1. Amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens auch nach verschuldeter unvollständiger Ermittlung der Behörde 2. Keine "Abzinsung" des Kaufpreises durch Aufnahme eines Wohnbauförderungsdarlehens
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Miterledigte GZ: |
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RV/0784-G/02 |
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Rechtssätze | |
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Stammrechtssätze | |
RV/0783-G/02-RS2 | Eine "Abzinsung" des Kaufpreises kommt durch ein vom Erwerber aufgenommenes Wohnbauförderungsdarlehen nicht in Betracht. Die dem Veräußerer versprochene und zu Gute kommende Leistung, die die Gegenleistung nach den Bestimmungen des GrEStG ist, wird dadruch nicht geändert. |
Folgerechtssätze | |
RV/0783-G/02-RS1 | wie RV/0959-G/02-RS3 Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel kann selbst bei Verschulden der Behörde an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen im Erstverfahren einen Wiederaufnahmsgrund bilden. |
Entscheidungstext
BerufungsentscheidungDer unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw. gegen den Bescheid des Finanzamtes Urfahr, Abteilung für Gebühren und Verkehrsteuern, vom , betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO und Grunderwerbsteuer im wiederaufgenommenen Verfahren entschieden: Die Berufung gegen den Bescheid betr. Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO und gegen den Grunderwerbsteuerbescheid im wiederaufgenommenen Verfahren wird als unbegründet abgewiesen.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Am 5./ schlossen der Berufungswerber und seine Ehegattin (in der Folge kurz "die Berufungswerber" genannt) einen Kaufvertrag mit den Verkäufern einer Liegenschaft über den Kauf eines aus dieser Liegenschaft parzellierten Grundstückes. Im Punkt 3) dieses Kaufvertrages wurde zwischen den Vertragsparteien vereinbart, dass die Rechtswirksamkeit des Vertrages abhängig von der Genehmigung des angeführten Teilungsplanes mit der Bauplatzerklärung bezüglich des vertragsgegenständlichen Grundstückes ist. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass nach dem vorliegenden Bebauungsplan, die im Sinne des angeführten Teilungsplanes neu geschaffenen Baugrundstücke zur Errichtung einer Reihenhausanlage vorgesehen sind.
Vom Finanzamt wurde den Käufern für diesen Rechtsvorgang mit Bescheiden vom die Grunderwerbsteuer vorgeschrieben. Die Bemessungsgrundlage wurde je aus der Summe der Hälfte des Kaufpreises für das Grundstück und der Hälfte der geschätzten Vermessungskosten ermittelt.
Auf Grund weiterer Ermittlungen des Finanzamtes zur Überprüfung der Bauherreneigenschaft der Käufer wurde im November 1996 Folgendes festgestellt: Der Erwerb des Grundstückes war verbunden mit der Errichtung eines Reihenhauses. Der Kontakt zwischen den Berufungswerbern und den Verkäufern des Grundstücks wurde vom Organisator Fa. C. vermittelt, welche das Projekt Reihenhausanlage "WOHNPARK P. III" mit einem Prospekt bewarb. In diesem Prospekt findet man zwei Lagepläne, in denen die geplante Reihenhausanlage eingezeichnet wurde, Pläne (Grundriss, Ansicht und Schnitt) des Reihenhauses und ein Verzeichnis, welche Leistungen die Fa. C. erbringt, das wie folgt lautet:
Wir sind Ihr Bauträger.
Wir haben uns bemüht, ein schönes und doch preisgünstiges Grundstück für Sie zu finden.
In Zusammenarbeit mit Architekten, Baumeister und den anderen Professionisten, haben wir diese Reihenhausanlage konzipiert.
Wir haben auf die Planung und den damit verbundenen Baupreis wesentlichen Einfluss.
Auf Wunsch erstellen wir Ihren persönlichen Finanzierungsplan, im Zusammenhang mit sämtlichen Förderungsmöglichkeiten.
Wir übernehmen für Sie die Abwicklung bei Banken, Bausparkassen, Land, Gemeindeämter, etc..
Weiters ist im Prospekt für die Ausstattung des Gebäudes die Leistungsbeschreibung für die Baustufen I, II und III mit den dazugehörigen Pauschalpreisen (Fixpreis bis zur Baufertigstellung) angeführt. Dann findet man noch eine Auflistung der Nebenkosten, einen Finanzierungsplan und die Grundstückspreise aller neu gebildeten Parzellen.
