OGH vom 09.11.2022, 7Ob155/22b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H* H*, vertreten durch Mag. Mehmet Munar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M* AG, *, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, wegen 29.992,15 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil und über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 7 R 6/22i (7 R 8/22h)27, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 22 Cg 79/21y14, teilweise bestätigt und im Übrigen aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
II. Der Rekurs wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
IV. Der Kläger hat die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist Zahnarzt und betreibt an zwei Standorten je eine Zahnarztordination. Zwischen den Parteien besteht eine Ärzte-Bündelversicherung, die eine Betriebsunterbrechungsversicherung umfasst, der die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich und selbständig Tätige (ABFT 2005) sowie die Klauseln AT 025, AT 027 und Taxe 1 zugrunde liegen.
[2] Die ABFT 2005 lauten auszugsweise:
„Artikel 2
Versicherte Gefahren
Als versicherte Gefahren gelten
[...]
5. Personenschäden durch Krankheit und Unfall im Sinne der nachstehenden Bestimmungen:
[...]
5.2 Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung nach sich zieht.
[...]
5.3 Heilbehandlung (nach Krankheit und Unfall) ist eine medizinische Behandlung, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft geeignet erscheint, die Gesundheit wiederherzustellen, den Zustand zu verbessern oder eine Verschlechterung zu verhindern.
[...]
Artikel 3
Sachschaden/Personenschaden
[...]
3. Als Personenschaden gilt die völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit der in der Polizze namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen gemäß Art 2.5. Die völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit beginnt, wenn die den Betrieb verantwortliche leitende Person ihre berufliche Tätigkeit nach objektivem ärztlichen Urteil in keiner Weise ausüben kann und auch nicht ausübt, sie endet, wenn diese Person nach medizinischem Befund wieder arbeitsfähig ist oder ihre berufliche Tätigkeit wieder ausübt.
[...]
3.5.7.1 Nicht als Sach- und Personenschaden gelten:
Folgende Personenschäden wegen
- Krankheiten und
- Unfällen sowie deren Folgen, die aufgrund eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften eintreten oder verschlechtert werden oder
- deren Heilbehandlung infolge eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften wesentlich erschwert ist, sowie für Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren.
Artikel 4
Betriebsunterbrechung
1. Als Betriebsunterbrechung gilt die völlige oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebs durch einen Sach- oder Personenschaden.
2. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt des Eintritts des Sach- oder Personenschadens und endet mit dem Zeitpunkt, zu dem der Sachschaden soweit behoben ist, dass diejenige Betriebsleistung erbracht werden kann, die auch ohne Betriebsunterbrechung erbracht worden wäre; weiter mit Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der in der Polizze namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person bzw zum Zeitpunkt, zu dem objektiv feststeht, dass der versicherte Betrieb nicht mehr weitergeführt werden kann, insbesondere bei dauernder Arbeitsunfähigkeit oder Tod der in der Polizze namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person.
3. Unterbrechungen, deren Folgen sich ohne erhebliche Aufwendungen wieder ausgleichen lassen, gelten nicht als Betriebsunterbrechung.
[...]
Artikel 6
Versicherungswert, Haftungszeit, Haftungssumme
[...]
2. Die Haftungszeit beginnt mit dem Zeitpunkt des Eintritts des Sach- oder Personenschadens und dauert zwölf Monate. Abweichende Haftungszeiten können vereinbart werden, ausgenommen bei Saisonbetrieben.
3. Die Haftungssumme verhält sich zur Versicherungssumme wie die Haftungszeit zum Zeitraum von zwölf Monaten.
[...]
Artikel 9
Unterbrechungsschäden, Entschädigung
[...]
2. Entschädigung
Der Versicherer ersetzt den längstens während der Haftungszeit eingetretenen Unterbrechungsschaden, höchstens jedoch die Haftungssumme.
[...]
AT 025 lautet:
Prämienfreie Vorteile – Betriebsunterbrechung (für selbständige Ärzte)
[...]
