Vorliegen eines die Abgabeneinhebung gefährdenden Verhaltens bei einem Umsatzsteuerkarussell
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RV/3726-W/02-RS1 | Auch ein Verhalten, das für die Abgabenfestsetzung von Bedeutung und daher Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () gleichzeitig als ein die Abgabeneinhebung gefährdendes Verhalten im Sinne des § 212a Abs. 2 lit. c BAO angesehen werden. Verlagert ein Abgabepflichtiger den wirtschaftlichen Erfolg seiner Aktivitäten durch fingierte Betriebsaufwendungen - dazu gehören auch überhöhte Einstandspreise - ins Ausland und hat diese Vorgangsweise zur Folge, dass die für die Entrichtung der tatsächlich geschuldeten Abgaben erforderlichen finanziellen Mittel durch Zahlungsfluss ins Ausland dem Zugriff der österreichischen Finanzverwaltung entzogen werden, so ist ein solches Verhalten gleichermaßen für die Ermittlung der Abgabenbemessungsgrundlagen wie auch für die Abgabeneinhebung von Relevanz. Es kann daher durchaus den Tatbestand des § 212a Abs. 2 lit. c BAO erfüllen, vorausgesetzt, dass es zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Einhebung als Verhalten oder als dessen Wirkung noch anhält. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch Dr. Fritz Riedel, gegen den Bescheid des Finanzamtes Tulln vom betreffend Aussetzung der Einhebung entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird insofern abgeändert, als die Einhebung der Umsatzsteuer 1998 in Höhe von € 2,890.628,77, der Umsatzsteuer 1999 in Höhe von € 4,051.164,37, der Körperschaftsteuer 1998 in Höhe von € 2.008,83, der Körperschaftsteuer 1999 in Höhe von € 7.926,57, der Umsatzsteuer 2000 in Höhe von € 3,728.232,07, der Umsatzsteuer 2001 in Höhe von € 5,931.078,11, des Säumniszuschlages 1998 in Höhe von € 57.812,58, des Säumniszuschlages 1999 in Höhe von € 81.027,54 und des Säumniszuschlages in Höhe von € 74.564,64 gemäß § 212a Abs. 1 BAO ausgesetzt wird.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Bw. vom auf Aussetzung der Einhebung von Abgaben im Ausmaß von insgesamt € 16,824.443,48 gemäß § 212a Abs. 2 lit. c BAO ab.
In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung beantragte die Bw., diesen Bescheid aufzuheben und dem Antrag vom betreffend die Aussetzung der Einhebung von Abgaben gemäß § 212a BAO vollinhaltlich stattzugeben.
Anlässlich der Schlussbesprechung am bei der Frau Amtsvorstand des Finanzamtes sei dem Bw. unter Beisein von Frau HE und Herrn WL ausdrücklich zugesagt worden, dass einem Aussetzungsantrag gemäß § 212a BAO zugestimmt werde. Einem Abgabepflichtigen stehe eine derartige Aussetzung auch gesetzlich zu, wenn die Abgabenbehörde in einem Bescheid von einer eingereichten Steuererklärung abgewichen sei, dieses Abweichen eine Nachforderung herbeigeführt habe und der Abgabepflichtige wegen dieses Abweichens eine Berufung eingebracht habe. Unbestritten sei, dass infolge der Betriebsprüfung eine Abweichung von den eingereichten Steuererklärungen erfolgt sei und gegen diese Bescheide eine Berufung eingebracht worden sei. In der Begründung zum Abweisungsbescheid werde weder auf die Zusage von Frau SF eingegangen noch auf den oben zitierten gesetzlichen Anspruch.
Laut Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes () könne sich der Abgabepflichtige nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf die ihm von der Finanzbehörde erteilten Auskünfte verlassen, falls die Auskunft von der zuständigen Abgabenbehörde erteilt worden sei, die Auskunft nicht offensichtlich unrichtig sei und von einer klaren eindeutigen Rechtslage abweiche. Laut Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes () bedeute der Grundsatz von Treu und Glauben, dass jeder, der am Rechtsleben teilnehme, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen habe und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten habe und worauf andere vertraut hätten. Wie bereits oben angeführt sei, seien bei der diesbezüglichen Zusage von Frau SF Frau HE und Herr WL anwesend gewesen und werde ersucht, dass Frau HE und Herr WL dazu eine schriftliche Stellungnahme abgäben.
