OGH 30.08.2022, 8Ob76/22t
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*, MSc, MAS, *, vertreten durch Dr. Markus Fiedler, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Dr. Michael Pichlmair und Ing. MMag. Michael A. Gütlbauer, Rechtsanwälte in Wels, wegen Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über den Rekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 29/21g-40, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom , GZ 6 C 240/21f-27, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, seinen Beschluss durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu ergänzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem von ihm im Verfahren des Bezirksgerichts Favoriten zu 5 C 549/15b erstatteten Gutachten. Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Berufungsgericht das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands enthält der angefochtene Beschluss nicht; ein solcher kann auch den Gründen nicht entnommen werden.
Rechtliche Beurteilung
[2] Besteht der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, so muss das Berufungsgericht in Rechtssachen, in denen die Wertgrenze von 5.000 EUR relevant ist, trotz des insofern zu engen Wortlauts des § 500 Abs 2 Z 1 ZPO auch in einen Aufhebungsbeschluss einen Bewertungsausspruch aufnehmen. Der Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber – innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht gebunden ist (RIS-Justiz RS0042544; RS0042429). Es war daher der aus dem Spruch ersichtliche Ergänzungsauftrag zu erteilen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*, MSc, MAS, *, vertreten durch Dr. Markus Fiedler, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Dr. Michael Pichlmair und Ing. MMag. Michael A. Gütlbauer, Rechtsanwälte in Wels, wegen Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 29/22g-40, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom , GZ 6 C 240/21f-27, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Den Rekursen wird Folge gegeben und in der Sache selbst erkannt. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin jeweils die mit 912,41 EUR (darin 152,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.388,52 EUR (darin 104,42 EUR USt und 762 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war Mieterin des Reihenhauses der Nebenintervenientin. Nach dem Auftreten von Schimmel in den Wohnräumen zahlte die Klägerin nur mehr einen Teil der vereinbarten Mietzinse, woraufhin die Nebenintervenientin zu 5 C 549/15b des Bezirksgerichts Favoriten eine Mietzins- und Räumungsklage einbrachte. In diesem Verfahren erstattete der Beklagte als gerichtlich bestellter Sachverständiger ein Gutachten, wonach die Schimmelbildung zumindest teilweise auf das Nutzungsverhalten der Klägerin zurückzuführen sei. Dieses Verfahren ist nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils nach wie vor anhängig.
[2] Die Klägerin begehrt nunmehr die Feststellung, dass der Beklagte für alle künftigen Schäden aus dem von ihm erstatteten Gutachten hafte. Das Gutachten sei unrichtig, weil der Schimmel auf Baumängel zurückzuführen sei. Zwischen der Klägerin und der Nebenintervenientin seien weitere Zivilprozesse anhängig, wobei sich die Nebenintervenientin in einem dieser Verfahren bereits auf das Gutachten berufen habe.
[3] Der Beklagte wendet ein, dass er das Gutachten lege artis erstellt habe.
[4] Die Nebenintervenientin macht geltend, dass das anhängige Verfahren der gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen gerichteten Klage entgegenstehe.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da das Verfahren, in dem der Beklagte sein Gutachten erstattet hat, noch nicht abgeschlossen sei, liege noch kein schädigendes Ereignis vor, das eine vorbeugende Feststellungsklage rechtfertigen könnte.
[6] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hafte auch, wenn ein unrichtiges Gutachten außerhalb des Gerichtsverfahrens verwendet werde, wie dies von der Klägerin behauptet worden sei. In solchen Fällen könne es daher nicht darauf ankommen, ob das Verfahren, in dem das betreffende Gutachten erstattet wurde, bereits abgeschlossen ist. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
[7] Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richten sich die Rekurse des Beklagten und der Nebenintervenientin mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin beantragt, den Rekursen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Rekurse sind zulässig und auch berechtigt.
[9] 1. Es ist allgemein anerkannt, dass das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege der Geltendmachung von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen gegen einen gerichtlich bestellten Sachverständigen entgegensteht (RIS-Justiz RS0031981). Im Prozess, in dem das Gutachten erstattet worden ist, obliegt die Beurteilung der Richtigkeit des Sachverständigenbeweises nämlich ausschließlich dem Gericht, das den Prozess führt (7 Ob 588/83). Wohl aber haftet ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Prozessparteien für den dadurch verursachten Schaden (RS0026360; RS0124312).
[10] 2. Nach ständiger Rechtsprechung kann aber auch eine schadenersatzrechtliche Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen vor rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens nicht geltend gemacht werden, weil eine solche Klageführung im Ergebnis darauf abzielt, die Beweisergebnisse des Anlassverfahrens im Haftungsprozess zu überprüfen und das Anlassverfahren dadurch zu „überholen“ (RS0026373 [T4, T5]). Angesichts der Möglichkeit, derartige Klagen als Druckmittel zu missbrauchen, geht es dabei nicht nur um den Schutz der Person des Sachverständigen, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt (8 Ob 36/14y; 1 Ob 181/18a). Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens besteht grundsätzlich die Möglichkeit, das Sachverständigengutachten mit den Mitteln des Prozessrechts zu entkräften.
[11] 4. Dieser besondere Schutz des im Auftrag der Rechtspflege tätigen Sachverständigen geht nicht schon dadurch verloren, dass das Gutachten während des Prozesses auch außerhalb des Anlassverfahrens verwendet wird. Soweit das Berufungsgericht darauf verweist, dass sich die Nebenintervenientin bereits in einem anderen Zivilprozess auf das Gutachten des Beklagten berufen hat, steht es der Klägerin frei, das Gutachten auch in diesem Verfahren zu widerlegen, sodass vor Abschluss dieses Verfahrens noch gar nicht feststeht, ob ein Schaden eintreten wird, der ein Feststellungsbegehren rechtfertigen kann (1 Ob 181/18a).
[12] 5. Es war daher das Ersturteil wiederherzustellen.
[13] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO, wobei auch die vom Beklagten am Tag des Rekurses übermittelte Ergänzung des Kostenverzeichnisses zu berücksichtigen war (RS0041666 [T6, T53]).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00076.22T.0830.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAB-55770