OGH 12.09.2023, 4Ob45/23f

OGH 12.09.2023, 4Ob45/23f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*verein, *, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH, *, 2. Mag. A*, beide vertreten durch die PHH Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 109/22v-37, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 11 Cg 25/21w-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger ist ein Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben ua die Verfolgung der wirtschaftlichen Interessen der österreichischen Rechtsanwaltschaft gehört; er ist als solcher zur Geltendmachung von Wettbewerbsverstößen iSd § 14 UWG aktivlegitimiert.

[2] Das erstbeklagte Inkassoinstitut, deren Geschäftsführer der Zweitbeklagte ist, wird im Auftrag eines Schweizer Unternehmens tätig, welches Verträge mit Kunden schließt, die Urheberrechte oder Werknutzungsrechte an Bildern besitzen. Die Tätigkeit der Erstbeklagten im Auftrag dieses Unternehmens besteht darin, unberechtigte Nutzer der Bilder zur Zahlung von Ersatzansprüchen aufzufordern. Die Briefe, die die Erstbeklagte an die Bildnutzer schreibt, haben dabei beispielsweise folgenden Inhalt:

[3] Das Berufungsgericht gab der auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung gerichteten Klage im Wesentlichen statt. Es verpflichtete die Beklagten zur Unterlassung,

im Zusammenhang mit der Verfolgung von Ansprüchen von Personen, die behaupten, in Urheberrechten verletzt zu sein, insbesondere im Zusammenhang mit der wirklichen oder vermeintlichen Verwendung von urheberrechtlich geschützten Bildern, Urheber oder Verwertungsgesellschaften rechtsgeschäftlich zu vertreten oder Rechtsberatung zu erteilen, dies insbesondere dann, wenn die verfolgten Ansprüche entweder bestritten sind oder werden, oder die Befugnisse von Inkassoinstituten insoweit überschritten werden, als die

sowie zur Urteilsveröffentlichung auf ihrer Homepage und auf jener des Klägers und im Anwaltsblatt. Die Beklagten würden rechtsanwaltliche Beratungs- und Vertretungsleistungen bezogen auf strittige (Schadenersatz-)Ansprüche erbringen, die nicht von ihrer Gewerbeberechtigung umfasst seien, und dadurch gegen § 1 UWG verstoßen. Die Revision ließ das Berufungsgericht wegen fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zu, inwieweit die Geltendmachung von urheberrechtlichen Ansprüchen durch eine Gewerbeberechtigung als Inkassoinstitut iSd § 118 GewO 1994 gedeckt sei.

[4] Die Beklagten beantragen mit ihrer Revision die Abweisung der Klage, der Kläger beantragt mit seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts, in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1.1. Gemäß § 8 Abs 2 RAO ist die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten und vor allen Gerichten und Behörden der Republik Österreich den Rechtsanwälten vorbehalten.

[7] 1.2. Zur umfassenden Parteienvertretung im Sinn der genannten Norm gehört neben dem Beratungsrecht auch das berufsmäßige Verfassen von Rechtsurkunden oder gerichtlichen Eingaben für Parteien bzw das gewerbsmäßige Verfassen schriftlicher Anträge oder Urkunden sowie das Erteilen einschlägiger Auskünfte für den Gebrauch vor inländischen oder ausländischen Behörden (VwGH Ra 2019/03/0111; RS0071724). Der Begriff der „Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten“ in § 8 Abs 1 RAO umfasst nicht bloß die Vertretung vor Behörden und Gerichten, sondern unter anderem auch die Vertretung eines Klienten in Rechtsangelegenheiten gegenüber Dritten im Zuge einer vor- und/oder nachprozessualen Korrespondenz (VwGH 97/19/1553). Das Vertretungsrecht der Rechtsanwälte schließt dabei auch das Beratungsrecht in sich, weil eine Vertretung ohne vorhergehende Beratung kaum denkbar ist. Die umfassende Rechtsberatung ist daher Rechtsanwälten vorbehalten (RS0071736 [T3]).

