OGH vom 18.04.2023, 6Ob71/22t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. HoferZeniRennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* Ltd., *, Zypern, vertreten durch Univ.Prof. Dr. Max Leitner und Dr. MaraSophie Häusler, LL.M., Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei U* S.p.A. Zweigniederlassung Wien, *, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer PartG mbB, in Wien, wegen 34.667,60 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 122/21g40, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 18 Cg 26/20t34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.116,62 EUR (darin enthalten 352,77 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die im März 2011 gegründete Klägerin ist eine (unter anderem) auf Nachbesserungsrechte spezialisierte Beteiligungsgesellschaft. Die Beklagte war Hauptaktionärin der B* AG (im Folgenden kurz: B AG). Die Hauptversammlung der B AG beschloss am * 2007, die Streubesitzaktionäre über ein Squeeze-Out-Verfahren durch Zahlung einer Barabfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Gesellschafterausschlusses nicht Aktionärin der B AG.
[2] Einige (nach dem GesAusG ausgeschlossene) „Großaktionäre“ der B AG bekämpften den Squeeze-Out-Beschluss mit Anfechtungsklage. Die Beklagte schloss mit diesen „Großaktionären“ einen Vergleich, wonach die Beklagte sich unter anderem verpflichtete, einem dieser „Großaktionäre“ eine Pauschalzahlung von insgesamt 14 Millionen EUR zu bezahlen. Mit Aktienkaufvertrag zwischen der Beklagten und der „Großaktionärin“ wurde vereinbart, dass Letztere alle Aktien der B AG, mit Ausnahme einer Aktie, an die Beklagte verkauft. Der Aktienkaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung des Gesellschafterausschlussbeschlusses im Firmenbuch und der Beendigung des Beschlussanfechtungsverfahrens sowie eines Verfahrens vor der Übernahmekommission.
[3] Nach aufgrund dieses Vergleichs erfolgter Beendigung des Beschlussanfechtungsverfahrens wurde der Beschluss über den Gesellschafterausschluss mit Wirkung * 2008 im Firmenbuch eingetragen. Der Anspruch auf Barabfindung in Höhe von 129,40 EUR je Stück Inhaberaktie wurde durch ein Anspruchszertifikat mit einer eigenen ISIN verbrieft und die Barabfindung am im Gesamtbetrag von 137,94 EUR pro Aktie zur Auszahlung gebracht.
[4] Beim Handelsgericht Wien wurde betreffend diesen Gesellschafterausschluss ein Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung anhängig gemacht, welches noch nicht abgeschlossen ist und die Relevanz des Vergleichs der Beklagten mit dem „Großaktionär“ und eine behauptete Verletzung der Gleichbehandlungspflicht durch die Beklagte ebenfalls zum Gegenstand hat.
[5] Aufgrund der Einleitung des Verfahrens zur Überprüfung der Barabfindung wurde jedem Aktionär ein Wertpapier mit ISIN AT* (= Nachbesserungsrecht) eingebucht. Eine Investmentbank richtete an alle „Inhaber von Nachbesserungsrechten der [B AG]“ ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Nachbesserungsrechten mit der ISIN AT* „einschließlich sämtlicher damit zum Zeitpunkt der Abwicklung des Angebotes verbundenen Rechte“. Es steht nicht fest, ob die Investmentbank die Nachbesserungsrechte von ursprünglichen Aktionären oder von Erwerbern der Nachbesserungsrechte erworben hat. Die Klägerin erwarb am von der Investmentbank solche Nachbesserungsrechte der B AG zum Preis von je 2 EUR. Gemäß Punkt 4. dieses Kaufvertrags sollen das Eigentum an den verkauften Nachbesserungsrechten sowie alle damit verbundenen Rechte und Pflichten auf den Käufer übergehen, so wie diese an die Investmentbank übertragen wurden.
[6] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 34.667,60 EUR sA und brachte vor, die „Großaktionärin“ habe aufgrund der Vergleiche und Aktienkaufverträge unter Verletzung des Gleichbehandlungsgebots Aufzahlungen auf die Barabfindung erhalten, was erst 2018 offengelegt worden sei. Der Klägerin stehe die gleiche Aufzahlung zu, wie sie diese meistbegünstigte „Großaktionärin“ erhalten habe, sohin ein Mehrbetrag von je 15,758 EUR für hier geltend gemachte 2.200 Nachbesserungsrechte. Die Klägerin habe aus den aktienrechtlichen Vorschriften einen Anspruch auf Gleichbehandlung, dessen Verletzung die Hauptaktionärin schadenersatzpflichtig mache. Der Erwerb der Nachbesserungsrechte umfasse auch den Erwerb der Schadenersatz- und sonstigen Ansprüche der ursprünglichen Aktieninhaber.
