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OGH 25.09.2023, 6Ob55/23s

OGH 25.09.2023, 6Ob55/23s

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

Rechtssatz


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Normen
AEUV Lissabon Art267
EG-RL 2006/112/EG - Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie Art2 Abs1 Buchstc
EG-RL 2006/112/EG - Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie Art73
RS0134539
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei r*, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*, vertreten durch die Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.540.820,10 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 143/22v, 5 R 144/22s-66, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 22 Cg 24/20b-51, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.332,06 EUR (darin enthalten 722,01 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die beklagte GmbH ist Bauherrin eines Projekts zur Errichtung von Privatresidenzen und einem Hotel. Sie hatte im Jahr 2018 zwei selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer.

[2] Die Beklagte beauftragte für die Planung und Überwachung des Projekts eine ARGE, die aus drei Ziviltechnikergesellschaften bestand.

[3] Die ARGE erstellte 2017 Ausschreibungsunterlagen für Trockenbauleistungen. Die Unterlagen bestanden aus einem Ausschreibungs-Leistungsverzeichnis und den „Vorbemerkungen“ der Beklagten, in denen auf ausländische technische Standards verwiesen wurde.

[4] Die Klägerin übermittelte am der ARGE ein auf Basis des überarbeiteten Leistungsverzeichnisses adaptiertes Angebot um einen Nettogesamtpreis von 4.493.365,21 EUR.

[5] Am fand ein Verhandlungsgespräch am Sitz der Beklagten statt, an dem unter anderem die Geschäftsführer der Streitteile und F* S* (als Vertreter der ARGE, im Folgenden: „Vertreter der ARGE“) teilnahmen. Das Angebot der Klägerin vom wurde dabei detailliert besprochen. Der Geschäftsführer der Klägerin bestand auf der Anwendung der ÖNORM B 2110 und weigerte sich, sich den Vorbemerkungen/AGB der Beklagten zu unterwerfen. Die Geschäftsführer der Streitteile einigten sich am auf den ausgeschriebenen und angebotenen Leistungsumfang laut Angebot vom und unter anderem auf folgende Punkte: Skontoabzug 3 % bei Zahlung binnen 21 Tagen und Verzicht auf eine harte Patronatserklärung, jedoch nicht auf die Anwendung der ÖNORM B 2110.

[6] Am rief der Vertreter der ARGE den Geschäftsführer der Klägerin an und teilte ihm nach Rücksprache mit einem der Geschäftsführer der Beklagten mit, er solle umgehend mit den Trockenbauarbeiten beginnen. Dass sich die Beklagte zur Erbringung der Trockenbauleistungen für die Klägerin entschieden hatte, teilte die ARGE auch der Projektsteuerung mit.

[7] Am fand im Büro der ARGE ein Baueinleitungsgespräch statt, an dem unter anderem der Geschäftsführer der Klägerin und der Vertreter der ARGE teilnahmen. Den Zugang zum Projektserver erhielt die Klägerin am . Der Geschäftsführer der Klägerin wollte jedoch nicht ohne explizite schriftliche Beauftragung mit den Arbeiten beginnen, was er dem Vertreter der ARGE mitteilte. Dieser leitete diese Information einem der Geschäftsführer der Beklagten weiter, der dem Vertreter der ARGE auftrug, der Klägerin schriftlich mitzuteilen, dass sich die Beklagte für die Erbringung der ausgeschriebenen Trockenbauleistungen für die Klägerin entschieden habe und somit den Zuschlag erhalte. Daraufhin teilte der Vertreter der ARGE dem Geschäftsführer der klagenden Partei mit E-Mail vom mit, dass „im Namen unseres Auftraggebers Hrn. [Geschäftsführer der Beklagten] … der Zuschlag für die Trockenbauarbeiten an [Klägerin] ergeht“ und der Werkvertrag in den nächsten Tagen zugesandt werde. Diese E-Mail ging in „cc“ auch an die E-Mail-Adresse der Beklagten und an die Projektsteuerung bzw einen Mitarbeiter derselben.

