OGH 31.08.2022, 9Ob47/22k
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei M * GmbH, *, vertreten durch Ankershofen-Goess-Hinteregger Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei DI * T*, vertreten durch Dr. Alfred Pressl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 397.386,35 EUR sA (Revisionsinteresse: 353.053,02 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 15 R 5/22y-82, mit dem den Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 20 Cg 138/16k-75, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , keine Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.052,98 EUR (darin 508,83 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Beklagte erstattete als Zivilingenieur für Bauwesen im Jahr 1993 im Auftrag der damaligen Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Hauses (idF: Ersteigentümerin) ein Gutachten mit statischen Berechnungen für einen Dachgeschossausbau. Die Ersteigentümerin widmete das Haus mit Notariatsakt vom einer am selben Tag gegründeten Privatstiftung als Teil des Stiftungsvermögens. Diese verkaufte das Haus mit Vertrag vom an die Klägerin. Das Gutachten des Beklagten entsprach im Zeitpunkt der Erstellung nicht den Regeln der wissenschaftlichen Kunst. Es fehlten ausreichende Betrachtungen über die Lastableitung der zusätzlichen Lasten aus dem Dachgeschossausbau und der Aufstockung im Bereich der Mittelmauer und der Außenmauern, Aussagen zu den vorhandenen Materialien, dem Bestandsmauerwerk, sowie Nachweise von besonders beanspruchten Bauteilen wie dem Bestandsmauerwerk im Erdgeschoss. Bei weiteren statischen Berechnungen hätte sich eine gravierende Laststeigerung durch den Dachbodenausbau ergeben, die genauere Untersuchungen und nachfolgende Ertüchtigungsmaßnahmen des Mauerwerks notwendig gemacht hätten. Das statische Gutachten des Beklagten wurde für den anschließend erfolgten Dachgeschossausbau erstattet und war Grundlage für diesen. Es diente der Bauführerin als Nachweis iSd § 127 BauO für Wien in der geltenden Fassung und reichte aus, um eine Baugenehmigung zu erlangen. Durch den Dachgeschossausbau kam es zu einer wesentlichen Erhöhung der Belastung des Mauerwerks und in weiterer Folge zu Schäden an Pfeilern im Erdgeschoss.
[2] Am wurden Krachgeräusche und starke Risse im Gebäude wahrgenommen. Es bestand Gefahr in Verzug wegen Einsturzgefahr. Die Mieter wurden vorübergehend evakuiert und Sofortmaßnahmen durchgeführt. Weitere Sanierungsmaßnahmen fanden im Zeitraum von Mai bis Juni 2015, sowie Dezember 2015 bis April 2016 statt.
[3] Durch das nicht lege artis erstattete Gutachten sind folgende Kosten entstanden, weil es durch den Dachgeschossausbau zu einer wesentlichen Lasterhöhung und in weiterer Folge zu Schäden an den Pfeilern kam:
- Kosten für die Sofortmaßnahmen: 207.574,56 EUR.
- Gesamtkosten für die nachhaltige Sanierung nach Abzug der nicht vom Schadenereignis verursachten Kosten 163.346,68 EUR.
- Kosten der sonstigen Aufwendungen (wie Reinigungsarbeiten, Kosten für Ersatzquartiere, Mietzinsreduktionen) 26.680,85 EUR, in Summe damit 397.602,09 EUR.
[4] Hätte der Beklagte ein richtiges Gutachten im Jahr 1993 erstattet, hätte das Mauerwerk bereichsweise ertüchtigt werden müssen. Die notwendige Mauerwerksverfestigung hätte im Jahr 1993 44.333,33 EUR netto gekostet („Fiktive Ertüchtigungsmaßnahmen 1993“).
[5] Das Erstgericht gab dem auf Zahlung von zuletzt 397.386,35 EUR sA gerichteten Klagebegehren des Klägers im Umfang von 353.053,02 EUR statt und wies das Mehrbegehren (44.333,33 EUR) ab. Es stützte die Haftung des Beklagten auf die Schutzwirkungen des Gutachtensauftrags, dessen Zweck erkennbar drittgerichtet gewesen sei.
