgesichert, lasse sich jedoch auf das Recht auf ein faires Verfahren zurückführen. Hinter dem Unmittelbarkeitsgrundsatz stehe nämlich der Gedanke, dass die Wahrheitserforschung erfahrungsgemäß am besten anhand einer direkten Wahrnehmung der Beweise seitens des erkennenden Gerichts erreicht werde.

1.2. Nach Auffassung der Bundesregierung erweisen sich die vorgebrachten Bedenken schon insoweit als untauglich, eine etwaige Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung darzutun, als ihnen nicht zu entnehmen ist, warum die monierte Abweichung von der Konzentrationsmaxime eine unzulässige Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Sinne des Art6 EMRK darstelle.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bildet der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, insbesondere verstanden als die Möglichkeit des Angeklagten, Zeugen in Gegenwart des entscheidenden Richters entgegenzutreten, ein wichtiges Element eines fairen Strafverfahrens (EGMR , P. K., Appl 37442/97; , Cerovsek und Bozicnik, Appl 68939/12 ua; vgl auch Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 4). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind zulässig, sofern sie die Rechte der Verteidigung nicht verletzen. In der Regel bedeutet dies, dass der Angeklagte in angemessener und hinreichender Weise die Möglichkeit erhalten sollte, einen Belastungszeugen zu befragen und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, entweder während der Zeugenaussage oder zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt (EGMR , Haas, Appl 73047/01).

Soweit sich die vom Antragsteller ins Treffen geführte Konzentrationsmaxime, wonach die Hauptverhandlung möglichst in einem Stück bzw nur mit kurzen Unterbrechungen durchzuführen ist, aus dem Gedanken der formellen Unmittelbarkeit ableitet (vgl Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 23) und sich dieser mit dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelten Unmittelbarkeitsgrundsatz trifft, unterliegt auch sie demselben verfassungsrechtlichen Vorbehalt zulässiger Ausnahmen. Exemplarisch lassen sich die Verlesungsmöglichkeiten des §252 StPO sowie die Regelungen zur Vertagung der Hauptverhandlung nach den §§273 ff StPO anführen.

Soweit der formelle Unmittelbarkeitsgrundsatz des §13 StPO über den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelten Unmittelbarkeitsgrundsatz hinausgeht, lässt er sich (lediglich) auf das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren zurückführen (vgl etwa Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 4). Ein Abweichen von der Konzentrationsmaxime untersteht insofern (lediglich) der Beurteilung, ob das Verfahren gesamt als fair zu bezeichnen ist, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist.

Die durch die angefochtene Bestimmung ermöglichte Abweichung von dem der Konzentrationsmaxime dienenden §276a StPO (vgl Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 24) konstituiert daher nicht schon für sich genommen eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Der Antrag enthält auch keine Ausführungen, inwiefern die – zeitlich begrenzte – Unterbrechung der in §276a StGB geregelten Frist geeignet ist, den Antragsteller in seinen Verteidigungsrechten zu verletzen. Eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte ist für die Bundesregierung auch nicht ersichtlich.

1.3. Ungeachtet dessen weist die Bundesregierung auf die folgenden Umstände hin, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Abweichung von der Zweimonatsfrist des §276a StPO sowie in Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des in der angefochtenen Bestimmung sich manifestierenden Eingriffs der Gesetzgebung in anhängige Verfahren (Grabenwarter/Frank, B-VG Art6 EMRK Rz 23) zu berücksichtigen sind:

Der Verfassungsgerichtshof hat zu den Verordnungsermächtigungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen wurde, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Einschränkungen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte für erforderlich hält (grundlegend ; weiters , V584/2020-17; , V392/2020; , V405/2020; , V429/2020; , V463/2020 ua). Der Verordnungsgeber hatte daher seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen verfassungsgesetzlich geschützten Interessen der Betroffenen zu treffen und musste in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID-19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit die Regelungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignete (der Zielerreichung dienliche), erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellten.

Die angefochtene Bestimmung, welche die Basis für die im weiteren erlassene Verordnung der Bundesministerin für Justiz bildete, ist dabei in Zusammenhang mit den weiteren in Gesetzen und Verordnungen angeordneten Maßnahmen zu beurteilen. So wurden mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I Nr 12/2020, und der COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II Nr 98/2020, Betretungsverbote öffentlicher Orte und erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens (vgl die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020) angeordnet ('Lockdowns'). Vor diesem Hintergrund mussten in kürzester Zeit Regelungen geschaffen werden, um den Gerichtsbetrieb aufrechtzuerhalten und zugleich den geänderten tatsächlichen Bedingungen Rechnung zu tragen. Schon der Wortlaut des §9 des 1. COVID-19-JuBG bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck, indem er ausdrücklich auf die 'Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020' abstellt.

Die Gesetzgebung sah sich vor die Aufgabe gestellt, im Bereich der Rechtspflege rasch und variabel auf die jeweiligen Auswirkungen der (weiteren) Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zu reagieren. Bei der Ausgestaltung der Regelungen durch den Verordnungsgeber seien im Rahmen einer verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Interessen an der Fortsetzung des Verfahrens, insbesondere den Schutz vor Gefahren für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder die Abwehr eines erheblichen unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei, einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie an der Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebes andererseits gegeneinander abzuwägen (IA 397/A XXVII. GP 37 f).

Auch die – verfahrensgegenständlichen – mit dem 1. COVID-19-JuBG (und den darauf basierenden Verordnungen) angeordneten besonderen Vorkehrungen in Strafsachen standen vor dem Hintergrund dieser Erwägungen. So wurde etwa im Erlass vom über die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 getroffenen besonderen Vorkehrungen in Strafsachen (eJABl. Nr 54/2020) ausgeführt, dass es Ziel des 1. COVID-19-JuBG sei, schnellstmöglich Schutzmaßnahmen in der Strafjustiz aufgrund der gegebenen Pandemiesituation umzusetzen. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass alle Ermittlungs- und Hauptverfahren grundsätzlich weiterlaufen würden. Es sei aber zu berücksichtigen, dass die Verfahrensbeteiligten aufgrund der COVID-19-Maßnahmen erheblichen Einschränkungen unterliegen würden und damit mehr Zeit benötigen würden, um ihre Rechte wahrnehmen zu können. Im Erlass wurde gerade in Zusammenhang mit den strafprozessualen Fristen zudem ausdrücklich auf die Einhaltung der Grundsätze des Strafverfahrens hingewiesen.

Im konkreten Fall wurde mit der angefochtenen Verordnungsermächtigung nicht nur dem sich laufend auch kurzfristig ändernden Infektionsgeschehen Rechnung getragen, sondern gerade auch den damit verbundenen Änderungen der Rechtslage und Umstände für die Verfahrensbeteiligten. Die Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG ermöglichte es, rasch auf pandemiebedingte Änderungen der faktischen wie rechtlichen Bedingungen zu reagieren und mit Verordnung den Ablauf der Frist des §276a StPO zeitlich (auf das notwendige Ausmaß) begrenzt zu unterbrechen und damit die Unmittelbarkeit des Strafverfahrens – wenngleich nicht erheblich – einzuschränken. Nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Anknüpfung der angefochtenen Bestimmung an die gesondert geregelten Betretungsverbote wurde sichergestellt, dass die Beweisaufnahme wie das gesamte Strafverfahren so unmittelbar wie möglich geführt werden konnte.

Selbst dann, wenn die Konzentrationsmaxime als selbstständige Teilgarantie des Art6 EMRK aufzufassen wäre, wäre ein entsprechender Eingriff durch die temporäre Unterbrechung der Zweimonatsfrist des §276a StPO somit verhältnismäßig, zumal die angefochtene Bestimmung ausdrücklich auf den geringstmöglichen Zeitraum beschränkt war.

2. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

3.3. Die Bundesministerin für Justiz erstattete in den beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G319/2022 ua (und auch zu G88/2023 ua und G119/2023 ua) protokollierten Verfahren eine Äußerung, in der sie zur Zulässigkeit und zu den Bedenken der Antragsteller Folgendes ausführt:

"I. Zur Rechtslage:

1. Mit seinem auf Art139 Abs1 Z4 iVm Art139 Abs4 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller aus Anlass seiner Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , mit dem er des Verbrechens der Geldwäscherei sowie der Vergehen der Fälschung eines Beweismittels und der Begünstigung für schuldig befunden wurde, den Ausspruch der Verfassungswidrigkeit der Wortfolge '276a,' in §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl II Nr 113/2020 sowie der Wortfolgen '276a,' sowie 'mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist' in §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COV1D-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl II Nr 138/2020.

Er wendet sich damit im Wesentlichen gegen die temporäre Änderung des Regelungsregimes des §276a StPO durch §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl II Nr 113/2020 und 8GB1 II Nr 138/2020, mit denen die Unterbrechung der Frist des §276a StPO bis zum Ablauf des ohne Einholung von Verzichtserklärungen angeordnet wurde.

2. §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II Nr 113/2020, hat folgenden Wortlaut (die angefochtene Wortfolge ist unterstrichen):

§3. Die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §276a §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 AbsI, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO werden für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 ZI des COVID-19-Maßnalunengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, angeordneten Betretungsverbote unterbrochen.

§3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, 8661. II Nr 138/2020, hat folgenden Wortlaut (die angefochtenen Wortfolgen sind unterstrichen):

3. die Fristen nach §88 Abs1, §92 Abs1, §106 Abs3 und Abs5 letzter Satz, §194 Abs2, §195 Abs2, §213 Abs2, §276a §284 Abs1, §285 Abs1 und Abs4, §294 AbsI und 2, §357 Abs2, §408 Abs1, §409 Abs1, §427 Abs3, §430 Abs5, §466 Abs1 und 2, §467 Abs1 und Abs5, §478 Abs1 und §491 Abs6 StPO sowie sonstige von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gesetzte Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen in Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;'

3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen steht kraft Verweises in Zusammenhang mit §276a StPO, der lautet wie folgt:

§276a. Ist die Verhandlung, nachdem sie begonnen hatte, vertagt worden (§§274 bis 276), so kann der Vorsitzende in der späteren Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der früheren nach dem Protokoll und den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die Fortsetzung der Verhandlung daran anknüpfen. Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind, es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten.

§276a StPO fand sich bereits in der Stammfassung der Strafprozeßordnung 1975, wobei nach dem zweiten Satz die Verhandlung dann zu wiederholen war, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes änderte, seit der Vertagung mehr als ein Monat verstrichen war, oder wenn es eine der Parteien nach dem Vortrage des Vorsitzenden und vor der Fortsetzung der Verhandlung begehrte, es sei denn, dass das Begehren offenbar mutwillig oder nur zur Verzögerung der Sache gestellt worden war. Da sich die einmonatige Frist in der Praxis als zu kurz erwies, und sich die Gerichte zur Verhinderung der Notwendigkeit der Wiederholung des gesamten Beweisverfahrens gezwungen sahen, ohne sachliche Notwendigkeit eine Hauptverhandlung anzuberaumen, wurde die Frist mit BGBl Nr 526/1993 in eine zweimonatige geändert. In den Materialien wurde dazu ausdrücklich festgehalten, dass damit der Zielsetzung der Bestimmung, nämlich der Wahrung der Unmittelbarkeit und Kontinuität der Hauptverhandlung, insbesondere auch im Fall der Laienbeteiligung, entsprochen werden konnte (EBRV 924 BIgNR 18. GP 39).

Durch die Strafprozessnovelle 2005, BGBl I Nr 164/2004, erhielt §276a zweiter Satz StPO die nunmehr geltende Fassung. Das Erfordernis der Wiederholung der Verhandlung und somit der Neudurchführung des Beweisverfahrens sollte nur in Ermangelung eines entsprechenden Verzichts der Parteien gelten. Damit sollten gerade im Fall von Großverfahren sowie bei der Notwendigkeit der Einholung eines ergänzenden Gutachtens ein frustrierter Verfahrensaufwand sowie 'Hauptverhandlungen ohne wirklichen Inhalt' vermieden werden können (EBRV 679 BIgNR 22. GP 15).

3.2. §276a StPO trägt mehreren strafprozessualen Verfahrensgrundsätzen Rechnung. So dient die Zweimonatsfrist der Verfahrensbeschleunigung und damit dem in §9 StPO verankerten und in Art6 EMRK abgesicherten Beschleunigungsgebot. Bei Vertagungen hat das Gericht aufgrund der Regelung des §276a StPO darauf zu achten, den neuen Termin innerhalb der Frist festzusetzen (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §276a Rz 7).

Darüber hinaus trägt §276a StPO dem Grundsatz der Unmittelbarkeit und Verfahrenskonzentration (§13 StPO) Rechnung (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 24). Demnach bildet die Hauptverhandlung den Schwerpunkt des Verfahrens. In ihr sind die Beweise aufzunehmen, aufgrund deren das Urteil zu fällen ist. Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist wiederum zum einen die Wahrheitsforschung; es soll ein möglichst ungefilterter Eindruck über die relevanten Beweismittel gewährleistet werden. Zum anderen sollen diese Beweise in der Verhandlung hinterfragt werden können und damit die Verteidigungsrechte bestmöglich gewahrt werden (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 7 f). Zugleich ist das Unmittelbarkeitsprinzip nicht als absolutes Erfordernis des Strafverfahrens zu werten. Vielmehr ist das Verfahren 'möglichst unmittelbar' zu führen; Abstriche sind insbesondere aus faktischen oder rechtlichen Gründen hinzunehmen (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 9).

