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OGH vom 23.03.2023, 9ObA103/22w

OGH vom 23.03.2023, 9ObA103/22w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. phil. Dr. iur. Robert Toder (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Mag. Simone Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak, Mag. Lisa Posch, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, 8010 Graz, Burggasse 11–13, vertreten durch Dr. Arno Lerchbaumer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 570,17 EUR brutto sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 3/22y15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 29/21s9 (nunmehr: 22 Cga 6/22z9), teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

II. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende und die beklagte Partei haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war beim beklagten Land vom bis beschäftigt, und zwar bis in Vollzeit und danach im Ausmaß von 66,66 %. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin sind die Bestimmungen des Gesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark, LGBl 2003/29 (L-DBR) anzuwenden. Aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin für 142,34 Stunden an offenem Urlaub aus dem Jahr 2016 1.400,88 EUR brutto und für 110 Stunden Urlaub aus dem Jahr 2017 1.105,72 EUR brutto, gesamt 2.506,60 EUR brutto an Urlaubsersatzleistung bezahlt.

[2] Die Klägerin begehrt – nach Einschränkung – die Zahlung von 570,17 EUR brutto sA an – weiterer – Urlaubsersatzleistung. § 187 Abs 2 L-DBR sehe als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Urlaubsersatzleistung lediglich das Gehalt und den Kinderzuschuss vor. Diese Bestimmung sei jedoch unionsrechtswidrig, sie verstoße gegen Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom (in Folge: RL 2003/88/EG) und gegen Art 31 der Grundrechtecharta (GRC). Danach sei für die Berechnung der Urlaubsersatzleistung jenes Arbeitsentgelt maßgeblich, das der Arbeitnehmer während des bezahlten Jahresurlaubs bei Konsumation im aufrechten Arbeitsverhältnis erhalten hätte. Konkret seien daher auch die anteiligen Sonderzahlungen, die Erschwernis- und Gefahrenzulage und die Sonntags- und Feiertagszulage in die Urlaubsersatzleistung einzurechnen. Dieser Anspruch ergebe sich gegenüber der beklagten Gebietskörperschaft unmittelbar aus Art 7 RL 2003/88/EG. Auch Art 31 GRC wirke unmittelbar.

[3] Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass der Anspruch der Klägerin zutreffend nach § 187 L-DBR errechnet und bezahlt worden sei. Diese Bestimmung verstoße nicht gegen Unionsrecht. Maßgeblich sei der Entgeltbegriff des § 147 L-DBR, für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch bestehe keine gesetzliche Grundlage, er könne auch nicht auf eine Direktanwendung des Unionsrechts gestützt werden.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Unstrittig sei der Anspruch der Klägerin nach § 187 Abs 2 LDBR zutreffend errechnet worden. Sowohl Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG als auch Art 31 GRC fehle es an einer für die individuelle Anwendung hinreichenden Bestimmtheit.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es sprach der Klägerin 330,37 EUR brutto sA zu und wies das Mehrbegehren von 239,80 EUR brutto sA ab. Der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung berechne sich innerstaatlich nicht nach dem Lohnausfallsprinzip, sondern nach § 187 L-DBR. Diese Bestimmung entspreche allerdings nicht mehr den unionsrechtlichen Vorgaben, wonach der Arbeitnehmer, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben, so zu stellen sei, als hätte er diesen Anspruch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Dies gelte auch für den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Die Rechtsprechung des EuGH sei zwar innerstaatlich in § 28b VBG 1948 sowie in § 186a L-DBR für Landesbeamte umgesetzt worden, nicht jedoch in § 187 L-DBR. Entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 13e Abs 5 GehG habe daher die Einschränkung der Bemessungsbasis der Urlaubsersatzleistung auf Gehalt und Kinderzuschuss in § 187 Abs 2 und Abs 5 L-DBR als unionsrechtswidrig unangewendet zu bleiben. Hingegen könne § 187 Abs 1 L-DBR richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass in die Bemessungsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Urlaubsersatzleistung neben dem Gehalt und dem Kinderzuschuss auch die Sonderzahlungen und die regelmäßigen Nebengebühren miteinzubeziehen seien, die bei Anspruch des Urlaubs fortzuzahlen seien. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG dem Arbeitnehmer einen Mindesturlaubsanspruch von nur vier Wochen gewähre. Da im nationalen Recht ein höherer Urlaubsanspruch gewährt werde und dies günstiger für die Arbeitnehmer sei, liege insofern keine Durchführung der RL 2003/88/EG im Sinn des Art 51 Abs 1 GRC vor. Der Klägerin gebühre daher die auf Basis des Ausfallsprinzips begehrte Urlaubsersatzleistung für vier Wochen im Jahr 2016 unter Abzug des konsumierten Urlaubs und für den aliquoten Teil von vier Wochen für das Jahr 2017. Auch der Ersatz für den Entfall des Behindertenurlaubs im Jahr 2017 sei nicht nach dem Ausfallsprinzip zu berechnen. Die Höhe des der Klägerin danach zustehenden Anspruchs könne aufgrund der Berechnung der Klägerin ermittelt werden, die die Beklagte nicht substantiiert bestritten habe. Die Revision sei zulässig, weil der Frage der unionsrechtskonformen Auslegung des § 187 L-DBR über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme.