[6] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien unter Berücksichtigung einer im Berufungsverfahren erfolgten Klagseinschränkung (24,26 EUR sA) keine Folge. Es verneinte eine solche Reichweite der Schutzwirkungen, bejahte die Haftung des Beklagten aber in (ergänzender) Auslegung des Kaufvertrags und der Widmung des Hauses zum Stiftungsvermögen: Der Haftungsausschluss im Kaufvertrag 2003 stelle einen Verzicht der Käuferin auf Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche auch betreffend geheime Mängel dar. Vermuteter Wille redlicher und vernünftiger Vertragsparteien in der Lage der konkreten Vertragspartner wäre gewesen, Ansprüche aus verborgenen Mängeln nur dann bei der Verkäuferin zu belassen, wenn und soweit der Käuferin die gesetzlichen Gewährleistungsrechte gegenüber der Verkäuferin geblieben wären. Da dies vertraglich abbedungen worden sei, sei anzunehmen, dass eine Abtretung sämtlicher denkbarer Ansprüche gegen Dritte, die aus einer letztlich die Käuferin treffenden Einwirkung auf die Liegenschaft resultierten, auf die Käuferin erfolgen sollte. Die vorangegangene Widmung von Vermögen durch die Stifterin bei Errichtung der Privatstiftung sei ein unentgeltlicher und zumindest schenkungsähnlicher Rechtsvorgang, für den eine Gewährleistung der Ersteigentümerin schon aufgrund des Gesetzes nicht in Betracht komme. Die Interessenlage der Beteiligten unterscheide sich nicht von jener der Parteien eines Kaufvertrags unter Verzicht auf die Gewährleistung der Verkäuferin. Es sei daher davon auszugehen, dass die Ersteigentümerin, die sich als (Mit-)Stifterin durch die Widmung der Liegenschaft zugunsten der Privatstiftung dieses Vermögens begeben habe, damit auch alle möglichen, auch nicht bekannten oder vorhersehbaren Ansprüche gegen Dritte, die sich aus deren Einwirkung auf die Liegenschaft ergeben, an die Privatstiftung abtreten habe wollen. Die Revision sei mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur schlüssigen Übertragung von vertraglichen Ansprüchen des Veräußerers gegen Dritte (vgl für den Kaufvertrag RS0119576) bei unentgeltlicher Veräußerung (hier: Widmung als Stiftungsvermögen) zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[8] 1. Die Frage, wie eine Erklärung im Einzelfall aufzufassen sei, stellt keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0042555). Auch kommt der Auslegung von Urkunden in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende und damit revisible Bedeutung zu (RS0043415 [T4]). Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Das gilt auch für eine ergänzende Vertragsauslegung [T41]).
[9] 2.1. Enthält der Liegenschaftskaufvertrag nicht nur die Bestimmung, dass das Kaufobjekt auf den Käufer mit sämtlichen Rechten und Vorteilen übergeht, mit denen es der Verkäufer besessen hat oder zu besitzen berechtigt war, sondern auch einen allgemeinen Gewährleistungsausschluss, so nimmt die Rechtsprechung im Regelfall eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend an, dass dem Käufer auch alle bei Vertragsabschluss unbekannten Gewährleistungs- und Schadenersatzforderungen des Verkäufers aus einem Werkvertrag mit einem Dritten, die aus einer Beeinträchtigung der Liegenschaft resultieren, abgetreten werden. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung wird vor allem dort als angezeigt angesehen, wo an eine konkrete Beeinträchtigung der Liegenschaft gar nicht gedacht ist und diese bei der Kaufpreisbildung nicht berücksichtigt wurde oder werden konnte (s RS0119576).
[10] 2.2. Der Beklagte bringt dagegen vor, diese Rechtsprechung sei auf den Bereich der unentgeltlichen Übertragung von Liegenschaften wegen grundlegend anderer rechtlicher Interessen nicht übertragbar. Bei entgeltlicher Übertragung käme es zu einer Äquivalenzstörung, wenn einerseits der Verkäufer die Gewährleistung ausschließe, andererseits aber Gewährleistungsansprüche für verborgene Mängel gegenüber Dritten bei ihm verblieben. Bei unentgeltlicher Übertragung gebe es jedoch kein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung, insofern bestehe auch keine Schutzwürdigkeit des Empfängers. Richtigerweise sei anzunehmen, dass dann, wenn die Parteien gewusst hätten, dass Mängel an der Liegenschaft bzw Ersatzansprüchen gegen Dritte im Zusammenhang mit deren Einwirkung auf die Liegenschaft bestehen, der unentgeltlich Übertragende die Ansprüche in seinem Vermögen belassen bzw sich allfällig selbst deren Geltendmachung vorbehalten hätte. Dies ergebe sich auch aus § 915 1. HS ABGB.
