OGH 15.03.2023, 3Ob10/23a
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Nicole Feucht, Rechtsanwältin in Hollabrunn, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 9.718 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 62/22y-85, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hollabrunn vom , GZ 2 C 494/20g-79, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 860,58 EUR (hierin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin kam beim Betreten des Geschäftslokals der Beklagten zu Sturz und verletzte sich, weil sich die automatische Tür aufgrund einer Fehlfunktion schloss, während sie gerade eintrat, weshalb sie, ohne dass sie ausweichen hätte können, von den Hauptschließkanten der sich schließenden Türflügel getroffen wurde.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte das der Klage auf Leistung von Schadenersatz und Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus diesem Vorfall stattgebende Urteil des Erstgerichts. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil sich auf Basis der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung mangels eines vergleichbaren Anlassfalls nicht mit Sicherheit abgrenzen lasse, wie weit die Erkundigungspflichten der Betreiberin einer für ihre (potenziellen) Kunden zugänglichen technischen Einrichtung reichten, von der ihr aufgrund wiederkehrender Überprüfungen zwar bekannt sei, dass sie nicht mehr den geltenden technischen Normen entspreche, nicht aber, welche konkreten, für die Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu setzen wären, vor allem wenn sie bei entsprechender Nachforschung erfahren hätte können, dass die Abweichung von der Norm insbesondere im Fehlen eines dem Stand der Technik entsprechenden Sicherheitsmechanismus bestehe.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[4] 1. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor:
[5] 1.1. Das Berufungsgericht hat zwar bemängelt, dass das Erstgericht auch im zweiten Rechtsgang auf eine kohärente und stringente Darstellung des Sachverhalts verzichtet habe, war allerdings in der Lage, den Ausführungen des Erstgerichts die für die Entscheidung wesentlichen Sachverhaltselemente zu entnehmen. Eine neuerliche Aufhebung des Ersturteils war daher nicht erforderlich, zumal das Berufungsgericht die von der Beklagten konkret vermisste (detailliertere) Feststellung, welche Art von „Problemen“ mit der Tür den Mitarbeitern der Beklagten bereits vor dem Unfall der Klägerin bekannt sein mussten, ohnehin aus rechtlichen Gründen als nicht relevant erachtete.
[6] 1.2. Indem das Berufungsgericht aus den Konstatierungen des Erstgerichts den relevanten Sachverhalt „herausfilterte“, ist es entgegen der Behauptung der Beklagten nicht (ohne Beweiswiederholung) von den erstgerichtlichen Feststellungen abgegangen.
[7] 1.3. Es gelingt der Beklagten nicht, die Relevanz des aus einer angeblichen Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts abgeleiteten Verfahrensmangels darzutun, weil sie mit jenem Vorbringen, das sie im Fall der vorherigen Erörterung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts (Erkundigungspflicht der Beklagten aufgrund der Prüfberichte) erstattet hätte, in Wahrheit nur das Bestehen einer solchen Erkundigungspflicht bestreiten will.
[8] 2.1. Den Inhaber eines Geschäfts trifft gegenüber einer Person, die das Geschäft als Kunde betritt, die (vor-)vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen (RS0016407 [T1]). Er hat die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er seinen Kunden überlässt, in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu halten und muss alle Gefahrenquellen, die sich aus dem Geschäftsbetrieb ergeben, ausschalten (vgl 9 Ob 58/18x).
[9] 2.2. Der Verkehrssicherungspflichtige muss den Verkehrsbereich für die befugten Benützer in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand erhalten und diese vor Gefahren schützen. Diese Verpflichtung findet ihre Grenze einerseits in der Erkennbarkeit der Gefahr (vgl RS0023801) und andererseits in der Zumutbarkeit ihrer Abwehr (RS0023397).