[8] Ab erstellte der Geschäftsführer der Klägerin eine Ressourcenplanung, disponierte über Material und Maschinen, nahm an Bau- und Planungsbesprechungen teil und der zunächst für Mitte April 2018 geplante Baubeginn wurde vorbereitet. In Bezug auf die benötigten Sonderelemente wie Schiebetürenschränke tätigte der Geschäftsführer der Klägerin bei seinen Lieferanten einen Abruf, um einen Produktionsslot zu reservieren.

[9] Auf Basis des am erzielten Konsenses erstellte die ARGE einen Werkvertragsentwurf, wo unter anderem die Auftragssumme mit 4.358.564,25 EUR netto aufgezählt wurde. Dieser Entwurf wurde der Klägerin am übermittelt.

[10] Am übersandte die ARGE das Auftragsleistungsverzeichnis der Klägerin, in dem die zuvor bekanntgegebenen Einheitspreise übernommen worden waren. In absoluten Beträgen wich es aufgrund von Mengenänderungen, die die Beklagte vorgenommen hatte, bzw aufgrund von Verschiebungen von Positionen auf Eventualpositionen um einige tausend Euro ab.

[11] Zuzüglich 896.233,28 EUR 20 % USt lag die Auftragssumme laut Leistungsverzeichnis insgesamt bei 5.377.399,69 EUR brutto (ohne 3 % Skonto).

[12] Da der am übermittelte Werkvertragsentwurf aber in einigen Punkten vom erzielten Konsens abwich, unterfertigte der Geschäftsführer der Klägerin den Entwurf nicht.

[13] Am begann die Klägerin nach Absprache mit der Bauleitung mit den Arbeiten auf der Liegenschaft laut übersandtem Leistungsverzeichnis, erbrachte Trockenbauleistungen und transportierte Material auf die Baustelle.

[14] Für die Nutzung der Baustelleneinrichtungen (Baustrom, Wasser, Sanitäreinrichtungen etc) musste die Klägerin einen Vertrag abschließen. Für die mehrmonatige Nutzung von Baustrom und Bauwasser bezahlte die Klägerin 13.039,80 EUR an die Lieferfirma.

[15] Der Vertreter der ARGE und ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung der W* überarbeiteten den Werkvertragsentwurf Mitte Mai 2018 und übernahmen im Wesentlichen die Wünsche des Geschäftsführers der Klägerin. Auftragsvolumen und -summe blieben unverändert.

[16] Der Vertreter der ARGE und der Geschäftsführer der Klägerin besprachen diesen überarbeiteten Entwurf am , um eine Unterfertigung des Vertrags zu erreichen. Um die bei diesem Gespräch offen gebliebenen Punkte zu klären, telefonierten die Geschäftsführer am miteinander und konnten eine Einigung auf eine Zahlungsfrist von 21 Tagen mit einer Prüffrist bei Teilrechnungen entsprechend der Kollaudierungsfrist von 14 Tagen, bei Schlussrechnung 60 Tagen, einer dreijährigen Gewährleistungsfrist, einer bauseitig bereitgestellten Heizung für den Winterbau sowie der Nicht-Streichung des Passus bezüglich nachträglicher Erhöhung des Entgelts und der Nicht-Aufnahme von namentlich genannten Bevollmächtigten herstellen.

[17] Dass es zu einer Einigung gekommen war, teilte die Ehefrau eines der Geschäftsführer der Beklagten auch der ARGE mit, die einen weiteren Vertragsentwurf mit einem reduzierten Auftragsvolumen von 2.506.462,44 EUR netto (= 3.007.754,93 EUR brutto) erstellte, der jedoch dem Geschäftsführer der Klägerin nicht übermittelt wurde.

[18] Dass dem Geschäftsführer der Klägerin der Vertragsentwurf nicht übermittelt wurde, war einem der Geschäftsführer der Beklagten nicht bekannt. Er verstand nicht, warum der Vertragsentwurf nach dem Gespräch am nicht unterfertigt wurde. Er wurde ungeduldig und trat zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt in Vertragsverhandlungen mit einem anderen Unternehmen.

[19] Am 28. oder teilte einer der Geschäftsführer der Beklagten dem Geschäftsführer der Klägerin mit, dass er die Leistungen der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen wolle. Es steht nicht fest, dass der Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt hätte, dass dies aufgrund der Weigerung des Geschäftsführers der Klägerin erfolgte, den Vertragsentwurf zu unterfertigen, und/oder dass er wegen seiner Involvierung in Preisabsprachen das Vertrauen in ihn und sein Unternehmen verloren hätte und als Konsequenz die geleisteten Arbeiten abgerechnet werden.

