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OGH vom 28.02.2023, 4Ob240/22f

OGH vom 28.02.2023, 4Ob240/22f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. T*, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch die gerichtliche Erwachsenenvertreterin MMag. Katrin Maringer, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, wegen Ehescheidung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 44 R 114/22y28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom , GZ 40 C 17/20s22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile schlossen * 2001 in Wien die Ehe, der Kläger war damals noch türkischer Staatsbürger, die Beklagte Österreicherin; nunmehr sind beide Österreicher. Der Ehe entstammen zwei – 2011 und 2012 geborene – Töchter. Es ist für beide Parteien die erste Ehe. Ehepakte wurden nicht errichtet.

[2] Der – in erster Instanz durchgängig unvertretene – Kläger begehrte mit Protokollarklage vom erkennbar nach § 49 EheG die Scheidung, welche er hilfsweise auf § 50 EheG stützte. Die Beklagte sei schon 2016 wegen psychischen Problemen im Spital gewesen. 2020 habe sich die Situation verschlimmert. Die Beklagte schreie herum, entziehe ihm Gegenstände und sei mehrfach gewalttätig gegen ihn geworden; sie nehme ihre ärztlich verschriebenen Psychopharmaka nicht ein. Aufgrund einer Gewalttätigkeit im Dezember 2020 sei sie polizeilich aus der Ehewohnung weggewiesen worden. Ab Jänner 2021 sei sie, nachdem sie wieder in die Ehewohnung eindringen hätte wollen, in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Nunmehr schreibe sie Mails an Bekannte, worin sie wahrheitswidrig behaupte, der Kläger habe AIDS und lebe mit einer Afrikanerin zusammen. Aufgrund des Verhaltens der Beklagten sei ihm ein Zusammenleben mit der Beklagten unzumutbar; die Ehe sei so tief zerrüttet, dass eine Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden könne.

[3] In der Tagsatzung am , ON 11, wurde Folgendes protokolliert:

Nach Rechtsbelehrung wandelt derKläger sein Scheidungsbegehren dahingehend um, dass er eine Scheidung aus dem Grunde des § 51 EheG begehrt.

Festgehalten wird, dass die Beklagte, als sie das Wort Geisteskrankheit hört, empört schreiend aufspringt und den Verhandlungssaal verlässt.

Festgehalten wird, dass die Frau Erwachsenenvertreterin kurzzeitig den Verhandlungssaal verlässt, sodann mitteilt, dass die Beklagte das Gericht verlassen wird. Sie führt weiters aus, dass die Beklagte auf die Bezeichnung Krankheit bzw Geisteskrankheit sehr emotional reagiert und dann eine weitere Kommunikation üblicherweise nicht möglich sei.

[4] Die Beklagte erwiderte, dass sie nicht geschieden werden möchte. Sie sei nicht psychisch krank, die Behauptungen des Klägers seien Lügen; sie sei aufgrund der falschen Anschuldigungen drei Monate stationär in der Klinik gewesen (ON 14). Zum Vorbringen zu § 51 EheG äußerte sich die – in erster Instanz durchgängig anwaltlich vertretene – Beklagte nicht.

[5] Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 50 EheG. Von der Beklagten gegenüber dem Kläger gesetzte Handgreiflichkeiten seien ebenso wie ihr unkooperatives, aggressives und mangelnde Empathie zeigendes Verhalten dem Kläger und den Kindern gegenüber jedenfalls eine schwere Eheverfehlung. So zeige die Beklagte auch kein Interesse an einer gemeinsamen Freizeitgestaltung. Im Allgemeinen stelle die Beklagte ihre eigenen Interessen über jene der Familie, was sich insbesondere in den unzähligen von ihr gewünschten Umzügen ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für die Familie, vor allem die schulischen Belange und sozialen Kontakte der Kinder, widerspiegle. Dieses Verhalten beruhe nach den Feststellungen auf einer psychischen Erkrankung, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Willensbildung und kontrolle führe. Angesichts des anhaltenden, sich eher verschlechternden Zustands der Beklagten seit bereits mehreren Jahren, insbesondere der damit verbundenen Eskalationen mit Polizeieinsätzen bis hin zur Wegweisung der Beklagten im Dezember 2020 sei eine der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft nicht zumutbar, zumal damit auch ein zunehmend eskalierendes Verhalten der Beklagten verbunden sei. Auch sei eine Besserung ihres Zustands nicht zu erwarten, zumal die Beklagte weder krankheitseinsichtig noch gewillt sei, ihren Zustand durch Einnahme der entsprechenden Medikation zu verbessern.

[6] Eine Berufung auf § 49 EheG scheide aus, zumal die Eheverfehlungen der Beklagten aufgrund ihrer psychischen Krankheit subjektiv nicht vorwerfbar seien.

[7] Auf § 51 EheG kam das Erstgericht in seiner Urteilsbegründung nicht zurück.

[8] Das Berufungsgericht wies das Scheidungsbegehren ab. Der Kläger habe die Scheidung allein auf § 51 EheG gestützt, sodass es dem Erstgericht verwehrt sei, die Scheidung nach § 50 EheG auszusprechen. Eine Scheidung nach § 51 EheG komme nicht in Betracht, weil diese Bestimmung durch das 2. ErwSchG bereits mit aufgehoben worden sei.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, „ob in einem Begehren auf Scheidung nach § 51 EheG auch eine Scheidung nach § 50 EheG eingeschlossen ist“.

[10] Mit seiner ordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung im Sinne der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.

[11] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag hier enthaltenen Aufhebungsantrags (vgl RS0041774) auch berechtigt.