- Für Unfallspätversorgung: Erweiterung der Haftungszeit auf 24 Monate bzw bei Haftungszeiteinschränkung auf sechs Monate = 12 Monate. Bei Vereinbarung der „Staffelvariante“ ist diese Haftungszeit auf 36 Monate erweitert.“
AT 027 lautet:
Unfallspätversorgung – solange die ′Staffelvariante′ vereinbart gilt
In Abänderung des Artikel 6.2. der ABFT wird die Haftungszeit für Unterbrechungen des versicherten Betriebs aufgrund kausal notwendiger Nachbehandlungen (zB Entfernung von Nagelungen nach Brüchen) eines vorangegangenen ersatzpflichtigen Betriebsunterbrechungsschadens während der Laufzeit des Vertrages nach einem Unfall, für den die M* bedingungsgemäß eine Ersatzleistung erbringen muss, auf 36 Monate (solange die ′Staffelvariante′ und eine Haftungszeit von 12 Monaten vereinbart gilt) erweitert. Bei Wegfall der ′Staffelvariante′ reduziert sich die vorgenannte Haftungszeit auf 24 Monate (bei einer vereinbarten Haftungszeit von 12 Monaten). Die Haftungssumme für das gesamte Schadensereignis (inklusive Unfallspätversorgung) bleibt davon unberührt.“
[3] Am erlitt der Kläger einen Motorradunfall. Im Zuge der darauffolgenden Operation wurden ihm Metallteile implantiert.
[4] Im Dezember 2019 nahm der Kläger seine Zahnarzttätigkeit in beiden Ordinationen wieder auf. Aufgrund des Unfalls aus 2019 kam es im Dezember 2020 zu einer geplanten Operation, um die eingesetzten Metallteile wieder zu entfernen. Daraufhin ging der Kläger in einen „geplanten“ Krankenstand von bis .
[5] Im Jänner 2020 bezahlte die Beklagte dem Kläger einen Betrag von 42.488,88 EUR.
Am übermittelte die Beklagte dem Vertreter des Klägers nachstehende E-Mail:
„[...]
[6] Zu Ihrem Betriebsunterbrechungsschaden im Jahr 2020 übermitteln wir Ihnen das aktuelle Gutachten des Sachverständigen, sowie das vorangegangene zur Kenntnis:
[7] Aus diesem Gutachten ergibt sich ein Deckungsbeitrag von 135.700 EUR. Somit ist die aktuelle Versicherungssumme von 130.000 EUR in Ordnung und kann auf dieser Basis ein Tagsatz von 361,11 EUR errechnet werden. Daraus ergibt sich eine Entschädigungssumme für den Zeitraum bis von 41.888,76 EUR. Da jedoch der Sachverständige festgestellt hat, dass es aus buchsachverständiger Sicht keine Leistungseinbußen gegeben hat und somit kein Betriebsunterbrechungsschaden objektivierbar ist, können wir nur 50 % der Entschädigungssumme anerkennen und haben den Betrag von 20.944,38 EUR mit heutigem Datum zur Auszahlung gebracht.
[8] Das gleiche gilt auch für den Betriebsunterbrechungsschaden aus dem Jahr 2019. Hier wurden bereits mehr als 50 % der Entschädigungssumme ausgezahlt. Entgegenkommenderweise wird hier auf eine Rückforderung verzichtet.“
[9] Der Kläger begehrt die Zahlung von 29.992,15 EUR sA. Er habe im Juni 2019 einen Motorradunfall erlitten und sei im Zeitraum von bis vollständig an einer Betriebsausübung gehindert gewesen. Unter Zugrundelegung des von ihr beauftragten Gutachtens habe die Beklagte am die maximale Entschädigungssumme für die gewählte Haftungsdauer von sechs Monaten mit 38.350 EUR bekannt gegeben und darauf hingewiesen, dass wegen der bereits in Höhe von 42.488,88 EUR geleisteten Zahlungen keine weiteren Leistungen erbracht werden könnten.