Am wurde der Fa. C. die Baubewilligung für die Errichtung einer Reihenhausanlage erteilt. Der Bauvertrag über die Lieferung eines Reihenhauses - Baustufe I lt. Projektmappe der Fa. C. wurde sodann zwischen den Berufungswerbern und der, vom Organisator Fa. C. namhaft gemachten, Baufirma S. abgeschlossen. Punkt 11) besagt, dass die im Jahr 1992 an die Fa. C. geleistete Anzahlung von S 100.000,00 bei der Schlussrechnung zum Abzug gebracht wird. In der Schlussrechnung vom über das Haus der Berufungswerber wird von der Baufirma S. ein Betrag von S 1,426.000,00 verrechnet.
Auf Grund dieser Feststellungen wurde vom Finanzamt mit Bescheiden vom gegenüber den Berufungswerbern die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO verfügt und die Grunderwerbsteuer neu festgesetzt. Die Bemessungsgrundlage errechnete sich aus der Summe des Grundstück-Kaufpreises, der geschätzten Vermessungskosten und der Baukosten für die Errichtung des Reihenhauses, je zur Hälfte.
Gegen diese Bescheide wurden von den Bescheidadressaten Berufungen eingebracht mit der Begründung, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig sei, da bereits im Kaufvertrag über die Liegenschaft angeführt sei, dass auf dem Grundstück ein Reihenhaus errichtet werde. Außerdem sei von den Berufungswerbern ein Darlehen nach dem Wohnbauförderungsgesetz von je S 350.000,00 aufgenommen worden und sei dieses auf Grund der 30jährigen Laufzeit entsprechend abzuzinsen.
In der Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes wurde die Berufung gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO und gegen den Grunderwerbsteuerbescheid als unbegründet abgewiesen.
Daraufhin stellte der Berufungswerber den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz mit der ergänzenden Begründung, dass die Abgabenbehörde I. Instanz bzw. der Organwalter des zuständigen Referates gewusst habe, dass es sich, auf Grund der Vielzahl identer Kaufverträge, der Inserate, etc., um eine organisierte Siedlungshausanlage gehandelt habe und dass keinerlei Bauherreneigenschaft bei den Erwerbern gegeben war. Aus diesem Grund sei die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtswidrig und nach dem Erkenntnis des , sei das Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen im Hinblick auf die Bedeutung der Rechtskraft von Bescheiden streng zu prüfen.
Über die Berufung wurde erwogen:
1) Wiederaufnahme des Verfahrens
Gem. § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens hat den Zweck, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen. Sie soll ein bereits abgeschlossenes Verfahren wieder eröffnen, einen Prozess, der durch einen rechtskräftigen Bescheid bereits einen Schlusspunkt erreicht hat, erneut in Gang bringen (vgl. und , 0165)
Bestand im abgeschlossenen Verfahren hinsichtlich Tatsachen lediglich ein Verdacht, wird also bloß vermutet, dass der Sachverhalt in Wirklichkeit ein anderer ist als der, der der Behörde bekannt gegeben wurde und der Behörde bekannt geworden ist, ohne dass mit dem für möglich gehaltenen Sachverhalt die ihm entsprechenden Rechtsfolgen verbunden werden, so bedeutet der spätere Nachweis des bis dahin lediglich vermuteten, des bis dahin von einem Verdacht, aber nicht von der Kenntnis, der Gewissheit oder dem Erwiesensein erfassten Sachverhaltes eine Neuerung im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO (vgl. Stoll, BAO-Kommentar Band 3, 2932).
Es kann nun sein, dass die Abgabenbehörde abgabenrechtlich bedeutsame Tatsachen nicht oder nicht vollständig ermittelt, weil sie den erhobenen Sachverhalt für ausreichend und weitere Tatsachenfeststellungen für unmaßgebend oder bedeutungslos hält. Diesfalls kann das spätere Hervorkommen neuer entscheidungsbedeutsamer Tatsachen oder Beweismittel in Bezug auf diesen Sachverhalt einen Wiederaufnahmsgrund bilden, und zwar dann, wenn bisher unbekannt gebliebene Sachverhalte überhaupt oder in ihrem vollen Ausmaß erst später bewusst und bekannt werden (z.B. ). Selbst wenn der Behörde ein Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen im Erstverfahren vorzuwerfen ist, bildet die spätere Feststellung einen Wiederaufnahmsgrund (Stoll, BAO-Kommentar Band 3, 2932 und 2934 mwN).