[10] 3. Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten sollen aber nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]). Welche Sicherungsmaßnahmen zumutbar und erforderlich sind, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0078150). Die dabei zu treffende Einzelfallbeurteilung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Beurteilungsfehler korrigiert werden müsste (RS0078150 [T1]). Das ist hier nicht der Fall:
[11] 4. Die automatische Türanlage im Lokal der Beklagten entsprach zwar zur Zeit ihrer Errichtung (im Jahr 2000) dem Stand der Technik. Mit Dezember 2012 – rund fünfeinhalb Jahre vor Eröffnung des Geschäfts durch die Beklagte – trat jedoch eine neue ÖNORM in Kraft, nach der ein solches Türsystem über einen Anwesenheitsmelder verfügen muss. Dabei handelt es sich um eine Sicherheitseinrichtung, die das Schließen der Tür verhindert, wenn sich in einem Bereich von 20 cm vor bzw hinter der Tür ein zumindest 30 cm breiter und 70 cm hoher Gegenstand befindet. Ein Anwesenheitsmelder erhöht die Sicherheit gegenüber einem – bei der Anlage der Beklagten entsprechend dem seinerzeitigen Stand der Technik vorhandenen – Lichtschranken, weil er einen größeren Bereich abdeckt. Es ist mit höchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der Unfall der Klägerin nicht ereignet hätte, wenn die Tür den Sicherheitsstandards dieser Norm entsprochen hätte, weil der Anwesenheitsmelder einen Zusammenstoß mit einem Türflügel verhindert hätte. Die Beklagte wurde im Zuge der jährlichen Überprüfungen der Türanlage mehrfach darauf hingewiesen, dass die Anlage nicht dem aktuellen Stand der Technik entspricht.
[12] 5. Es trifft zwar zu, dass die neue ÖNORM für Altbestand – und damit auch die Anlage der Beklagten – nicht gilt. Bei der Abgrenzung der aus einer (vor-)vertraglichen Sonderverbindung entspringenden Schutz- und Sorgfaltspflichten werden durch die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die von den Verwaltungsbehörden erteilten Bewilligungen allerdings im Einzelfall die Grenzen der verkehrsüblichen und vom Erwartungshorizont der beteiligten Kreise als zumutbar umfassten Anforderungen nicht schlechthin abgesteckt, sondern lediglich der Mindeststandard der dem Verantwortlichen obliegenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. Trotz einer einmal erteilten Benützungsbewilligung ist daher die bauliche Sicherheit laufend zu überprüfen, die Baulichkeiten sind dem Ergebnis der Kontrolle entsprechend einwandfrei instandzusetzen und es ist ganz allgemein der für die körperliche Sicherheit der Benutzer maßgebliche, nach einschlägigen Gesetzen und anderen Vorschriften, aber auch nach dem jeweiligen Stand der Technik geltende Mindeststandard durch zumutbare Verbesserungsarbeiten einzuhalten. Dieser Mindeststandard ist herzustellen, sofern die Vorschriften die Sicherheitsanforderungen verschärfen (vgl 5 Ob 27/11y mwN).
[13] 6. Die Überprüfungsberichte bezüglich der Türanlage enthielten zwar, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, keinen expliziten Hinweis darauf, inwiefern das Türsystem nicht mehr dem Stand der Technik bzw der (konkret angeführten) ÖNORM entsprach. Allerdings fand sich im Überprüfungsbefund vom insbesondere der Hinweis, dass für einen erhöhten Personenschutz „Lichtvorhänge“ (dabei handelt es sich um zahlreiche kleine, nebeneinander angeordnete Lichtschranken) empfohlen würden. Damit bestand aber für die Beklagte bei gehöriger Aufmerksamkeit ein ausreichender Hinweis darauf, dass ihre Anlage, insbesondere was den Schutz der sie benützenden Personen – also ihrer Kunden wie auch ihrer Mitarbeiter – anlangt, nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik war. Dass das Berufungsgericht unter diesen Umständen die Auffassung vertrat, die Beklagte wäre gehalten gewesen, nähere Erkundigungen über den aktuellen Stand der Technik einzuholen (und im Anschluss die zur Erhöhung des Personenschutzes gebotenen Maßnahmen durchführen zu lassen), stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Angesichts der festgestellten Kosten des nachträglichen Einbaus eines Anwesenheitsmelders von bloß 200 bis 250 EUR kann von einer Unzumutbarkeit für die Beklagte keine Rede sein.
[14] 7. Die Beklagte beharrt auch in dritter Instanz auf einem Mitverschulden der Klägerin, ohne schlüssig darlegen zu können, auf welche Weise sie beim Betreten des Geschäftslokals auf die „von der Tür potenziell ausgehende Gefahr“ reagieren hätte können, und inwiefern das von der Rechtsprechung statuierte Erfordernis, „vor die eigenen Füße zu schauen“, beim Passieren einer automatischen Tür, die sich – für die Klägerin unvorhersehbar – aufgrund eines Defekts plötzlich schloss, von Relevanz sein sollte.
[15] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00010.23A.0315.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAB-55439