[10] Im Dezember 2020 seien beim Kläger ursprünglich aufgrund des erwähnten Verkehrsunfalls implantierte Metallteile wieder entfernt worden. Aufgrund der Operation sei eine weitere Betriebsunterbrechung ab dem bis zum entstanden. Sowohl „Unfall“ als auch „Heilbehandlung“ stellten einen eigenständigen Versicherungsfall dar. Auf diesen „zweiten“ Betriebsunterbrechungsschaden habe die Beklagte am 20.944,38 EUR bezahlt. Sie habe in Kenntnis der vollen Sach- und Vertragslage den zweiten Betriebsunterbrechungszeitraum als eigenen Versicherungsfall anerkannt.
[11] Für den Zeitraum vom bis betrage der Betriebsunterbrechungsschaden 58.625,45 EUR; aufgrund der bereits erhaltenen Zahlung in Höhe von 42.488,88 EUR sei der Betrag von 16.136,53 EUR offen. Für den Zeitraum bis zum errechne sich der Betriebsunterbrechungsschaden mit 34.800 EUR. Unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen Zahlung von 20.944,38 EUR hafte hier noch der Betrag von 13.855,62 EUR aus.
[12] Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Das Klagebegehren sei unschlüssig. Die Leiden des Klägers seien auf den Unfall vom zurückzuführen. Dieser Unfall stelle auch den Versicherungsfall dar. Die im Dezember 2020 durchgeführte Heilbehandlung begründe hingegen keinen eigenständigen Versicherungsfall. Im Versicherungsvertrag sei die Begrenzung der Haftungszeit mit sechs Monaten vereinbart worden. Damit habe die Haftungszeit für Unfallfolgen sechs Monate nach Eintritt des Personenschadens () am und für Unfallspätschäden nach der Klausel AT 025 12 Monate nach Eintritt des Personenschadens am geendet.
[13] Es könne sein, dass die Beklagte zunächst einem Irrtum unterlegen und von zwei Versicherungsfällen ausgegangen sei; die Gründe dafür könnten vielleicht im Rückforderungsprozess relevant sein. Unter Zugrundelegung eines Unterbrechungsschadens für den Zeitraum bis von 38.624,40 EUR ergebe sich eine rückforderbare Überzahlung von 24.808,50 EUR.
[14] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Vorbringen des Klägers erweise sich als unschlüssig. Unabhängig davon sei das Klagebegehren auch deshalb abzuweisen, weil der Kläger, der unter anderem für die Höhe des von ihm behaupteten Schadens beweispflichtig sei, nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit habe beweisen können, dass eine Differenz zu seinen Gunsten in Hinblick auf die tatsächlich erzielten Deckungsbeiträge und die von der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen von 63.432,90 EUR bestehe. Auch gehe die Argumentation des Klägers ins Leere, dass die aus dem Unfall vom Juni 2019 resultierende Operation im Dezember 2020 einen eigenen Versicherungsfall in Form einer Heilbehandlung nach einem Unfall darstelle.
[15] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil im Umfang der Abweisung von 13.855,62 EUR (betreffend den Zeitraum Dezember 2020 bis ). Im Übrigen (Abweisung von 16. 136,53 EUR sA hinsichtlich des Zeitraums bis ) hob es das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es beurteilte das Klagebegehren als schlüssig. Beide „Betriebsunterbrechungszeiträume“ seien aber auf einen Versicherungsfall zurückzuführen, nämlich den Motorradunfall vom . Es lägen nicht zwei selbständige Versicherungsfälle, sondern ein gedehnter Versicherungsfall vor. Da zwischen den Streitteilen eine Haftungszeit von nur sechs Monaten vereinbart worden sei, ende diese für Unfallfolgen sechs Monate nach dem Eintritt des Schadens (somit am ) und für kausal notwendige Nachbehandlungen 12 Monate nach dem Eintritt des Schadens (somit am ). Der Kläger könne daher für den zweiten Betriebsunterbrechungszeitraum, resultierend aus der Metallentfernung nach Ablauf der verlängerten Haftungszeit von 12 Monaten, keine weiteren Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen. Hinsichtlich der Betriebsunterbrechung für den Zeitraum bis bejahte das Berufungsgericht die primäre Mangelhaftigkeit durch Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Unterbrechungsschadens. Es treffe zwar zu, dass die Beklagte für den Versicherungsfall bereits insgesamt 63.432,90 EUR bezahlt habe und der Kläger für den in der vereinbarten Haftungszeit gelegenen Unterbrechungszeitraum vom bis nur einen Schaden von 58.625,45 EUR behaupte. Aufgrund der eindeutigen Widmung der Zahlung von 20.944,38 EUR auf den Zeitraum von bis könne dieser Betrag aber nicht zur Abgeltung eines behaupteten höheren Betriebsunterbrechungsschadens für den Zeitraum vom bis herangezogen werden.