1.1. § 51 EheG wurde durch das 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59, mit Ablauf des aufgehoben (§ 131 Z 1 EheG); er hatte bis dahin gelautet:

Geisteskrankheit

Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere geisteskrank ist, die Krankheit einen solchen Grad erreicht hat, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist, und eine Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht erwartet werden kann.

[14] Ebenfalls durch das 2. ErwSchG wurde § 50 EheG mit geändert, der bis dahin gelautet hatte:

Auf geistiger Störung beruhendes Verhalten

Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn die Ehe infolge eines Verhaltens des anderen Ehegatten, das nicht als Eheverfehlung betrachtet werden kann, weil es auf einer geistigen Störung beruht, so tief zerrüttet ist, dass die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann.

[15] In der Fassung des 2. ErwSchG lautet § 50 EheG nunmehr:

Ehezerrüttendes Verhalten ohne Verschulden

Ein Ehegatte kann die Scheidung begehren, wenn die Ehe infolge eines Verhaltens des anderen Ehegatten, das nicht als Eheverfehlung betrachtet werden kann, weil es auf einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung beruht, so tief zerrüttet ist, dass die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann.

[ jeweils durch den Senat]

1.2. Zusammengefasst ist durch das 2. ErwSchG einerseits der Scheidungsgrund des bloßen Bestehens einer die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufhebenden Geisteskrankheit (§ 51 EheG) weggefallen; andererseits wurde der Scheidungsgrund des ehezerrüttenden Verhaltens (§ 50 EheG) dahin geändert, dass dieses Verhalten nunmehr auf einer „psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung“ (statt bis dahin auf einer „geistigen Störung“) beruhen muss.

2.1. Während der Kläger vorerst § 49 EheG und hilfsweise § 50 EheG als Rechtsgrund der angestrebten Scheidung ins Treffen geführt hatte, hat er über Belehrung durch das Gericht – deren konkreter Inhalt aus dem Protokoll nicht ersichtlich ist – sein Scheidungsbegehren in ein solches aus dem Grunde des § 51 EheG „umgewandelt“.

2.2. Dieses Klagebegehren ist insgesamt unschlüssig.

[19] Ein § 51 EheG hatte bereits seit Jahren nicht mehr existiert. Es ist weder ein konkretes Tatsachenvorbringen, das dem „umgewandelten“ Scheidungsbegehren zugrunde liegen sollte, erstattet noch das Schicksal des bis dahin erhobenen Vorbringens und Begehrens konkret erörtert oder dargelegt worden.

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht, bevor es unschlüssige Begehren abweist, die Unschlüssigkeit zu erörtern und dem Kläger Gelegenheit zur Verbesserung zu geben (vgl RS0117576, RS0037166). Dies gilt umso mehr, wenn das Gericht durch unzutreffende „Rechtsbelehrungen“ einer unvertretenen Partei die Unschlüssigkeit selbst herbeigeführt hat.

2.4. Die sofortige Abweisung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht ist daher verfehlt. Der Kläger wurde dadurch von einer Rechtsauffassung überrascht, die er nicht nur nicht beachtet und auf die ihn das Gericht nicht aufmerksam gemacht hatte, sondern der von ihm tragend ins Treffen geführte – vom Berufungsgericht als ungenügend erachtete – Rechtsgrund wurde ihm durch die „Anleitung“ des Erstgerichts überhaupt erst nahegelegt.

[22] Die Entscheidungen der Vorinstanzen können in diesem Lichte keinen Bestand haben.

3.1. Das Erstgericht wird mit dem Kläger dessen Vorbringen und Begehren sowie die von ihm zur Begründung des Scheidungsbegehrens angezogenen Rechtsgründe zu erörtern und zur Schlüssigstellung auf Grundlage des geltenden Rechts anzuleiten haben.

3.2. Das Erstgericht wird, sollten Tatbestände der Zerrüttungsscheidung (§§ 49 f EheG) Gegenstand des schlüssiggestellten Begehrens sein, darauf zu achten haben, konkrete Feststellungen zur Kausalität des Verhaltens der Beklagten für eine objektive Beendigung der Gemeinschaft der Ehepartner und zum subjektiven Bewusstsein von der endgültigen Ehezerrüttung bei einem der Partner sowie zum zeitlichen Ablauf dieses Zerrüttungsgeschehens und des Zerrüttungseintritts zu treffen. Dabei wird zu beachten sein, konkret ehezerstörendes von sonstigem allenfalls auffälligem Verhalten – etwa den Kindern, anderen Verwandten oder allgemein „der Familie“ gegenüber – in tatsächlicher ebenso wie rechtlicher Hinsicht zu unterscheiden: Nur ersteres ist für die Frage der Ehescheidung von unmittelbarer Bedeutung.

4. Die Vorinstanzen haben sich weiters mit dem in erster Instanz weder von den Parteien noch vom Erstgericht erwähnten § 54 EheG nicht auseinandergesetzt, dessen Voraussetzungen aber von Amts wegen zu prüfen sind (RS0056839 [T1]). Das Erstgericht wird daher im Falle, dass im fortgesetzten Verfahren die Anwendung dieser Härteklausel („in den Fällen der §§ 50 und 52“) in Frage kommt, bei der Prüfung ihrer relevanten Voraussetzungen (vgl etwa RS0056694; RS0056662; RS0056645; RS0056773; RS0056722; RS0056706; RS0056780; RS0056841; RS0056768; RS0056839) den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu geben, allenfalls ergänzend Beweis aufzunehmen, Feststellungen zu treffen und nachvollziehbare Erwägungen anzustellen haben, anhand welcher gegebenenfalls die Berechtigung eines Scheidungsbegehrens auch in diesem Lichte beurteilt werden kann.

[26] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00240.22F.0228.000

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