OGH vom 28.03.2023, 6Ob83/21f

OGH vom 28.03.2023, 6Ob83/21f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler in der Außerstreitsache des Antragstellers B*, USA, wider die Antragsgegnerin J*, wegen Rückführung der Minderjährigen D*, geboren am * 2017, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über das „Ersuchen“ der Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, um „Übermittlung sämtlicher bezughabender Gerichtsakten des Obersten Gerichtshofs“ den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem „Ersuchen“ um Übermittlung des Aktes 6 Ob 83/21f des Obersten Gerichtshofs an die Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom zu AZ 6 Ob 83/21f in der gegenständlichen Außerstreitsache über den Revisionsrekurs des Antragstellers entschieden und dem Bezirksgericht Krems an der Donau zu AZ 17 Ps 184/19z den Vollzug der zwangsweise angeordneten Rückführung der Minderjährigen in das Staatsgebiet der Vereinigten Staaten von Amerika im Sinne des Beschlusses des Landesgerichts Krems an der Donau vom , AZ 2 R 8/20v, aufgetragen.

[2] Zu AZ A 12/2023-2 ist nunmehr beim Verfassungsgerichtshof ein auf Art 137 B-VG aus dem Titel der Staatshaftung gestütztes Verfahren der Antragsgegnerin gegen die Republik Österreich (Bund) anhängig. Die Klage gründet sich auf behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht in der genannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom . Die Republik Österreich (Bund) wurde in diesem Verfahren vom Verfassungsgerichtshof aufgefordert, eine Stellungnahme zu erstatten und alle bezughabenden Akten vorzulegen.

[3] Am ersuchte das Bundesministerium für Justiz den Obersten Gerichtshof, sämtliche bezughabenden Gerichtsakten an die Finanzprokuratur zu übermitteln und mitzuteilen, ob und gegebenenfalls welche Akten oder Aktenbestandteile von der Akteneinsicht auszuschließen seien.

[4] Beim vorliegenden Ersuchen des Bundesministeriums für Justiz handelt es sich inhaltlich um einen Antrag der Republik Österreich (Bund) auf Gewährung der Akteneinsicht in den Ob-Akt (AZ 6 Ob 83/21f) des Obersten Gerichtshofs (vgl 1 Nd 30/94) und dessen Übermittlung an die rechtsfreundliche Vertretung der Republik Österreich (Bund).

[5] Nach § 5 Abs 1 Satz 3 OGHG hat über das Recht auf Akteneinsicht der Senatsvorsitzende allein zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.

[7] 1. Die ursprüngliche, auf § 20 OGHG gestützte Rechtsprechung, wonach eine Einsicht in die Akten des Obersten Gerichtshofs ausdrücklich (und grundsätzlich) ausgeschlossen sei (11 Os 10/75; idS auch Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 219 Rz 5), wurde zwar in weiterer Folge nicht aufrecht erhalten (RS0071142 [T1]); vielmehr sind die Bestimmungen über die Akteneinsicht auch auf Ob-Akten anzuwenden (aus jüngerer Zeit 6 Ob 153/15s; vgl auch Rassi in Fasching/Konecny II/3³ [2015] § 219 ZPO Rz 19). Für das gegenständliche Ersuchen auf Akteneinsicht ist daraus jedoch nichts gewonnen:

[8] 1.2. Nach § 219 Abs 1 ZPO iVm § 22 AußStrG können die Parteien in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten (Prozessakten) […] Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen. Die Republik Österreich (Bund) ist jedoch nicht Partei des gegenständlichen Außerstreitverfahrens.

