OGH 05.10.2023, 3Ob164/23y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. WeixelbraunMohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* AG, *, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E* Limited, *, Malta, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 17.684 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 16 R 141/23g36, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 3 Cg 30/22g30, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei ihr Begehren auf ungerechtfertigte Bereicherung stützt.
Im Übrigen – soweit die klagende Partei ihre Ansprüche auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützt – werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz in Malta, das unter anderem in Österreich Online-Glücksspiele anbietet, ohne dafür über eine österreichische Glücksspiellizenz (Konzession) zu verfügen. Die Website der Beklagten ist auf den gesamten europäischen Markt ausgerichtet und wird in verschiedenen Sprachen angeboten. Bei der Registrierung eines Online-Accounts gibt die Beklagte in der Länderauswahl unter anderem auch Österreich an.
[2] Der im Sprengel des Erstgerichts wohnhafte B* S* (im Folgenden: „der Spieler“) meldete sich auf der Website der Beklagten an und verlor im Zeitraum vom bis bei diversen Online-Glücksspielen insgesamt 17.684 EUR.
[3] Im Zuge der Registrierung akzeptierte der Spieler die Nutzungsbedingungen der Beklagten, die auszugsweise wie folgt lauten:
„Pkt 24. Anwendbares Recht:
Die vorliegenden Verträge unterliegen dem Recht von Malta. Die Parteien stimmen überein, dass in einem Streitfall, einer Kontroverse oder einem Anspruch in Verbindung mit diesen Bedingungen oder im Falle eines Bruchs, einer Beendigung oder einer Ungültigkeit derselben, die exklusive Gerichtsbarkeit hierbei den maltesischen Gerichten unterliegt.“
[4] Am unterfertigte der Spieler einen Abtretungsvertrag, mit dem er sämtliche Erstattungsansprüche und Schadenersatzansprüche, die im Zusammenhang mit seiner Nutzung des Glücksspielangebots der Beklagten stehen, an die Klägerin abtritt.
[5] Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der vom Spieler erlittenen Verluste. Der Rückersatzanspruch stütze sich auf Bereicherung und Schadenersatz. Das von der Beklagten in Österreich angebotene Glücksspiel sei verboten, weshalb die Spielverluste daraus rückforderbar seien.
[6] Zur internationalen Zuständigkeit beruft sich die Klägerin – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung – auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 sowie auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 leg cit. Zum Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 leg cit enthielt schon der Rekurs keine Ausführungen mehr. Auf die behauptete Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Spieler (nicht aber mit der Klägerin) geht die Beklagte im Revisionsrekurs argumentativ nicht mehr näher ein.
[7] Die Beklagte erhob den Einwand der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Beim zugrunde liegenden Vertrag handle es sich um einen Dienstleistungsvertrag, dessen Erfüllungsort in Malta liege. Auch der Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 führe nicht zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, weil weder der Handlungsort noch der Erfolgsort in Österreich lägen.
[8] Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Klägerin könne sich nicht auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts berufen, weil es im Anlassfall nicht auf eine Vertragsauslegung, sondern auf einen Verstoß der Beklagten gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften ankomme. Auch der Deliktsgerichtsstand stehe der Klägerin nicht zur Verfügung, weil sich rechtsverletzende Handlungen der Beklagten im Inland dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen ließen.
[9] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch nach Ansicht des Rekursgerichts komme es für die Beurteilung der Frage, ob der zwischen dem Spieler und der Beklagten geschlossene Vertrag wegen Verstoßes gegen das österreichische Glücksspielmonopol unwirksam und nichtig sei, nicht auf die Vertragsauslegung, sondern auf den Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften an, sodass nur der Deliktsgerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu prüfen sei. Allein der selbstschädigende Zahlungsfluss am Bankkonto des Spielers reiche nicht aus, um den Erfolgsort im Inland zu identifizieren. Fehle es an einer physischen Manifestation des Schadens, sei als Erfolgsort jener Ort anzunehmen, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten komme. Im Anlassfall habe der Spieler die Verluste auf seinem Spielerkonto bei der Beklagten in Malta erlitten, weshalb der Erfolgsort nicht in Österreich gelegen sei. Auch der Handlungsort liege nicht in Österreich, weil bei Rechtsverletzungen durch das Einstellen von rechtswidrigen Inhalten in das Internet der Handlungsort dort zu verorten sei, wo der Täter tatsächlich gehandelt, also den Upload in das Internet veranlasst habe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob für Bereicherungs- und Schadenersatzansprüche wegen Verlusten aus illegalen Online-Glücksspielen die in Art 7 Nr 1 und Nr 2 EuGVVO 2012 verankerten Gerichtsstände offen stehen, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[10] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, der auf eine Bejahung der internationalen (örtlichen) Zuständigkeit des Erstgerichts abzielt.
