Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 16.12.2003, RV/3530-W/02

Anregung zur amtswegigen Wiederaufnahme nach rechtskräftigen Schätzungsbescheiden

Beachte

VwGH-Beschwerde zur Zl. 2004/13/0036 eingebracht. Zurückweisung mit Beschluss vom .


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtssätze
Folgerechtssätze
RV/3530-W/02-RS1
wie RV/2248-W/02-RS2
Der Abgabepflichtige hat kein subjektives Recht auf Wieder­aufnahme des Verfahrens von Amts wegen (vgl. Ritz, BAO-Kommentar², § 303 Tz 37). Aus der Anregung auf Vornahme einer amtswegigen Wiederaufnahme erwächst kein Recht auf Entscheidung über diese Anregung. Durch die Abweisung einer derartigen Anregung kann daher der Abgabepflichtige auch nicht in einem Recht verletzt werden (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2945; ; ). Eine gegen einen solchen Bescheid gerichtete Berufung ist daher auch deshalb abzuweisen, weil durch den abweisenden Bescheid des Finanzamtes eine Rechtsverletzung nicht eintreten kann.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch R. S., gegen den Bescheid des Finanzamtes für den 6., 7. und 15. Bezirk in Wien betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO von Amts wegen entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Hinweis

Diese Berufungsentscheidung wirkt gegenüber allen Beteiligten, denen gemeinschaftliche Einkünfte zufließen (§§ 191 Abs. 3 lit. b BAO). Mit der Zustellung dieser Bescheidausfertigung an eine nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person gilt die Zustellung an alle am Gegenstand der Feststellung Beteiligten als vollzogen (§ 101 Abs. 3 BAO).

Rechtsbelehrung

Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.

Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

Entscheidungsgründe

Die Miteigentumsgemeinschaft (Bw.) erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus der Liegenschaft P.gasse XX, Wien.

Das Finanzamt ermittelte im vorliegenden Fall die Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen für das Jahr 1999 gemäß § 184 BAO im Schätzungswege. Gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 188 BAO sowie gegen den Umsatzsteuerbescheid 1999 (beide vom ) wurde trotz zweimaliger Fristverlängerung keine Berufung eingebracht.

Am regte der steuerliche Vertreter der Bw. die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens mit folgender Begründung an: "Bei den o.a. Einkünften handelt es sich um solche aus einem Mietzinshaus. Es gab seitens der Hausverwaltung Probleme bei der Erstellung des Beiblattes 1999, die - wie sich erst spät herausstellte - aus der Tatsache resultieren, dass das Haus mit Stichtag verschenkt wurde. Wir meinen, dass die Schätzung des Finanzamtes die Tatsache, dass das Haus nur bis zum der Einnahmenerzielung dienen konnte, nicht berücksichtigen konnte und die Behörde - wäre ihr dies bekannt gewesen (eine Kopie des Schenkungsvertrages wurde anlässlich einer persönlichen Vorsprache am verlangt) - zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen, somit ein Grund zur amtswegigen Wiederaufnahme nach § 303 BAO gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Ziel einer amtswegigen Wiederaufnahme, insgesamt eine rechtsmäßiges Ergebnis zu erreichen."

Am erließ das Finanzamt einen abweisenden Bescheid betreffend "Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 303 BAO" mit folgender Begründung:

"Der Feststellungsbescheid für 1999 wurde am von der Hausverwaltung R.S. übernommen. Die Frist zur Einreichung einer Berufung wurde aufgrund eines Antrages vom bis zum und eines weiteren Antrages vom bis zum verlängert. Die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen gehört zu den Mindesterfordernissen einer sorgfältigen Organisation. Die Vernachlässigung der zumutbaren Überwachung und Überprüfung geht hierbei zu Lasten der Partei. Waren die Tatsachen oder Beweismittel bekannt oder hätten sie der Partei bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, dann können diese nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens Berücksichtigung finden. Da der Umstand der unentgeltlichen Übertragung der Liegenschaft bereits im August 2001 bekannt war und die Einbringung einer Berufung verabsäumt wurde, besteht für die Aufrollung des Verfahrens für 1999 keine Veranlassung."

