OGH vom 18.07.2023, 6Ob115/23i

OGH vom 18.07.2023, 6Ob115/23i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Dr. I*, Deutschland, vertreten durch BHF Briefer Hülle Frohner Gaudernak Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin Mag. J*, vertreten durch Mag. Nora Friedle, Rechtsanwältin in Mannersdorf am Leithagebirge, wegen Rückführung der Minderjährigen H*, geboren * 2021, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 26/23p-28, mit dem der Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 9 Ps 169/22m-16, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens über den Rekurs des Vaters unter Abstandnahme vom bisher gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom wies das Erstgericht den Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes nach Deutschland mangels gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Deutschland ab.

[2] Der Beschluss wurde der Rechtsvertreterin des Vaters, einer in Deutschland ansässigen Rechtsanwaltsgesellschaft, nach ihren Angaben am zugestellt.

[3] Mit Fax vom (Original per Post eingelangt am ) wurde von der Rechtsvertreterin namens des Vaters Rekurs erhoben („legen wir … Rekurs ein“). Darüber hinaus wurde lediglich ausgeführt, der Entscheidung sei das (erstinstanzliche) Protokoll der mündlichen Erörterung vom nicht beigefügt gewesen, „eine Begründung des Rechtsmittels soll nach Eingang des Protokolls in einem weiteren Schriftsatz zeitnah erfolgen“.

[4] Die Ausfertigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom wurde zwecks Zustellung an die Rechtsvertreterin des Vaters am dem Zustellorgan übergeben.

[5] Mit Fax vom (Original per Post eingelangt am ) brachte die Rechtsvertreterin des Vaters einen Schriftsatz ein, mit dem sie beantragte, die Entscheidung des Erstgerichts aufzuheben und das Kind nach Deutschland zurückzuführen, weil die Annahme des Erstgerichts, es sei kein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland vorgelegen, nicht überzeuge.

[6] Das Rekursgericht wies den Rekurs und dessen Ergänzung zurück und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

[7] Rechtlich führte es aus, die Rekursfrist sei auch bei nicht rechtzeitiger Zustellung des Protokolls nicht verlängerbar. Im vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller anwaltlich vertreten und ihm die Notwendigkeit der Angabe von Ziel und Umfang seiner Beschwerde erkennbar bewusst gewesen sei, sei davon auszugehen, dass der Rekurs bewusst mangelhaft erhoben worden sei, um eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erreichen. Ein bewusst mangelhafter Rekurs sei ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückzuweisen. Auch die Ergänzung des Rekurses sei zurückzuweisen, weil die nachträgliche „Ausführung“ eines Rechtsmittels dem Verfahren außer Streitsachen fremd sei. Eine Ausnahme gelte nur für den hier nicht vorliegenden Fall, dass die Ergänzung am selben Tag einlange. Da der Rekurs und die Ergänzung bereits aus diesem Grund zurückzuweisen seien, bedürfe der Formmangel der unterbliebenen Einbringung im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) keiner Verbesserung.

[8] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er beantragt, den Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben, hilfsweise ihn dahin abzuändern, dass dem Rekurs Folge gegeben werde, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

[10] 1.1. Vorauszuschicken ist, dass § 62 AußStrG alle Rekurse gegen „im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene“ Beschlüsse des Rekursgerichts als „Revisionsrekurs“ erfasst (RS0120565 [T1]). Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses im vorliegenden Fall setzt daher voraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG abhängt. Eine solche zeigt der Vater im außerordentlichen Revisionsrekurs auf.

[11] 1.2. Nach § 68 AußStrG ist die Einholung einer Revisionsrekursbeantwortung nur für Beschlüsse vorgesehen, mit denen „über die Sache“ oder über die Kosten entschieden wurde (RS0120860). Unter „Beschluss über die Sache“ wird jede Entscheidung über den Verfahrensgegenstand, sei diese meritorisch oder zurückweisend, verstanden (RS0120860 [T21, T23]). Eine solche Entscheidung liegt hier nicht vor, weil das Rekursgericht nur über die prozessuale Frage der Verbesserungsfähigkeit des Rekurses entschieden hat; das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung des Rekurses ist daher einseitig (vgl RS0120614; 6 Ob 138/18i).

[12] 2.1. Auch im Außerstreitverfahren muss von einem Rechtsmittel verlangt werden, dass aus seinem Inhalt deutlich hervorgeht, wogegen sich der Rekurswerber wendet, inwieweit und aus welchen Gründen er sich für beschwert erachtet und welche andere Entscheidung er anstrebt (10 Ob 66/05m). Fehlt einem fristgebundenen Schriftsatz ein Inhaltserfordernis, dann ist – auch im Verfahren außer Streitsachen nach § 10 Abs 4 AußStrG – ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (RS0109506). Ausgehend davon sind nach ständiger Rechtsprechung – auch zum Außerstreitverfahren – mit inhaltlichen Mängeln behaftete „leere“ Rechtsmittel grundsätzlich einem Verbesserungsverfahren zugänglich, wenn der Rechtsmittelwerber nicht bewusst missbräuchlich ein inhaltsleeres Rechtsmittel eingebracht hat, um durch die Verbesserungsfrist eine unzulässige Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erreichen (RS0052784). Nach den Intentionen des Gesetzgebers sollen nämlich nur jene Personen vor prozessualen Nachteilen geschützt werden, die versehentlich oder in Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften Fehler begehen (RS0036447 [T2]; 4 Ob 190/18x). Hingegen ist bei einem Missbrauch des Instituts der Verbesserung die Verbesserung zu verweigern (RS0036447).