[6] Gegen den stattgebenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

[7] Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der diese die vollständige Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[9] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.

I. Zur Revision der Beklagten:

1. § 187 L-DBR lautet auszugsweise:

(1) Dem/Der Vertragsbediensteten gebührt für das Kalenderjahr, in dem das Dienstverhältnis endet, zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses eine Ersatzleistung als Abgeltung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Kalenderjahr im Verhältnis zum gesamten Kalenderjahr entsprechenden Erholungsurlaub. Bereits verbrauchter Erholungsurlaub dieses Kalenderjahres ist auf das aliquote Urlaubsausmaß anzurechnen.

(2) Bemessungsbasis der Ersatzleistung sind das Gehalt und der Kinderzuschuss, die für den Zeitraum des gesamten Erholungsurlaubes dieses Kalenderjahres gebühren würden. …

(5) Für nicht verbrauchten Erholungsurlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren gebührt eine Ersatzleistung in der Höhe des Gehaltes und des Kinderzuschusses, die dem/der Vertragsbediensteten während des Erholungsurlaubes zugekommen wären, wenn er/sie diesen in dem Kalenderjahr verbraucht hätte, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. …“

§ 147 L-DBR lautet auszugsweise:

(1) Dem/Der Bediensteten gebühren Monatsbezüge. Der Monatsbezug besteht aus dem Gehalt sowie einer allfälligen Ergänzungszulage (§ 185).

(2) Außer dem Monatsbezug gebührt dem/der Bediensteten für jedes Kalendervierteljahr eine Sonderzahlung in der Höhe von 50 % des Monatsbezuges, die ihm/ihr für den Monat der Auszahlung zustehen. …

(3) Dem/Der teilbeschäftigten Bediensteten gebührt der seiner/ihrer Arbeitszeit entsprechende Teil des Monatsbezuges. …“

[10] 2. Diese Bestimmungen sehen einen engeren Entgeltbegriff für die Bemessung der Urlaubsersatzleistung vor als er im allgemeinen Arbeitsrecht zur Anwendung gelangt (8 ObA 45/19d; RS0037882 ua). Davon ist jedoch – entgegen den Ausführungen in der Revision der Beklagten – das Berufungsgericht ohnehin ausgegangen.

[11] 3.1 Auch in der Revision hält die Beklagte ihren Standpunkt aufrecht, dass weder die RL 2003/88/EG noch Art 31 GRC unmittelbar anwendbar seien und der Einzelne durch sie nicht unmittelbar verpflichtet werden könne. Dem kommt keine Berechtigung zu:

[12] 3.2 Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut von Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat (EuGH C518/20, C727/20, Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide ua, ECLI:EU:C:2022:707, Rn 24). Dieser Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der RL 2003/88/EG selbst ausdrücklich gezogen werden (EuGH C684/16, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, ECLI:EU:C:2018:874, Rn 19 mwH). Dieser Anspruch ist auch in Art 31 Abs 2 GRC, die nach Art 6 Abs 1 EUV den gleichen rechtlichen Rang wie die Verträge hat, ausdrücklich verankert, er darf nicht restriktiv ausgelegt werden (EuGH C178/15, Sobczyszyn, ECLI:EU:C:2016:502, Rn 20, 21).