[7] Die Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs, verwies auf das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit und wandte zusammengefasst ein, die Vergleiche mit dem „Großaktionär“ beträfen Verfahren, die bereits vor Einleitung des Barabfindungsverfahrens anhängig gewesen seien, und könnten daher keine erga-omnesWirkung haben. Die Vergleichszahlungen hätten alleine der Bewältigung der Risiken mit den eingeleiteten Rechtsschritten der aktiven Kläger gedient. Erst dadurch sei der SqueezeOut möglich geworden, ohne den die Beklagte nicht von den Vorteilen der strafferen Konzernführung und des mittlerweile umgesetzten Delistings profitieren hätte können. Daraus seien keine Rückschlüsse auf den inneren Wert der Aktien zu ziehen. Gegenleistung für die Vergleichszahlungen seien die Klagsrücknahmen in den anhängigen Verfahren gewesen. Die Klägerin oder andere Aktionäre hätten keine solche ökonomisch werthaltige Position innegehabt. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung anderer Aktionäre oder der Klägerin liege nicht vor. Ein allenfalls bestehendes Gleichbehandlungsgebot gelte nicht für die Klägerin, die im Zeitpunkt des Gesellschafterausschlusses nicht Aktionärin gewesen sei. Allfällige (von der Beklagten bestrittene) Ansprüche wegen Verletzung einer aktionärsrechtlichen Gleichbehandlung seien in den von der Klägerin erworbenen Wertpapieren nicht verbrieft und auch sonst nicht übertragen worden, sondern habe die Klägerin nur Nachzahlungsrechte erworben.
[8] Das Erstgericht verwarf die Prozesseinreden und wies das Klagebegehren ab. Aufgrund des Gesellschafterausschlusses verbrieften die wertpapiermäßig begebenen Anteile der Minderheitsgesellschafter keine Mitgliedschaftsrechte mehr, sondern ausschließlich den Anspruch auf Barabfindung. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass über die – nur den Anspruch auf Barabfindung verbriefenden – Wertpapiere hinaus noch weitere Rechte der Minderheitsaktionäre, wie etwaige Schadenersatzansprüche, auf sie übergegangen seien.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Erst durch die rechtskräftige Entscheidung im Überprüfungsverfahren werde der Beschlussinhalt des Ausschlussbeschlusses hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Barabfindung angepasst. Die rechtskräftige Entscheidung im Überprüfungsverfahren sei damit Voraussetzung der Geltendmachung des individuellen, ziffernmäßig bestimmten Anspruchs auf bare Zuzahlung durch den einzelnen ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Vergleichszahlung gemäß § 2 GesAusG im außerstreitigen Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung Berücksichtigung finden könne. Wenn der Vergleichszahlung eine Erhöhungswirkung für die Abfindung gemäß § 2 Abs 2 GesAusG zukäme und der Erhöhungsbetrag demnach im Überprüfungsverfahren auszumitteln wäre, fehlte es der Klägerin an einer im Überprüfungsverfahren ergangenen rechtskräftigen Entscheidung, mit der die Änderung des Gesellschafterbeschlusses über die Barabfindung herbeigeführt werde, also an der Anspruchsvoraussetzung für die nachfolgende individuelle Durchsetzung. Wenn die Zahlung kein Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sei und die Klägerin Ansprüche außerhalb der §§ 2, 6 GesAusG geltend mache, dann habe sie allein mit den nur im Hinblick auf das Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung emittierten Nachbesserungsrechten solche Ansprüche nicht erworben. Der Klägerin fehlte es diesfalls an der Aktivlegitimation. Zudem sei eine rechtswidrige Ungleichbehandlung von Aktionären, die eine Anfechtungsklage erhoben haben, und solchen, die das nicht getan haben, nicht ersichtlich.
[10] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob sich eine Vergleichszahlung zwecks Rücknahme der Beschlussanfechungsklage auf die Abfindung gemäß § 2 GesAusG, auf das Überprüfungsverfahren nach § 6 Abs 2 GesAusG iVm §§ 225c ff AktG oder auf sonstige Weise zugunsten der anderen ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter auswirke.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist aber nichtberechtigt.
[12] 1.1. Gemäß § 5 Abs 4 GesAusG verbriefen, sofern Wertpapiere über Anteilsrechte ausgegeben sind, diese ab dem Zeitpunkt der Eintragung des Beschlusses über den Gesellschafterausschluss nur mehr den Anspruch auf Barabfindung. Aus einem Mitgliedschaftspapier wird ein Forderungspapier (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 § 5 GesAusG Rz 23).