[8] 1.3. § 8 Abs 3 RAO definiert jenen Kreis der „berufsfremden“ Personen, welche zu einer sachlich begrenzten Parteienvertretung, jedoch nicht zu einer – den Rechtsanwälten vorbehaltenen – umfassenden Vertretung berechtigt sind (Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 8 Rz 10). Dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass es kein umfassendes Monopol der Rechtsanwälte zur berufsmäßigen Parteienvertretung gibt (4 Ob 137/94). Vielmehr kommt darin ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck: Die Besonderheiten bestimmter Unternehmenszweige können es rechtfertigen, dass auch anderen Berufsgruppen mittels genereller Norm eine (Annex-)Befugnis zur Parteienvertretung eingeräumt wird (4 Ob 57/11b, Pkt 2.1.). Für die Beurteilung des Umfangs der Gewerbeberechtigung sind nach herrschender Judikatur auch die in den beteiligten gewerblichen Kreisen bestehenden Anschauungen und Vereinbarungen heranzuziehen. Im Rahmen der Gewerbeberechtigung sind zB Baumeister, Immobilientreuhänder, Zimmermeister und Ingenieurbüros zur – berufsmäßig auf die Tätigkeit des Gewerbes beschränkten – Parteienvertretung berechtigt (Vitek in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 8 Rz 11).

[9] 1.4. Die Frage, ob eine Beratungs- und Vertretungstätigkeit, die iSd § 8 Abs 2 RAO nur Rechtsanwälten vorbehalten ist, ausgeübt wird, kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl 4 Ob 20/13i; 4 Ob 132/22y).

[10] 2.1. Gemäß § 118 Abs 1 der Gewerbeordnung 1994 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 2002 bedürfen Inkassoinstitute für die Einziehung fremder Forderungen einer Gewerbeberechtigung (§ 94 Z 36 GewO). Nach § 118 Abs 2 GewO sind Gewerbetreibende, die zur Ausübung des Gewerbes der Inkassoinstitute berechtigt sind, nicht berechtigt, Forderungen gerichtlich einzutreiben oder sich Forderungen abtreten zu lassen, auch wenn die Abtretung nur zu Zwecken der Einziehung erfolgen sollte. Gemäß § 118 Abs 3 GewO sind die Gewerbetreibenden, die zur Ausübung des Gewerbes der Inkassoinstitute berechtigt sind, zur Einziehung einer fremden Forderung, die dem Ersatz eines Schadens ohne Beziehung auf einen Vertrag (§ 1295 ABGB) dient, nur berechtigt, wenn diese Forderung unbestritten ist.

[11] 2.2. Dem Inkassoinstitut obliegt es ua, abzuklären, ob eine strittige Forderung vorliegt, und dies bejahendenfalls dem Auftraggeber mitzuteilen und gegebenenfalls über die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Betreibung zu berichten. Weiters darf es Vorschläge des Schuldners etwa auf Ratenzahlung oder Stundungsansuchen an den Gläubiger bzw dessen Zustimmung an den Schuldner weiterleiten, sofern es dabei lediglich als Bote agiert. Die Vermittlung von außergerichtlichen Vergleichen und die Betreibung einer strittigen (bestrittenen) Forderung fallen hingegen in den Vorbehaltsbereich der Rechtsanwälte (Wallner in Ennöckl/Raschauer/Wessely, GewO § 118 Rz 2).

[12] 2.3. Inkassoinstitute dürfen gemäß § 118 Abs 3 GewO eine Schadenersatzforderung daher erst dann zur Einziehung übernehmen, wenn diese unbestritten ist. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass schadenersatzpflichtige Personen einem ungerechtfertigten Druck ausgesetzt werden (Hanusch in Hanusch, Kommentar zur Gewerbeordnung [12. Lfg] § 118 GewO Rz 5).