[20] Hintergrund der Beendigung war, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Geschäftsführer der Klägerin die Geduld verloren hatte und er darüber hinaus ein günstigeres Angebot bei dem anderen Unternehmen eingeholt hatte.

[21] Es steht nicht fest, dass die Klägerin oder ihr Geschäftsführer persönlich als Beschuldigte in einem kartellrechtlichen Verfahren geführt oder verurteilt worden sind bzw in Preisabsprachen verwickelt waren.

[22] Am legte die Klägerin schließlich die Schlussrechnung (als vertraglichen Anspruch wegen ungerechtfertigter Abbestellung des Gewerks), die sich zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und abzüglich 3 % Haftrücklass auf 1.607.695,07 EUR belief.

[23] Die Klägerin ersparte sich aufgrund der Abbestellung Kosten

• für Material, Geräte und Fremdleistungen von 1.362.979 EUR

• für Löhne von 1.578.591 EUR

• für Bauzinsen (1 %) von 42.584 EUR und

• für das projektbezogene Wagnis von 21.292 EUR,

insgesamt somit von 3.005.446 EUR.

[24] Die Klägerin begehrt 1.540.820,10 EUR sA und bringt vor, ihr sei für das Bauvorhaben von der Beklagten ein Auftrag über Trockenbauarbeiten in Höhe von 4.493.365,21 EUR erteilt worden. Im Juni habe die Beklagte das Gewerk trotz Leistungsbereitschaft der Klägerin abbestellt. Die Klägerin habe am eine Teilrechnung gelegt, die nur teilweise beglichen worden sei. Da der Rücktritt vom Werkvertrag nicht in der Sphäre der Klägerin liege, stehe ihr aufgrund § 1168 ABGB der volle Werklohnanspruch zu. Nach bereits vorgenommener Anrechnung von Ersparnissen stünden der Klägerin wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts 1.252.995 EUR netto (somit 1.503.594 EUR brutto) zu. Für tatsächlich erbrachte Leistungen stünden der Klägerin abzüglich erhaltener Zahlungen und weiterer Korrekturen und Abzüge 37.226,10 EUR zu. Aus der Summe des Bruttobetrags wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts und restlichem Werklohn errechne sich der Klagsbetrag.

[25] Die Beklagte wendete ein, ein Vertrag zwischen den Streitteilen sei nicht zustande gekommen. Die tatsächlich von der Klägerin erbrachten Arbeiten seien lediglich geduldet worden, weil man davon ausgegangen sei, dass ein Werkvertrag zustande kommen werde. Die Klägerin habe für die rechtsgrundlos erbrachten Trockenbauarbeiten einen angemessenen Lohn erhalten. Ein darüber hinausgehender Entgeltanspruch aufgrund von § 1168 ABGB scheide aus.

[26] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Parteien seien am über den (Haupt-)Leistungsinhalt des Werkvertrags und die Einheitspreise für die einzelnen Positionen einig geworden. Dass über die Anwendung der ÖNORM B 2110 oder andere Bestimmungen als die essentialia negotii noch keine abschließende Einigung erzielt und die Vertragsurkunde noch nicht unterfertigt worden seien, stehe einem bindenden Vertragsabschluss nicht entgegen. Ein Werkvertrag zwischen den Parteien sei somit zustande gekommen. Die Beklagte sei ohne rechtfertigenden Grund vom Vertrag zurückgetreten. Der Klägerin stehe daher trotz teilweisem Unterbleiben der Ausführung des Werks der Werklohn abzüglich der Ersparnisse nach § 1168 Abs 1 ABGB zu, woraus sich die Berechtigung des Klagsanspruchs errechnen lasse.

