Gesamtschuld, Gesellschafter, Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/0125-K/03-RS1 | Die zwangsweise Einbringung der der Personenvereinigung (Personengemeinschaft) gegenüber festgesetzten Abgaben bei den einzelnen Mitgliedern, setzt auch ein an die einzelnen Gesellschafter bzw. Mitglieder gerichtetes Leistungsgebot voraus. |
Entscheidungstext
BerufungsentscheidungDer unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Dr. Meinhard Aicher, gegen den Bescheid des Finanzamtes St. Veit betreffend Pfändung und Überweisung einer Geldforderung 2003 entschieden: Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Das Finanzamt pfändete mit Bescheid vom den Pensionsanspruch des Bw. bei einer österreichischen Sozialversicherungsanstalt und begründete diese Maßnahme damit, dass dieser als atypisch stiller Gesellschafter der "B.G.u.Mitges." (nicht protokolliertes Einzelunternehmen) Abgaben, Nebengebühren und Barauslagen iHv. € 6.641,98 dem Finanzamt schulde. Dem Bw. wurde die Verfügung über die Geldforderung untersagt.
In der Berufung vom wendet der Bw. ein, dass er lediglich als stiller Gesellschafter am Unternehmen des B.G. beteiligt sei. Er sei nie nach außen hin aufgetreten, da die stille Gesellschaft eine reine Innengesellschaft ist. In der Bundesabgabenordnung gäbe es demnach keine Norm, welche die Haftung des Bw. für Abgabenverbindlichkeiten des Geschäftsherrn B.G. begründe. Der Pfändungsbescheid sei rechtswidrig, weil kein Haftungsbescheid erlassen wurde.
In dieser Eingabe bekämpft der Bw. auch den Bescheid des Finanzamtes vom betreffend die Abweisung eines Rückzahlungsansuchens und beantragte die Erlassung eines Abrechnungsbescheides. Der Vertrag vom 21. Sepetember 2001 über die Errichtung der stillen Gesellschaft wurde beigelegt. Mit Berufungsvorentscheidung wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Das Finanzamt teilte mit Schriftsatz vom der Sozialversicherung mit, dass die gesamte Pension unter Wahrung des Pfandrechtes und Pfandranges ausbezahlt werden könne. Mit Eingabe vom beantragt der Bw. die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz und wendet die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ein.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 2 Bundesabgabenordnung sind Personen, die gemeinsam zu einer Abgabe heranzuziehen sind, Gesamtschuldner; dies gilt insbesondere auch für die Gesellschafter (Mitglieder) einer nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähigen Personenvereinigung (Personengemeinschaft) hinsichtlich jener Abgaben, für die diese Personenvereinigung (Personengemeinschaft) als solche abgabepflichtig ist.
Der zweite Halbsatz des § 6 Abs. 2 BAO soll für Personen gelten, die zwangsläufig oder rechtsgeschäftlich zu einer nichtrechtsfähigen Gesellschaft, Vereinigung, Gemeinschaft verbunden sind, wie zum Beispiel Erbengemeinschaften, Arbeitsgemeinschaften. Soweit nun für nichtrechtsfähige Personenvereinigungen oder Personengemeinschaften dieser Art materiell-rechtlichSteuerrechtssubjektivität (z.Bsp. nach dem UstG.) und damit verbunden die Eigenschaft der Steuerschuldnerschaft vorgesehen ist, könnte die Personenvereinigung oder die Personengemeinschaft als solche mangels zivilrechtlicher Schuldnerfähigkeit nicht als Schuldner zur Abgabenleistung herangezogen werden ( 205,269/76). Auf die Gesellschafter müsste im Wege der Haftung gegriffen werden. Durch § 6 Abs. 2 BAO wird sichergestellt, dass die Mitglieder einer nicht rechtsfähigen Personengemeinschaft in Bezug auf jene Abgaben, die die Gemeinschaft als Abgabensubjekt trifft, unmittelbar als Schuldner herangezogen werden können.
Aus § 6 BAO ergibt sich, dass ein Gesamtschuldverhältnis mit Verwirklichung des Tatbestandes an den das Gesetz die gesamschuldnerische Leistung knüpft, entsteht. Zwischen den von den materiell-rechtlichen Tatbeständen erfassten als Einheit zu betrachtenden Personen, also zwischen den gemeinsam Wirkenden, durch ein gemeinsames Handeln oder ein sie verbindendes Ereignis und auch durch gemeinsames Eigentum Zusammenwirkenden entsteht daher ein Gesamtschuldverhältnis kraft Gesetzes.
Sind die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hinsichtlich der die Vereinigung (Gesellschaft) treffenden Abgaben nach § 6 Abs. 2 BAO 2. Halbsatz Gesamtschuldner, so müsste dann, wenn das Leistungsgebot zunächst an die Vereinigung (Gesellschaft) ergeht, die Abgabenfestsetzung zudem auch gegenüber den Mitgliedern und Gesellschaftern erfolgen, um diese zutreffenderweise als Schuldner anzusprechen.
In gegenständlichem Sachverhalt ist strittig, ob der Bw. als atypisch stiller Gesellschafter für Verbindlichkeiten des Geschäftsherrn als Gesamschuldner zur Zahlung herangezogen werden kann.
Die stille Gesellschaft ist eine auf bestimmte oder unbestimmte eingegangene Verbindung zur Verfolgung eines durch die Mitglieder der Gesellschaft festgelegten Zwecks. Die Einlage des Stillen geht in das Vermögen des Inhabers des Handelsgewerbes des Geschäftsherrn über, d.h. es entsteht eine schuldrechtliche Beteiligung am Handelsgewerbe des Geschäftsherrn. Die stille Gesellschaft ist eine reine Innengesellschaft, welche keine Rechtspersönlichkeit hat und nicht parteifähig ist.
