OGH vom 09.11.2022, 7Ob167/22t

OGH vom 09.11.2022, 7Ob167/22t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* S*, vertreten durch Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 60 R 40/22w-11, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 20 C 174/21s-7, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Zwischen den Streitteilen bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2004 (ARB 2004) zugrunde lagen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruchs zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen.

[...]

2. Verletz

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis:

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

[...]

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

[...]

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich:

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens;

[...]

3. Was ist nicht versicher

3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutzbausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie Anhängern eintreten (versicherbar in Artikel 17 und 18).

[...]“

[2] Die Klägerin beabsichtigt die klageweise Rückabwicklung des Kaufs eines Fahrzeugs gegenüber der Herstellerin, gerichtet auf Schadenersatz aus dem durch deren Täuschungshandlungen veranlassten (§§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) Erwerb einer behauptetermaßen mangelhaften Sache.

[3] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508 Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 1. Der behauptete Mangel des Berufungsgerichts wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[5] 2. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0037874 [T33, T39]). Die Vorinstanzen bejahten die – bisher auch nicht angezweifelte – Bestimmtheit des auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund des VWAbgasskandals im Zusammenhang mit dem konkret angeführten Schadensfall gerichteten Klagebegehrens. Die Beklagte zeigt keine Korrekturbedürftigkeit dieser Beurteilung auf.

[6] 3. Die Qualifikation des von der Klägerin behaupteten Anspruchs als deliktischer Schadenersatzanspruch auf gesetzlicher Grundlage durch das Berufungsgericht ist ebensowenig zu beanstanden, wie dessen Unterstellen unter Art 19.2.1 ARB und die Verneinung der Leistungspflicht der Beklagten aufgrund des bloßen Deckungsabgrenzungsausschlusses des Art 19.3.1.1 ARB (vgl 7 Ob 91/22s).

[7] 4.1 Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RS0043728 [insb T4], RS0081313 [T21]).

[8] 4.2 Das Berufungsgericht ging – ohnedies im Sinn der Beklagten – von der Verletzung der in § 33 Abs 1 VersVG normierten, mit Art 8.1.1 (iVm Art 8.2) ARB auch vertraglich umgesetzten Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls nach bereits erfolgter Beendigung des Versicherungsvertrags aus. Gegen die vom Berufungsgericht seiner Annahme der bloß leichten Fahrlässigkeit auf Seiten der Kläger konkret zugrunde gelegten Begründung, bringt die Beklagte keine stichhaltigen Argumente. Sofern sie in diesem Zusammenhang weitwendig davon ausgeht, dass die Klägerin bereits 2015 oder 2017 positive Kenntnis davon gehabt habe, dass ihr Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, entfernt sie sich von den Tatsachenfeststellungen.

[9] 4.3 Im erstgerichtlichen Verfahren berief sich die Beklagte auf eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1 ARB, weil die Klägerin in ihrer Schadensmeldung den unrichtigen Eindruck erweckt habe, erst 2020 – und nicht schon 2015 bzw 2017 – vom Schadensfall erfahren zu haben. Derartiges lässt sich bereits dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Soweit die Beklagte nunmehr weitere Aufklärungen durch die Klägerin vermisst, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot.

[10] 5. Eine fehlende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klagsführung der Klägerin nach Art 9.2.3 ARB wegen Unschlüssigkeit und/oder Verjährung der Schadenersatzansprüche gegenüber der Herstellerin wandte die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren nicht ein, weshalb sich ein weiteres Eingehen erübrigt.

[11] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[12] 7. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00167.22T.1109.000

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