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OGH vom 15.03.2023, 3Ob212/22f

OGH vom 15.03.2023, 3Ob212/22f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P*, 2. W*, 3. Y*, 4. An*, 5. Ro*, 6. Re*, 7. Ar*, 8. And*, 9. An*, 10. I*, 11. J*, 12. C*, 13. Al*, 14. Ant*, 15. Wi*, alle vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S* Bank *, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.320.351,37 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 10 R 46/22y-120, mit dem der Rekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 14 Cg 89/16g-115, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger begehren von der beklagten dänischen Bank Schadenersatz mit der Behauptung, sie habe vertraglich vereinbarte Devisentransaktionen („Stop-Loss-Order“) rechtswidrig und schuldhaft nicht bzw verzögert oder zu für die Kläger ungünstigeren Kursen durchgeführt.

[2] Nach Übermittlung des vom Erstgericht in Auftrag gegebenen Gutachtens lehnte die Beklagte den gerichtlich beeideten Sachverständigen ab. Dieser erklärte, nicht befangen zu sein.

[3] Das Erstgericht wies den Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen ab (Punkt 1) und bestimmte dessen Gebühren (Punkt 2).

[4] Das Rekursgericht wies den von der Beklagten – gleichzeitig mit einem Rekurs gegen den die Gebührenbestimmung – erhobenen Rekurs gegen die Verwerfung des Ablehnungsantrags als unzulässig zurück.

[5] Nach § 515 ZPO könnten die Parteien einen Beschluss, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig sei, erst mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel bekämpfen. Die Bestellung eines Sachverständigen sei erst mit der Entscheidung in der Hauptsache bekämpfbar; dies gelte auch für die Verwerfung der Ablehnung des Sachverständigen. Das Gebührenbestimmungsverfahren sei ein weitgehend selbständiges Verfahren, weshalb ein dort ergangener Beschluss keine nächstfolgende anfechtbare Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO sei. Auch die Entscheidungskompetenz des Einzelrichters über Rechtsmittel gegen Gebührenbestimmungsbeschlüsse spreche gegen eine solche Verbindungsmöglichkeit.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die (inhaltliche) Entscheidung über den Rekurs aufzutragen.

[7] Die Kläger beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[9] 1.1 Die Zurückweisung des Rekurses gegen einen nicht abgesondert anfechtbaren erstgerichtlichen Beschluss durch die zweite Instanz ist grundsätzlich mit Revisionsrekurs bekämpfbar (4 Ob 73/22x mwN).

[10] 1.2 Gemäß § 366 Abs 1 ZPO ist eine abgesonderte Anfechtung eines Beschlusses, mit dem die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, nicht zulässig. Anderes gilt nur in einem von einem Hauptprozess unabhängigen Beweissicherungsverfahren, weil in einem solchen eine weitere anfechtbare Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO nicht zu erwarten ist (7 Ob 121/08g = RS0123678).

[11] 1.3 Die Beklagte verweist in ihrem Revisionsrekurs zutreffend darauf, dass nach der Rechtsprechung ein Rekurs gegen die eine Ablehnung eines Sachverständigen verwerfende Entscheidung gemeinsam mit dem – als nächste abgesondert anfechtbare Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO anzusehenden – Beschluss über die Gebührenbestimmung zulässig ist.

[12] 2.1 Bereits in der Entscheidung 5 Ob 152/68 (RZ 1969, 52) hat der Oberste Gerichtshof den Beschluss des Rekursgerichts aufgehoben, mit dem dieses einen Rekurs gegen den die Ablehnung eines Sachverständigen verwerfenden Beschluss zurückgewiesen hatte. Es sei demnach dem Rekurswerber frei gestanden, sein Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Ablehnung mit dem Rekurs gegen den nachfolgenden Gebührenbestimmungsbeschluss zu verbinden (5 Ob 152/68 = RS0040387). Dem Rekursgericht sei die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs in der Ablehnungsfrage aufzutragen.