Die dagegen erhobene Berufung wurde wie folgt begründet:

"Ich kann Ihren Ausführungen zwar grundsätzlich folgen, eine Wiederaufnahme kann nicht die Versäumnisse bekannter Fakten reparieren. Ich meine jedoch, dass im gegenständlichen Fall die Umstände doch derart gelagert sind, dass eine Wiederaufnahme zur Beseitigung eines durch die unter falschen Voraussetzungen - die Tatsache der Schenkung war weder mir noch der Behörde bekannt - erfolgte Schätzung der Behörde vorgenommen werden sollte. Wenn die Behörde bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen davon ausgeht, dass ein ganzjähriger Betrieb vorliegt, es sich jedoch in der Folge herausstellt, dass dies nicht der Fall ist, sondern vielmehr nur ein halbes Jahr Einkünfte erzielt werden konnten, so sollte dies zur Aufrechterhaltung einer gerechten Besteuerung im Zuge einer Wiederaufnahme bereinigt werden. Ich meine auch, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtssprechung drauf abzielt, hervorgekommene Steuerungerechtigkeiten infolge ursprünglich falscher Voraussetzungen zu beseitigen."

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich die angeregte, aber nicht erfolgte Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Feststellung sowie der Umsatzsteuer für das Jahr 1999.

Gemäß § 303 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei sowie von Amts wegen wieder aufgenommen werden. Eine Wiederaufnahme auf Antrag ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zwingend vorzunehmen. Hingegen handelt es sich bei der Wiederaufnahme von Amts wegen um eine Ermessensentscheidung (zB , ÖStZB 1996, 456; , 93/14/0187, 0188, ÖStZB 1999, 294), deren Rechtmäßigkeit unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 20 BAO zu beurteilen ist.

§ 20 BAO lautet: "Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

Die im § 20 erwähnten Ermessenskriterien der Billigkeit und Zweckmäßigkeit sind grundsätzlich und subsidiär zu beachten. Zu berücksichtigen ist auch der Grundsatz der gleichmäßigen steuerlichen Behandlung (vgl. Ritz, Kommentar zur BAO, § 20, Tz. 6).

Unter Billigkeit versteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das "öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben" (vgl. Ritz, Kommentar zur BAO, § 20, Tz. 7).

Von zentraler Bedeutung für die Ermessensübung ist die Berücksichtigung des Zweckes der das Ermessen einräumenden Norm. Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis.Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit(der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Wiederaufnahme letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde (vgl. Ritz, Kommentar zur BAO, 2. Auflage, § 303, Tz. 38).

Im vorliegenden Fall wurde trotz zweimaliger Fristverlängerung durch das Finanzamt keine Berufung gegen die Schätzungsbescheide eingebracht. Überdies wurden bis dato weder im Zusammenhang mit der Anregung der amtswegigen Wiederaufnahme noch im Zuge der Berufung gegen die diesbezügliche Abweisung nachträglich Steuererklärungen eingereicht bzw. eine Überschussrechnung (Einnahmen/Ausgabenrechnung) für das Jahr 1999 vorgelegt. Der Hinweis auf die (Mitte des Jahres 1999) erfolgte Schenkung der Liegenschaft ermöglicht für sich alleine keinesfalls die Beurteilung der steuerlichen Auswirkungen einer allfälligen Wiederaufnahme des Verfahrens; sodass mangels konkreter Angaben über die im Streitjahr erzielten Ergebnisse nicht davon ausgegangen werden kann, dass Umstände gewichtiger Art hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach Literatur und Rechtssprechung sind amtswegige Wiederaufnahmen idR nicht zu verfügen, wenn die steuerlichen Auswirkungen bloß geringfügig sind. Die Geringfügigkeit ist anhand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmsgründe zu beurteilen (vgl. Ritz, BAO-Kommentar, zu § 303, Tz. 40). Da es jedoch im vorliegenden Fall die Bw. ihrer Offenlegungspflicht nicht entsprochen hat und es der Abgabenbehörde daher unmöglich war, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen, ist eine Beurteilung der Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen einer Wiederaufnahme nicht möglich, sodass sie auch nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Unterlassung der Wiederaufnahme (wegen Geringfügigkeit der Auswirkungen) ist auch "zweckmäßig" iSd § 20 BAO, weil die Berücksichtigung des mit einer Bescheiderlassung verbundenen Verwaltungsaufwandes wegen des Grundsatzes der Sparsamkeit der Verwaltung geboten erscheint. Dass die Verwaltung auch Überlegungen der Sparsamkeit (Verwaltungsökonomie) zu berücksichtigen hat, ergibt sich nicht zuletzt auch aus Art 126b Abs 5 B-VG (wonach sich die Überprüfung des Rechnungshofes ua auf die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu erstrecken hat, vgl. Ritz, BAO-Kommentar zu § 303, Tz. 40).