Es ist also bei der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens - im Gegensatz zur Antragswiederaufnahme - nicht erforderlich, dass die Tatsachen oder Beweismittel, die neu hervorkommen, ohne Verschulden von der die Wiederaufnahme verfolgenden Behörde bisher nicht geltend gemacht werden konnten. Der Tatbestand des § 303 Abs. 4 BAO wurde insoweit bewusst im Gegensatz zu Abs. 1 verschuldensneutral formuliert. Selbst wenn also die Abgabenbehörde wegen des Unterlassens von entsprechenden Ermittlungen der Vorwurf der Nachlässigkeit, Oberflächlichkeit oder Sorgfaltsverletzung trifft, ist die Wiederaufnahme nicht ausgeschlossen. Wird daher ein Erstverfahren (nur) unter Zugrundelegung eines vom Abgabepflichtigen bekannt gegebenen Sachverhaltes durchgeführt und stellt sich erst später heraus, dass die Erklärungen des Abgabepflichtigen nicht vollständig waren, so ist eine spätere Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund der erst später festgestellten Tatsachen zulässig. Dies gilt selbst dann, wenn für die Abgabenbehörde die Möglichkeit bestanden hätte, sich schon früher die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen und die Behörde diese Möglichkeit verschuldetermaßen nicht genützt hat (Stoll, BAO-Kommentar Band 3, 2934 mwN). Das von den Berufungswerbern zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Antragswiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 BAO ergangen.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten und durch die Aktenlage gedeckt, dass die Berufungswerber in ihrer dem Finanzamt vorgelegten Abgabenerklärung nicht angegeben haben, dass sie neben dem Grundstücks-Kaufvertrag den Vertrag mit dem Organisator Fa. C. als Reihenhauswerber abgeschlossen haben. Im Grundstücks-Kaufvertrag findet man zwar einen Hinweis, dass nach dem vorliegenden Bebauungsplan die im Sinne des Teilungsplanes neu geschaffenen Baugrundstücke zur Errichtung einer Reihenhausanlage vorgesehen sind, aber das Finanzamt gelangte erstmals nach Erlassung des ersten Bescheides vom auf Grund eines Vorhalteverfahrens Kenntnis von der Errichtung des Reihenhauses, des damit in Zusammenhang bestehenden Vertragsgeflechtes und der fehlenden Bauherreneigenschaft der Berufungswerber. Dabei handelt es sich zweifelsohne um das neue Hervorkommen von Tatsachen oder Beweismittel, wie es die o.a. gesetzliche Bestimmung erfordert, da erst dadurch die Möglichkeit geschaffen wurde, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen.
Damit ist die Frage des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes bejaht. In Ausübung des Ermessens hat von Amts wegen die Wiederaufnahme angeordnet werden können.
Die Entscheidung, das Verfahren wieder aufzunehmen, ist den Umständen nach angemessen, weil den Berufungswerbern hätte bekannt sein müssen, dass in Fällen wie diesen auch der Kaufpreis für das Reihenhaus der Grunderwerbsteuer unterzogen wird. Die nicht erfolgte Anzeige des Vertrages mit der Fa. C. und des Bauvertrages durch die Berufungswerber verhindert allfällige Billigkeitserwägungen. Die nunmehrige Einbeziehung des zusätzlichen Kaufpreises für das Reihenhaus folgt dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit. Die Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigen die gesellschaftlichen Vorstellungen vom Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der jeweiligen Vorschrift, dh. der Einhaltung der Gesetze (vgl. , 0165).
2) Grunderwerbsteuer im wiederaufgenommenen Verfahren
Auf Grund der Ausführungen der Berufungswerber im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz ist außer Streit gestellt, dass bei den Erwerbern der Reihenhäuser keine Bauherreneigenschaft für die Errichtung der Gebäude gegeben war.
Somit ist lediglich strittig, ob das aufgenommene Wohnbauförderungsdarlehen abzuzinsen wäre: Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass, wenn auch der Erwerber durch die Aufnahme eines Förderungsdarlehens Finanzierungsvorteile bei der Aufbringung des Kaufpreises hat, ändert dies - wie im Übrigen auch im Fall einer ungünstigen Finanzierung zB. bei hoher Darlehensverzinsung - doch nicht die dem Veräußerer versprochene und zu Gute kommende Leistung, die die Gegenleistung nach den Bestimmungen des GrEStG ist. Eine "Abzinsung" des Kaufpreises kommt daher nicht in Betracht ().
Auf Grund des im gegenständlichen Fall vorliegenden Sachverhaltes, der gesetzlichen Bestimmungen und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war über die Berufung wie im Spruch zu entscheiden.
Graz,
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 5 Abs. 1 Z 1 GrEStG 1987, Grunderwerbsteuergesetz 1987, BGBl. Nr. 309/1987 |
Schlagworte | amtswegige Wiederaufnahme Verschulden Abzinsung Wohnbauförderungsdarlehen |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
AAAAB-58432