[11] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.
[13] 1. Die Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 auf den Anlassfall steht nicht in Frage.
[14] Die Klägerin beruft sich im Revisionsrekurs auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Die Beklagte hält dem entgegen, dass es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen um vertragliche Ansprüche handle und für diese nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 keine internationale Zuständigkeit in Österreich bestehe. Außerdem liege auch der Deliktsgerichtsstand nicht in Österreich.
[15]
Rechtliche Beurteilung
2.1 Die Klägerin macht mit ihrer Klage in erster Linie bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche aus nichtigen Glücksspielverträgen (§ 1174 iVm § 1431 ABGB) geltend.
[16] 2.2 Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt sich die Qualifikation ein und desselben geltend gemachten Anspruchs als deliktisch iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 einerseits und als vertraglich iSd Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 andererseits gegenseitig aus. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dieser Ausschluss allerdings nicht auf den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, sondern auf den konkret geltend gemachten Anspruch zu beziehen. Werden
– wie hier – unterschiedliche Ansprüche (bereicherungsrechtliche Rückforderung und Schadenersatz) geltend gemacht, so ist die Prüfkompetenz des nationalen Gerichts nicht „konsumiert“.
[17] Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob die von der Klägerin geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche unionsrechtlich als vertragliche oder als deliktische Ansprüche zu qualifizieren sind.
[18] 2.3 Die Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ sind nach der Rechtsprechung des EuGH autonom auszulegen. Danach liegt ein vertraglicher Anspruch vor, wenn eine Person gegenüber einer anderen Person freiwillig eine rechtliche Verpflichtung eingegangen ist (EuGH C-548/12, Brogsitter, Rn 18), die verletzt wurde. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten widerrechtlich ist. Zu den Verpflichtungen aus einem Vertrag gehören demnach nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten wie etwa Leistungs-, Zahlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, sondern auch die Verpflichtungen, die an die Stelle einer nicht erfüllten vertraglichen Verbindlichkeit treten (sogenannte Sekundärverpflichtungen), also vor allem Schadenersatz- und Rückersatzansprüche, und zwar auch dann, wenn sie (erst) aus dem Gesetz folgen. Dies gilt somit auch für bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche, die ihren Ursprung in der Verletzung einer sich aus dem Vertrag ergebenden Pflicht haben und demnach etwa aus einem nichtigen Vertrag resultieren (4 Ob 140/18v; 4 Ob 212/18g).
[19] Dies gilt auch für die hier geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Rückersatzansprüche, weil diese aus der Nichtigkeit des zugrunde liegenden Glücksspielvertrags resultieren.
[20] 2.4 Dass für diese Ansprüche der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 (lit b zweiter Gedankenstrich: Glücksspielvertrag als Dienstleistungsvertrag vgl EuGH C-307/19, Obala i lucice, Rn 93 f; 4 Ob 140/18v) nicht zur Zuständigkeit des Erstgerichts führt, stellt die Klägerin im Revisionsrekurs zutreffend nicht mehr in Frage. Nach dieser Bestimmung ist bei der Prüfung des Erfüllungsorts auf die charakteristische Leistung abzustellen (EuGH C-19/09, Wood Floor Solutions, Rn 34). Das Kriterium des Erfüllungsorts ist dabei autonom nach Möglichkeit aus dem Vertrag zu bestimmen. Im Zweifel ist am Sitz des Dienstleistungserbringers anzuknüpfen, der im Anlassfall in Malta liegt (vgl 4 Ob 140/18v, EvBl-LS 2018/173, 1089 [Brenn]).