[13] Wesentlich ist, ob es Anzeichen für einen Missbrauch, im Sinne des Erschleichens eines Verbesserungsauftrags und damit einer Fristverlängerung, gibt (RS0036478 [T12]). Ob der jeweilige Sachverhalt Anhaltspunkte für eine bewusst missbräuchliche Vorgangsweise bietet, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl RS0036447 [T6]).

[14] 2.2. Im vorliegenden Fall wird im Revisionsrekurs nicht in Zweifel gezogen, dass die Frist zur Erhebung des Rekurses gemäß § 46 AußStrG – ungeachtet der noch nicht erfolgten Zustellung der Protokollabschrift – durch die Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses ausgelöst wurde (vgl RS0129752). Aus der Notwendigkeit, den Rekurs ohne Vorliegen einer Protokollabschrift ausführen zu müssen, kann allenfalls ein Verfahrensmangel des Rekursverfahrens abgeleitet werden, der allerdings nur bei Dartuung seiner Relevanz zur Aufhebung der Rekursentscheidung führen könnte (vgl 1 Ob 48/23z [Protokoll der Berufungsverhandlung]; RS0116273).

[15] 2.3. Dem am eingebrachten Rekurs ist zu entnehmen, dass die Vertreterin des Vaters unrichtig der rechtlichen Überzeugung war, vor Zustellung der Protokollabschrift keine weiteren inhaltlichen Ausführungen tätigen zu müssen, sondern ihr Rechtsmittel nach Einlangen des Verhandlungsprotokolls um inhaltliche Ausführungen ergänzen zu dürfen. Darin ist zwar eine offenkundige Verkennung der Rechtslage, allerdings noch kein bewusster Missbrauch des Verbesserungsverfahrens zu erblicken.

[16] Indem das Rekursgericht bereits das Ansinnen, aufgrund der noch nicht erfolgten Zustellung des Verhandlungsprotokolls eine „Verlängerung“ der Rechtsmittelfrist erreichen zu wollen, als ausreichenden Grund für das Unterbleiben eines Verbesserungsverfahrens erachtete, ist es von der dargestellten Rechtsprechung zur Verbesserbarkeit von Inhaltsmängeln (vgl RS0109506) abgewichen.

[17] Die Erheblichkeit des Verfahrensmangels ist durch die ergänzende Einbringung der inhaltlichen Ausführungen zum Rekurs im vorliegenden Fall offenkundig (vgl RS0116273 [T1]).

[18] 2.4. Wird ein Verbesserungsauftrag nicht ordnungsgemäß erteilt, so beginnt die Verbesserungsfrist nicht zu laufen, die Verbesserung bleibt weiterhin möglich (vgl 8 Ob 94/20m). Mangels Setzung einer Frist zur Verbesserung sind die am eingebrachten ergänzenden Ausführungen im vorliegenden Fall als fristgemäße Verbesserung der Inhaltsmängel des Rekurses zu werten.

[19] 3.1. Der ERV kann auch aus dem Ausland genutzt werden (1 Ob 116/21x [Rz 23]). Die Verpflichtung zur Teilnahme am ERV gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG gilt auch für dienstleistende europäische Rechtsanwälte (RS0132613; RS0128266 [T24]), und zwar unabhängig davon, ob im Verfahren absolute, relative oder gar keine Anwaltspflicht besteht (1 Ob 116/21x).

[20] 3.2. Das Rekursgericht erachtete den aus dem Verstoß gegen § 89c Abs 5 Z 1 GOG resultierenden Formmangel (§ 89c Abs 6 GOG) des Rekurses als irrelevant, weil es die Verbesserungsfähigkeit der Inhaltsmängel des Rekurses verneinte. Da der Oberste Gerichtshof diese Rechtsansicht nicht teilt, wird sich das Rekursgericht im fortgesetzten Verfahren auch mit diesem Formmangel zu befassen haben. Bei der Setzung der Verbesserungsfrist werden die gebotene Dringlichkeit der Behandlung von Anträgen nach dem HKÜ (vgl §§ 111a ff AußStrG) und der Umstand zu beachten sein, dass die damalige Vertreterin des Vaters in der Rekursentscheidung – wenn auch noch ohne Setzung einer Verbesserungsfrist – bereits auf die Notwendigkeit der Teilnahme am ERV hingewiesen wurde.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00115.23I.0718.000

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