In der Begründung zum Abweisungsbescheid werde unter anderem angeführt, dass sich die Abweisung auf § 212a Abs. 2 lit. c BAO stütze, wonach die Aussetzung der Einhebung dann nicht zu bewilligen sei, wenn das Verhalten des Abgabepflichtigen auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet sei. Diese Begründung werde unter anderem darauf bezogen, dass sich die Bw. bei Abwicklung ihrer Geschäftstätigkeiten auch Agenten bedient habe. Warum sich die Bw. derartiger Agenten bedient habe, sei auf Seite 4 und 5 der Berufung vom ausführlichst behandelt. Die weiteren Begründungen der Behörde würden aus den Feststellungen der Betriebsprüfung abgeleitet, die, wie ebenfalls aus der Berufung vom hervorgehe, unhaltbar seien, da jegliche Beweiskraft fehle und diese Feststellungen nur auf unbewiesenen Vermutungen basierten. Weiters werde in der Begründung zum Abweisungsbescheid ausgeführt, dass ein wirtschaftlicher Erfolg der Bw. beziehungsweise von Herrn PE in Österreich nicht erkennbar sei. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass sich das von Herrn PE bewohnte Haus in RR im Eigentum des Vaters befinde und dass ein Grundstück in Griechenland dem Zugriff der Abgabenbehörde entzogen sei. Es sei überhaupt nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang Privatvermögen mit einem wirtschaftlichen Erfolg stehe.
Wie bereits auf Seite 7 der Berufung vom zum Ausdruck gebracht werde, habe die Bw. im Wirtschaftsjahr vom - eine Umsatz von rund S 718,7 Mio. gehabt. Ergänzend sei ausgeführt, dass die Bw. im Wirtschaftsjahr vom - einen Umsatz von rund S 476 Mio. erzielt habe. Von einem mangelhaften Erfolg in wirtschaftlicher Hinsicht könne wohl kaum gesprochen werden. Dieser wirtschaftliche Erfolg sei zunächst durch die unbewiesenen Feststellungen der Betriebsprüfung und aus den daraus resultierenden ungerechtfertigten Nachforderungen gehemmt. Trotzdem sei Herr PE weiterhin täglich bemüht, bei einem Arbeitstag, der sich auf 10 - 12 Stunden erstrecke, wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.
Die zum Vorhalt gebrachten Treuhandschaften seien weder verwerflich noch ungesetzlich und Bestandteil des Wirtschaftslebens. Die vorgehaltene Insolvenz der H-GmbH sei zunächst überhaupt nicht mit der Bw. verflechtbar und es sei wohl unbestritten, dass ein Kaufmann ein Unternehmen nicht absichlich in einen Konkurs führe. Letztlich bilde ein Unternehmen eine Existenzgrundlage, die man nicht leichtfertig auf Spiel setze. Es würde den Rahmen dieser Berufung sprengen, detailliert anzuführen, welche und wie viele Ursachen zu einer Insolvenz führen könnten. Die Feststellungen der Prüfung bei der Schweizer Firma RC, für die Herr PE angeblich als Agent gearbeitet habe, könnten nicht einen Aussetzungsantrag bei der Bw. in welcher Form auch immer beeinflussen beziehungsweise beeinträchtigen.
Es entstehe der Eindruck, dass seitens der Finanzbehörde alles unternommen werde, Herrn PE keine Möglichkeit zu geben, weiterhin geschäftlich und in weiterer Form auch persönlich weiter existieren zu können. Letztendlich werde auch nochmals auf die Ausführungen der Berufung vom hingewiesen, aus denen hervorgehe, dass die Feststellung der Betriebsprüfung sich auf unbewiesene Vermutungen stützten, und aus denen auch hervorgehe, dass sich Herr PE stets korrekt und gesetzeskonform verhalten habe und sein Verhalten in keinster Weise auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit gerichtet sei. Wie mangelhaft die Feststellungen der Betriebsprüfung seien, gehe auch daraus hervor, dass behauptet werde, Herr PE sei wegen betrügerischer Krida verurteilt worden. Laut Auskunft von PE sei er in der Angelegenheit H-GmbH in allen Punkten freigesprochen worden, könne dies jederzeit beweisen und behalte sich auch wegen dieser Behauptung Schritte vor.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab.
Mit Eingabe vom beantragte die Bw. rechtzeitig die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.