[27] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren im Betrag von 1.290.221,10 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren von 250.599 EUR sA abwies. Durch die – für einen objektiven Erklärungsempfänger unmissverständliche – Erklärung, dass der Zuschlag an die Klägerin ergehe, habe die Beklagte ihren Bindungswillen erklärt. In den weiteren Verhandlungen hätte – ungeachtet des bereits bestehenden Vertrags – hinsichtlich der offenen Nebenpunkte noch eine Einigung erzielt und letztlich eine Urkunde errichtet werden sollen, der jedoch dann nur mehr deklarative Bedeutung zugekommen wäre. Zwischen den Parteien habe daher ein Vertragsverhältnis im Umfang der ausgeschriebenen und angebotenen Leistungen bestanden. Die Beklagte trage die Behauptungs- und Beweislast für die anzurechnenden Beträge. Das von der Beklagten erstattete Vorbringen genüge diesen Anforderungen nicht. Der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB werde fällig, wenn die Ausführung des Werks trotz Leistungsbereitschaft des Werkunternehmers endgültig aufgrund von bestellerseitigen Umständen unterbleibe. Der Werkunternehmer müsse zwar zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit sein, mit der Abbestellung erlösche aber die Leistungspflicht des Werkunternehmers ex nunc. Der eingeschränkte Werklohnanspruch werdevom Werkbesteller nicht um einer Gegenleistung des Werkunternehmers willen erfüllt und unterliege – mangels Leistungsaustauschs – auch nicht der Umsatzsteuer. Die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer betrage 250.599 EUR, in welchem Umfang das Klagebegehren abzuweisen sei.

[28] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB der Umsatzsteuer unterliege.

[29] Gegen den klagestattgebenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der gänzlichen Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[30] Gegen den klageabweisenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils (abgesehen von einer geringfügigen Korrektur der Kosten).

Rechtliche Beurteilung

[31] Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

[32] 1. Soweit die Beklagte als Verfahrensmangel rügt, es hätte zur Höhe des Klagsanspruchs ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, wurde dieser Verfahrensmangel bereits vom Berufungsgericht verneint und kann im Revisionsverfahren somit nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963).

[33] 2.1. Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sie sind daher nur dann erheblich, wenn eine Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze, vorliegt (RS0042936; RS0042776). Diese Grundsätze gelten auch für die Frage der Auslegung von einseitigen Willenserklärungen (§ 876 ABGB) und somit auch für die Frage, ob korrespondierende Willenserklärungen vorliegen und daher ein Vertrag zustande gekommen ist.

[34] 2.2. Trotz der weitwendigen Ausführungen gelingt es der Revision nicht, nachvollziehbar darzustellen, warum die Auffassung der Vorinstanzen, es sei hier zwischen den Streitteilen ein Werkvertrag zustande gekommen, eine Fehlbeurteilung sein soll.

[35] Selbst dann, wenn im Zuge von Vertragsverhandlungen Nebenpunkte besprochen werden und darüber zunächst keine Einigung erzielt werden kann, können die Parteien im weiteren Verlauf den Vorbehalt einer Einigung über diese Nebenpunkte (ausdrücklich oder schlüssig) auch wieder fallen lassen. Davon ist dann auszugehen, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Parteien ihren Abschluss- und Bindungswillen eindeutig ausdrücken, ohne die früher im Zuge der Vertragsverhandlungen allenfalls noch offenen Punkte weiter anzusprechen und diesbezüglich einen Vorbehalt zu machen (RS0132605).

[36] Hier war von Seiten der Beklagten nicht nur vom „Zuschlag“ die Rede. Selbst wenn – was ohnehin nicht feststeht und höchst zweifelhaft erscheint – nach den Revisionsbehauptungen in der Baubranche dieser Ausdruck (entgegen dem allgemeinen Verständnis der bindenden Auftragserteilung) bloß bedeuten sollte, der Nachfrager von Werkleistungen wolle mit einem Angebotsleger in detailliertere Vertragsverhandlungen treten, käme hier noch hinzu, dass die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin mitteilen ließ, er solle umgehend mit den Trockenbauarbeiten beginnen. Die Vorstellung der Beklagten, ein Angebotsleger, dem (nach Einigung über die essentialia negotii) diese dringende („umgehend“) Aufforderung und kurz danach noch die Mitteilung vom „Zuschlag“ zugeht, könne dies anders als eine bindende Beauftragung verstehen, ist geradezu absurd. Dass die Klägerin auf einer schriftlichen Beauftragung (E-Mail vom , laut Revision „Zweizeiler“) bestand, spricht nicht dagegen, dass die Klägerin von einer (schon vorliegenden) Beauftragung ausging, vielmehr diente dieses Verlangen offensichtlich primär Beweiszwecken (für die Auftragserteilung), was – wie das vorliegende Verfahren deutlich zeigt – durchaus sinnvoll war.