[16] Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen das Teilurteil zu, da der Auslegung der gegenständlichen Versicherungsbedingungen und Klauseln über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beizumessen sei. Auch den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zu, weil die Auffassung vertreten werden könnte, dass alle von der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen für den gleichen Versicherungsfall erbracht worden seien, weshalb dem Kläger ein weiterer Anspruch auf den Betriebsunterbrechungsschaden auch für den ersten Unterbrechungszeitraum nicht zustehe. Diesfalls wäre das gesamte Klagebegehren abzuweisen.
[17] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dem Klagebegehren insoweit stattzugeben. Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[18] Die Streitteile begehren jeweils, dem Rechtsmittel der Gegenseite keine Folge zu geben.
I. Zur Revision des Klägers:
Rechtliche Beurteilung
[19] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[20] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck, einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, dass heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[21] 2.1 Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung handelt es sich um eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RS0080975). Versicherungsobjekt ist der Betrieb, wie er vom Versicherungsnehmer üblicherweise geführt wird (vgl 7 Ob 98/09a). Objekt der Betriebsunterbrechungsversicherung ist nicht nur der „technische“ Betrieb, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit (7 Ob 9/22g). Der Tatbestand der Betriebsunterbrechung ist erfüllt, wenn der Betrieb infolge eines versicherten Personen- oder Sachschadens oder eines sonstigen Verhinderungsgrundes in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (RS0080975 [T7]; 7 Ob 9/22g mwN).
[22] 2.2 Der Versicherungsfall ist nach der Definition in Art 4.1 ABFT die durch einen versicherten Sach- oder Personenschaden verursachte Unterbrechung des versicherten Betriebs. Art 4.2 ABFT legt den Beginn der Betriebsunterbrechung mit dem – hier interessierenden – Zeitpunkt des Eintritts des Personenschadens und dessen Ende mit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit fest. Als Personenschaden gilt nach Art 3.3 ABFT die völlige (100 %ige) Arbeitsunfähigkeit der in der Polizze namentlich genannten, den Betrieb verantwortlich leitenden Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen gemäß Art 2.5 ABFT. Art 2.5 ABFT nimmt Bezug auf Personenschäden durch Krankheit und Unfall und definiert in Art 2.5.1 die „Krankheit“, in Art 2.5.2 den „Unfall“ und in Art 2.5.3 die „Heilbehandlung (nach Krankheit und Unfall)“. Für den Fall, dass die Haftungszeit – wie hier unstrittig – in Abweichung von Art 6.2 ABFT sechs Monate beträgt, sieht die Klausel AT 025 für die Unfallspätversorgung eine Erweiterung der Haftungszeit auf 12 Monate vor.