Die in §276a StPO enthaltene Verzichtsmöglichkeit dient auch in jenen Fällen den Interessen der Verfahrensbeteiligten, in denen die Zweimonatsfrist nicht eingehalten werden kann. Zwar könnten die Verfahrensbeteiligten auch im Rahmen des §252 Abs1 Z4 StPO einer Verlesung der bisherigen Verfahrensergebnisse zustimmen und damit eine tatsächliche Wiederholung der Beweisaufnahmen hintanhalten. Da im Zeitpunkt der Vertagung keine Garantie der späteren Zustimmung von Ankläger und Angeklagtem zur Verlesung vorliegt, müsste das Gericht dennoch – entgegen den Interessen der Verfahrensbeteiligten – ohne inhaltliche Notwendigkeit sogenannte 'Proforma-Verhandlungen' abhalten (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK StPO §276a Rz 7).

Ein Verstoß gegen §276a StPO begründet keine Urteilsnichtigkeit in der Bedeutung des allein in Betracht kommenden Nichtigkeitsgrundes des §281 Abs1 Z3 StPO (RIS-Justiz R50099019; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO §276a Rz 8). Nach dem Wortlaut des Gesetzes und der weit überwiegenden Rechtsprechung ist allein nach dem im Verhandlungsprotokoll dokumentierten tatsächlichen Geschehen zu beurteilen, ob die Hauptverhandlung fortgesetzt (§276a erster Satz StPO) oder wiederholt (§276a zweiter Satz StPO) wurde; die Hauptverhandlung wird damit nicht ipso iure neu durchgeführt (RIS-Justiz R50099052, R50099022 [T1], zuletzt OGH 12 Os 53/21t). Entgegen den Behauptungen des Antragstellers (Punkt ,5. 10) dürfen die Verfahrensergebnisse früherer Hauptverhandlungstermine nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch bei einer zwar gesetzwidrigen, aber wirksamen Fortsetzung der Hauptverhandlung in tatsächlicher Sicht verwertet werden (OGH 12 Os 53/21t, 54/211, 55/21m, 57/21f= EVB1-15 2021/179).

3.3. Zur Bewältigung der COV1D-19-Pandemie wurde am unter anderem das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGBl 1 Nr 12/2020, kundgemacht, das die Grundlage für allenfalls erforderliche vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 schaffen sollte (IA 396/A 27. GP 11). Aufgrund des §2 COVID-19-MG erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am die Verordnung gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, ('COVID-19-Maßnahmenverordnung'), mit der Betretungsverbote sowie Ausnahmen von diesen geregelt wurden. Die COVID-19-Maßnahmenverordnung wurde in weiterer Folge mehrfach geändert; die Betretungsverbote standen im hier relevanten Zeitraum von bis zum Ablauf des in Geltung.

In Ergänzung zu diesen allgemeinen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 traf die Gesetzgebung mit dem Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (BGBl I Nr 16/2020, 1. COVID-19-JuBG) besondere pandemie-bezogene Vorkehrungen für Gerichtsverfahren. Damit sollte berücksichtigt werden, dass ein Tätigwerden des Gerichtspersonals sowie der rechtsberatenden Berufe und der Parteien innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen aufgrund krankheits- oder maßnahmenbedingter Ausfälle sowie des Ziels der Vermeidung persönlicher Kontakte zwischen Menschen nicht immer möglich oder tunlich war (IA 397/A XXVII. GP 35).

§9 des 1. COVID-19-JuBG enthielt besondere Vorkehrungen in Strafsachen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass nicht zuletzt aufgrund der Gebietsbeschränkungen zur Eindämmung der weiteren Verbreitung von COVID-19 mangels Erreichbarkeit bzw Zugangs zum Gericht besondere Maßnahmen erforderlich seien (IA 397/A XXVII. GP 38). Das 1. COV1D-19-JuBG trat am in Kraft, sein Außerkrafttreten wurde mehrfach geändert und zuletzt durch das Bundesgesetz BGBl 1 Nr 224/2022 mit dem Ablauf des festgelegt.

§9 des 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I Nr 16/2020 lautete wie folgt:

§9. In Strafsachen kann die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COV1D-19-Maßnahmengesetz), BGBl l Nr 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass

1. ein wichtiger Grund für die Bestimmung der Zuständigkeit nach §28 der Strafprozeßordnung (StPO), BGBl Nr 631/1975, oder für eine Delegierung nach §39 StPO vorliegt;

2. Zustellungen, Ladungen und Aufforderungen nach §83 Abs1 bis 4 StPO nur in Fällen angeordnet werden dürfen, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;

3. die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §108a, §276a, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO für die Dauer der angeordneten Betretungsverbote unterbrochen werden;

4. Haftverhandlungen nicht stattzufinden haben und die Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft oder vorläufigen Anhaltung nach §175 Abs4 zweiter Satz StPO zu ergehen hat;

5. der Besuchsverkehr (§188 Abs1 StPO) für die Dauer der angeordneten Betretungsverbote auf telefonische Kontakte beschränkt wird oder sonstige Beschränkungen des Verkehrs mit der Außenwelt vorgesehen werden;

6. Zeiten aufgrund solcher Maßnahmen, die den Zahlungspflichtigen mittelbar oder unmittelbar in seinem Erwerbsleben betreffen, nach §200 Abs2 letzter Satz und §409a Abs3 StPO nicht eingerechnet werden;

7. in die in §201 AbsI StPO geregelten Fristen Zeiten nicht eingerechnet werden, in denen eine Leistungserbringung auf Grund solcher Maßnahmen nicht möglich ist.

Am wurde aufgrund des §9 des 1. COVID-19-JuBG, BGBl 1 Nr 16/2020, §174 Abs1 zweiter Satz und §286 Absla StPO 1975, BGBl Nr 631/1975, die Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl 11 Nr 113/2020, kundgemacht, um unter anderem die Fristen für die Neudurchführung einer unterbrochenen Hauptverhandlung (§276a StPO) sowie die Anmeldung und Ausführung von Rechtsmitteln (§88 Abs1, §106 Abs3, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO) für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des CO-VID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, angeordneten Betretungsverbote zu unterbrechen. Die Verordnung trat mit dem der Kundmachung folgenden Tag, somit dem , in Kraft; ihr Außerkrafttreten war mit Ablauf des vorgesehen.

3.4. Durch das am kundgemachte 4. COVID-19-Gesetz, BGBI. I Nr 24/2020, wurde das 1. COVID-19-JuBG, BGBl Nr 16/2020, ua mit dem Ziel abgeändert, Rechtsklarheit zu schaffen und die Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten auch in Zeiten von COV1D-19 zu gewährleisten (IA 403/A XXVII. GP 36 f). Die Anpassungen betrafen ua die Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG, die im Sinne der Vorhersehbarkeit und des Gleichklangs mit den Fristen im Zivilrecht dahingehend abgeändert wurde, dass angeordnet werden kann, dass alle in Z3 genannten Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen. Aufgrund des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen wurde überdies klargestellt, dass in Haftsachen – mit Ausnahme der Frist für die Neudurchführung der Hauptverhandlung nach §276a zweiter Satz StPO – keine Fristunterbrechungen erfolgen und in diesen Fällen Fristen, die bereits aufgrund einer gemäß §9 Z3 oder §10 des 1. COVID-19-JuBG erlassenen Verordnung, unterbrochen waren, mit neu zu laufen beginnen.

§9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I Nr 24/2020 lautet wie folgt:

3. die Fristen nach §88 Abs1, §92 Abs1, §106 Abs3 und Abs5 letzter Satz, §194 Abs2, §195 Abs2, §213 Abs2, §276a, §284 Abs1, §285 Abs1 und Abs4, §294 Abs1 und 2, §357 Abs2, §408 Abs1, §409 Abs1, §427 Abs3, §430 Abs5, §466 Abs1 und 2, §467 Abs1 und Abs5, §478 Abs1 und §491 Abs6 StPO sowie sonstige von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gesetzte Fristen bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen in Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird;'

Aufgrund des §9 des 1. COVID-19-JuBG in der Fassung des 4. COVID-19-Gesetzes, BGBl I Nr 24/2020, wurde die Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von CO-VID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, durch die Verordnung BGBl 11 Nr 138/2020 geändert und in deren §3 eine Unterbrechung der in §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG genannten Fristen bis zum Ablauf des angeordnet. Diese Anordnung trat gemäß §8 Abs4 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 180/2020, mit Ablauf des außer Kraft. Von der Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG wurde somit lediglich in der Zeit von bis zum Ablauf des , somit ausschließlich in der Zeit des ersten sog 'Lockdowns' Gebrauch gemacht.

Das 1. COVID-19-JuBG tritt mit Ablauf des außer Kraft. Die Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, ist mit Ablauf des außer Kraft getreten.

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Gemäß §57 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dasselbe hat für einen Antrag zu gelten, mit dem der Ausspruch der Gesetzwidrigkeit einer nicht mehr in Geltung stehenden Verordnung begehrt wird. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Gesetzwidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, d.h. dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Gesetzesbestimmung die jeweils bekämpfte Verordnungsstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014). Nach dem Wortlaut des §57 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antragsteller seine Bedenken im Einzelnen darzulegen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist dies als strenges Formerfordernis zu werten (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007, 19.954/2015). Erforderlich ist daher eine präzise Umschreibung der Bedenken sowie deren schlüssige und überprüfbare Darlegung (Fuchs/Kneihs in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vasek, Kommentar zum Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 §62 VfGG [Stand , rdb.at) Rz 1 iVm 8). Bloß rudimentär vorhandene Begründungen reichen nicht aus (vgl auch zu §62 VfGG Rohregger in Korinek/Holoubek/ Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art140 B-VG Rz 220 mwN).

Maßstab der Verordnungsprüfung ist die Gesetzwidrigkeit, die im materiellen Sinn zu verstehen ist. Eine Verordnung ist daher auch dann gesetzwidrig, wenn sie – wie es der Antragsteller vor dem Verfassungsgerichtshof vorbringt – verfassungswidrig ist. Nach der Rechtsprechung des VfGH sind auch die Rechte der GRC sowie das Unionsrecht relevant (Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsreche Rz 1107 mwN).

3.2. Diesen Anforderungen wird der gegenständliche Antrag nicht gerecht: Der Antragsteller macht eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK geltend. Dabei unterlässt er es jedoch, konkret darzulegen, inwiefern die angefochtenen Bestimmungen im Einzelnen gegen Art6 EMRK verstoßen würden, und begnügt sich vielmehr mit einem allgemeinen und pauschalen Verweis auf einen Verstoß gegen den 'Unmittelbarkeitsgrundsatz', ohne diesen näher in Bezug zu Art6 EMRK zu setzen.

Soweit der Antragsteller einen Verstoß gegen §13 StPO geltend macht, unterlässt er es, konkret darzulegen, inwiefern die – zeitlich begrenzte – Unterbrechung der in §276a StGB geregelten Frist geeignet ist, ihn – unter Gesamtbetrachtung aller Umstande - in seinen Verteidigungsrechten zu verletzen.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene setzt sich der Antragsteller – wenngleich er eine Verletzung des Art6 EMRK behauptet – weder damit auseinander, inwieweit Art6 EMRK überhaupt ein Recht auf 'Unmittelbarkeit des Verfahrens' beinhaltet noch ist dem Antrag eine Begründung dafür zu entnehmen, weshalb unter Berücksichtigung der weiteren Verfahrensgarantien des Art6 EMRK ein Verstoß gegen die Fairness des Verfahrens vorliegen soll.

Im Ergebnis legt der Antragsteller nicht im Einzelnen dar, weshalb die mit den angefochtenen Verordnungen angeordneten Einschränkungen des Gerichtsbetriebs und prozessualen Begleitregelungen, die – wie unten näher ausgeführt – nicht zuletzt auch dem Schutz und den Interessen der Verfahrensparteien dienten, einen Verstoß gegen Art6 EMRK und gegen §13 StPO begründet haben sollen. Die lediglich pauschale Begründung durch den Verweis auf Art6 EMRK entspricht nicht den formalen Anforderungen nach §57 Abs1 VfGG.

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesministerin für Justiz der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesministerin für Justiz im Folgenden in der Sache Stellung.

III. In der Sache:

Die Bundesministerin für Justiz verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt ist (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002) und grundsätzlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004). Über den Antragsumfang (das Begehren iSd §57 Abs1 VfGG) darf der Verfassungsgerichtshof nur insoweit hinausgehen, als er die gesamte Verordnung aufheben kann, wenn einer der drei in Art139 Abs3 B-VG genannten Tatbestände vorliegt, wobei selbst bei Annahme dieser Tatbestände eine Aufhebung nicht zwangsläufig erfolgen muss (Beäger in Kahl/Khakzadeh/ Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art139 B-VG [Stand , rdb.at) Rz 24; vgl auch VfSlg 14.760/1997, 18.331/2017).

