zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH 04.10.2023, E2902/2022

VfGH 04.10.2023, E2902/2022

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom wurde der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, sie sei am , um 14.41 Uhr, im Gemeindegebiet von Weikersdorf am Steinfelde, Neunkirchner Allee 141, in Fahrtrichtung Südwesten, mit einem nach dem Kennzeichen näher bestimmten Personenkraftwagen entgegen dem angebrachten Vorschriftszeichen "Einbiegen nach links verboten" eingebogen. Über die Beschwerdeführerin wurde daher wegen einer Übertretung des §52 lita Z3a StVO 1960 gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Ferner wurde der Beschwerdeführerin ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerdeführerin wurde ferner ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens vorgeschrieben.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in keiner Weise mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt habe. So habe die Beschwerdeführerin insbesondere vorgebracht, dass sie mit ihrem Personenkraftwagen nicht auf das – in der der Bestrafung der Beschwerdeführerin zugrundeliegende Verordnung ausschließlich genannte – Grundstück Nr 454/5, sondern auf das Grundstück Nr 141/1 ("Halleluja-Zentrum") einbiegen habe wollen. Dieses Fahrmanöver sei nach dem Verordnungstext nicht verboten. Abgesehen davon sei die Verordnung nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden.

4. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

5. Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt hat über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes die Verordnungsakten vorgelegt.

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , WBS1-V-05399/045, hat folgenden Wortlaut (teilweise Wiedergabe, Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"Verordnung

Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt verfügt gemäß §43 Abs1 litb der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960 aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Gemeindegebiet von Weikersdorf/Stfld. Nachstehende Verkehrsmaßnahmen:

1.–3. […]

4. Den Lenkern von Fahrzeigen ist im Zuge der B 17 aus Fahrtrichtung Wiener Neustadt (Nordosten) das Einbiegen nach links in die nordöstliche Ausfahrt als auch in die südwestliche Einfahrt der Betriebsanlage auf dem Grundstück Grst.Nr 454/5, KG Weikersdorf/Stfd. (Neunkirchner Allee 141, 2700 Wiener Neustadt), verboten.

Diese Verordnung ist durch das Verkehrszeichen gemäß §52 Ziffer 3 a StVo 1960 'EINBIEGEN NACH LINKS VERBOTEN' mit dem Zusatz '2 x' kundzumachen.

5. […]

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft.

Ergeht an:

[…]

Für den Bezirkshauptmann:

[…]"

Die Kundmachung des Punktes 4. dieser Verordnung ist ausweislich der vorgelegten Verordnungsakten durch die Aufstellung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen erfolgt.

2. Am wurde im Zuge einer gewerbebehördlichen und wasserrechtlichen Überprüfung hinsichtlich der Betriebsanlage am Standort 2722 Weikersdorf am Steinfelde, Neunkirchner Allee 141, ua die Einhaltung der mit Bescheid vom , WBW2-BA-1614/001, vorgeschriebenen Auflagepunkte 2 bis 14 überprüft. In der Verhandlungsschrift vom wird zu Auflagepunkt 7 Folgendes festgehalten (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"Zu 7: Teilweise erfüllt.

Derzeit wird im Zuge der B 7 Fahrtrichtung Neunkirchen sichtbar ein VZ 'Einbiegen nach links verboten' mit dem Zusatz 2 x, auf Höhe der südöstlichen Grundstücksausfahrt kundgemacht. Entsprechend dem gegenständlichen Auflagepunkt ist der Zusatz zu entfernen und ein 2. FZ 'Einbiegen nach links verboten' auf Höhe der südwestlichen Grundstückszufahrt zusätzlich kundzumachen."

3. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , WBS1-V-05399/045, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"Verordnung

Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt verfügt gemäß §43 Abs1 litb der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960 aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Gemeindegebiet von Weikersdorf/Stfd. nachstehende Verkehrsmaßnahmen:

Den Lenkern von Fahrzeugen ist im Zuge der B 17 aus Fahrtrichtung Wiener Neustadt (Nordosten) das Einbiegen nach links

- im Bereich der südöstlichen Ausfahrt

- als auch im Bereich der südwestlichen Einfahrt

der Betriebsanlage auf dem Grundstück Grst.Nr 454/5, KG Weikersdorf/Stfd.

(Neunkirchner Allee 141, 2700 Wiener Neustadt), verboten.

Diese Verordnung ist durch die Verkehrszeichen gemäß §52 Ziffer 3 a StVO 1960 'EINBIEGEN NACH LINKS VERBOTEN' jeweils unmittelbar vor den Einfahrten - aus Fahrtrichtung Wiener Neustadt sichtbar - kundzumachen.

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft.

Die mit dieser Verordnung im Widerspruch stehende Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , Zahl WBS1-V-05399/045, Pkt. 4 wird aufgehoben und tritt mit der Entfernung der Verkehrszeichen außer Kraft.

Ergeht an:

[…]

Für den Bezirkshauptmann:

[…]"

Die Kundmachung dieser Verordnung ist ausweislich der vorgelegten Verordnungsakten durch die Aufstellung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen erfolgt.

4. Die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom , mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]

(1a)–(5) […]

[…]

§51. Allgemeines über Vorschriftszeichen.

(1) Die Vorschriftszeichen sind vor der Stelle, für die sie gelten, anzubringen. […]

(2) Die Vorschriftszeichen 'Einbiegen verboten' und 'Umkehren verboten' sind in angemessenem Abstand vor der betreffenden Kreuzung, die Vorschriftszeichen 'Vorrang geben' und 'Halt' sind im Ortsgebiet höchstens 10 m und auf Freilandstraßen höchstens 20 m vor der Kreuzung anzubringen. […]

(3)–(5) […]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Gegen die das angefochtene Erkenntnis tragenden Rechtsvorschriften sind vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine Bedenken entstanden. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde wurde die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegte Verordnung ausweislich der vorgelegten Verordnungsakten durch die Aufstellung entsprechender Straßenverkehrszeichen kundgemacht.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 20.299/2018) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002 und 19.518/2011).

2.1. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unterlaufen:

2.1.1. Der Beschwerdeführerin wird mit dem angefochtenen Erkenntnis ein Verstoß gegen Punkt 4. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , WBS1-V-05399/045, zur Last gelegt. Dabei ließ das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich jedoch unbeachtet, dass diese Verordnungsbestimmung mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , WBS1-V-05399/045, aufgehoben wurde und daher zum Tatzeitpunkt am nicht mehr in Kraft stand. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Bestrafung der Beschwerdeführerin sohin auf eine bereits außer Kraft getretene Rechtsvorschrift gestützt, ohne sich – insbesondere auch im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach das Abbiegen in die von ihr gewählte Zufahrt zum Grundstück Nr 141/1, KG Weikersdorf am Steinfelde, nicht verboten sei – mit der Frage zu befassen, ob die Strafbarkeit auf einer anderen Rechtsgrundlage bestanden hat. Es hat bereits dadurch die Rechtslage grob verkannt (vgl ).

Vor diesem Hintergrund kann hier offen bleiben, ob die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht angewendete Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom , WBS1-V-05399/045, ordnungsgemäß im Sinne des §51 Abs2 iVm §44 Abs1 StVO 1960 kundgemacht wurde.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm:
B-VG
ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2023:E2902.2022

Datenquelle: RIS — https://www.ris.bka.gv.at | Judikat (RIS)