[37] Dass man nachher noch (über den schriftlichen Vertrag) weiterverhandelte, spricht nicht gegen das Zustandekommen eines Vertrags: Wenn man – zB aus Zeitgründen – schon abschließen will, etwa damit der Werkunternehmer mit den Arbeiten am Bau schon beginnen kann, kann man sich trotzdem vorbehalten, von den essentialia negotii nicht betroffene Details nachzuverhandeln, und zwar mit der Konsequenz, dass es bei nachträglicher Einigung über diese Details zu einer entsprechenden Änderung bzw Ergänzung des schon abgeschlossenen Vertrags kommt, die Parteien hingegen bei nachträglicher Nichteinigung über die nachverhandelten Details die Geltung dispositiven Rechts in Kauf nehmen.

[38] 2.3. Zusammengefasst ist somit die Beurteilung der Vorinstanzen, zwischen den Streitteilen sei ein Werkvertrag über die sich aus den Feststellungen ergebenden Trockenbauarbeiten zustande gekommen, keineswegs korrekturbedürftig, weshalb für das weitere Verfahren über die Behandlung der Revision der Klägerin von einem Werkvertrag zwischen den Parteien auszugehen ist.

[39] 3. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei r *, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*, vertreten durch die Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.540.820,10 EUR sA, im Verfahren über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 143/22v, 5 R 144/22s-66, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 22 Cg 24/20b-51, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?

2. Das Verfahren über die Revision der klagenden Partei vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG unterbrochen und nur über Antrag fortgesetzt.

Text

Begründung:

A. Sachverhalt

[1] Zwischen den Streitteilen (beide Gesellschaften mit beschränkter Haftung) wurde Ende März 2018 ein Werkvertrag abgeschlossen, wonach die Klägerin als Werkunternehmerin für die Beklagte als Werkbestellerin bei einem Bauvorhaben Trockenbauarbeiten ausführen sollte. Als Werklohn waren 5.377.399,69 EUR, darin enthalten 896.233,28 EUR an zwanzigprozentiger Umsatzsteuer, vereinbart.

[2] Nachdem die Klägerin mit den Arbeiten begonnen hatte, teilte Ende Juni 2018 die Beklagte der Klägerin mit, sie wolle die Leistungen der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen.

[3] Hintergrund der Beendigung war, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Geschäftsführer der Klägerin die Geduld verloren und er darüber hinaus ein günstigeres Angebot bei dem anderen Unternehmen eingeholt hatte.

[4] Am legte die Klägerin Schlussrechnung (vertraglicher Anspruch wegen ungerechtfertigter Abbestellung des Gewerks), die sich zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und abzüglich 3 % Haftrücklass auf 1.607.695,07 EUR belief.

[5] Die Klägerin ersparte sich aufgrund der Abbestellung Kosten

• für Material, Geräte und Fremdleistungen von 1.362.979 EUR

• für Löhne von 1.578.591 EUR

• für Bauzinsen (1 %) von 42.584 EUR und

• für das projektbezogene Wagnis von 21.292 EUR,

insgesamt somit von 3.005.446 EUR.

B. Vorbringen der Parteien

[6] Die Klägerin begehrt 1.540.820,10 EUR. Sie bringt vor, der Rücktritt vom Werkvertrag liege nicht in ihrer Sphäre. Daher habe sie nach § 1168 ABGB grundsätzlich Anspruch auf den vollen Werklohn. Nach Anrechnung von Ersparnissen stünden ihr wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts 1.252.995 EUR netto, somit 1.503.594 EUR brutto, zu. Dazu kämen 37.226,10 EUR für schon erbrachte Werkleistungen abzüglich bereits erhaltener Zahlungen. Aus der Summe des Bruttobetrags wegen ungerechtfertigten Vertragsrücktritts und restlichem Werklohn errechne sich der Klagsbetrag.

[7] Die Beklagte bestritt das Zustandekommen eines Werkvertrags. Die Klägerin habe für die rechtsgrundlos erbrachten Trockenbauarbeiten einen angemessenen Lohn schon erhalten. Ein darüber hinausgehender Entgeltanspruch aufgrund von § 1168 ABGB scheide aus.