[13] 2.4. Eine unbestrittene Forderung ist jedenfalls eine solche, hinsichtlich derer der Zahlungsverpflichtete sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach die Forderung und deren Fälligkeit ausdrücklich und nachweisbar anerkannt hat (zB durch ein schriftliches Anerkenntnis in Form einer Privaturkunde); darüber hinaus auch solche Forderungen, hinsichtlich derer sich der Verpflichtete nicht in ein darüber geführtes Gerichtsverfahren eingelassen hat (vgl Wallner in Ennöckl/Raschauer/Wessely, GewO § 118 Rz 4).

[14] 3.1. Im vorliegenden Fall begnügt sich die Erstbeklagte nicht damit, unbestrittene Forderungen geltend zu machen, sondern ihre (oben wiedergegebene) Korrespondenz (die gepflogen wird, wenn der Nutzer nicht sofort anerkennt oder zahlt) geht weit darüber hinaus: Sie fordert Schadenersatz und handelt vergleichsweise Regelungen aus.

[15] 3.2. Immaterialgüterrechtliche Ansprüche auf das angemessene Entgelt (§ 86 UrhG) bzw auf das Duplum (§ 87 Abs 3 UrhG) haben zwar nach ständiger Rechtsprechung eine bereicherungsrechtliche Grundlage (RS0108478; RS0021397 [T8]). Allerdings wird das Entgelt nach § 87 Abs 3 UrhG als Mindestschaden im Sinne einer Pauschalierung verstanden, das dazu dient, den besonderen Schutz des Urhebers im Bereich des Schadenersatzes zu verwirklichen (RS0111242 [T1]). Die Erstbeklagte – die von den Nutzern Beträge fordert, die sich aus der „Berechnung des Schadenersatzes für die unerlaubte Nutzung“ ergeben sollen – fordert daher, ausweislich ihres (oben wiedergegebenen) Schriftverkehrs, entgegen § 118 Abs 3 GewO auch Schadenersatz.

[16] 3.3. Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut der Schreiben der Erstbeklagten auch, dass sie weit über eine Inkasso- und Botentätigkeit hinausgeht. Sie nimmt inhaltlich zu einer Bestreitung Stellung, erteilt dazu Rechtsauskünfte und fordert zur Unterlassung bzw Beseitigung der Nutzung auf. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die Erstbeklagte nach dem objektiven Erklärungswert ihrer Schreiben rechtsanwaltliche Beratungs- und Vertretungsleistungen für ihre Kunden, bezogen auf strittige Ansprüche, erbringt, die nicht von ihrer Gewerbeberechtigung nach § 118 GewO gedeckt sind, und dass das Vorgehen der Beklagten in unvertretbarer Weise über § 118 Abs 3 GewO hinausgeht und damit gegen den Anwaltsvorbehalt gemäß § 8 Abs 2 RAO verstößt, sodass ein Rechtsbruch iSd § 1 UWG verwirklicht ist.

[17] 4.1. Die Organe einer juristischen Person, die Leitungsaufgaben zu erfüllen haben, haften nicht nur bei unmittelbaren (aktiven) Beteiligungen an einem Lauterkeitsrechtsverstoß. Sie können auch durch Unterlassung verantwortlich werden, wenn ihnen der Lauterkeitsrechtsverstoß bekannt geworden ist und sie diesen nicht verhindert haben, obwohl sie dazu infolge ihrer Organstellung in der Lage gewesen wären (RS0079491). Gibt es Anhaltspunkte, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer schließen lassen, ist es Sache der Geschäftsführer, darzutun, dass sie dennoch ohne ihr Verschulden daran gehindert waren, dagegen einzuschreiten (RS0079491 [T9]).

[18] 4.2. Vorliegend unterließ der Zweitbeklagte als Geschäftsführer der Erstbeklagten und Verantwortlicher für journalistisch-redaktionelle Inhalte der Website, das Geschäftsmodell der Erstbeklagten an die Anforderungen des § 118 GewO und § 8 RAO derart anzupassen, dass keine den Rechtsanwälten vorbehaltenen Beratungs- und Vertretungsleistungen zu strittigen Forderungen erbracht werden. Auch in der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Haftung des Zweitbeklagten ist daher keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen.

[19] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO. Die Vorinstanzen haben die Kostenentscheidung vorbehalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00045.23F.0912.000

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