Die Bundesministerin für Justiz beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK):

1.1. Der Antragsteller ist der Auffassung, mit der Unterbrechung der Frist in §276a StPO durch den ua auf §9 Z3 des 1. C0VID-19-JuBG gestützten §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, sei insofern gegen den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Unmittelbarkeitsgrundsatz in Art6 EMRK verstoßen worden, als bei einer Vertagung, welche die in §276a StPO normierte Zweimonatsfrist überschreite, die erforderliche Unmittelbarkeit nicht mehr gewahrt sei. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz sei zwar nicht explizit verfassungsrechtlich abgesichert, lasse sich jedoch auf das Recht auf ein faires Verfahren zurückführen. Hinter dem Unmittelbarkeitsgrundsatz stehe nämlich der Gedanke, dass die Wahrheitserforschung erfahrungsgemäß am besten anhand einer direkten Wahrnehmung der Beweise seitens des erkennenden Gerichts erreicht werde.

1.2. Nach Auffassung der Bundesministerin für Justiz erweisen sich die vorgebrachten Bedenken schon insoweit als untauglich, eine etwaige Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung darzutun, als ihnen nicht zu entnehmen ist, warum die monierte Abweichung von der Konzentrationsmaxime eine unzulässige Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Sinne des Art6 EMRK darstelle.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bildet der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, insbesondere verstanden als die Möglichkeit des Angeklagten, Zeugen in Gegenwart des entscheidenden Richters entgegenzutreten, ein wichtiges Element eines fairen Strafverfahrens (EGMR , P. K., Appl 37442/97; , Cerovsek und Bozicnik, Appl 68939/12 ua; vgl auch Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 4). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind zulässig, sofern sie die Rechte der Verteidigung nicht verletzen. In der Regel bedeutet dies, dass der Angeklagte in angemessener und hinreichender Weise die Möglichkeit erhalten sollte, einen Belastungszeugen zu befragen und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, entweder während der Zeugenaussage oder zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt (EGMR , Haas, Appl 73047/01).

Soweit sich die vom Antragsteller ins Treffen geführte Konzentrationsmaxime, wonach die Hauptverhandlung möglichst in einem Stück bzw nur mit kurzen Unterbrechungen durchzuführen ist, aus dem Gedanken der formellen Unmittelbarkeit ableitet (vgl Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 23) und sich dieser mit dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelten Unmittelbarkeitsgrundsatz trifft, unterliegt auch sie demselben verfassungsrechtlichen Vorbehalt zulässiger Ausnahmen. Exemplarisch lassen sich die Verlesungsmöglichkeiten des §252 StPO sowie die Regelungen zur Vertagung der Hauptverhandlung nach den §§273 ff StPO anführen.

Soweit der formelle Unmittelbarkeitsgrundsatz des §13 StPO über den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelten Unmittelbarkeitsgrundsatz hinausgeht, lässt er sich (lediglich) auf das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren zurückführen (vgl etwa Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 4). Ein Abweichen von der Konzentrationsmaxime untersteht insofern (lediglich) der Beurteilung, ob das Verfahren gesamt als fair zu bezeichnen ist, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist.

Die durch die angefochtenen Bestimmungen ermöglichte Abweichung von dem der Konzentrationsmaxime dienenden §276a StPO (vgl Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §13 Rz 24) konstituiert daher nicht schon für sich genommen eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Der Antrag enthält auch keine Ausführungen, inwiefern die – zeitlich begrenzte – Unterbrechung der in §276a StGB geregelten Frist geeignet ist, den Antragsteller in seinen Verteidigungsrechten zu verletzen. Eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte ist für die Bundesministerin für Justiz auch nicht ersichtlich.

1.3. Ungeachtet dessen weist die Bundesministerin für Justiz auf die folgenden Umstände hin, die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Abweichung von der Zweimonatsfrist des §276a StPO sowie in Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des in den angefochtenen Bestimmungen sich manifestierenden Eingriffs der Gesetzgebung in anhängige Verfahren (Grabenwarter/Frank, B-VG Art6 EMRK Rz 23) zu berücksichtigen sind:

Der Verfassungsgerichtshof hat zu den Verordnungsermächtigungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen wurde, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Einschränkungen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte für erforderlich hält (grundlegend ; weiters , V584/2020-17; , V392/2020; , V405/2020; , V429/2020; 1,10.2020, V463/2020 ua). Die Verordnungsgeberin hatte daher ihre Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen verfassungsgesetzlich geschützten Interessen der Betroffenen zu treffen und musste in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID-19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit die Regelungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignete (der Zielerreichung dienliche), erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellten.

Die angefochtenen Bestimmungen sind dabei in Zusammenhang mit den weiteren in Gesetzen und Verordnungen angeordneten Maßnahmen zu beurteilen. So wurden mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl 1 Nr 12/2020, und der COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II Nr 98/2020, Betretungsverbote öffentlicher Orte und erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens (vgl die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020) angeordnet ('Lockdowns'). Vor diesem Hintergrund mussten in kürzester Zeit Regelungen geschaffen werden, um den Gerichtsbetrieb aufrechtzuerhalten und zugleich den geänderten tatsächlichen Bedingungen Rechnung zu tragen. Schon der Gesetzestext des §9 des 1. COVID-19-JuBG bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck, indem er ausdrücklich auf die 'Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020' abstellt.

Die Gesetzgebung sah sich vor die Aufgabe gestellt, im Bereich der Rechtspflege rasch und variabel auf die jeweiligen Auswirkungen der (weiteren) Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zu reagieren. Bei der Ausgestaltung der Regelungen durch den Verordnungsgeber seien im Rahmen einer verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Interessen an der Fortsetzung des Verfahrens, insbesondere des Schutzes vor Gefahren für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder die Abwehr eines erheblichen unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei, einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie an der Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebes andererseits gegeneinander abzuwägen (IA 397/A XXVII. GP 37 f).

Auch die mit dem 1. COVID-19-JuBG und den darauf basierenden – verfahrensgegenständlichen – Verordnungen angeordneten besonderen Vorkehrungen in Strafsachen standen vor dem Hintergrund dieser Erwägungen. So wurde etwa im Erlass vom über die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 getroffenen besonderen Vorkehrungen in Strafsachen (eJABI. Nr 54/2020) ausgeführt, dass es Ziel des 1. COVID-19-JuBG (BGBl I Nr 16/2020) sei, schnellstmöglich Schutzmaßnahmen in der Strafjustiz aufgrund der gegebenen Pandemiesituation umzusetzen. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass alle Ermittlungs- und Hauptverfahren grundsätzlich weiterlaufen würden. Es sei aber zu berücksichtigen, dass die Verfahrensbeteiligten aufgrund der COVID-19-Maßnahmen massiven Einschränkungen unterliegen würden und damit mehr Zeit benötigen würden, um ihre Rechte wahrnehmen zu können. Im Erlass wurde gerade in Zusammenhang mit den strafprozessualen Fristen zudem ausdrücklich auf die Einhaltung der Grundsätze des Strafverfahrens hingewiesen.

Die Verordnungsermächtigung des §9 Z3 des 1. COVID-19-JuBG ermöglichte es, rasch auf pandemiebedingte Änderungen der faktischen wie rechtlichen Bedingungen zu reagieren. Im konkreten Fall wurde mit den verfahrensgegenständlichen §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl II Nr 113/2020 und idF BGBl 11 Nr 138/2020 nicht nur dem sich laufend auch kurzfristig ändernden Infektionsgeschehen Rechnung getragen, sondern gerade auch den damit verbundenen Änderungen der Rechtslage und Umstände für die Verfahrensbeteiligten. Die Bundesministerin für Justiz hat mit Verordnung ausschließlich für den Zeitraum von bis zum Ablauf des (dem Ende der damaligen Betretungsverbote) den Ablauf der Frist des §276a StPO zeitlich (auf das notwendige Ausmaß) begrenzt unterbrochen und damit die Unmittelbarkeit des Strafverfahrens – wenngleich nicht erheblich – eingeschränkt. Nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Anknüpfung der angefochtenen Bestimmungen an die gesondert geregelten Betretungsverbote wurde sichergestellt, dass die Beweisaufnahme wie das gesamte Strafverfahren so unmittelbar wie möglich geführt werden konnte.

Selbst dann, wenn die Konzentrationsmaxime als selbstständige Teilgarantie des Art6 EMRK aufzufassen wäre, wäre ein entsprechender Eingriff durch die temporäre Unterbrechung der Zweimonatsfrist des §276a StPO somit verhältnismäßig, weil die angefochtenen Bestimmungen ausdrücklich auf den geringstmöglichen Zeitraum beschränkt waren.

2. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen näher bezeichneten Wortfolgen in §3 der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl 11 Nr 113/2020, und in §3 der Änderung der Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, idF BGBl I. Nr 138/2020, nicht gesetzwidrig sind."

4. Im zu G299/2022 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren erstattete der Antragsteller eine Replik auf die in diesem Verfahren seitens der Bundesregierung erstattete Äußerung.

V. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat die zu G299/2022, G316/2022, G319/2022 ua, G88/2023 ua und G119/2023 ua protokollierten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren gemäß §35 Abs1 VfGG iVm §187 und §404 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und Art139 Abs1 Z4 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen bzw über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes oder einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz und §57a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz bzw die Verordnung als verfassungs- bzw gesetzwidrig aufzuheben.

1.2. Die vorliegenden Anträge wurden allesamt aus Anlass der gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , 15 Hv 1/17z, erhobenen Rechtsmittel gestellt. Mit diesem Urteil wurde jeweils die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd und Art139 Abs1 Z4 B-VG).

1.3. Als Angeklagte sind die Antragsteller Parteien des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd und Art139 Abs1 Z4 B-VG berechtigt sind.

1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels haben die Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie die vorliegenden Anträge und das Rechtsmittel innerhalb der vom Landesgericht für Strafsachen Wien jeweils erstreckten, für die Antragsteller unterschiedlich festgesetzten Rechtsmittelfrist eingebracht haben (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund der entsprechenden Mitteilungen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien davon aus, dass die erhobenen Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig sind.

1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd und Art139 Abs1 Z4 B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes bzw einer Verordnung oder von bestimmten Stellen derselben kann gemäß §62 Abs2 und §57 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz bzw die Verordnung vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und Art139 Abs1 Z4 B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl VfSlg 20.029/2015, 20.010/2015).

Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel, dass das Erstgericht jene Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen, deren Verfassungswidrigkeit bzw Gesetzwidrigkeit die Antragsteller jeweils behaupten, angewendet hat. Die angefochtenen Bestimmungen sind somit präjudiziell.

1.6. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit oder Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Gesetzes- bzw Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzes- und Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; ).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzes- oder Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011, 20.082/2016; ; , G444/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzes- bzw Verordnungsvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber bzw Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, die präjudiziell sind und mit präjudiziellen Bestimmungen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §62 Abs1 oder §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzes- bzw Verordnungsvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN ua; vgl auch ; , G103/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungs- oder gesetzwidrig auf, so führt dies – wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen – im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des Antragstellers den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; ; , G183/2016 ua).

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

1.7. Zur Zulässigkeit der Anfechtung von Teilen des §45 bzw von §§43 bis 45 StPO

1.7.1. Vor dem Hintergrund der angeführten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich die Anträge in den zu G299/2022, G319/2022 ua sowie G88/2023 ua beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren auf Aufhebung (nur) von Teilen des §45 bzw von §§43 bis 45 StPO, BGBl 631/1975, idF BGBl I 40/2009 als unzulässig, weil dadurch die von den Antragstellern behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt würde. Im Falle einer Aufhebung (von Teilen) des §45 bzw von §§43 bis 45 StPO würde in einem schöffengerichtlichen Verfahren – um ein solches handelt es sich im Anlassverfahren – keine Änderung bzw Beseitigung der von den Antragstellern behaupteten verfassungswidrigen Rechtslage bewirkt.

Wenn von den Beteiligten des Verfahrens in der (schöffengerichtlichen) Hauptverhandlung gegensätzliche Anträge gestellt werden oder der Vorsitzende einem unbestrittenen Antrag eines Beteiligten nicht Folge zu geben gedenkt, entscheidet gemäß §238 Abs2 StPO das Schöffengericht mit Beschluss: Dieser Beschluss, der samt seinen Entscheidungsgründen sofort, jedenfalls jedoch vor Schluss der Verhandlung mündlich zu verkünden ist, kann gemäß §238 Abs3 StPO von den Beteiligten des Verfahrens nicht mit einem selbständigen, die weitere Verhandlung hemmenden Rechtsmittel bekämpft werden. Diese Bestimmung statuiert somit ausdrücklich für das schöffengerichtliche Verfahren, dass über eine Ablehnung eines Richters während der Hauptverhandlung immer das Schöffengericht, zu dem auch jener Richter gehört, der von Beteiligten des Verfahrens abgelehnt wird, entscheidet.

Da dementsprechend für das schöffengerichtliche Verfahren die Aufhebung bloß des §45 Abs1 StPO bzw der §§43 bis 45 StPO nicht zu einer Beseitigung der von den Antragstellern behaupteten Verfassungswidrigkeit führt, ist es erforderlich, sowohl §45 Abs1 StPO als auch §238 Abs2 StPO anzufechten.