[13] 2.2 Zu 9 Ob 27/18p wies der Senat den Revisionsrekurs im Bezug auf die Entscheidung über eine Ablehnung des Sachverständigen mit dem Hinweis zurück, dass das gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachte Rechtsmittel, mit dem der Rekurs betreffend den Ablehnungsantrag hätte verbunden werden können, der Rekurs gegen den Gebührenbestimmungsbeschluss des Erstgerichts gewesen wäre. Da mit diesem aber kein Rekurs gegen die Verwerfung der Ablehnung des Sachverständigen verbunden worden sei, könne dieser nur mehr mit der Endentscheidung bekämpft werden.

[14] 2.3 In der Lehre finden sich zur Auffassung einer Anfechtbarkeit des einem Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen nicht stattgebenden Beschlusses gemeinsam mit einem allfälligen Rekurs gegen die nachfolgende Gebührenbestimmung als „nächstfolgende anfechtbare Entscheidung“ im Sinn des § 515 ZPO keine Stellungnahmen; damit ist sie aber auch nicht auf Kritik gestoßen (vgl etwa Braun in Höllwerth/Ziehensack, ZPOTaKomm § 366 Rz 2 mwN; Fucik/Klauser/Kloiber, ZPO12, § 515; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1012, Rz 1973). Soweit auf diese Frage inhaltlich eingegangen wird, wird die gemeinsame Anfechtbarkeit mit einem nachfolgenden Beschluss über die Gebührenbestimmung ausdrücklich befürwortet (Sloboda in Fasching/Konecny3 IV/1, § 515 Rz 6).

[15] 3.1 In der vom Rekursgericht für seine Auffassung zitierten Entscheidung 6 Ob 35/13k gab der sechste Senat einem Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung eines Rekurses nicht Folge. Verfahrensgegenstand war allerdings nicht die Anfechtung eines Beschlusses, mit dem die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen worden war, sondern ein Beschluss über die Befreiung von der Warnpflicht nach § 25 Abs 1 GebAG. Dieser dem Gebührenbestimmungsverfahren zuzuordnende Beschluss ergehe nach dem Gesetz anlässlich des Auftrags an den Sachverständigen, sei ein „Nebenanspruch zur Sachverständigenbestellung“ und könne nicht eine weitergehende (abgesonderte) Anfechtbarkeit der Sachverständigenbestellung selbst herbeiführen. Außerdem sei das Gebührenbestimmungsverfahren in der Fassung der GebAGNovelle 1994 ein umfassendes Ermittlungsverfahren mit Antrags- und Äußerungsrechten der wirtschaftlich Beteiligten und als „vollständiges Zwischenverfahren über den als eigener Rechtsschutzanspruch aufzufassenden Honoraranspruch des Sachverständigen“ weitgehend selbständig. aus dieser Erwägung sei der dem Gebührenbestimmungsverfahren zuzuordnende Beschluss über die Befreiung von der Warnpflicht nicht als nächstfolgende anfechtbare Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO anzusehen, weil dieser nicht im eigentlichen Rechtsstreit sondern in einem „separaten Verfahren“ ergehe.