Die stille Gesellschaft ermöglicht die Beteiligung mit begrenztem Kapitaleinsatz (der Einlage) ohne Mitarbeit vorauszusetzen, ohne unmittelbar den Gläubigern des Unternehmens zu haften und ohne im Firmenbuch offengelegt zu werden.
Der stille Gesellschafter unterscheidet sich vom Kommanditisten darin, dass dieser im Firmenbuch eingetragen wird, dass er für Gesellschaftsverbindlichkeiten beschränkt im Rahmen der Hafteinlage unmittelbar den Gläubigern gegenüber haftet und dass er Gesamthandeigentümer des Unternehmens der KG ist. Der Kommanditist ist Gesellschafter einer Gesellschaft. Der stille Gesellschafter ist am Unternehmen beteiligt. Die stille Gesellschaft selbst betreibt kein Unternehmen. Es besteht kein gemeinsames Unternehmen. Die stille Gesellschaft ist keine Handelsgesellschaft sondern reine Innengesellschaft (vgl. Kastner, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts). Die Stellung des atypisch stillen Gesellschafters entspricht grundsätzlich der eines Kommanditisten, d.h. zwischen dem Inhaber des Handelsgewerbes und Stillem besteht eine Personengesellschaft im Sinne des § 23 Z 2 EStG. Der Gewinn/Verlust dieser Mitunternehmerschaft wird vom Betriebsfinanzamt einheitlich und gesondert festgestellt.
In gegenständlichem Sachverhalt pfändete das Finanzamt den Pensionsanspruch des Bw. gegenüber der Sozialversicherungsanstalt. Strittig ist nunmehr, ob einerseits der atypisch stille Gesellschafter als Gesamtschuldner zur Bezahlung der Abgabenverbindlichkeiten (Umsatzsteuerschuld) des B.G. heranzuziehen sei und ob Pfändungsmaßnahmen unmittelbar gegenüber den atypisch stillen Gesellschafter möglich sind.
Wie bereits eingangs festgestellt, handelt es sich bei der atypisch stillen Gesellschaft um eine Innengesellschaft. Das Gesellschaftsverhältnis erschöpft sich in den durch den Gesellschaftsvertrag festgelegten schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Inhaber des Handelsgewerbes (Geschäftsherrn) und dem stillen Gesellschafter. Da ersterer Eigentümer der Einlage des stillen Gesellschafters wird, besteht keine dingliche Mitberechtigung des stillen Gesellschafters an der Substanz des Handelsgewerbes. Der rein schuldrechtliche Charakter der Beteiligung bildet einen entscheidenden Unterschied zur gesamthänderischen Bindung der Einlage eines OHG-Gesellschafters oder eines Kommanditisten. Wenn die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Vermögensbeteiligung als das charakteristische Merkmal der stillen Mitunternehmerschaft betrachtet, so ist davon auszugehen, dass der stille Gesellschafter nur Gläubigerstellung gegenüber dem Geschäftsinhaber hat ( Zl. 83/15/0089).
Als reine Innengesellschaft kommt dem stillen Gesellschafter in dieser Gestaltung bzw. diesem Fall auch keine Unternehmereigenschaft am Unternehmen des Geschäftsherrn zu. Die Beteiligung als stiller Gesellschafter für sich allein begründet noch nicht die Unternehmereigenschaft des Stillen, weil die Leistung der Einlage nicht die Kriterien einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit erfüllt.
Für den gegenständlichen Sachverhalt bedeutet dies, dass der Bw. nicht als (Gesamt)Schuldner für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Geschäftsherrn heranzuziehen war, zumal dieser aufgrund der Vertragsgestaltung im Unternehmen des Geschäftsherrn "B.G." auch nicht unternehmerisch tätig wurde. Es fehlte daher die materiell-rechtlichSteuerrechtssubjektivität (z.Bsp. nach dem UStG.) und damit verbunden die Eigenschaft der Steuerschuldnerschaft hinsichtlich der Umsatzsteuer.
Hinsichtlich der Geltendmachung des Gesamtschuldverhälnisses ist darauf hinzuweisen, dass die zwangsweise Einbringung der einer nichtrechtsfähigen Personenvereinigung (Personengemeinschaft) gegenüber festgesetzten Abgaben jedenfalls ein an den betreffenden Gesellschafter (an das betreffende Mitglied) gerichtetes Leistungsgebot voraussetzt (vgl. ). Ein gegen eine solche nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähige Personenvereinigung oder Personengemeinschaft gerichtetes Leistungsbegebot (im Wege eines Abgabenbescheides) wäre für sich alleine nicht durchsetzbar.
Da dem Bw. gegenüber ein Leistungsgebot nicht ergangen ist, war der Berufung schon aus diesem Grunde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Während die Geltendmachung der Gesamtschuld ebenso wie die Geltendmachung der Steuerschuld selbst ein Akt der Abgabenfestsetzung ist, wird die Geltendmachung der Haftung der Abgabeneinhebung zugerechnet. Die Verwirklichung eines mit der Entstehung einer Gesamtschuld verbundenen Tatbestandes begründet kumulativ nebeneinander bestehende Schuldverpflichtungen. Damit hat jeder einzelne Gesamtschuldner bereits ab dem nach § 4 BAO zu beurteilenden Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld die Stellung eines Abgabenschuldners, auch wenn ihm gegenüber noch nicht die Schuld geltend gemacht wurde (Stoll, Das Steuerschuldverhältnis, 226ff).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Klagenfurt,
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 6 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Gesamtschuldverhältnis Entstehung |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
WAAAB-59560