1.7.2. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die in den zu G299/2022, G319/2022 ua und G88/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung bloß von (Teilen des) §45 Abs1 bzw von §§43 bis 45 StPO hinsichtlich des Anfechtungsumfanges zu eng und insoweit als unzulässig zurückzuweisen sind.

1.7.3. Soweit der Antragsteller in dem beim Verfassungsgerichtshof zu G119/2023 ua geführten Verfahren mit dem (ersten) Hauptantrag das Wort "erkennende" in §45 Abs1 zweiter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 anficht, ist dies unzulässig. Für den Verfassungsgerichtshof ist nämlich nicht erkennbar, dass durch die Aufhebung dieses Wortes die behauptete Verfassungswidrigkeit beseitigt würde.

Die mit dem ersten Eventualantrag begehrte Aufhebung von §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 ist ebenfalls unzulässig, weil im Fall einer Aufhebung dieser Sätze der letzte (vierte) Satz des §45 Abs1 StPO als unverständlicher Torso stehen bliebe.

Der zweite Eventualantrag auf Aufhebung von §45 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 erweist sich hingegen als zulässig; dadurch würde die behauptete Verfassungswidrigkeit (teilweise) beseitigt (siehe zu den Anträgen auf Aufhebung [von Teilen] des §238 StPO sogleich).

Die im zweiten Hauptantrag begehrte Aufhebung des Wortes "nicht" in §45 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004 ist zulässig.

Dasselbe gilt für den dritten Hauptantrag. Die vom Antragsteller begehrte Aufhebung des §238 Abs2 und des Wortes "nicht" in §238 Abs3 StPO idF BGBl I 93/2007 ist zulässig.

Es ist sohin festzuhalten, dass die vom Antragsteller zu G119/2023 ua begehrte Aufhebung von §45 zweiter, dritter und vierter Satz StPO idF BGBl I 19/2004, des Wortes "nicht" in §45 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004 sowie des §238 Abs2 und des Wortes "nicht" in §238 Abs3 StPO BGBl I 93/2007 zulässig ist.

1.7.4. An der Zulässigkeit des zu G119/2023 ua gestellten Antrages auf Aufhebung von Teilen des §45 und des §238 StPO ändern auch die Ausführungen der Bundesregierung nichts.

Die Bundesregierung verneint in ihrer (allerdings zu G299/2022 und G88/2023 ua erstatteten) Äußerung im Grundsatz die Zulässigkeit der Anfechtung von (Teilen des) §45 StPO (und zwar unabhängig von der Frage, ob auch §238 StPO mitangefochten werden muss, um die behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen).

Vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 19/2004, sei die Entscheidung über die Ablehnung von Richtern in §74 StPO geregelt gewesen. Die Vorgehensweise bei erst in der Hauptverhandlung (bzw kurz davor) gestellten Ausschließungsanträgen sei dabei nicht ausdrücklich geregelt gewesen.

Die Regelung des §74 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz, BGBl I 19/2004, wonach grundsätzlich der Vorsteher des Gerichtes über die "Ablehnung einer Gerichtsperson" zu entscheiden hatte, habe nach herrschender Auffassung und ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht für die während der Hauptverhandlung bzw unmittelbar davor erklärte Ablehnung eines Richters gegolten. In diesen Fallkonstellationen habe vielmehr gemäß §238 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz, BGBl I 19/2004, das erkennende Gericht zu entscheiden gehabt (statt vieler ; , 9 Os 76/85; Lässig in: Fuchs/Ratz, WK StPO altes Vorverfahren §74 Rz 5). Im kollegialgerichtlichen Verfahren sei damit der (Schwur-)Gerichtshof unter Beteiligung des abgelehnten Richters (§238 Abs1, §302 Abs1 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz) im einzel- und bezirksgerichtlichen Prozess der betroffene Richter (§238 Abs1 iVm §488 bzw §477 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz) zur Entscheidung berufen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof habe schon zur damaligen Rechtslage ausgeführt, dass es dem Grundgedanken des Ablehnungsrechtes gerade nicht widerspräche, wenn der abgelehnte Richter an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag mitwirkt. Hinsichtlich der Entscheidungskompetenz habe der Oberste Gerichtshof – ungeachtet des Wortlautes des §74 Abs1 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz – auf den "wesentlichen Unterschied zwischen der Ablehnung eines Richters außerhalb der Hauptverhandlung und einer solchen in der Hauptverhandlung" hingewiesen ().

Die Einfügung des §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO habe daher lediglich der Klarstellung der ohnehin bereits geltenden Rechtslage (iSd ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung) gedient.

Diese Ausführungen der Bundesregierung können nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nichts an der Zulässigkeit der einzelnen Begehren des Antragstellers zu G119/2023 ua (s oben Punkt 1.7.3.) ändern. Nach einer etwaigen Aufhebung der zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen wäre nämlich davon auszugehen, dass während der Hauptverhandlung und auch unmittelbar davor eine Entscheidung durch das (Schöffen-)Gericht über die Frage der Ausschließung eines Richters nicht mehr verfassungskonform wäre und damit dem Gesetz derartiges nicht mehr unterstellt werden dürfte.

1.8. Zur Zulässigkeit der Anfechtung von (Teilen) des §58 StGB:

In Bezug auf die zu G316/2022 ua, G319/2022 ua und G119/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB idF BGBl I 94/2021 sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen, sodass alle diese Anträge insoweit zulässig sind.

Die darüber hinausgehende Anfechtung des §58 Abs3a StGB idF BGBl I 112/2015 im Verfahren zu G119/2023 ua ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wies zwar bereits mit Erkenntnis vom , G368/2020 ua, einen (Partei-)Antrag auf Aufhebung des §58 Abs3a StGB (iVm der dazu ergangenen Übergangsregelung) mit der Begründung ab, dass diese Bestimmung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Da aber der Antragsteller in seinem Antrag in den zu G119/2023 ua geführten Verfahren andere Bedenken gegen §58 Abs3a StGB geltend macht, steht dem Antrag nicht die Rechtskraft des Erkenntnisses vom , G368/2020 ua entgegen.

1.9. Zur Anfechtung von (Teilen des) §9 1. COVID-19-JuBG und von (Teilen der) COVID-19-VO

1.9.1. Die von den Antragstellern zu G319/2022 ua, G88/2023 ua und G119/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung der Wortfolge "267a" in §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, sowie der Wortfolge "276a" und "mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist" in §3 der genannten Verordnung der Bundesministerin für Justiz idF BGBl II 138/2020, sind zulässig. Die Anfechtung der bezeichneten Teile beider Verordnungen ist deshalb zulässig, weil die zweite Verordnung der Bundesministerin für Justiz eine Verlängerung der früheren Verordnung der Bundesministerin für Justiz (wenngleich mit einem geänderten normativen Inhalt) darstellt. Beide Verordnungen galten im gerichtlichen Anlassverfahren.

1.9.2. Ebenso zulässig ist die Anfechtung der Wortfolge "276a," in §9 Z3 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 16/2020, und der Wortfolge "276a," sowie "mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist" in §9 Z3 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 24/2020. Auch hier handelt es sich bei der Novellierung des 1. COVID-19-JuBG um eine Verlängerung der Geltungsdauer der vorher geltenden Fassung, wenngleich mit einer Änderung des normativen Inhaltes der früheren Regelung. Beide gesetzlichen Regelungen galten im gerichtlichen Anlassverfahren.

1.10. Zusammenfassend ist somit festzuhalten:

1.10.1. Die zu G299/2022, G319/2022 ua und G88/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung bloß (von Teilen des) §45 Abs1 StPO bzw von §§43 bis 45 StPO sind unzulässig und damit zurückzuweisen. Der zu G119/2023 ua gestellte (Haupt-)Antrag auf Aufhebung des Wortes "erkennende" in §45 Abs1 zweiter Satz StPO sowie der Eventualantrag auf Aufhebung von §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO sind unzulässig.

Der zu G119/2023 ua gestellte Antrag auf Aufhebung des §45 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz, des Wortes "nicht" in §45 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004 sowie des §238 Abs2 und des Wortes "nicht" in §238 Abs3 StPO idF BGBl 93/2007 ist hingegen zulässig.

1.10.2. Die zu G316/2022 ua, G319/2022 ua und G199/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB idF BGBl I 94/2021 sowie der zu G119/2023 ua gestellte Antrag auf Aufhebung des §58 Abs3a StGB sind zulässig.

1.10.3. Die zu G319/2022 ua, G88/2023 ua und G119/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung von Teilen des §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020 sind zulässig.

2. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art140 bzw Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungs- bzw gesetzwidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.1. Zur Anfechtung des §45 und §238 StPO

2.1.1. In der (zulässigen) Anfechtung von Teilen des §45 Abs1 und §238 Abs2 und 3 StPO wird die Auffassung vertreten, dass diese Bestimmungen gegen Art6 EMRK verstießen, weil sie ermöglichten, dass ein Richter bei unmittelbar vor oder in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen auf Ablehnung eines Richters selbst an der Entscheidung über seine eigene Ausgeschlossenheit mitwirke. Art6 Abs1 EMRK garantiere die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Entscheidungsorgane. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheide zwischen subjektiver und objektiver Unparteilichkeit. Bei letzter werde hinterfragt, ob unabhängig von dem persönlichen Verhalten des Richters ein Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehe bzw ob ausreichende Garantien für den Ausschluss berechtigter Zweifel bestünden. Dabei komme es auch auf den äußeren Anschein an, den die Parteien vom Gericht haben müssten. Bereits eine "missliche Optik" stelle die objektive Unparteilichkeit in Frage.

Es sei offenkundig, dass ein Richter in einem öffentlichen Verfahren nicht unparteilich darüber entscheiden könne, ob er unparteilich sei oder nicht. Zum Ersten könne nämlich die eigene Ansicht den Blick darauf verstellen, ob bei einem verständigen objektiven Beurteiler Zweifel an der Unparteilichkeit geweckt werden könnten oder nicht. Zum Zweiten müsse der Richter bei Stattgabe des Antrages öffentlich eingestehen, es seien Umstände vorgelegen, die zu seiner Ausgeschlossenheit geführt hätten. Der Richter müsse dadurch einen eigenen Fehler eingestehen. Die Tatsache, dass der zur Ausschließung beantragte Richter selbst über seine Ausschließung entscheide, lasse objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit entstehen. Der entscheidende Richter unterliege diesfalls einem Interessenkonflikt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eine solche Rechtslage bereits als konventionswidrig erkannt (unter Verweis auf EGMR , 58.138/09, Mikhail Mironov).



Die angefochtenen Bestimmungen (von Teilen) des §45 Abs1 sowie des §238 Abs2 und 3 StPO verstießen zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass zwischen Anträgen auf Ausschließung eines Richters vor der Hauptverhandlung und solchen während (oder unmittelbar vor) der Hauptverhandlung unterschieden werde. Im ersten Fall entscheide in der Regel der Vorsteher oder Präsident jenes Gerichtes, dem der zur Ausschließung beantragte Richter angehöre, und damit ein unparteiisches Gericht. Im zweiten Fall entscheide das erkennende Gericht selbst, bei dem allerdings erhebliche Zweifel hinsichtlich der Unparteilichkeit bestünden.

Eine derartige Ungleichbehandlung könne nur durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt werden. Der Grund für diese Differenzierung liege in verfahrensökonomischen Überlegungen. Nach der Grundkonzeption der Strafprozessordnung sollten Strafprozesse grundsätzlich an einem Tag und als Einheit abgewickelt werden. Wenn ein Ablehnungsantrag unmittelbar vor oder in der Verhandlung gestellt werde, solle die Befassung anderer Instanzen als des erkennenden Gerichtes verhindert werden. Aus heutiger Sicht sei jedoch das Festhalten an diesen Grundsätzen realitätsfern; die Verfahrensökonomie könne die angefochtenen Bestimmungen nicht rechtfertigen.

Die angefochtenen Bestimmungen seien zudem nicht verhältnismäßig. Verfahrensökonomische Zielsetzungen dürften nämlich nicht dazu führen, dass Entscheidungen von einem ausgeschlossenen Richter getroffen würden, dessen Unparteilichkeit nicht garantiert werden könne. Das Recht auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht wiege schwerer als verfahrensökonomische Erwägungen. Zudem gebe es weniger eingriffsintensive Möglichkeiten, das verfolgte Ziel der Verfahrensökonomie zu erreichen.

2.1.2. Die Bundesregierung tritt den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §45 und §238 StPO entgegen.

2.1.2.1. Nach Ansicht der Bundesregierung verstoßen §45 Abs1 sowie §238 Abs2 und 3 StPO nicht gegen Art6 EMRK: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sei im Hinblick auf das Gebot der objektiven Unparteilichkeit des Richters durch die Gesetzgebung verfahrensrechtlich sicherzustellen, dass keine parteilichen Richter am Verfahren beteiligt seien. Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Vorgehensweise, nach der über ein die Unparteilichkeit in Zweifel ziehendes Vorbringen zu entscheiden sei, spiele die Art der Gründe, auf die sich das Vorbringen berufe, eine Rolle. Darüber hinaus seien weitere Elemente zu berücksichtigen, wie beispielsweise, ob die Gründe für eine etwaige Zurückweisung der vorgebrachten Zweifel angemessen waren und ob der Verfahrensmangel durch eine nachfolgende gerichtliche Instanz behoben wurde (EGMR , 55.225/14, Pastörs, Z57 und 62 f.).

