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OGH vom 22.03.2023, 7Ob38/23y

OGH vom 22.03.2023, 7Ob38/23y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei R* H*, vertreten durch Dr. Josef Sailer, Dr. Romana Schön, Rechtsanwälte in Bruck an der Leitha, gegen den Gegner der gefährdeten Partei H* H*, vertreten durch Mag. Jürgen Payer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382c und § 382d EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 20 R 2/23v-25, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO, § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind seit 13 Jahren in einer Beziehung, seit sind sie verheiratet. Sie lebten bis gemeinsam im ehelichen Wohnhaus. Seit diesem Zeitpunkt wohnt der Antragsgegner bei seinen Eltern in Wien.

[2] Am teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass sie sich trennen wolle. Seither fühlt sie sich verfolgt und beobachtet. Der Antragsgegner wusste Dinge und Geschehnisse aus dem Leben der Antragstellerin, die diese ihm nicht erzählt hatte und er eigentlich nicht wissen konnte. Der Antragsgegner behauptete, dies von Dritten, zB Nachbarn, erfahren zu haben. Dies konnte jedoch nicht richtig sein, weil diese Dritten entweder selbst gar nicht Bescheid wussten oder niemals mit dem Antragsgegner darüber gesprochen hatten.

[3] Am war die Antragstellerin abends mit einem Nachbarn der Streitteile verabredet. Sie trafen sich vor einem Hotel-Restaurant. Die beiden bezogen kein Hotelzimmer. Der Antragsgegner sah das Auto der Antragstellerin auf dem Hotelparkplatz und beobachtete dieses. Als er kurz spazieren ging, fuhr die Antragstellerin mit ihrem PKW zum Haus ihres Vaters, um dort zu nächtigen. Die Antragstellerin und ihr Nachbar bestreiten, dass sie mehr als freundschaftlich verbunden sind. Sie teilten dies auch dem Antragsgegner mit.

[4] Am entdeckte die Antragstellerin, nachdem sie ein Klickgeräusch im ehelichen Wohnhaus wahrgenommen hatte, eine versteckte Videokamera. Diese war bei der Playstation unter einem Kästchen montiert. Um die Entdeckung zu vermeiden, war die weiße Kamera mit schwarzem Klebeband abgebunden. Die Antragstellerin war sehr aufgebracht über den Fund. Sie entfernte die Kamera und verließ das Haus. Als sie wenig später zurückkehrte, fand sie in der Tasche des Antragsgegners Fotoausdrucke ihrer Smartphonedateien, unter anderem Kontaktdaten und Anruflisten, ohne dass sie dem Antragsgegner je erlaubt hätte, diese anzufertigen. Ebenso fand sie eine Rechnung über zwei Überwachungskameras samt vier SD-Karten. Alarmiert durch den Fund suchte und fand die Antragstellerin am selben Abend mit Hilfe eines Bekannten einen Peilsender im Kofferraum des ausschließlich von ihr genützten PKW. Die Antragstellerin suchte noch in derselben Nacht die Polizei auf. Diese sprach am gegen den Antragsgegner ein Betretungsverbot für das Wohnhaus sowie ein Annäherungsverbot aus.

[5] Am fand die Antragstellerin überdies ein Aufzeichnungsgerät (Voicerecorder) in ihrem PKW. Dieses Gerät war unter dem Radio angeklebt. Sie gab dieses bei der Polizei ab.

[6] Der Antragsgegner montierte diese technischen Mittel (Voicerecorder, Videokamera, Peilsender), um die Antragstellerin zu überwachen und einen Beweis für das vermeintliche außereheliche Verhältnis der Antragstellerin zu gewinnen, den er in einem Scheidungsverfahren verwenden wollte. Die Überwachungsmaßnahmen wurden vom Antragsgegner zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt Ende August/Anfang September 2022 gesetzt.

[7] Die Antragstellerin hat Angst vor dem Antragsgegner. Aufgrund der Überwachungsmaßnahmen des Antragsgegners durchlief sie eine mittelgradige depressive Episode und erlitt Panikattacken, weshalb ihr auch Medikamente (Psychopharmaka) verschrieben und eine Psychotherapie empfohlen wurde. Sie fühlt sich deshalb ständig unsicher, fürchtet sich, lebt in Unruhe und leidet an Schlafstörungen.

[8] Das Erstgericht verbot dem Antragsgegner, gestützt auf § 382c und § 382d EO, 1. den Aufenthalt in der bisherigen Ehewohnung und dessen unmittelbarer Umgebung, 2. die persönliche Kontaktaufnahme und die Verfolgung der Antragstellerin, insbesondere durch technische Mittel wie GPS-Tracker, Kameras und Mikrofonen sowie 3. die briefliche, telefonische und sonstige Kontaktaufnahme. Nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bestätigte es die einstweilige Verfügung und wies den Widerspruch ab.

[9] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners keine Folge.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Sicherungsantrag abgewiesen werde.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1.1. Gemäß § 382d EO kann der Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre durch bestimmte – in dieser Rechtsnorm aufgezählte – Mittel gesichert werden. Voraussetzung für die Erlassung dieser einstweiligen Verfügung ist nur die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking“Handlungen oder anderer unzulässiger Eingriffe in die Privatsphäre. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt (RS0121887).