C. Bisheriges Verfahren

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte das Zustandekommen eines Werkvertrags. Die Beklagte sei ohne rechtfertigenden Grund vom Vertrag zurückgetreten. Der Klägerin stehe daher trotz teilweisen Unterbleibens der Ausführung des Werks der Werklohn abzüglich der Ersparnisse nach § 1168 Abs 1 ABGB zu. Ohne dies näher zu begründen, sprach das Erstgericht der Klägerin auch die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer in Höhe von 250.599 EUR hinsichtlich der nicht mehr erbrachten, aber gemäß § 1168 ABGB zu entlohnenden Werkleistungen zu.

[9] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren im Betrag von 1.290.221,10 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren von 250.599 EUR sA abwies. Ein Werkvertrag sei zustande gekommen. Der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB werde fällig, wenn die Ausführung des Werks trotz Leistungsbereitschaft des Werkunternehmers endgültig aufgrund von Umständen auf Seite des Bestellers unterbleibe. Der Werkunternehmer müsse zwar zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit sein, mit der Abbestellung erlösche aber die Leistungspflicht des Werkunternehmers ex nunc. Der eingeschränkte Werklohnanspruch werdevom Werkbesteller nicht um einer Gegenleistung des Werkunternehmers willen erfüllt und unterliege – mangels Leistungsaustauschs – auch nicht der Umsatzsteuer. Die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer betrage 250.599 EUR. In diesem Umfang sei das Klagebegehren abzuweisen.

[10] Der von beiden Seiten angerufene Oberste Gerichtshof wies mit Beschluss vom heutigen Tag die Revision der Beklagten, in der die Beklagte weiterhin das Zustandekommen eines Werkvertrags zwischen den Parteien bestreitet, mit der wesentlichen Begründung, die Beurteilung der Vorinstanzen, der Werkvertrag sei zustande gekommen, sei nicht korrekturbedürftig, zurück. Von dieser rechtlichen Beurteilung ist somit für das weitere Verfahren auszugehen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr noch über die Revision der Klägerin zu befinden, womit diese im Wesentlichen die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts mit der Begründung anstrebt, ihr stehe für den Anspruch nach § 1168 ABGB auch die Umsatzsteuer zu, weil dieser Anspruch aus näher dargestellten unionsrechtlichen Erwägungen der Umsatzsteuer unterliege.

D. Anzuwendendes Unionsrecht

[12] Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl 2006, L 347, S 1, im Folgenden: Richtlinie) sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“, der Mehrwertsteuer unterliegen.

[13] Art 9 Abs 1 der Richtlinie bestimmt:

„Als 'Steuerpflichtiger' gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als 'wirtschaftliche Tätigkeit' gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

[14] Art 24 Abs 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Als 'Dienstleistung' gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“

[15] Art 73 dieser Richtlinie bestimmt:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

E. Nationales Recht

E.1. Zivilrecht

[16] § 1168 ABGB enthält Regelungen für den im vorliegenden Fall zu beurteilenden Werkvertrag. Abs 1 Satz 1 der Bestimmung lautet wie folgt:

„Unterbleibt die Ausführung des Werkes, so gebührt dem Unternehmer gleichwohl das vereinbarte Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Bestellers liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.“

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung hat der Unternehmer keinen Anspruch auf Ausführung oder Vollendung des Werks. Der Besteller kann vielmehr nach seinem Belieben die Inangriffnahme oder die Fortsetzung und die Vollendung des Werks hindern (RS0021809; vgl auch RS0021831; RS0025771). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die im Juni 2018 von der Beklagten ausgesprochene Weigerung, weitere Leistungen der Klägerin in Anspruch zu nehmen, zum (endgültigen) Unterbleiben der Ausführung des (noch ausstehenden) Werks und somit zur Anwendbarkeit der zitierten Bestimmung führt. Die Abbestellung des Werks führt – als weitere Rechtsfolge – zur vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Mit der Abbestellung entfällt die Pflicht des Unternehmers zur (weiteren) Herstellung, ohne dass ein Rücktritt des Unternehmers nötig ist (7 Ob 43/14w; 8 Ob 131/17y). Der Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB ist ein Entgeltanspruch und kein Schadenersatzanspruch (RS0021875).