[13] 3.3 Mit Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG wird das in Art 31 Abs 2 GRC verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub widergespiegelt und konkretisiert. Während Art 31 Abs 2 GRC jedem Arbeitnehmer das Recht auf bezahlten Jahresurlaub garantiert, setzt Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG diesen Grundsatz um, indem er die Dauer des Jahresurlaubs festlegt (EuGH C518/20, C727/20 Rn 26). Nach dem Wortlaut des Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG ist es zwar Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen, aber sie dürfen dabei nicht bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen (EuGH C514/20, Koch Personaldienstleistungen GmbH, ECLI:EU:C:2022:19, Rn 22). Der EuGH – und ihm folgend der Oberste Gerichtshof – haben auch bereits ausgesprochen, dass Art 31 Abs 2 GRC schon für sich allein den Arbeitnehmern ein Recht verleiht, das sie in einem Rechtsstreit gegen ihren Arbeitgeber in einem vom Unionsrecht erfassten und daher in den Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalt als solches geltend machen können (EuGH C569/16, C570/16, Stadt Wuppertal ua; ECLI:EU:C:2018:871, Rn 85; 9 ObA 147/21i Rz 15 = EvBl 2022/92 [Pfalz]; 9 ObA 150/21f Rz 14 = ZAS 2022/36 [Brameshuber] = DRdA 2022/43 [Mathy]). Da mit § 187 LDBR die RL 2003/88/EG in das innerstaatliche Recht umgesetzt wird (werden soll), ist der Anwendungsbereich der Charta im vorliegenden Fall eröffnet (EuGH C569/16, C570/16 Rn 53).

[14] 4.1 Die zutreffende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass Art 7 RL 2003/88/EG auf die im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesene Klägerin anwendbar ist, wird von der Beklagten in der Revision nicht in Frage gestellt (EuGH C337/10, Neidel, ECLI:EU:C:2012:263, Rn 20 ff).

[15] 4.2 Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die finanzielle Vergütung, auf die ein Arbeitnehmer Anspruch hat, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben, in der Weise zu berechnen ist, dass der Arbeitnehmer so gestellt wird, als hätte er diesen Anspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Folglich ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen ist, auch für die Berechnung der finanziellen Vergütung für bei Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub maßgebend (EuGH C350/06, C520/06, Schultz-Hoff ua, ECLI:EU:C:2009:18, Rn 61).

[16] 4.3 Dem gegenüber schränkt – worauf die Beklagte in der Revision selbst hinweist – § 187 Abs 2 und 5 LDBR iVm § 147 LDBR den der Berechnung der Urlaubsersatzleistung der Klägerin zugrunde liegenden Entgeltbegriff auf den Gehalt (der Teil des Monatsbezugs ist) und den Kinderzuschuss ein. Eine in dieser Situation gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 187 LDBR (vgl dazu jüngst ausführlich 9 ObA 11/22s Rz 42 ff mwH) ist nicht möglich. Die richtlinienkonforme Interpretation darf insbesondere den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158). Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]). Wendet man den Methodenkatalog des nationalen Rechts zur Auslegung des § 187 LDBR an (§§ 6, 7 ABGB), so lässt die Zusammenschau der Abs 2 und 5 mit Abs 1 dieser Bestimmung keine richtlinienkonforme Interpretation zu, weil die Berücksichtigung weiterer, nicht in § 187 Abs 2 und 5 LDBR genannter Entgeltbestandteile bei der Bemessung der Urlaubsersatzleistung bereits am eindeutigen Wortlaut der Bestimmung scheitert.