Auch ein mehrfaches Einschreiten eines Richters gegenüber einer Partei könne Fragen der Unparteilichkeit des Richters aufwerfen. So könnten etwa Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters bestehen, wenn in vorangegangenen Urteilen des Richters bereits eine Vorverurteilung hinsichtlich der Schuld des Angeklagten zum Ausdruck komme. Der bloße Umstand aber, dass ein Richter gegenüber einem Angeklagten mehrfach einschreite, begründe solche Zweifel nicht per se. Es sei auch davon auszugehen, dass Berufsrichter in der Lage seien, sich (anders als Laienrichter) von auf Grund des mehrfachen Einschreitens bereits gewonnenen Eindrücken einer Partei in neuen Verfahren zu lösen (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 49).

Nach Auffassung der Bundesregierung sind daher bei der Beurteilung der Frage, ob die angefochtene Bestimmung einer Entscheidung durch einen unparteilichen Richter entgegensteht, mehrere Aspekte in Betracht zu ziehen.

§45 Abs1 StPO sehe abweichend von der Grundregel des ersten Satzes eine Sonderregel für die Entscheidung über Ablehnungsanträge vor, die während oder unmittelbar vor der Verhandlung gestellt würden und folglich das Potential hätten, zu einer ungebührlichen Verzögerung der Verhandlung, mithin des Verfahrens zu führen (müsste doch die Hauptverhandlung jeweils zur Entscheidung über einen Ablehnungsantrag durch ein anderes Organ vertagt werden, wobei es dem Angeklagten freistünde, in jeder Hauptverhandlung einen derartigen Antrag zu stellen, vgl ). Die Gesetzgebung mache daher die Zuständigkeit, über einen Ablehnungsantrag zu entscheiden, von spezifischen – zeitlichen – Umständen abhängig (wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe, habe sie sich darin der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu §74 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz angeschlossen). Dass das Vertrauen, das die Öffentlichkeit den Gerichten entgegenbringen müsse, allein durch eine Sonderregel betreffend die Zuständigkeit, über Ablehnungsanträge zu entscheiden, unterminiert würde, sei insofern nicht ersichtlich.

Die Regelung gebe auch sonst keinen Anlass für begründete Zweifel am bloßen Anschein der Unparteilichkeit des Richters, stehe dem Betroffenen mit der Nichtigkeitsbeschwerde doch ein ausreichendes Rechtsmittel zur Verfügung, die Ausgeschlossenheit des Richters durchzusetzen. Die Entscheidung über die Ausgeschlossenheit sei – wenngleich nicht selbstständig bekämpfbar – inhaltlich umfassend überprüfbar. Soweit Inhalte erhoben werden müssten, die für die Beurteilung der Ausgeschlossenheit erforderlich seien, könne der Betroffene ferner in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Antrag erheben und dessen Abweisung mit Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grunde des §281 Abs1 Z4 StPO bekämpfen.

Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Absicherungen und verfahrensrechtlichen Garantien seien in der Strafprozessordnung vorgesehen (EGMR , 58.138/09, Mikhail Mironov, Z35 ff.): Zunächst habe das erkennende Gericht den Beschluss samt seinen Entscheidungsgründen zu verkünden. Eine bloß floskelhafte Begründung – wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für unzureichend erachte – reiche dabei nicht aus. Darüber hinaus entscheide nicht zwingend der abgelehnte Richter für sich über einen Ablehnungsantrag, sondern das gesamte erkennende Gericht, somit je nach Zusammensetzung gegebenenfalls unter Einbeziehung anderer Berufs- sowie Laienrichter. Die Entscheidungsbefugnis des erkennenden Gerichtes über einen Ablehnungsantrag nach §45 Abs1 sowie §238 Abs2 und 3 StPO sei überdies auf bestimmte, zeitlich eng definierte Fallkonstellationen beschränkt, bei denen andernfalls die Gefahr einer ungebührlichen Verfahrensverzögerung bestünde. Mit den angeführten verfahrensrechtlichen Absicherungen werde auch für diese Fallkonstellationen sichergestellt, dass ein in seiner Gesamtheit faires Verfahren durchgeführt werde.

2.1.2.2. Die Bundesregierung tritt auch den gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen §45 Abs1 und §238 StPO entgegen:

Für die an den Antragszeitpunkt geknüpfte unterschiedliche Entscheidungskompetenz bestünden sachliche Gründe, die nicht bloß verfahrensökonomischen Erwägungen folgten, sondern gerade auch dem Schutz der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Betroffenen dienten. Dabei sei insbesondere auf das in Art6 EMRK verankerte Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer sowie auf das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG zu verweisen.

Das Recht auf angemessene Verfahrensdauer finde sich auf einfachgesetzlicher Ebene unter anderem im Beschleunigungsgebot des §9 StPO wieder. Aus dem Gebot zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist folge die Verpflichtung der Gesetzgebung, die angemessene Verfahrensdauer bei der Ausgestaltung des Gerichtswesens durch geeignete Vorkehrungen, vor allem auch durch entsprechende verfahrensrechtliche Regelungen sicherzustellen. Soweit das Verfahren zur Abhandlung von Ausschließungsanträgen jeweils unterbrochen werden müsste, wäre damit eine mitunter erhebliche, das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer berührende Verfahrensverzögerung verbunden.

2.1.3. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes verstoßen §45 Abs1 und 3 sowie §238 StPO weder gegen Art6 EMRK noch gegen den Gleichheitsgrundsatz.

2.1.3.1. Die §§43 und 44 StPO sehen die Regelungen über die "Ausgeschlossenheit von Richtern" sowie über die "Anzeige der Ausgeschlossenheit und Antrag auf Ablehnung" vor. Im Anschluss daran normiert §45 StPO die "Entscheidung über Ausschließung".

Gemäß §45 Abs1 StPO hat der Richter über die Ausschließung zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 StPO anzuzeigen ist, über die Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitgliedes des Obersten Gerichtshofes jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat. Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.

§45 Abs2 StPO bestimmt, dass der Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn er von einer Person eingebracht wurde, der er nicht zusteht. Im Übrigen ist in der Sache zu entscheiden. Wird auf Ausschließung erkannt, ist der Richter oder das Gericht zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird; der ausgeschlossene Richter hat sich von diesem Zeitpunkt an bei sonstiger Nichtigkeit der Ausübung seines Amtes zu enthalten.

Abschließend normiert §45 Abs3 StPO, dass gegen einen Beschluss über die Ausschließung gemäß §45 Abs2 StPO ein selbständiges Rechtsmittel nicht zusteht.

Gemäß dem im schöffengerichtlichen Verfahren anwendbaren §238 Abs2 StPO ist über von den Beteiligten des Verfahrens in der Hauptverhandlung gestellte gegensätzliche Anträge mit Beschluss des Schöffengerichtes zu entscheiden, wenn der Vorsitzende dem Antrag nicht Folge zu geben gedenkt. Dasselbe gilt für einen unbestrittenen Antrag eines Beteiligten.

§238 Abs3 StPO verlangt, dass der Beschluss samt seinen Entscheidungsgründen sofort, jedenfalls jedoch vor Schluss der Verhandlung mündlich zu verkünden ist. Den Beteiligten steht ein selbständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel gegen ihn nicht zu.

Aus den Bestimmungen des §45 und des §238 StPO geht sohin deutlich hervor, dass über Anträge auf Ausschließung bzw Ablehnung eines Richters oder eines sonstigen Mitgliedes des Schöffengerichtes im Rahmen der Hauptverhandlung stets das erkennende (Schöffen-)Gericht zu entscheiden hat. Dasselbe gilt für Anträge, die unmittelbar vor der Hauptverhandlung gestellt werden. Ansonsten hat der Richter nach Maßgabe des §45 Abs1 StPO über die Ausschließung zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 StPO anzuzeigen ist, über die Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofs jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat.

2.1.3.2. In der Strafprozessordnung werden die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (siehe dazu näher zB Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7, 2021, §24 Rz 41 ff.) geforderten Absicherungen und verfahrensrechtlichen Garantien in Bezug auf die Entscheidung über die Ausschließung von (behauptetermaßen parteiischen) Richtern vorgesehen: Zunächst hat das erkennende Gericht den Beschluss samt seinen nachvollziehbaren Entscheidungsgründen zu verkünden (vgl Danek, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §238 Rz 10). Darüber hinaus besteht – und dies ist im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachte Verletzung des Art6 Abs1 EMRK der wesentliche Umstand – die Möglichkeit einer umfassenden Überprüfung durch das ordentliche Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß §281 (Abs1 Z4) StPO. Damit wird durch den Gesetzgeber sichergestellt, dass ein unparteiisches Gericht iSd Art6 EMRK umfassend die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichtes über die Begründetheit des Ausschließungsantrages von Verfahrensbeteiligten in jeglicher Hinsicht überprüft.

Vor diesem Hintergrund kann der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen, dass §45 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz StPO sowie §238 Abs2 StPO gegen Art6 Abs1 EMRK verstoßen.

2.1.3.3. Der Antragsteller erachtet es ferner als gleichheitswidrig, bei der Entscheidung über die Ausschließung danach zu unterscheiden, ob die Antragstellung während der Hauptverhandlung oder unmittelbar davor oder weit davor erfolgt. Ausgehend von der Annahme, dass bei beiden Konstellationen derselbe Sachverhalt vorliege, macht der Antragsteller geltend, dass das verfahrensökonomische Ziel der Verhinderung einer Vertagung der Verhandlung eine Sonderregelung der zweiten Konstellation, der zufolge ein vom Ablehnungsantrag betroffener Richter an der Entscheidung über diesen mitwirkt, nicht rechtfertige.

Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Bundesregierung zu, dass für die an den Antragszeitpunkt geknüpfte unterschiedliche Entscheidungskompetenz sachliche Gründe bestehen, die nicht bloß verfahrensökonomischen Erwägungen folgen, sondern auch dem Schutz der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Betroffenen dienen. Dabei ist insbesondere auch das in Art6 EMRK verankerte Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat also einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Verfahrensbeteiligten an der Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte und dem Interesse an einer angemessenen Verfahrensdauer vorgenommen. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat der Gesetzgeber dabei seinen ihm von Verfassungs wegen zukommenden rechtspolitischen Spielraum nicht überschritten.

2.1.3.4. Der Antragsteller vertritt ferner die Auffassung, der Ausschluss eines selbständigen Rechtsmittels in §45 Abs3 StPO sowie §238 Abs3 StPO sei verfassungswidrig.

Gemäß Art6 iVm Art13 EMRK muss eine (faktisch und rechtlich) wirksame Beschwerdemöglichkeit gegen die Verletzung von Art6 EMRK bestehen. Bei der Ausgestaltung des Rechtsmittels verfügen die Konventionsstaaten über einen Gestaltungsspielraum. Die nationale Instanz muss eine Sachentscheidung über den Inhalt der Beschwerde treffen und im Fall der Verletzung angemessene Abhilfe schaffen können (zB EGMR , 14.038/88, Soering; , 13.163/87 ua, Vilvarajah ua).

Wie bereits unter Punkt 2.1.3.2. dargelegt, hat der Betroffene bei einer ablehnenden Entscheidung des erkennenden (Schöffen-)Gerichtes nach §45 Abs1 und §238 Abs2 StPO die Möglichkeit, mittels Nichtigkeitsbeschwerde nach §281 StPO die Ausgeschlossenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters geltend zu machen. Die zuvor abweisende Entscheidung über den Ablehnungsantrag hat für die Prüfung des Beschwerdeverbringens keine bindende Wirkung (Lässig in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §45 Rz 13; Ratz in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §281 Rz 131).

Wenn der Gesetzgeber eine selbständige Anfechtung der erstinstanzlichen (negativen) Entscheidung des Gerichtes über die Begründetheit eines Ausschließungsantrages von Verfahrensbeteiligten nicht vorsieht und dementsprechend eine Anfechtung nur bzw erst gemeinsam mit der Enderledigung des erstinstanzlichen Verfahrens vorsieht, hat der Gesetzgeber seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

2.1.3.5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die angefochtenen Teile von §45 Abs1 und 3 sowie von §238 Abs2 und 3 StPO aus den angeführten Gründen weder gegen Art6 und Art13 EMRK noch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

2.2. Zur Anfechtung (von Teilen) des §58 StGB

2.2.1. Nach Auffassung der Antragsteller in den zu G316/2022 ua, G319/2022 ua und G119/2023 ua beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren verstoße §58 Abs3 Z2 StGB gegen Art6 EMRK und das rechtsstaatliche Prinzip.

Art6 Abs1 EMRK garantiere jedermann das Recht auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist. Insbesondere in Strafverfahren solle die Ungewissheit des Angeklagten über den Verfahrensausgang möglichst kurz gehalten werden. Im Einzelfall werde die angemessene Verfahrensdauer anhand der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers, des Verhaltens der Behörde im Verfahren sowie der Bedeutung der Sache für die Partei beurteilt. Einfachgesetzlich sei das Beschleunigungsgebot in §9 StPO geregelt.