Gemäß § 212a Abs. 2 BAO ist die Aussetzung der Einhebung nicht zu bewilligen,
a) insoweit die Berufung nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint, oder
b) insoweit mit der Berufung ein Bescheid in Punkten angefochten wird, in denen er nicht von
einem Anbringen des Abgabepflichtigen abweicht, oder
c) wenn das Verhalten des Abgabepflichtigen auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der
Abgabe gerichtet ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () steht die Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabenforderung an sich der Aussetzung der Einhebung nicht entgegen. Lediglich ein Verhalten des Abgabepflichtigen, das auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet ist, stellt gemäß § 212a Abs. 2 lit. c BAO ein Hindernis für die Bewilligigung der Aussetzung dar. Ein solches Verhalten liegt nach dem zuvor zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes etwa bei Übertragung des Vermögens an nahe Angehörige vor. Nach dem in der Berufungsvorentscheidung angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/13/0063, kann auch ein Verhalten, das für die Abgabenfestsetzung von Bedeutung und daher Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, gleichzeitig als ein die Abgabeneinhebung gefährdendes Verhalten im Sinne des § 212a Abs. 2 lit. c BAO angesehen werden. Verlagert ein Abgabepflichtiger den wirtschaftlichen Erfolg seiner Aktivitäten durch fingierte Betriebsaufwendungen - dazu gehören auch überhöhte Einstandspreise - ins Ausland und hat diese Vorgangsweise zur Folge, dass die für die Entrichtung der tatsächlich geschuldeten Abgaben erforderlichen finanziellen Mittel durch Zahlungsfluss ins Ausland dem Zugriff der österreichischen Finanzverwaltung entzogen werden, so ist ein solches Verhalten gleichermaßen für die Ermittlung der Abgabenbemessungsgrundlagen wie auch für die Abgabeneinhebung von Relevanz. Es kann daher durchaus den Tatbestand des § 212a Abs. 2 lit. c BAO erfüllen, vorausgesetzt, dass es zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Einhebung als Verhalten oder als dessen Wirkung noch anhält.
Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung laut Bericht vom , auf dessen Ausführungen verwiesen wird, hat die Bw. im Prüfungs- und Nachschauzeitraum als Glied einer Firmenkette fungiert, die in einem EU-weiten Umsatzsteuerkarusell Mehrwertsteuerbetrügereien vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang erwarb die Bw. teils am österreichischen Markt, teils aus der EU, Mobiltelefone und Elektrogeräte und veräußerte diese weiter, wobei sie einen Teil der innergemeinschaftlichen Lieferungen mit Agenten abwickelte, mit denen die tatsächlichen Modalitäten der Lieferungen ausverhandelt wurden. Von diesen Hintermännern wurde die entsprechende Vorgangsweise jeweils genau festgelegt und für bestimmte Zeiträume unterschiedliche Firmen eingeschaltet, für die von vornherein die Funktion der Durchschleusung feststand. Eine tatsächliche wirtschaftliche Verfügungsgewalt wurde diesen Firmen nie übertragen. Die als Geschäftsführer der entsprechenden Firmen aufscheinenden Personen haben keine auf eine tatsächliche Verfügungsmacht ausgerichtete Tätigkeit ausgeübt. Diese Geschäfte sind denjenigen zuzurechnen, die tatsächlich die damit zusammenhängenden Dispositionen vorgenommen haben und die finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Verfügungen getroffen haben. Die tatsächlichen Waren- bzw. Leistungsströme wurden nicht so deklariert und es fehlen für diese Agenten auch die übrigen Voraussetzungen (steuerliche Erfassung, UID-Nummern, entsprechende Dokumentationen, Meldungen etc.) und damit auch die Voraussetzung für die Steuerfreiheit der betreffenden innergemeinschaftlichen Lieferungen. Bezüglich der zu den Abnehmern FINA und TECHAGE dargestellten Warenbewegungen liegen nach Ansicht der Betriebsprüfung innergemeinschaftliche Verbringungen vor, da die Waren auf ein Speditionslager der Bw. im jeweiligen Empfängerland versendet und erst von dort aus disponiert wurden (Freigabe nach Eingang der Zahlungen für die jeweiligen Empfänger). Da die Bw. in Italien und England die Warenströme nicht so deklariert hat und auch über keine UID-Nummern verfügt, sind die Verbringungen der Umsatzsteuer zu unterziehen.
Das im Zuge des Betriebsprüfungsverfahrens festgestellte Verhalten der Bw. ist somit wohl für die Abgabenfestsetzung von Bedeutung, konkrete Tatsachenfeststellungen, aus denen sich ein der Bw. zuzurechnendes, auf die Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgaben gerichtetes Verhalten hätte entnehmen lassen, wie etwa dass die von der Betriebsprüfung festgestellte Vorgangsweise auch zur Folge gehabt hätte, dass die für die Entrichtung der geschuldeten Abgaben erforderlichen finanziellen Mittel durch Zahlungsfluss ins Ausland dem Zugriff der österreichischen Finanzverwaltung entzogen worden wären, liegen nach der Aktenlage allerdings nicht vor, zumal laut Begründung des angefochtenen Bescheides auch Geldbewegungen von und in die Schweiz stattfanden.
Mangels Vorliegens des Tatbestandes des § 212a Abs. 2 lit. c BAO erfolgte somit die Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom mit Bescheid vom zu Unrecht.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien,
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Abgabeneinhebung gefährdendes Verhalten Umsatzsteuerkarussell |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at