[17] 5.1 Dies hat zur Folge, dass die hier relevanten Bestimmungen des § 187 Abs 2 und 5 LDBR die die Bemessungsbasis der Urlaubsersatzleistung auf Gehalt und Kinderzuschuss einschränken als richtlinienwidrig nach der Rechtsprechung des EuGH unangewendet zu bleiben haben, weil das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes anzuwenden hat, gehalten ist, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen (RS0109951 [T3]; EuGH C684/16 Rz 80).

[18] 5.2 Richtig ist, dass der Wortlaut von Art 7 RL 2003/88/EG keinen Hinweis bezüglich des Entgelts enthält, auf das der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH unterliegt die Struktur des gewöhnlichen Entgelts eines Arbeitnehmers zwar den innerstaatlichen Vorschriften. Dabei darf jedoch das Recht des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt werden, während des ihm für Erholung und Entspannung zur Verfügung stehenden Zeitraums in den Genuss wirtschaftlicher Bedingungen zu kommen, die mit denen vergleichbar sind, die die Ausübung seiner Arbeit betreffen. Daher muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat. Dagegen müssen Bestandteile des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers, die ausschließlich gelegentlich anfallende Kosten oder Nebenkosten decken sollen, welche bei der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben entstehen bei der Berechnung der für den Jahresurlaub zu entrichtenden Zahlung nicht berücksichtigt werden (EuGH C155/10, Williams ua, ECLI:EU:C:2011:588, Rn 23–25).

[19] 5.3 Sache des nationalen Gerichts ist es, den inneren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Bestandteilen des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers und der Erfüllung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu beurteilen. Diese Beurteilung muss auf der Basis eines Durchschnittswerts über einen hinreichend repräsentativen Referenzzeitraum und im Licht des von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsatzes vorgenommen werden, wonach der Anspruch auf Jahresurlaub und der auf Zahlung des Urlaubsentgelts in der RL 2003/88/EG als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt werden (EuGH C155/10 Rn 26 mwH).

[20] 5.4 Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass unionsrechtlich nur ein Mindesturlaub von vier Wochen geschützt ist (vgl 9 ObA 147/21i; 9 ObA 150/21f) und sich die Klägerin darüber hinaus für ihren Anspruch nicht auf eine unionsrechtliche Grundlage stützen kann, wird von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Eine Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auf dieser unionsrechtlichen Grundlage für die Bemessung der Urlaubsersatzleistung auch die weiteren der Klägerin regelmäßig gewährten Entgeltbestandteile der anteiligen Sonderzahlungen, der (durchschnittlichen) Sonn und Feiertagsvergütung sowie der Erschwernis und Gefahrenvergütung entsprechend der Berechnung dieser Ansprüche durch die Klägerin gebührt, zeigt die Beklagte nicht auf. Die Beklagte hat diese Berechnung – auch nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung, in der der Vorsitzende sie als nachvollziehbar erachtete (ON 8, S 4) – nicht substantiiert bestritten.

[21] 5.4.1 Zur Sonn- und Feiertagsabgeltung macht die Beklagte nunmehr in der Revision geltend, dass diese nur nach tatsächlich geleisteten Stunden vorgenommen, aber nicht pauschaliert werde. Die anwaltlich vertretene Beklagte hat jedoch im Verfahren erster Instanz kein Vorbringen zu tatsächlich von der Klägerin aus diesem Titel geleisteten Stunden erstattet, sodass es sich dabei um eine unbeachtliche Neuerung handelt.