[16] 3.2 Aus dieser Entscheidung, die einen der Sachverständigenbestellung zuzuordnenden Beschlussgegenstand betraf, lässt sich – nach Ansicht des erkennenden Senats und entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts – nicht zwingend ableiten, dass der sechste Senat damit von der herrschenden Auffassung zur Anfechtbarkeit einer der Ablehnung eines Sachverständigen nicht stattgebenden Entscheidung gemeinsam mit einem später vom Erstgericht gefassten Gebührenbestimmungsbeschluss abgehen wollte (vgl dazu auch Sloboda in Fasching/Konecny3 IV/1, § 515 Rz 6). Die Überlegungen zum „weitgehend verselbständigten“ Verfahren über die Gebührenbestimmung sind ausdrücklich (nur) als eine zusätzliche Erwägung angeführt und Gegenstand der Entscheidung war ein – ebenso wie die Bestellung des Sachverständigen und die Auftragserteilung an diesen – nicht abgesondert anfechtbarer Beschluss über die Befreiung von der Warnpflicht. Demzufolge enthält die Entscheidung auch keinen Hinweis auf bisherige Aussagen zur Gebührenbestimmung als nächste Anfechtungsmöglichkeit im Fall einer (erfolglosen) Ablehnung des Sachverständigen. Tragende Begründung der Entscheidung 6 Ob 35/13k ist, dass ein „Nebenanspruch zur Sachverständigenbestellung“ nicht eine weitergehende abgesonderte Anfechtbarkeit der Bestellung des Sachverständigen herbeiführen kann. Damit wird aber die Möglichkeit einer Verbindung des Rekurses gegen die (nicht abgesondert anfechtbare) verworfene Ablehnung mit einem Rechtsmittel gegen einen nachfolgenden Beschluss über die Bestimmung der Gebühren des Sachverständigen nicht ausgeschlossen. Soweit der Entscheidung 6 Ob 35/13k dennoch eine solche Rechtsansicht beigelegt werden sollte, wird sie vom erkennenden Senat nicht geteilt.

[17] 4.1 Die Rechtsmittelbeschränkungen des § 366 Abs 1 und 2 ZPO haben den Zweck, zeitraubende Zwischenstreitigkeiten über die Zulassung von Beweismitteln zu verhindern (RS0040338 [T1, T11]; Schneider in Fasching/Konecny3 III/1 § 366 Rz 2 mwN). Der Sachverständige hat gemäß § 38 Abs 1 GebAG den Anspruch auf seine Gebühr binnen 14 Tagen nach Abschluss seiner Tätigkeit geltend zu machen. Aus dieser Bestimmung wird – unter Bezugnahme auf § 1170 ABGB – abgeleitet, dass der Gebührenanspruch erst nach Abschluss der Tätigkeit des Sachverständigen fällig ist (Krammer/Schmidt/Guggenbichler, SDG-GebAG4 § 38 GebAG Anm 5 und E 17 ff). Es dient daher letztlich auch der Prozessökonomie, wenn die Frage einer allfälligen Befangenheit des Sachverständigen, dessen Ausführungen im Regelfall maßgebliche Beweisergebnisse für die Tatsachenfeststellungen bilden, vor der Entscheidung in der Hauptsache abschließend geklärt wird. Verzögerungen des Verfahrens sind nicht zu befürchten, weil – wie erwähnt – die Gebührenbestimmung erst nach Abschluss der Tätigkeit des Sachverständigen (und damit erst nach Beendigung dieses Abschnitts der Beweisaufnahme) zu erfolgen hat. Schließlich kann eine (vom Sachverständigen verschwiegene) Befangenheit allenfalls auch für die Gebührenbestimmung relevant sein (vgl 1 Ob 178/21i).

[18] 4.2 Auch der Umstand, dass gemäß § 8a JN über Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Gebühren der Sachverständigen und Dolmetscher ein Einzelrichter entscheidet, spricht nicht gegen diese Auffassung, denn diese besondere Zuständigkeit für Gebührenfragen steht mit der Frage der Beurteilung des Gebührenbestimmungsbeschlusses als nächstfolgende Entscheidung im Sinn des § 515 ZPO, also mit der weiteren Rechtsmittelzulässigkeit, in keinem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang.

[19] 4.3 Die Kläger leiten in ihrer Revisionsrekursbeantwortung die behauptete Unzulässigkeit des Revisionsrekurses daraus ab, dass die Beklagte durch den angefochtenen Beschluss „in ihren prozessualen Rechten in keinster Weise verletzt“ werde, weil sie den Beschluss über die Ablehnung des Sachverständigen mit der Endentscheidung bekämpfen könne. Damit befassen sie sich gerade nicht mit der hier zu beurteilenden Rechtsfrage ob und wann dies im Lichte des § 515 ZPO bereits früher geschehen kann.

[20] 5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00212.22F.0315.000

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