[11] 2.3. Darin ist dem Beklagten nicht zu folgen. Dass die Erwägungen der genannten Rechtsprechung nur unter den Voraussetzungen gelten könnten, dass es sich um ein entgeltliches Geschäft handelt, ein Gewährleistungsverzicht vereinbart wurde und die Liegenschaft mit allen Rechten und Vorteilen, mit denen die Verkäuferin sie bisher besessen hat, auf die Käuferin übergeht, lässt sich den bezughabenden Entscheidungen (1 Ob 257/04g, 8 Ob 144/17k) nicht entnehmen. Eine Differenzierung nach Maßgabe der Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts liegt auch nicht auf der Hand. Da aufgrund der Unentgeltlichkeit der Widmung der Liegenschaft in das Stiftungsvermögen grundsätzlich auch keine Gewährleistungsansprüche der Privatstiftung gegenüber der Ersteigentümerin in Betracht kommen (§ 922 ABGB e contr), die Ersteigentümerin infolge der Eigentumsübertragung aber auch keine Schäden mehr zu gewärtigen hätte, bestünde für sie kein Grund und keine Veranlassung mehr, Ansprüche gegenüber dem Beklagten als ihrem Vertragspartner geltend zu machen (vgl Leitner, JBl 2005, 579: Schadensverlagerung). Vielmehr kann nach dem Gesamtbündel der Vereinbarungen über die von der Privatstiftung zu übernehmenden Verbindlichkeiten wie auch Nutzungen zwanglos angenommen werden, dass solche Vertragsparteien nach ihrer typischen Interessenlage dann, wenn sie die vorliegende Situation mitbedacht hätten, diese auch ausdrücklich in dem Sinn geregelt hätten, dass die Ersteigentümerin und Stifterin das Haus und die damit in Zusammenhang stehenden Ansprüche in ihrer Gesamtheit auf die Privatstiftung übertragen wissen wollte. Entgegenstehende Gründe sind nicht erkennbar. Für die Anwendung der Zweifelsregel des § 915 ABGB bleibt danach kein Raum.
[12] 2.4. Den Ausführungen des Beklagten zu einer zwangsläufigen Streitverkündung an den unentgeltlich Übertragenden lässt sich nicht folgen. Eine Grundlage für einen gegen diesen gerichteten Ersatzanspruch ist hier nicht ersichtlich.
[13] 3. Der Beklagte richtet sich in der Folge gegen einen Übergang der Ansprüche von der Privatstiftung auf die Klägerin.
[14] Richtig ist, dass sich nach der Rechtsprechung selbst ein umfassender Gewährleistungsverzicht nicht auf die Haftung für – ausdrücklich oder schlüssig – vom Verkäufer zugesagte Eigenschaften des Kaufgegenstands erstreckt (s RS0018572 [T2], RS0018564 [T7, T12]). Daraus ist für ihn jedoch nichts zu gewinnen. Der Beklagte sieht eine solche Eigenschaft in der (festzustellenden) Nutzfläche des Kaufgegenstands und dem aufgrund der Vermietung daraus erzielten/erzielbaren Jahresnettoertrag, womit auch die erforderliche statische Standfestigkeit des Gebäudes zur Erzielung dieses Jahresertrags zugesagt sei. Nach seinem Revisionsvorbringen bezog sich die Haftungsübernahme ausdrücklich (nur) auf den Jahresnettoertrag, wohingegen „der Käuferin Lage, Ausmaß und Beschaffenheit des Kaufgegenstandes bekannt [ist], wofür die Verkäuferin – vorbehaltlich der weiteren Bestimmungen dieses Vertrages keine Haftung übernimmt“. Die schlüssige Zusage einer bestimmten Hausbeschaffenheit ist aus der zugesagten bloßen Haftung für einen bestimmten Jahresnettoertrag nicht ableitbar.
[15] 4. Die Ausführungen zu einem deckungsgleichen Ersatzanspruch der Klägerin gegen die Privatstiftung, den der Beklagte gegen seine Haftung ins Treffen führen will, sind nicht zielführend. Die Klägerin macht Ansprüche aus ihr (mit-)übertragenen Rechten geltend.
[16] 5. Die Revision ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Ankershofen-Goess-
Hinteregger Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei DI * T*, vertreten durch Dr. Alfred Pressl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 397.386,35 EUR sA (Revisionsinteresse: 353.053,02 EUR sA), im Verfahren über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 15 R 5/22y-82, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 9 Ob 47/22k, wird dahin berichtigt, dass der Kostenausspruch zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.052,98 EUR (darin 508,83 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 29,34 EUR (darin enthalten 4,89 EUR USt) bestimmten Kosten des Berichtigungsantrags binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 9 Ob 47/22k, wurde die Revision der beklagten Partei zurückgewiesen, im Kostenausspruch jedoch irrtümlich die Bezeichnung der Parteien vertauscht. Dies ist als offenbare Unrichtigkeit zu berichtigen (§ 419 ZPO).
[2] Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Für den Berichtigungsantrag stehen Kosten nach TP 1 II lit g RATG zu. Bemessungsgrundlage ist in entsprechender Anwendung des § 11 Abs 1 RATG nur der Kostenbetrag, um den die Entscheidung berichtigt wurde (hier 3.052,98 EUR, vgl RS0041379 [T4, T6]).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00047.22K.0831.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAB-55803