Je länger ein Verfahren dauere, desto weniger bestünden Erinnerungen und Beweismittel, was die Wahrheitserforschung beeinträchtige. Es bestehe unweigerlich die Gefahr, dass länger zurückliegende Beweismittel in Vergessenheit gerieten oder weniger greifbar würden. Hinzu trete die immer stärker werdende Belastung für die Beschuldigten. Aus diesem Grund werde auf die Dauer eines Strafverfahrens ein besonderes Augenmerk gelegt. Durch das in Art6 Abs1 EMRK garantierte Recht auf eine Entscheidung binnen angemessener Frist würden die Konventionsstaaten verpflichtet, ihre Gerichtsorganisation so auszugestalten, dass eine Verfahrensbeendigung binnen dieser Frist möglich sei. Der Staat sei nicht nur für Verzögerungen des Gerichtes, sondern auch für jene der anderen Staatsorgane verantwortlich.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führe keine Prüfung anhand starrer Kriterien durch, sondern stelle je nach Einzelfall auf die Gesamtverfahrensdauer ab. In einer Gesamtschau zeige sich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Verfahren, die länger als fünf Jahre dauerten, nur in seltenen Fällen als angemessen beurteile. Dies gelte selbst dann, wenn eine besondere Komplexität des Falles grundsätzlich eine längere Verfahrensdauer rechtfertige. Das Ermittlungsverfahren im Anlassfall dauere bereits über zehn Jahre.

Seit der Einbringung der Anklageschrift stünde den Antragstellern keine Möglichkeit zur Verfügung, sich effektiv gegen die überlange Verfahrensdauer zur Wehr zu setzen; diese könne nur im Rahmen der Strafzumessung nach §34 Abs2 StGB berücksichtigt werden. Es sprächen gute Gründe dafür, dass die Festlegung von absoluten Verjährungsfristen verfassungsrechtlich geboten sei. Dies zeige auch ein Blick auf die deutsche Rechtslage, wonach das vorliegende Verfahren gemäß §78c Abs3 (deutsches) Strafgesetzbuch einzustellen gewesen wäre, weil das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist bereits verstrichen sei. Die angefochtene Bestimmung des §58 Abs3 Z2 StGB sei verfassungswidrig, weil dadurch die an sich vorgesehenen Verjährungsfristen ausgehöhlt würden.

Darüber hinaus verstoße die angefochtene Bestimmung auch gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes. Der Gesetzgeber habe nämlich in anderen Materien, insbesondere auch im Verwaltungsstrafrecht, Regelungen vorgesehen, die eine "unendliche" Ablaufhemmung der Verjährungsfrist unterbänden. Das Verwaltungsstrafrecht kenne damit absolute Fristen, während im gerichtlichen Strafrecht nur im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Einzelfall zu prüfen sei, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliege. Es sei einzuräumen, dass gerichtliche (Wirtschafts-)Strafverfahren oftmals länger dauerten als Verwaltungsstrafverfahren; diesem Umstand werde aber bereits durch längere Verjährungsfristen im Kriminalstrafrecht Rechnung getragen.

2.2.2. Der Antragsteller in dem zu G119/2023 ua beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren ficht ferner §58 Abs3a StGB mit der Begründung an, dass der Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit des §58 Abs3 Z2 StGB auch in §58 Abs3a StGB liege. Durch §58 Abs3a StGB bestehe nämlich die Fortlaufshemmung des §58 Abs3 Z2 StGB selbst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung als verfassungswidrig aufhöbe. Die Regelung widerspreche auch Art140 (Abs7) B-VG, weil durch diese Regelung die Normbereinigungsfunktion des Verfassungsgerichtshofes in verfassungswidriger Weise unterlaufen werde (vgl VfSlg 16.327/2001).

2.2.3. Die Bundesregierung erstattete in keinem beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren eine Äußerung zu den von den Antragstellern dargelegten Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität des §58 Abs3 Z2 StGB.

2.2.4. Die Staatsanwaltschaft Wien brachte als beteiligte Partei des Anlassverfahrens im zu G316/2022 ua beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahren eine Äußerung ein, in welcher sie die Verfassungsmäßigkeit des §58 Abs3 Z2 und Abs3a StGB verteidigt.

2.2.4.1. Die Staatsanwaltschaft Wien weist zunächst darauf hin, dass das in Art6 Abs1 EMRK enthaltene Gebot der Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist Bestandteil des Gebotes eines effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes sei. Dies stehe aber in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen Aspekten eines fairen Verfahrens gemäß Art6 Abs1 EMRK. Einerseits sollten Verfahrensrechte der vom Strafverfahren Betroffenen nicht verkürzt und der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung beachtet werden; andererseits müsse das Verfahren in vertretbarer Zeit zu Ende geführt werden, wolle man die (belastende) Ungewissheit des Beschuldigten über den Ausgang erträglich halten. In diesem Licht sei die Angemessenheit der Verfahrensdauer immer abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte führe eine (überlange) Verfahrensdauer nicht schlechthin zu einer Verletzung des Art6 EMRK, sondern nur Verzögerungen, die dem Staat zuzuschreiben seien. Aus dem Gebot angemessener Verfahrensdauer folgere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung die Pflicht des Staates, seine Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass Verfahren innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens abgeschlossen werden könnten. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sei jedoch keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen sei.

Verjährungsfristen dienten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mehreren wichtigen Zwecken, nämlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Endgültigkeit, dem Schutz potenzieller Angeklagter vor veralteten Ansprüchen, die möglicherweise schwer zu widerlegen seien, und der Verhinderung von Ungerechtigkeiten, die entstehen könnten, wenn Gerichte über Ereignisse auf Grundlage von Beweisen, die auf Grund des Zeitablaufs unzuverlässig und unvollständig geworden sein könnten, entscheiden müssten (EGMR , 22.083/93 und 22.095/93, Stubbings ua, Z51; , 21.722/11, Oleksandr Volkov, Z137).

Gesetzliche Verjährungsfristen dienten anderen Zwecken als der Sicherstellung einer angemessenen Verfahrensdauer, auch wenn sie die Strafverfolgungsbehörden im Ergebnis durchaus auch zu einem zeitnahen Tätigwerden anhalten mögen. Eine – allenfalls im Einzelfall vorliegende – überlange Verfahrensdauer sei bereits prinzipiell nicht in der Regelung des §58 Abs3 Z2 StGB begründet, sondern sei allenfalls Fehlern bzw Verzögerungen auf Vollziehungsebene geschuldet.

Bei bereits eingetretener Verletzung des Beschleunigungsgebotes gemäß §9 StPO sehe das Gesetz ausgleichende Maßnahmen vor. Dazu gehörten insbesondere der Milderungsgrund gemäß §34 Abs2 StGB sowie der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß §§363a bis 363c StPO. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes könne nämlich im Falle einer unangemessen langen Verfahrensdauer wegen Verletzung des Art6 Abs1 EMRK eine Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung der §§363a ff StPO auch ohne vorhergehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erwirkt werden (zB ).

2.2.4.2. Soweit die Antragsteller die angefochtene Bestimmung im Lichte des Rechtsstaatsprinzipes als bedenklich erachteten, könne sinngemäß auf die Ausführungen zu Art6 Abs1 EMRK verwiesen werden. Es könne auch nicht eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes gemäß Art18 B-VG vorliegen, weil sich §58 Abs3 Z2 StGB als inhaltlich ausreichend bestimmt erweise. Infolge ausdrücklicher Aufzählung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte für den Beginn der Fortlaufhemmung und Festlegung des Endes derselben mit der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens sei klar erkennbar, welche Zeiten nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden sollten.

2.2.4.3. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wien kann ferner eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht darin erblickt werden, dass im Verwaltungsstrafrecht Bestimmungen sowohl in Bezug auf Verfolgungs-, Strafbarkeits- als auch Vollstreckungsverjährung existierten. Das gerichtliche Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht stellten unterschiedliche Ordnungssysteme dar, die (grundsätzlich) nicht miteinander vergleichbar seien.

2.2.5. Die Bundesministerin für Justiz erstattete in den beim Verfassungsgerichtshof zu G319/2022 ua und G119/2023 ua geführten Verfahren eine Äußerung, in der sie in allen wesentlichen Aspekten dieselben Argumente in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des §58 Abs3 Z2 StGB vorträgt, wie dies die Staatsanwaltschaft Wien im Verfahren zu G316/2022 ua macht.

2.2.6. Der Verfassungsgerichtshof teilt die von den Antragstellern dargelegten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §58 Abs3 Z2 und §58 Abs3a StGB nicht:

2.2.6.1. Im Sechsten Abschnitt des Allgemeinen Teiles des Strafgesetzbuches wird die Verjährung geregelt: Gemäß §57 Abs1 StGB verjähren strafbare Handlungen, die mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, sowie strafbare Handlungen nach dem fünfundzwanzigsten Abschnitt nicht. Nach Ablauf einer Frist von zwanzig Jahren tritt jedoch an die Stelle der angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren. Für die Frist gelten §57 Abs2 und §58 StGB entsprechend.

Gemäß §57 Abs2 StGB erlischt die Strafbarkeit anderer Taten durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. In §57 Abs3 StGB werden die jeweiligen Verjährungsfristen festgelegt. Diese reichen von einem Jahr bis zu zwanzig Jahren je nachdem mit welcher Strafe die strafbare Handlung bedroht ist.

An §57 knüpft §58 StGB ("Verlängerung der Verjährungsfrist"): Wenn ein zum Tatbild gehörender Erfolg erst eintritt, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, endet gemäß §58 Abs1 StGB die Verjährungsfrist nicht, bevor sie entweder auch vom Eintritt des Erfolges ab verstrichen ist oder seitdem in §57 Abs2 StGB bezeichneten Zeitpunkt ihr Eineinhalbfaches, mindestens aber drei Jahre abgelaufen sind. Begeht der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, tritt die Verjährung gemäß §58 Abs2 StGB nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist.

In die Verjährung werden gemäß §58 StGB bestimmte Zeiten nicht eingerechnet. Nach – der angefochtenen Regelung des – §58 Abs3 Z2 StGB wird in die Verjährung "die Zeit zwischen der erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter, der erstmaligen Androhung oder Ausübung von Zwang gegen den Täter wegen der Tat (§§93 Abs1, 105 Abs1 StPO), der ersten staatsanwaltlichen Androhung oder Antragstellung auf Durchführung oder Bewilligung von im 8. Hauptstück der StPO geregelten Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahmen zur Aufklärung des gegen den Täter gerichteten Verdachtes, der Anordnung der Verhandlung oder Festnahme, des Antrages auf Verhängung der Untersuchungshaft oder der Einbringung der Anklage, einschließlich vergleichbarer Maßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft, und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens" nicht eingerechnet.

Der (angefochtene) §58 Abs3 Z2 StGB sieht eine Hemmung der Verjährung ab einem der in dieser Bestimmung genannten Verfahrensschritte in einem laufenden Strafverfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten wegen einer bestimmten Tat vor.

§58 Abs3a StGB sieht vor, dass eine nach den vorstehenden Absätzen eingetretene Hemmung der Verjährung wirksam bleibt, auch wenn durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Hemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

2.2.6.2. Gemäß Art6 Abs1 EMRK hat das Gericht "innerhalb einer angemessenen Frist" zu entscheiden. Diese Garantie ist einerseits Bestandteil des Gebotes effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes, steht andererseits aber in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen (ebenfalls in Art6 Abs1 und 3 EMRK normierten) Gewährleistungen des fairen Verfahrens, weil ein Mehr an Verfahrensrechten regelmäßig das Verfahren verlängert (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7, 2021, §24 Rz 81).

Der Beginn des Laufes der angemessenen Verfahrensdauer ist mit der ersten nach außen tretenden Ermittlungshandlung der Behörden gegenüber dem Beschuldigten anzusetzen; das Ende des zu beurteilenden Zeitraumes ist die rechtskräftige Entscheidung der letzten Instanz, womit auch die Strafhöhe endgültig festgelegt oder der Beschuldigte freigesprochen wird (siehe zB Kier, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, [Stand , rdb.at] Rz 17 ff mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht als Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer, die Komplexität des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der Behörden im Verfahren heran. Diese Kriterien sind bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer heranzuziehen, stellen aber keine exakte Messlatte dar. Ausschlaggebend ist letztlich immer die konkrete Konstellation des Einzelfalles (siehe zB Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7, 2021, Rz 82 f. und Kier, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §9 [Stand , rdb.at], jeweils mwN). Zu bemerken ist darüber hinaus, dass nicht die Verfahrensdauer schlechthin zu einer Verletzung des Art6 EMRK führt, sondern nur Verzögerungen, die dem Staat zuzuschreiben sind (zB Autengruber, in: Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte, Art6 EMRK Rz 85 f.).