Außerdem ist jeder Schätzung eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen (vgl. Ritz, BAO-Kommentar, Wien 1999, zu § 184 BAO, Tz. 3 und die dort zitierte Judikatur). Der bloße Hinweis auf die 1999 erfolgte Schenkung kann somit die mangelnde Einreichung von Abgabenerklärungen nicht ersetzen und stellt keine ausreichende Mitwirkung der Bw. bzw. dessen steuerlichen Vertreters dar. Damit geht auch das Vorbringen in der Berufung, dass der Verwaltungsgerichtshof darauf abziele, Steuerungerechtigkeiten infolge ursprünglich falscher Voraussetzungen zu beseitigen, ins Leere.

Die Vorgehensweise des Finanzamtes, die von der Bw. angeregte amtswegige Wiederaufnahme nicht durchzuführen, ist daher vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Abgesehen davon räumt § 303 Abs. 4 BAO nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Partei kein subjektives Recht (vgl. , ÖStZB 1998, 23; , 87/16/0003, ÖStZB 1988, 499) auf eine Wiederaufnahme von Amts wegen ein. Aus der Anregung auf Vornahme einer amtswegigen Wiederaufnahme erwächst kein Recht auf Entscheidung über diese Anregung. Durch die Abweisung einer derartigen Anregung kann daher der Abgabepflichtige auch nicht in einem Recht verletzt werden (vgl Stoll, BAO-Kommentar, 2945; , ÖStZB 1997, 23 und vom , 96/13/0200, ÖStZB 1999, 383). Eine gegen einen solchen Bescheid gerichtete Berufung ist daher auch deshalb abzuweisen, weil durch den abweisenden Bescheid des Finanzamtes eine Rechtsverletzung des Bw. nicht eintreten kann.

Da somit keine gesetzliche Verpflichtung für das Finanzamt bestand, einen Bescheid über die Abweisung eines "Antrages" (richtigerweise müsste es "Anregung" heißen) auf Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zu erlassen, wäre in diesem Fall die bloße Mitteilung darüber, dass eine Wiederaufnahme von Amts wegen nicht verfügt werde, ausreichend gewesen.

Die Rechtsprechung gesteht also einen verfolgbaren Anspruch auf eine Maßnahme nach § 303 Abs 4 prinzipiell nicht zu . Unbeschadet der für die Abgabenbehörden bestehenden Verpflichtung zu einer Übung des Ermessens im Sinne des Gesetzes kann sohin eine Partei dadurch, dass die Behörde die von ihr erstrebte Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nach § 303 Abs 4 nicht durchführt, nicht in einem subjektiven (verfolgbaren, durchsetzbaren) Recht verletzt sein (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Band III, S. 2945 und die dort zitierte Judikatur).

Die Berufung war daher abzuweisen.

Wien,

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Anregung zur amtswegigen Wiederaufnahme

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at