E.2. Steuerrecht

[17] Nach § 1 Abs 1 Z 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.

[18] Zur Frage, ob das hier nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB zu zahlende „Entgelt“ nach § 1 Abs 1 Z 1 UStG umsatzsteuerpflichtig ist, existiert keine (höchstgerichtliche) Rechtsprechung.

[19] Im Schrifttum wird überwiegend folgende Ansicht vertreten: Dem gegenständlichen Entgelt nach § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB steht (keine reale Leistung, sondern) die bloße Leistungsbereitschaftdes Anspruchsberechtigten gegenüber, die ohne Hinzutreten weiterer Umstände grundsätzlich nicht umsatzsteuerbar ist (Tanzer,Das leistungslose Entgelt – Die Auflösung eines Werkvertrags nach § 1168 ABGB im Umsatzsteuerrecht, ÖStZ 1979, 38 ff; Schopper in Klang³ § 1168 Rz 88; ders,Ausgewählte Fragen zum eingeschränkten Werklohnanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB,in FS zum 40-jährigen Bestehen der Österreichischen Gesellschaft für Baurecht und Bauwirtschaft [2019] 381, 389 f; Ruppe/Achatz,UStG5 § 1 Rz 222; Wieland in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig,UStG-ON³ § 1 Rz 34, 36 f; Windsteig in Melhardt/Tumpel,UStG³ § 1 Rz 22).

[20] Auch die nur an die Finanzbehörden gerichtete Richtlinie des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen vom , BMF-010219/0414-VI/4/2015 („UStR 2000“), sieht in Rz 15 vor, dass Zahlungen, die ein Vertragsteil (in der Regel der Käufer) aufgrund seines vorzeitigen Rücktritts vom Vertrag zu leisten hat, nicht umsatzsteuerbar sind.

F. Begründung der Vorlagefrage

[21] F.1. Wie unter E.2. dargestellt, wäre nach herrschender österreichischer Ansicht der klageweise geltend gemachte Anspruch nicht umsatzsteuerpflichtig und daher die – nur die im Klagebegehren enthaltene Umsatzsteuer betreffende – Revision der Klägerin nicht berechtigt.

[22] F.2. Im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu ähnlichen Fallkonstellationen wie im vorliegenden Fall ergeben sich jedoch Zweifel, ob die herrschende österreichische Ansicht dem Unionsrecht entspricht.

[23] F.2.1. In den verbundenen Rechtssachen Air-France/KLM C-250/14 und Hop!-Brit Air SAS C-289/14 (ECLI:EU:C:2015:841) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom ausgesprochen, dass  Art 2 Nr 1 und Art 10 Abs 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 1999/59/EG des Rates vom und dann durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom geänderten Fassung dahin auszulegen sind, dass das Ausstellen von Flugscheinen durch eine Fluggesellschaft mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn die Fluggäste die ausgegebenen Flugscheine nicht benutzt haben und sie für diese keine Erstattung erhalten können.

[24] F.2.2. In der Rechtssache Meo - Serviços de Comunicações e Multimédia C-295/17(ECLI:EU:C:2018:942) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom ausgesprochen, dass

1. Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen ist, dass der im Vorhinein festgelegte Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den dieser Wirtschaftsteilnehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt;

2. für die Qualifizierung des im Dienstleistungsvertrag im Vorhinein festgelegten Betrags, den der Kunde bei dessen vorzeitiger Beendigung schuldet, die Umstände nicht entscheidend sind, dass der Zweck dieses Pauschbetrags darin besteht, die Kunden von der Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist abzuhalten und den Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist auszugleichen, dass die von einem Handelsvermittler erhaltene Vergütung für den Abschluss von Verträgen mit Mindestbindungsfrist höher ist als jene, die im Rahmen von Verträgen ohne eine solche Frist vorgesehen ist, sowie dass dieser Betrag nach nationalem Recht als Konventionalstrafe zu qualifizieren ist.

[25] F.2.3. In der Rechtssache Vodafone Portugal C-43/19(ECLI:EU:C:2020:465) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom ausgesprochen, dass Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen ist, dass Beträge, die ein Wirtschaftsteilnehmer erhält, falls ein Dienstleistungsvertrag, der als Gegenleistung für die Gewährung vorteilhafter Konditionen an einen Kunden die Einhaltung einer Mindestbindungsfrist vorsieht, aus bei diesem Kunden liegenden Gründen vorzeitig beendet wird, als Vergütung für die Erbringung einer entgeltlichen Dienstleistung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind.