[9] 1.3. Nach § 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG können zwar mit Zustimmung der Parteien auch dritte Personen in gleicher Weise Einsicht nehmen […], wobei bei Fehlen einer solchen Zustimmung dem Dritten die Einsicht […] überdies nur insoweit zusteht, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Nach § 141 Abs 1 AußStrG steht aber darüber hinaus in seinem Anwendungsbereich Dritten grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht zu (vgl die Nachweise bei Mondel in Rechberger/Klicka, AußStrG³ [2021] § 141 Rz 2; ebenso Schoditsch in Schneider/Verweijen, AußStrG [2018] § 141 Rz 6), wobei sich der Anwendungsbereich des § 141 AußStrG (unter anderem) auf Kindschaftsverfahren iSd II. Hauptstücks des Außerstreitgesetzes erstreckt (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2019] § 141 Rz 8; Schoditsch aaO); dazu gehören auch Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (Abschnitt 7a des II. Hauptstücks des Außerstreitgesetzes = §§ 111a bis 111f AußStrG).

[10] 2. Auch wenn ein Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs selbst, dem die „bezughabenden Akten“ ja letztlich übermittelt werden sollen, hier nicht zu beurteilen ist, sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass sich im vorliegenden Fall eine Akteneinsicht im Hinblick auf § 141 Abs 2 AußStrG auch in diesem Fall verbieten würde: Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 1 Nd 30/94 ist ein Ersuchen um Übersendung von Akten für Beweiszwecke als Rechtshilfeersuchen nach § 37 JN zu beurteilen und sind darauf die Vorschriften über die Akteneinsicht anzuwenden. Die (engen) Voraussetzungen des § 141 Abs 2 Z 1 und 2 AußStrG würden hier aber nicht vorliegen.

[11] 3. Im Übrigen ist anzumerken, dass selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Akteneinsicht im Sinn der genannten Bestimmungen (§ 219 ZPO, §§ 22, 141 AußStrG) diese Gewährung sich (auch) nach § 170 Geo zu richten hätte. Damit wären aber nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sämtliche Beratungsprotokolle und Abstimmungsvermerke, Aufzeichnungen des Berichterstatters, Entscheidungsentwürfe und Anmerkungen, die auf die innere Willensbildung sowie die Person des Berichterstatters Rückschlüsse zulassen, weiters Stellungnahmen und Äußerungen von Senatsmitgliedern sowie das Original der Entscheidungsbegründung von der Akteneinsicht ausgenommen (RS0071142 [T1]; 6 Ob 153/15s). Dem Akteneinsichtsbegehren könnte nur mit diesen Einschränkungen stattgegeben werden, sodass – in tatsächlicher Hinsicht – lediglich ein insoweit „inhaltsleerer“ Rechtsmittelakt verbliebe (2 Ob 98/08p; idS bereits 6 Ob 551/90 [zu einem Ob-Akt]; 7 Ob 235/01m [zum R-Akt eines zweitinstanzlichen Gerichts]), weil der Akteneinsichtnehmende nur jene „Entscheidung“ sehen würde, deren Ausfertigung den Parteien ohnedies zugestellt wurde (6 Ob 153/15s), bzw im gegenständlichen Fall jene „Entscheidung“, die der Republik Österreich (Bund) ohnehin bekannt ist, liegt sie doch der zu AZ A 12/2023-2 des Verfassungsgerichtshofs geltend gemachten Staatshaftung zugrunde.

[12] 4. Für einen Anspruch auf Übersendung des Aktes an eine Verfahrenspartei (und damit erst recht an einen Dritten) oder deren rechtsfreundliche Vertretung zwecks Vornahme der Akteneinsicht lässt sich keine Rechtsgrundlage finden (vgl dazu Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 219 Rz 9 mit weiteren Nachweisen aus Rsp und Literatur; Lutschounig in Schneider/Verweijen, AußStrG § 22 Rz 11). Im Übrigen – dies bezogen auf R- und Ob-Akten – könnte an einer Übersendung „inhaltsleerer Akten“ selbst an ein anderes Gericht zum Zweck der Akteneinsicht kein Interesse bestehen (2 Ob 98/08p); sollte sich (etwa) der Entscheidung 1 Nd 30/94 anderes entnehmen lassen, so würde diese Auffassung nicht geteilt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00083.21F.0328.000

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