Aus dem Gebot angemessener Verfahrensdauer folgert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung die Pflicht des Staates, seine Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass Verfahren innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens abgeschlossen werden können (vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7 §24 Rz 84; Kier, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §9 [Stand , rdb.at], jeweils mwN).

2.2.6.3. Die Strafprozessordnung enthält mehrere Bestimmungen, welche im Ergebnis bewirken sollen, dass das strafrechtliche (Ermittlungs- und Gerichts-)Verfahren in angemessener Zeit iSd Art6 Abs1 EMRK erledigt wird:

In diesem Sinne wurde etwa §9 Abs1 StPO durch das Strafprozessreformgesetz, BGBl I 19/2004, eingeführt. Die Materialien führen dazu aus, dass diese Bestimmung "das verfassungsrechtliche Gebot des Art6 Abs1 EMRK [wiederholt], wonach Strafverfahren stets in angemessener Zeit abzuschließen sind. Auch unter dem Blickwinkel der primären Aufgabe des Verfahrens, nämlich der Rechtsdurchsetzung, erscheint der angemessen rasche Abschluss des Verfahrens als vorrangig. Jede Prozessreform muss darauf bedacht sein, Beschleunigung und Wahrheitsfindung auszubalancieren und beide Ziele im größtmöglichen Umfang zu erreichen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Beschleunigung soll allerdings – wie nach geltendem Recht – grundsätzlich nicht zu einem durchsetzbaren Anspruch auf Einstellung des Verfahrens führen. Lediglich in extremen Fällen, in denen weitere Ermittlungen eine notwendige Verdichtung der Verdachtslage vernünftigerweise nicht (mehr) erwarten lassen, soll das Verfahren beendet werden und der Beschuldigte das Recht haben, dies geltend zu machen und durchzusetzen […]" (RV 25 BlgNR 21. GP, 33 f.).

Gemäß dem (allgemeinen) Beschleunigungsgebot des §9 Abs1 StPO ist – über den Anspruch des Beschuldigten auf Beendigung des Verfahrens innerhalb angemessener Frist hinaus – das Verfahren stets zügig und ohne unnötige Verzögerung durchzuführen. Nach dieser strafprozessualen Bestimmung sind dementsprechend die Staatsanwaltschaft bzw Kriminalpolizei zur effizienten Durchführung ihrer Ermittlungen, das Erstgericht zur zügigen Durchführung der Hauptverhandlung sowie zeitnahen Ausfertigung des Urteiles und das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über ein Rechtsmittel innerhalb eines angemessenen Zeitraumes verpflichtet (vgl McAllister, in: Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK-StPO, §9 Rz 4).

Bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes sieht das Gesetz ausgleichende Maßnahmen vor (siehe dazu zB Kier, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §9 Rz 39 ff [Stand , rdb.at]). Dazu gehören insbesondere der Milderungsgrund gemäß §34 Abs2 StGB sowie der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß §§363a bis 363c StPO. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann im Falle einer unangemessen langen Verfahrensdauer wegen Verletzung des Art6 Abs1 EMRK eine Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung der §§363a ff StPO auch ohne vorhergehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erwirkt werden ().

Neben §9 StPO ist in diesem Zusammenhang auch die Regelung des §108a StPO von Bedeutung. Diese unter der Überschrift "Überprüfung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens" stehende Regelung, welche mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl I 71/2014, eingeführt wurde, dient der Beschleunigung des Ermittlungsverfahrens (als Teilelement des gesamten Strafverfahrens) und damit auch dem Gebot des fairen Verfahrens nach Art6 Abs1 EMRK. Nach §108a Abs1 StPO darf die Dauer des Ermittlungsverfahrens bis zur Einbringung der Anklage (§210 StPO) oder Beendigung des Ermittlungsverfahrens nach dem 3. Teil dieses Gesetzes grundsätzlich drei Jahre nicht übersteigen. Kann das Ermittlungsverfahren nicht vor Ablauf der in Abs1 genannten Frist beendet werden, hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen das Gericht samt einer Stellungnahme über die Gründe für die Dauer des Ermittlungsverfahrens zu befassen (§108a Abs2 StPO). Soweit kein Grund für eine Einstellung des Verfahrens nach §108 Abs1 Z1 oder 2 StPO besteht, hat das Gericht auszusprechen, dass sich die Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens um zwei Jahre verlängert und ob eine der Staatsanwaltschaft anzulastende Verletzung des Beschleunigungsgebotes (§9 StPO) im Hinblick auf die Intensität des Tatverdachtes und das Verhalten des Beschuldigten im Verhältnis zum Umfang der Ermittlungen, der Komplexität der zu lösenden Tat- und Rechtsfragen und der Anzahl der Beteiligten des Verfahrens vorliegt. Die Bestimmungen der §§105 Abs2, 106 Abs5 letzter Satz und 108 Abs4 StPO gelten sinngemäß (§108a Abs3 StPO). Kann das Ermittlungsverfahren auch nicht vor Ablauf der nach Abs3 verlängerten Frist beendet werden, bestimmt §108a Abs4 StPO, dass die Staatsanwaltschaft das Gericht erneut auf die in Abs2 bezeichnete Weise zu befassen hat. In diesem Fall hat das Gericht wiederum nach Abs3 vorzugehen. Letztlich bestimmt §108a Abs5 StPO, dass die Fristen nach den vorstehenden Absätzen durch die in §58 Abs3 Z2 StGB genannten Verfahrenshandlungen für jeden an der Tat beteiligten Beschuldigten ausgelöst werden; Zeiten eines gerichtlichen Verfahrens nach §§108 und 112 StPO sowie Zeiten der Erledigung von Rechtshilfeersuchen durch ausländische Justizbehörden sind nicht in die Frist einzurechnen. Wird ein nach §197 StPO abgebrochenes oder ein nach den §§190 oder 191 StPO beendetes Verfahren fortgeführt oder ein Ermittlungsverfahren nach §§215, 352 Abs1 oder 485 Abs1 Z2 StPO wiedereröffnet, beginnt die Frist nach Abs1 von neuem zu laufen.

Das Gesetz ordnet also in §108a StPO eine amtswegige Überprüfung der Dauer des Ermittlungsverfahrens und keine absolute Höchstfrist an, weil eine solche als mit dem Prinzip der amtswegigen Wahrheitsforschung und mit dem staatlichen Auftrag der Strafverfolgung nicht vereinbar angesehen wird. Ist es nicht möglich, das Ermittlungsverfahren vor Ablauf der Höchstfrist abzuschließen, endet dieses somit nicht ex lege, sondern die Staatsanwaltschaft hat dem Gericht den Ermittlungsakt samt einer Stellungnahme über die Gründe für die Dauer des Ermittlungsverfahrens zu übermitteln. Dies soll eine umfassende Kontrolle der Effizienz der staatsanwaltlichen Leitung und eine frühzeitige Objektivierung der Dauer des Ermittlungsverfahrens gewährleisten (vgl RV 181 BlgNR XXV. GP, 4 ff.; Pilnacek/Stricker, in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §108a [Stand , rdb.at] Rz 2).

2.2.6.4. Die von den Antragstellern angefochtenen gesetzlichen Verjährungsfristen dienen mehreren wichtigen Zwecken, nämlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Endgültigkeit, dem Schutz potentieller Angeklagter vor veralteten Ansprüchen, denen möglicherweise entgegenzutreten ist, und der Verhinderung von unbilligen Ergebnissen, die entstehen können, wenn Gerichte über Ereignisse auf Grundlage von Beweisen, die auf Grund des Zeitablaufes unzuverlässig und unvollständig geworden sein könnten, entscheiden müssen (vgl EGMR , 22.083/93 und 22.095/93, Stubbings ua, Z51; , 21.722/11, Oleksandr Volkov, Z137). Gesetzliche Verjährungsfristen dienen somit in erster Linie anderen Zwecken als der Sicherstellung einer angemessenen Verfahrensdauer. Der Sicherstellung einer raschen und zügigen Durchführung des Verfahrens dienen in erster Linie Bestimmungen wie etwa §9 und §108a StPO.

Im Übrigen sieht das Strafgesetzbuch in §57 und §58 StGB ein nach Strafdrohungen abgestuftes, mitunter auch von prozessualen Erwägungen getragenes System der Verjährung der Strafbarkeit vor. Dass §58 StGB für bestimmte Fälle, insbesondere für ein laufendes Verfahren (Abs3 Z2), die Hemmung der Verjährungsfrist vorsieht, kommt nicht dem gänzlichen Fehlen einer Verjährungsfrist gleich. Vereinzelte Fälle überlanger Verfahrensdauer, in denen die Verjährung als Folge der langen Verfahrensdauer gehemmt ist, bedeuten (noch) keinen Verstoß des Regelungssystems an sich gegen Art6 EMRK. Solche vereinzelten Fälle betreffen den Vollzug der Gesetze durch die Strafverfolgungsbehörden, führen jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes (VfSlg 16.773/2002), zumal ein strukturelles Problem in der Strafprozessordnung nicht erkennbar und von den Antragstellern auch nicht dargetan worden ist (vgl EGMR [GK], 30.210/96, Kudła; , 45.369/07, Rambauske; vgl auch ).

Ob eine Verletzung des in Art6 EMRK enthaltenen Gebotes, eine Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" zu treffen, vorliegt oder nicht und damit möglicherweise auch eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens stattgefunden hat, ist sohin stets im Einzelfall zu beurteilen, aber keine Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen (wie etwa des angefochtenen §58 Abs3 Z2 StGB).

Die von den Antragstellern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des §58 Abs3 Z2 StGB unter dem Blickwinkel des Art6 EMRK liegt somit nicht vor.

2.2.6.5. Soweit die Antragsteller auch rechtsstaatliche Bedenken gegen §58 Abs3 Z2 StGB wegen einer (theoretisch) unendlichen Fortlaufhemmung ("Verlängerung") der Verjährungsfrist ins Treffen führen, kann sinngemäß auf die oben stehenden Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes zu Art6 EMRK verwiesen werden.

2.2.6.6. Die Antragsteller erachten die angefochtene Bestimmung auch deswegen als gleichheitswidrig, weil das Verwaltungsstrafrecht im Gegensatz zum Kriminalstrafrecht Regelungen über eine absolute Verjährung (der Verfolgung, der Strafbarkeit und der Vollstreckung) enthalte. Es sei zwar einzuräumen, dass gerichtliche Strafverfahren und insbesondere Wirtschaftsstrafverfahren aus guten Gründen oft länger als Verwaltungsstrafverfahren dauerten, diesem Umstand werde allerdings ohnehin durch die per se längeren kriminalstrafrechtlichen Verjährungsfristen Rechnung getragen. §58 Abs3 Z2 StGB verstoße aus diesem Grund gegen den Gleichheitsgrundsatz und widerspreche insofern dem Sachlichkeitsgebot, als der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen und insbesondere im Verwaltungsstrafrecht Regelungen vorgesehen habe, die eine unendliche Fortlaufhemmung ("Verlängerung") der Verjährungsfristen unterbinden würden.

Diesen Bedenken der Antragsteller ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes schon im Grundsatz zu entgegnen, dass das Verwaltungsstrafrecht und das Kriminalstrafrecht in Bezug auf die Durchführung und Ausgestaltung des Verfahrens und damit auch in Bezug auf Verjährungsfristen nicht vergleichbar sind. Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit der angefochtenen Bestimmung des §58 Abs3 Z2 (iVm §57) StGB seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat (vgl in diesem Zusammenhang auch VfSlg 20.280/2018 und 20.288/2018).

Die von den Antragstellern behauptete Gleichheitswidrigkeit des §58 Abs3 Z2 StGB liegt daher nicht vor.

2.2.6.7. Gemäß §58 Abs3a StGB bleibt eine nach den vorstehenden Absätzen (des §58 StGB) eingetretene Hemmung der Verjährung auch dann wirksam, wenn durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Hemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

Der Antragsteller zu G119/2023 ua, der (als einziger) §58 Abs3a StGB anficht, erachtet diese Regelung in Verbindung mit (dem angefochtenen) §58 Abs3 Z2 StGB als verfassungswidrig, weil im Falle einer Aufhebung des §58 Abs3 Z2 StGB durch den Verfassungsgerichtshof §58 Abs3a StGB bewirke, dass die Fortlaufshemmung nach wie vor gelte.

Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Auffassung des Antragstellers nicht: Abgesehen davon, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des §58 Abs3 Z2 StGB nicht als verfassungswidrig aufhebt, spricht §58 Abs3a StGB nur eine Änderung der Regelungen des §58 Abs3 StGB durch den Gesetzgeber an. Die Aufhebung einer Bestimmung des §58 Abs3 StGB durch den Verfassungsgerichtshof wird also durch §58 Abs3a StGB gar nicht erfasst. Die gegen diese Regelung geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gehen somit schon aus diesem Grund ins Leere.

2.2.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die von den Antragstellern vorgetragenen Bedenken gegen §58 Abs3 Z2 und §58 Abs3a StGB unbegründet sind.