[23] 2.3 Entgegen der Ansicht des Klägers folgt aus Art 2.5 ABFT nicht, dass ein „Personenschaden wegen einer Heilbehandlung“ eine eigenständige versicherte Gefahr darstellt. Vielmehr versteht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer Art 2.5 ABFT iVm Art 4.1 ABFT dahin, dass Versicherungsfall ein Personenschaden ist, der durch eine Krankheit oder einen Unfall ausgelöst wird, nicht jedoch die aus der Krankheit oder dem Unfall resultierende Heilbehandlung. Dafür spricht zum einen, dass der Versicherungsfall der Betriebsunterbrechung nach dem Wortlaut ausdrücklich auf einen Personenschaden – hier – aus einem Unfall abstellt, die „Heilbehandlung nach dem Unfall“ aber keinen Personenschaden auslöst, sondern dessen Beseitigung bezweckt. Zum anderen würde das Auslegungsergebnis des Klägers, wonach jede Heilbehandlung einen eigenen Versicherungsfall darstellt, die Anführung von Krankheit und Unfall obsolet machen, da eine Heilbehandlung stets auf eine Krankheit oder einen Unfall zurückzuführen sein wird. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer sieht daher – die Aufnahme der Definition der „Heilbehandlung nach Krankheit und Unfall“ in Art 2.5 ABFT als Klarstellung, dass auch die Heilbehandlung – als Folge des durch Krankheit oder Unfall ausgelösten Personenschadens vom Versicherungsschutz umfasst ist, sie aber selbst keinen eigenständigen Versicherungsfall begründet. Dies wird durch die Erweiterung der Haftzeit für Unfallspätfolgen – wie in der Klausel AT 025 vorgenommen – verdeutlicht. Auch eine solche Erweiterung erübrigte sich, wenn ohnedies jede Heilbehandlung einen eigenständigen Versicherungsfall darstellen würde. Art 3.5.7.1 ABFT trägt das vom Kläger gewünschte Auslegungsergebnis gleichfalls nicht. Die Klausel bestimmt lediglich, dass nicht nur Personenschäden aufgrund von Krankheiten und Unfällen sowie deren Folgen, die aufgrund eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol und Suchtgiften eintreten oder verschlechtert werden vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, sondern auch eine aus demselben Grund gegebene Erschwernis deren Heilbehandlung.
[24] 2.4 Damit erweist sich die Beurteilung der Vorinstanzen, die in Art 2.5.3 ABFT definierte Heilbehandlung stelle keinen eigenen Versicherungsfall da, als richtig. Zutreffend ging das Berufungsgericht auch davon aus, dass dem vorliegenden Rechtsstreit ein sogenannter „gedehnter“ Versicherungsfall „zugrunde liegt“.
[25] 2.4.1 Für die Annahme eines gedehnten (gestreckten) Versicherungsfalls ist wesentlich und maßgeblich nicht etwa das schrittweise Eintreten des Ereignisses, sondern die Tatsache, dass ein bestimmter Zustand fortdauert. Dabei darf die Fortdauer des Ereignisses nicht nur die Pflicht des Versicherers zur Leistung begründen, sondern muss den Umfang der Versicherungsleistung im Einzelfall bestimmen. Typisch sind gedehnte Versicherungsfälle in der Feuerversicherung und in der Krankenversicherung, aber wohl auch in der Betriebsunterbrechungsversicherung (RS0116397).
[26] 2.4.2 Der gedehnte Versicherungsfall begann mit der Unterbrechung des Betriebs infolge des durch den Unfall verursachten Personenschadens am . Die dafür – unter Berücksichtigung der Erweiterung für Unfallspätversorgung – vereinbarte Haftungszeit endete somit spätestens am . Die zum Zweck der Metallentfernung im Dezember 2020 durchgeführte Operation und die daraus resultierende Betriebsunterbrechung liegt außerhalb der Haftungszeit und damit außerhalb des Versicherungsschutzes.
[27] 3.1 Ein konstitutives Anerkenntnis liegt vor, wenn der Gläubiger seinen Anspruch ernstlich behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestehen des behaupteten Rechts dadurch beseitigt, dass er das Recht zugibt (RS0032496 [T6, T7, T9]). Es setzt somit die – nach der Vertrauenstheorie zu beurteilende (RS0032496 [T5]) – Absicht des Anerkennenden voraus, unabhängig von dem bestehenden Schuldgrund eine neue selbständige Verpflichtung zu schaffen (RS0032496 [T1], RS0032779 [T4], RS0032541). Das konstitutive Anerkenntnis gehört damit zu den Feststellungsverträgen (RS0032779). Es ruft das anerkannte Rechtsverhältnis auch für den Fall, dass es nicht bestanden haben soll, ins Leben und hat somit rechtsgestaltende Wirkung (RS0032496 [T6, T7]). Demgegenüber ist ein deklaratives Anerkenntnis (Rechtsgeständnis) kein Leistungsversprechen, sondern eine durch Gegenbeweis widerlegbare Wissenserklärung (RS0032784 [T10]). Ob ein deklaratives (unechtes) Anerkenntnis oder ein konstitutives (echtes Anerkenntnis) vorliegt, ist durch Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall zu ermitteln. Dabei sind vor allem die mit dem Anerkenntnis verfolgten Zwecke, die beiderseitige Interessenlage und die allgemeine Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses maßgebend (RS0017965, RS0032666). Ein konstitutives Anerkenntnis kann sich auch nur auf einen Teil der Forderung oder deren Höhe (RS0122872) oder allein auf den Anspruchsgrund (vgl RS0032959; RS0040880) beziehen. Im Zweifel gilt ein Regulierungsanbot nicht als eigenes Anerkenntnis des Versicherers dem Grunde nach (RS0032959).