3.1 Die Klägerin stützt die von ihr verfolgen Ansprüche allerdings auch auf deliktischen Schadenersatz, indem sie vorbringt, dass die Beklagte in Österreich konzessionslos und unter Missachtung der strafrechtlichen Bestimmungen des § 186 Abs 1 StGB und § 1 Abs 1 GSpG nach dem Gesetz verbotenes Glücksspiel anbiete. Die genannten Bestimmungen seien als Schutzgesetze zu Gunsten des Spielers zu qualifizieren. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts stützt sie in dieser Hinsicht auf Deliktsgerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
3.2 Nach dieser Bestimmung kann dann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, eine Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts geklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Der EuGH definiert Klagen aus „unerlaubten Handlungen“ als Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag iSd Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 anknüpfen (RS0115357). Beruft sich der Kläger auf die Regeln über die Haftung aus einer unerlaubten Handlung und damit auf einen Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung und besteht diese Verpflichtung unabhängig von einem Vertrag und erscheint es daher erlässlich, den Inhalt des geschlossenen Vertrags zu prüfen, so gelangt Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zur Anwendung (EuGH C548/12, Brogsitter, Rn 25; C59/19, Wikingerhof, Rn 33).
3.3 Für die hier in Rede stehenden deliktischen Schadenersatzansprüche ist die internationale Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu prüfen. Auf der Grundlage dieses Tatbestands kann bei Distanzdelikten sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden. Als Erfolgsort kommt aber nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkt (Primärschaden). Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten lassen dessen (Wohn-)Sitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht werden (vgl RS0119142; 4 Ob 185/18m EvBl 2019/75, 513 [Brenn/Frauenberger/Pfeiler]).
[24] Nach der Rechtsprechung des EuGH ist im gegebenen Zusammenhang die Zuständigkeitszuweisung zum Wohnsitz des Geschädigten gerechtfertigt, soweit der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (EuGH C375/13, Kolassa, Rn 50 ff). Die Anknüpfung an den Erfolgsort darf jedoch nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort (primär) entstandenen Schaden verursacht hat. Sie bezieht sich nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist. Eine solche Zuständigkeitszuweisung ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Wohnsitzstaats beitragen (EuGH C-12/15, Universal Music). Dies ist im gegebenen Zusammenhang dann der Fall, wenn der Beklagte die zugrunde liegenden gesetzlichen Verpflichtungen im Wohnsitzstaat zu erfüllen hat und der Schaden aus der Verletzung dieser Pflichten abgeleitet wird, wenn also der Beklagte die schadensrelevante Pflichtverletzung im Wohnsitzstaat des Geschädigten begangen hat und sich als Folge dieser Pflichtverletzung der Schaden unmittelbar im Wohnsitzstaat (zB auf einem inländischen Bankkonto des Klägers) verwirklicht (EuGH C709/19, Vereniging van Effectenbezitters, ÖJZ [EuGH] 2021/86, 703 [Brenn]). Davon abgesehen kommt als Erfolgsort auch jener Ort in Betracht, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten gekommen ist (RS0109739 [T8]).
[25] 3.4 Nach dem Vorbringen der Klägerin resultiert der von ihr geltend gemachte Schadenersatzanspruch (die Rechtswidrigkeit) aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht, also aus einem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche österreichische Normen. Das vorgeworfene deliktische Verhalten der Beklagten besteht dabei nicht im Anbieten von Online-Glücksspielen an sich, sondern darin, dass dieses Angebot trotz fehlender österreichischer Konzession auch in Österreich zugänglich und nutzbar gemacht wird. Damit liegt die schadensrelevante Pflichtverletzung in Österreich, weshalb die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die geltend gemachten deliktischen Schadenersatzansprüche gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zu bejahen ist.
[26] In Ansehung dieser Ansprüche erweist sich der Revisionsrekurs der Klägerin daher als (teilweise) berechtigt.
[27] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00164.23Y.1005.000 |
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