2.3. Zur Anfechtung von §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020

2.3.1. Nach Auffassung der Antragsteller zu G319/2022 ua, G88/2022 ua und G119/2023 ua verstoßen §9 Z3 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020, sowie §3 COVID-19-VO, BGBl II 113/2020, und auch §3 COVID-19-VO idF BGBl II 138/2020, gegen den aus Art6 EMRK ableitbaren Unmittelbarkeitsgrundsatz sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der strafprozessuale Unmittelbarkeitsgrundsatz sei zwar nicht explizit verfassungsrechtlich abgesichert, lasse sich aber auf das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK zurückführen. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz schaffe nämlich die Voraussetzungen dafür, dass andere explizit gewährleistete Verfahrensgarantien eingehalten werden könnten. Dahinter stehe der Gedanke, dass die Wahrheitserforschung erfahrungsgemäß am besten anhand einer direkten Wahrnehmung der Beweise seitens des erkennenden Gerichtes gewährleistet werde. Die direkte und eigene Wahrnehmung sei jedoch nur zielführend, wenn das erkennende Gericht diese direkt aus der Verhandlung schöpfen könne. Liegen zwischen den einzelnen Wahrnehmungen längere Zeitabstände, bestehe die Gefahr, dass länger zurückliegende Beweismittel in Vergessenheit gerieten oder zumindest immer weniger greifbar würden. Dies beeinträchtige unweigerlich die Beweiswürdigung, was insbesondere (aber nicht nur) für Laienrichter gelte.

Die angefochtenen Bestimmungen verstießen vor diesem Hintergrund gegen Art6 EMRK, weil bei einer Vertagung, bei der die in §276a StPO normierte Zweimonatsfrist überschritten werde, die erforderliche Unmittelbarkeit nicht mehr gewahrt sei. §3 COVID-19-VO habe für ein Abgehen von diesem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz nicht einmal die Voraussetzung der Einvernehmlichkeit der Verfahrensparteien vorgesehen.

Die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wird zum einen darin erblickt, dass §276a StPO die Zulässigkeit der Überschreitung der Frist seit Vertagung der letzten Verhandlung an die Zustimmung aller Verfahrensbeteiligter binde, die angefochtenen Bestimmungen dies aber nicht vorsähen. Diese unterschiedliche Regelung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Zum anderen seien die angefochtenen Bestimmungen grundsätzlich unsachlich.

2.3.2. Die Bundesregierung erachtet demgegenüber die dargelegten Bedenken gegen die angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen schon insoweit als untauglich, eine etwaige Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen darzutun, als ihnen nicht zu entnehmen sei, warum die monierte Abweichung von der Konzentrationsmaxime eine unzulässige Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme iSd Art6 EMRK darstelle.

Die durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen ermöglichte Abweichung von dem der Konzentrationsmaxime dienenden §276a StPO konstituiere nicht schon für sich genommen eine Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK. Die Antragsteller hätten auch nicht begründet, inwiefern die – zeitlich begrenzte – Unterbrechung der in §276a StGB geregelten Frist geeignet sei, die Antragsteller in ihren Verteidigungsrechten zu verletzen.

Ungeachtet dessen ist nach Auffassung der Bundesregierung für die Beurteilung der Zulässigkeit der Abweichung von der Zweimonatsfrist des §276a StPO sowie in Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des in der angefochtenen Grundsatzbestimmung sich manifestierenden Eingriffes der Gesetzgebung in anhängige Verfahren die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Verordnungsermächtigungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes zu berücksichtigen. Der Verfassungsgerichtshof habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen wurde, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Einschränkungen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte für erforderlich hält (grundlegend ; weiters ; , V584/2020-17; , V392/2020; , V405/2020; , V429/2020; , V463/2020 ua). Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen, welche die Basis für die im weiteren erlassene Verordnung der Bundesministerin für Justiz bildeten, seien dabei im Zusammenhang mit den weiteren in Gesetzen und Verordnungen angeordneten Maßnahmen zu beurteilen. So seien mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, und der COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II 98/2020, Betretungsverbote für öffentliche Orte und erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens (vgl die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020) angeordnet worden ("Lockdowns"). Vor diesem Hintergrund hätten in kürzester Zeit Regelungen geschaffen werden müssen, um den Gerichtsbetrieb aufrechtzuerhalten und zugleich den geänderten tatsächlichen Bedingungen Rechnung zu tragen. Schon der Wortlaut des §9 des 1. COVID-19-JuBG bringe diesen Zusammenhang zum Ausdruck, indem er ausdrücklich auf die "Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020" abstelle.

Im konkreten Fall sei mit der angefochtenen Verordnungsermächtigung nicht nur dem sich laufend auch kurzfristig ändernden Infektionsgeschehen, sondern gerade auch den damit verbundenen Änderungen der Rechtslage und Umstände für die Verfahrensbeteiligten Rechnung getragen worden. Die Verordnungsermächtigung des §9 Z3 1. COVID-19-JuBG habe es ermöglicht, rasch auf pandemiebedingte Änderungen der faktischen wie rechtlichen Bedingungen zu reagieren und mit Verordnung den Ablauf der Frist des §276a StPO zeitlich (auf das notwendige Ausmaß) begrenzt zu unterbrechen und damit die Unmittelbarkeit des Strafverfahrens – wenngleich nicht erheblich – einzuschränken. Nicht zuletzt auf Grund der zeitlichen Anknüpfung der angefochtenen Bestimmung an die gesondert geregelten Betretungsverbote sei sichergestellt worden, dass die Beweisaufnahme wie das gesamte Strafverfahren so unmittelbar wie möglich geführt werden konnten.

2.3.3. Die Bundesministerin für Justiz verteidigt die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und des §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020 zunächst mit jenen Argumenten, welche auch die Bundesregierung zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verordnungsermächtigung vorgetragen hat. Im Übrigen habe die Bundesministerin für Justiz mit den angefochtenen Verordnungsbestimmungen ausschließlich für den Zeitraum vom bis zum Ablauf des (dem Ende der damaligen Betretungsverbote) den Ablauf der Frist des §276a StPO zeitlich (auf das notwendige Ausmaß) begrenzt unterbrochen und damit die Unmittelbarkeit des Strafverfahrens – wenngleich nicht erheblich – eingeschränkt.

Selbst wenn die Konzentrationsmaxime als selbstständige Teilgarantie des Art6 EMRK aufzufassen wäre, sei ein entsprechender Eingriff durch die temporäre Unterbrechung der Zweimonatsfrist des §276a StPO somit verhältnismäßig, weil die angefochtenen Bestimmungen ausdrücklich auf den geringstmöglichen Zeitraum beschränkt gewesen seien.

2.3.4. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sind die von den Antragstellern dargelegten Bedenken gegen §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020 unbegründet.

2.3.4.1. §276a StPO bestimmt: Ist die Verhandlung, nachdem sie begonnen hatte, vertagt worden (§§274 bis 276 StPO), kann der Vorsitzende in der späteren Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der früheren nach dem Protokoll und den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die Fortsetzung der Verhandlung daran anknüpfen. Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichtes geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind, es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten.

Gemäß §9 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 16/2020, konnte die Bundesministerin in Strafsachen für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, getroffen wurden, über die Fälle des §183 StPO hinaus die Zuständigkeit einer anderen als der nach §183 Abs1 StPO zuständigen Justizanstalt anordnen, ohne dass nach §183 Abs2 letzter Satz, Abs3 und 4 erster Halbsatz StPO vorgegangen werden müsste, und darüber hinaus durch Verordnung anordnen, dass "die Fristen nach §88 Abs1, §106 Abs3, §108a, §276a, §284 Abs1 und 2, §285 Abs1, §294 Abs1, §466 Abs1 und 2 und §467 Abs1 StPO für die Dauer der angeordneten Betretungsverbote unterbrochen werden" (Z3). Diese gesetzliche Verordnungsermächtigung trat am in Kraft.

Kurze Zeit später wurde diese Regelung durch BGBl I 24/2020 novelliert. Nach dem novellierten §9 Z3 1. COVID-19-JuBG konnte "die Bundesministerin für Justiz für die Dauer von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, getroffen wurden […]" durch Verordnung anordnen, dass "[…] 3. die Fristen nach […] §276a […] bis zum Ablauf des unterbrochen werden und mit neu zu laufen beginnen, wobei diese Unterbrechung mit Ausnahme der in §276a zweiter Satz StPO bezeichneten Frist nicht für Fristen im Verfahren gilt, in denen der Beschuldigte in Haft angehalten wird". Diese Regelung trat am in Kraft.

Gemäß §3 der – am 24. März in Kraft getretenen – Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, wurde unter anderem die Frist nach §276a StPO "für die Dauer der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, angeordneten Betretungsverbote" unterbrochen. Die Novellierung dieses §3 dieser Verordnung durch BGBl II 138/2020 trat am in Kraft. Nach §3 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz idF BGBl II 138/2020 wurde unter anderem die Frist nach §276a StPO bis zum Ablauf des unterbrochen und begann mit neu zu laufen.

Durch das Zusammenspiel der wiedergegebenen und angefochtenen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen wurde sohin die in §276a StPO vorgesehene Frist vom bis zum unterbrochen und begann am neu zu laufen.

2.3.4.2. §276a StPO trägt mehreren strafprozessualen Verfahrensgrundsätzen Rechnung. So dient die Zweimonatsfrist der Verfahrensbeschleunigung und damit dem in §9 StPO verankerten und in Art6 EMRK abgesicherten Beschleunigungsgebot. Bei Vertagungen hat das Gericht darauf zu achten, den neuen Termin innerhalb der Frist des §276a StPO festzusetzen (vgl Danek/Mann in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §276a Rz 7).

Darüber hinaus trägt §276a StPO nach herrschender Auffassung dem in §13 StPO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit und der Verfahrenskonzentration Rechnung (vgl Schmoller in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §13 Rz 24). Gemäß §13 StPO bildet die Hauptverhandlung den Schwerpunkt des Verfahrens. In ihr sind die Beweise aufzunehmen, auf Grund deren das Urteil zu fällen ist. Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist zum einen die Wahrheitserforschung; es soll ein möglichst ungefilterter Eindruck über die relevanten Beweismittel gewährleistet werden. Zum anderen sollen diese Beweise in der Verhandlung hinterfragt werden können und damit die Verteidigungsrechte bestmöglich gewahrt werden (vgl Schmoller in: Fuchs/Ratz, WK StPO, §13 Rz 7 f.).

2.3.4.3. Zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie traf der Gesetzgeber und auf gesetzlicher Grundlage der Verordnungsgeber zahlreiche Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (zB COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020; COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl II 98/2020, uvam). Im Bereich der Justiz erließen der Gesetzgeber und der Verordnungsgeber spezielle, auf Strafverfahren zugeschnittene Regelungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und zur Aufrechterhaltung bzw Bewältigung der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Behinderung der Strafverfahren. In diesem Sinne wurden unter anderem die nun angefochtenen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen erlassen, welche eine Unterbrechung der in §276a StPO festgelegten Frist ab dem bis zum vorsahen. Die in §276a StPO vorgesehene Frist begann am neu zu laufen.

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem von den Antragstellern aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art6 EMRK abgeleiteten Unmittelbarkeitsgrundsatz um den sogenannten zeitlichen Unmittelbarkeitsgrundsatz handelt.

In den Vorbringen der Antragsteller sind keine näheren Ausführungen zu finden, aus welchen Gründen die – zeitlich begrenzte – Unterbrechung der in §276a StGB geregelten Frist überhaupt geeignet war, die Antragsteller in ihren Rechten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art6 EMRK zu verletzen. Eine solche Verletzung kann auch der Verfassungsgerichtshof – schon alleine auf Grund der kurzzeitigen Unterbrechung der in §276a StPO vorgesehenen Frist vom 24. März bis zum – nicht erkennen.

Ein etwaiges Abweichen von dem derart verstandenen zeitlichen Unmittelbarkeitsgrundsatz der Konzentrationsmaxime bedeutet nicht per se einen Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens gemäß Art6 Abs1 EMRK. Ob eine Verletzung dieser Grundsätze erfolgt ist, ist im Einzelfall zu beurteilen.

2.3.4.4. Aus den genannten Gründen sind die angefochtenen Bestimmungen des §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020 nicht als verfassungs- bzw gesetzwidrig aufzuheben.

VI. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit erhobenen Bedenken gegen Teile von §45 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz und §45 Abs3 iVm §238 Abs2 und 3 StPO, §58 Abs3 Z2 und §58 Abs3a StGB sowie gegen Teile von §9 Z3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl I 16/2020, und §9 Z3 leg cit idF BGBl I 24/2020 sowie §3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 113/2020, und §3 dieser Verordnung idF BGBl II 138/2020 treffen nicht zu. Die diesbezüglichen Anträge sind daher insoweit abzuweisen.

2. Im Übrigen sind die zu G299/2022, G319/2022 ua und G88/2023 ua gestellten Anträge auf Aufhebung bloß von (Teilen des) §45 Abs1 StPO bzw von §§43 bis 45 StPO unzulässig und damit zurückzuweisen. Der zu G119/2023 ua gestellte (Haupt-)Antrag auf Aufhebung des Wortes "erkennende" in §45 Abs1 zweiter Satz StPO sowie der Eventualantrag auf Aufhebung von §45 Abs1 zweiter und dritter Satz StPO sind unzulässig und daher zurückzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2023:G299.2022

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.