[28] 3.2 Der Ansicht des Klägers, die Beklagte habe in ihrer E-Mail vom dem Grunde nach das Vorliegen eines zweiten Versicherungsfalls ab dem anerkannt, steht schon entgegen, dass der E-Mail weder nach dem Vorbringen noch nach dem Akteninhalt ein ernsthaftes Bestreiten oder Bezweifeln des behaupteten Anspruchs dem Grunde nach vorausgingen.
[29] 4. Damit erweist sich die Abweisung des für den Zeitraum von bis noch geltend gemachten Betrags von 13.855,62 EUR sA als zutreffend.
II. Zum Rekurs der Beklagten:
[30] Der Rekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[31] 1.1 Zur Schlüssigkeit der Klage bedarf es der Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen in ihr. Es genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus dem zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516, RS0001252). Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden. Ob sich der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt oder ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist eine Frage des Einzelfalls und stellt daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0037780, RS0042828). Die Schlüssigkeit verlangt nicht, dass der gesamte Tatbestand vorgetragen wird, sondern es genügt, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp angeführt werden (RS0036973 [T15]).
[32] 1.2 Das Berufungsgericht beurteilte das Klagebegehren vor dem Hintergrund als schlüssig, dass der Kläger bereits in seiner Klage seinen Betriebsunterbrechungsschaden für den Zeitraum bis konkret bezifferte. Es ging weiters davon aus, dass der Verweis des Klägers hinsichtlich der Berechnung des von ihm zugrunde gelegten Deckungsbeitrags auf das vorgelegte Privatgutachten das Klagebegehren nicht unschlüssig mache. Gegen diese Beurteilung bringt die Beklagte keine beachtenswerten Argumente.
[33] 2.1 Die Ausführungen des Berufungsgerichts, aufgrund der von der Beklagten ausdrücklich für den Betriebsunterbrechungsschaden von bis vorgenommenen Zahlung von 20.944,38 EUR könne trotz ihrer Leistungsfreiheit keine (automatische) Anrechnung auf die für den Zeitraum vom bis geforderte Zahlung erfolgen, ist nicht korrekturbedürftig.
[34] 2.2 Vielmehr kann, sofern ein Versicherer Zahlung geleistet hat, obwohl Leistungsfreiheit oder nur eine geringere Leistungspflicht bestand, diese Leistung unter den Voraussetzungen des § 1431 ABGB zurückverlangt werden (RS0033755). Der Bereicherungskläger (Versicherer) hat zu beweisen, dass die von ihm erbrachte Leistung zum Zweck der Erfüllung einer Schuld erfolgte, die in Wirklichkeit nicht bestand und er sich bei der Leistung in einem Irrtum befand (RS0033566), also die Voraussetzungen für eine Leistung nicht (im angenommenen Umfang) vorlagen, der Versicherer aber irrig davon ausging (RS0078874, 7 Ob 19/11m).
[35] 2.3 Ein derartiger Rückforderungsanspruch wäre aber hier durch (außergerichtliche oder gerichtliche) Aufrechnung geltend zu machen, was nicht erfolgte.
[36] III. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
[37] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfragen verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T2, T4], RS0035976 [T2]). Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00155.22B.1109.000 |
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