[12] 1.2. Der Antragsgegner bestreitet nicht, dass seine Überwachungsmaßnahmen als erhebliche Eingriffe in die Privatsphäre der Antragstellerin (vgl 7 Ob 130/15s) anzusehen sind. Er ist jedoch der Meinung, er habe in Verfolgung eines berechtigten Interesses gehandelt:

[13] 1.3. Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest, trifft den Verletzer die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und, dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Stellt sich heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung (RS0120423).

[14] Der höchstpersönliche Lebensbereich stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar und ist daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich (RS0122148; RS0008990 [T11]). Dieser Begriff soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers mit dem des Privat- und Familienlebens im Sinne von Art 8 EMRK decken, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sehr weit versteht (RS0122148 [T2]). Dem höchstpersönlichen Lebensbereich sind nicht nur im häuslichen Bereich zu Tage tretende Umstände und sich dort zutragende Ereignisse zuzurechnen. Er umfasst vielmehr auch Gegebenheiten der sogenannten „Privatöffentlichkeit“, das heißt, privates Handeln in öffentlichen Räumen, das aber doch in abgegrenzten Bereichen stattfindet, die eine gewisse Vertraulichkeit vermitteln und die bei objektiver Betrachtung nicht für die Anteilnahme einer unbegrenzten Öffentlichkeit bestimmt sind. Auch in der räumlichen Öffentlichkeit besteht diesfalls ein Anspruch auf Respektierung der Privatsphäre (RS0122148 [T4]).

[15] Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen; es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RS0008990). Bei Verletzung fremder absolut geschützter Rechte ist schon nach allgemeinen Grundsätzen das Rechtswidrigkeitsurteil nur aufgrund umfassender Interessenabwägung zu finden (RS0022917).

[16] 1.4. Im vorliegenden Fall setzte der Antragsgegner durch Montieren einer versteckten Kamera im gemeinsamen Wohnhaus und Montieren eines versteckten Tonaufnahmegeräts sowie Installieren eines versteckten Peilsenders am PKW der Antragstellerin, Handlungen, die ihre möglichst lückenlose Überwachung bewirken sollten, um einen von ihm vermuteten Ehebruch der Antragstellerin nachweisen zu können. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die vom Antragsgegner vorgenommene systematische, verdeckte, identifizierende technische Überwachung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Antragstellerin rechtfertige die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382d EO, ist nicht korrekturbedürftig, sind diese doch entgegen der Ansicht des Antragsgegners in ihrer Eingriffsintensität mit dem Engagieren eines Privatdetektivs nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass die Überwachungsmaßnahmen lediglich auf einer unsubstantiierten bloßen Vermutung des Antragsgegners, die Antragstellerin habe die Ehe gebrochen, beruhten. Der Hinweis des Antragsgegners auf die Judikatur zum Ersatz von Detektivkosten (vgl RS0022959; RS0022943) geht schon deshalb fehl, weil diese den nicht vergleichbaren Fall von Schadenersatzansprüchen eines Ehegatten gegen den Ehestörer zum Gegenstand hat.

[17] 2.1. § 382c EO ermöglicht bei Vorliegen eines körperlichen Angriffs oder der Drohung mit einem solchen und darüber hinaus auch bei einem sonstigen Verhalten des Antragsgegners die Anordnung der dort angeführten Sicherungsmaßnahmen, wenn dieses Verhalten eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (7 Ob 38/21w mwN). „Psychoterror“ ist, weil die Zumutbarkeitsfrage entscheidet, nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Von Bedeutung ist aber nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der Antragstellerin (RS0110446 [T4, T8, T15]). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382c EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit der Antragstellerin erheblich beeinträchtigt wird (vgl RS0121302 [T1]).

[18] 2.2. In der Entscheidung 7 Ob 151/17g erachtete der Oberste Gerichtshof bei dem vom Antragsgegner zu verantwortenden Überwachen und Ausspionieren der Telefonkontakte der Antragstellerin und seinen „Beweismittelbeschaffungen“ (als Tonaufnahmegerät verwendetes, verstecktes Mobiltelefon in der Ehewohnung, Entnehmen von Haaren von der Haarbürste für einen Suchtmitteltest), die bei der Antragstellerin zu Belastungen und vegetativen Beschwerden führten, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO für gerechtfertigt, weil es sich dabei um schwerwiegende Vertrauensbrüche und unerträgliche Eingriffe in die Privatsphäre eines Ehegatten handelt, die auch im Rahmen eines anhängigen Scheidungsverfahrens keinesfalls zu tolerieren sind und damit der Antragstellerin das weitere Zusammenleben unzumutbar machen. Dies gilt gleichermaßen für einstweilige Verfügungen nach § 382c EO (vgl RS0110446 [T16]).

[19] 2.3. Angesichts des Umstands, dass die Antragstellerin aufgrund der systematischen Überwachungsmaßnahmen des Antragsgegners eine mittelgradige depressive Episode durchlief und Panikattacken erlitt, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass auch die Voraussetzungen des § 382c EO vorliegen, nicht korrekturbedürftig, zumal der Antragsgegner auch kein berechtigtes Interesse im Sinn dieser Gesetzesbestimmung darlegt.

[20] 3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00038.23Y.0322.000

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