[13] 1.2. Das Gesetz verpflichtet nicht dazu, die Ansprüche auf eine potenzielle Nachbesserung der Barabfindung zu verbriefen. Die Ausgabe eines diesbezüglichen, mit einer internationalen Wertpapierkennnummer (ISIN) ausgestatteten Wertpapiers geschieht bei börsenotierten Gesellschaften aber regelmäßig, weil die Ansprüche auf potenzielle Nachbesserung andernfalls nur schwer administrierbar wären, insbesondere weil die Inhaber der Ansprüche auf Nachbesserung ebenso wie die ursprünglichen Aktionäre aufgrund des anonymen Wertpapierhandels der Gesellschaft großteils unbekannt sind. (Auch) Das verbriefte Nachbesserungsrecht ist ein reines Forderungspapier. Entgegen der Auffassung der Revision verbrieft es nicht sämtliche aufgrund des Ausschlusses bestehenden Ansprüche eines ausgeschlossenen Aktionärs, insbesondere gegenüber dem Hauptgesellschafter, sondern lediglich den Anspruch auf eine eventuelle Nachzahlung der Barabfindung auf Basis des Ergebnisses des Überprüfungsverfahrens oder eines dort gerichtlich genehmigten Vergleichs. Die verbrieften Nachbesserungsrechte umfassen somit den Anspruch auf eine potenzielle Nachzahlung, dessen Bestand und Höhe im Barabfindungsverfahren ermittelt werden (Zottl/Kohlmaier, Verbriefte Nachbesserungsrechte im Barabfindungsverfahren, GesRZ 2022, 201 [203 f]; Zottl/Pendl, Die Überprüfung der Barabfindung Erfahrungen, Einsichten und Empfehlungen, GesRZ 2019, 216 [226]). Die Inhaber der Nachbesserungszertifikate können dann die festgestellte Zuzahlung geltend machen (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 § 6 GesAusG Rz 23). Eine mögliche Nachzahlung ist erst nach rechtskräftiger Beendigung des Überprüfungsverfahrens auszuzahlen (6 Ob 246/20z [ErwGr 2.5.]; Zottl/Kohlmaier, Verbriefte Nachbesserungsrechte im Barabfindungsverfahren, GesRZ 2022, 201 [203]).
[14] 1.3. Mit dem bloßen Kauf der Nachbesserungszertifikate hat die Klägerin daher keine Schadenersatzansprüche ausgeschlossener Aktionäre gegenüber der Beklagten erworben.
[15] 2.1. Auf eine gesonderte rechtsgeschäftliche (allenfalls konkludente) Abtretung solcher Schadenersatzansprüche kommt die Revision ohnehin nicht mehr zurück. Eine solche läge aber auch nicht auf der Hand. Ehemalige Gesellschafter, die bereits die Barabfindung erhalten haben, aber das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens (und damit die gerichtliche Feststellung einer möglichen Zuzahlung) nicht abwarten wollen, können ihren Anspruch auf die mögliche Nachbesserung monetarisieren. Dem Verkauf und der Übertragung solcher Nachbesserungsrechte wohnt stets ein gewisses spekulatives Element inne: Wenn ein Erwerber bereit ist, einen bestimmten Betrag pro Nachbesserungsrecht zu bezahlen, so gibt er damit seine Erwartung zu erkennen, dass das Gericht am Ende des Verfahrens einen höheren Betrag gewähren wird; er nimmt aber auch das Risiko in Kauf, dass das Gericht die Angemessenheit der Barabfindung feststellt und damit keinerlei Nachzahlung erfolgt oder das Gericht eine geringere Zuzahlung ermittelt. Der Veräußerer hingegen akzeptiert diesen Betrag mit dem Wissen, dass das Gericht am Ende des Verfahrens möglicherweise eine höhere, eine geringere oder gar keine Nachzahlung feststellen wird; dem Veräußerer ist es im Regelfall wichtig, dass er seinen potenziellen Anspruch rechtzeitig versilbern kann und er den von ihm gewünschten Betrag mit Sicherheit, dh Zug um Zug gegen Umbuchung der Nachbesserungsrechte, erhält. Beim Handel mit Nachbesserungsrechten liegt daher eine Wette auf den Ausgang des laufenden Preisüberprüfungsverfahrens vor (Zottl/Kohlmaier, Verbriefte Nachbesserungsrechte im Barabfindungsverfahren, GesRZ 2022, 201 [202 f]). Selbst bei der erstmaligen Übertragung eines verbrieften Nachbesserungsrechts gehen die Vertragsparteien somit im Regelfall nicht davon aus, dass mit der Übertragung des Wertpapiers schlüssig auch andere Ansprüche des ehemaligen Aktionärs als jene auf eine eventuelle Nachzahlung der Barabfindung auf Basis des Ergebnisses des Überprüfungsverfahrens auf den Erwerber übergehen sollen.
[16] 2.2. Auch aus der Wendung, wonach die Nachbesserungszertifikate einschließlich sämtlicher damit verbundener Rechte Vertragsgegenstand sein sollten, wäre im vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges abzuleiten, weil mit den Nachbesserungszertifikaten zwar das Recht auf Auszahlung der sich aus dem Überprüfungsverfahren ergebenden Zuzahlung verbunden war, nicht aber Schadenersatzansprüche gegen den Hauptaktionär, etwa wegen allfälliger Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (siehe Punkt 1.2.).
[17] 3. Zutreffend haben daher die Vorinstanzen erkannt, dass es der Klägerin an der Aktivlegitimation für die Geltendmachung der behaupteten Schadenersatzansprüche fehlt. Schon deshalb ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00071.22T.0418.000 |
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