[22] 5.4.2 Zur Erschwernis und Gefahrenvergütung führt die Beklagte in der Revision nunmehr aus, dass diese ex lege bei einer anderen Dienstverhinderung ab dem 30. Tag eingestellt werde. Da sich die Klägerin bereits ab im Krankenstand und ab bis zu ihrem Ausscheiden in einem exlegeKarenzurlaub wegen des Bezugs von Rehabilitationsgeld befunden habe, hätte sie den Urlaub nicht in natura konsumieren können und nach 30 Tagen der Abwesenheit keine Erschwernis und Gefahrenvergütung mehr bezahlt bekommen. Auch die Sonderzahlungen würden der Klägerin nur aliquot gebühren, weil sie im maßgeblichen Zeitraum nicht ununterbrochen gearbeitet habe. Die Beklagte hat auch in diesem Zusammenhang kein entsprechendes Vorbringen in erster Instanz erstattet, sodass auch diese Ausführungen, soweit sie sich auf Tatsächliches beziehen, aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich sind. Ist darüber hinaus zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer an der Arbeitsleistung verhindert (und konnte etwa deshalb seinen Urlaub nicht verbrauchen), ohne dass der Anspruch auf das Entgelt zur Gänze fortbesteht (zB langdauernder Krankenstand), dann ist bei Berechnung der Urlaubsersatzleistung auch bei Bestehen nicht verbrauchter Urlaubsansprüche aus früheren Jahren das ungeschmälerte Entgelt zu Grunde zu legen, das zum Beendigungszeitpunkt bei Wegfall der Dienstverhinderung zugestanden wäre (vgl 9 ObA 62/14d; Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 UrlG Rz 12/1). Aus welchen Gründen vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung die Erschwernis und Gefahrenvergütung sowie die anteiligen Sonderzahlungen bei der Bemessung der Urlaubsersatzleistung nach dem für den unionsrechtlich geschützten Bereich anzuwendenden Ausfallsprinzip nicht zu berücksichtigen wäre, legt die Beklagte in der Revision nicht dar.

[23] Der Revision der Beklagten war aus diesem Grund nicht Folge zu geben.

[24] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 Abs 1 und 50 ZPO.

II. Zur Revision der Klägerin:

[25] 1.1 Die Klägerin macht geltend, dass Rechtsprechung fehle, ob der gesamte Jahresurlaub oder nur vier Wochen unionsrechtlich geschützt seien. Die Mitgliedstaaten könnten einen höheren Urlaub vorsehen, innerstaatlich werde nicht zwischen einem unionsrechtlichen „Mindesturlaub“ und einem innerstaatlichen „Zusatzurlaub“ unterschieden, aller Urlaub diene dem Gesundheitsschutz.

[26] 1.2 Dem ist, wie bereits ausgeführt, entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 147/21i und 9 ObA 150/21f ausgesprochen hat, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts nur hinsichtlich des unionsrechtlich erforderlichen Mindestanspruchs greift, wenn die innerstaatliche Rechtslage darüber hinausgeht (zu § 10 Abs 2 UrlG: RS0109951 [T9]; RS0133122 [T3]; zust Pfalz in EvBl 2022/92, 724 [728]).

[27] 2.1 Die Klägerin rügt in der Revision weiters eine ihrer Ansicht nach gegebene Verfassungswidrigkeit des § 187 L-DBR gegenüber § 186a L-DBR und regt die Vorlage des § 187 Abs 2 Satz 1 L-DBR an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG an. Es gebe keinen sachlich gerechtfertigten Grund, zwischen dem Anspruch auf Urlaubsersatzleistung von Landesbeamten und Vertragsbediensteten des Landes zu unterscheiden. Die Verfassungswidrigkeit betreffe nicht nur den unionsrechtlich geschützten Mindesturlaubsanspruch und die daraus resultierende Urlaubsersatzleistung, sondern den gesamten innerstaatlichen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung.

[28] 2.2 Die Klägerin selbst stützt ihren Anspruch allerdings nicht auf § 187 LDBR sondern auf Unionsrecht, sodass die begehrte Anfechtung schon mangels Präjudizialität dieser Bestimmung nicht in Frage kommt (vgl nur VfGH G 377/2021 mwH). Darüber hinaus führt die von der Klägerin gewünschte Anwendung des Unionsrechts nicht zu einer Ungleichbehandlung der Vertragsbediensteten des Landes mit dessen Beamten, weil nach § 186a Abs 3 Satz 2 LDBR auch bei den Beamten das Ausmaß der Ersatzleistung auf den unionsrechtlich gebotenen Mindestschutz eingeschränkt ist (vgl ErlRV EZ/OZ 3083/1 XVI. GPStLT 13).

[29] Die Revision war daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[30] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 Abs 2, 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00103.22W.0323.000

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