[26] F.3. Die zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union haben mit dem vorliegenden Fall gemeinsam, dass es um einen Geldbetrag geht, der aus einem Vertrag für eine ursprünglich vertraglich geschuldete Leistung das Entgelt darstellte und auch dann (zumindest teilweise) geschuldet wird, wenn die Leistung aus vom Abnehmer (Käufer, Werkbesteller) stammenden Gründen nicht in Anspruch genommen wird.

[27] Dies spricht dafür, dass auch das hier gegenständliche „Entgelt“ nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB mehrwertsteuerpflichtig (umsatzsteuerpflichtig) ist.

[28] F.4. Dennoch unterscheiden sich die Sachverhalte der zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom hier vorliegenden Sachverhalt:

[29] F.4.1. In den verbundenen Rechtssachen Air-France/KLM C-250/14 und Hop!-Brit Air SAS C-289/14 (ECLI:EU:C:2015:841) schuldete die jeweilige Fluglinie ihren Kunden die jeweilige Flugleistung im Zeitpunkt des gebuchten Abflugs bzw während des Gültigkeitszeitraums noch. Die (fix oder nur in einem bestimmten Gültigkeitszeitraum geschuldete) Leistung konnte von der Fluglinie nur deshalb nicht erbracht werden, weil sich der Kunde durch Nichterscheinen bzw Nichtabrufen der Leistung während des Gültigkeitszeitraums in Annahmeverzug befand.

[30] Im vorliegenden Fall hingegen schuldete die klagende Werkunternehmerin die (restliche) Werkleistung ab dem Zeitpunkt der Abbestellung durch die beklagte Werkbestellerin nicht mehr (vgl E.1.). Auch wenn die Mehrwertsteuerpflicht grundsätzlich unabhängig von Bestand und Gültigkeit eines zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses zu beurteilen ist (Ruppe/Achatz,UStG5 § 1 Rz 19 mwN), könnte gegenständlich – ungeachtet des Ausdrucks „Entgelt“ in § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB – mit Blick auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses bezweifelt werden, ob die Voraussetzung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erhaltenen Gegenleistung und der erbrachten Leistung (vgl EuGH Meo - Serviços de Comunicações e Multimédia C-295/17[ECLI:EU:C:2018:942] Rz 39 ff) vorliegt und es sich insofern bei der klagenden Werkunternehmerin noch um einen „Lieferer“ bzw „Dienstleistungserbringer“ und bei der beklagten Werkbestellerin noch um einen „Erwerber“ bzw „Dienstleistungsempfänger“ im Sinn von Art 73 der Richtlinie handelt.

[31] F.4.2. In den Rechtssachen Meo - Serviços de Comunicações e Multimédia C-295/17(ECLI:EU:C:2018:942) und Vodafone Portugal C-43/19(ECLI:EU:C:2020:465) handelte es sich – anders als im vorliegenden Fall eines Werkvertrags als Zielschuldverhältnis – um Dauerschuldverhältnisse.

[32] Weiters ergibt sich aus beiden Entscheidungen, dass der zu zahlende Betrag im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch den Kunden in gewisser Weise weiterhin Entgeltcharakter hat, soll doch „die Kündigung des Vertrags während der Mindestbindungsfrist eine Gegenleistung als Ausgleich rechtfertige[n], um die 'Kosten, die mit der Subventionierung von Endgeräten, der Installierung und Aktivierung der Dienste oder anderen Vorzugskonditionen zusammenhängen', wiederzuerlangen“ (C-43/19 Rn 24) bzw „den Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist aus[zu]gleichen, dass die von einem Handelsvermittler erhaltene Vergütung für den Abschluss von Verträgen mit Mindestbindungsfrist höher ist als jene, die im Rahmen von Verträgen ohne eine solche Frist vorgesehen ist“ (C-295/17 zweite Antwort).

[33] Ein damit vergleichbarer Entgeltcharakter kommt dem hier in Rede stehenden Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB nicht zu.

[34] G. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG (vgl RS0110583 [T2]).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00055.23S.0925.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAB-55686