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OGH vom 14.03.2023, 21Ds5/22f

OGH vom 14.03.2023, 21Ds5/22f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Hofmann und Mag. Wagner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Disziplinarsache gegen * und *, Rechtsanwälte in *, wegen des Diszplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die (gemeinsam ausgeführte) Berufung der Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom , GZ D 22/20-22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, des Kammeranwalts Dr. Klemm LL.M. und der Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Den Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis, das auch einen Freispruch des Disziplinarbeschuldigten * enthält, wurden * und *, Rechtsanwälte in *, der Sache nach des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt, weil sie, nachdem am C* P* von * rechtsfreundlich im Zusammenhang mit einer von ihm angestrebten Ehescheidung beraten worden war, im Zeitraum März 2019 bis März 2020 dessen geschiedene Ehefrau J* P* rechtsfreundlich gegen C* P*, unter anderem in einem zu AZ * des Bezirksgerichts * eingeleiteten Aufteilungsverfahren und einem zu AZ * geführten Kontaktrechtsregelungsverfahren desselben Gerichts, vertreten haben.

[2] Die Disziplinarbeschuldigten wurden hierfür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße, * in der Höhe von 1.500 Euro und * in der Höhe von 1.000 Euro, verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die gemeinsam ausgeführte – keine Nichtigkeitsgründe ausdrücklich bezeichnende (vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung der Disziplinarbeschuldigten * und * wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

[4] Der Schuldspruch beruht auf dem aus der in § 9 Abs 1 RAO statuierten Treuepflicht zum eigenen Mandanten resultierenden Vorwurf des Verstoßes gegen die materielle Doppelvertretung. Eine solche liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. Untersagt ist demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst) für und (dann) gegen einen Klienten in derselben oder damit zusammenhängenden Sache, wobei letzterer Begriff dem Regelungszweck entsprechend weit auszulegen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht (RIS-Justiz RS0054995, RS0117715, RS0055534; vgl auch Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek,RAO11 § 1 DSt Rz 37/1 ff).

[5] Vor diesem Hintergrund erweist sich das Vorbringen der Berufung (der Sache nach Z 9 lit a), die Beratung des C* P* sowie das Unterhalts- und Aufteilungsverfahren beträfen keine zusammenhängende Sache, als unberechtigt. Die festgestellte Beratung des Ehegatten zu den Themen Scheidungsverfahren, gemeinsame Kinder und Ehewohnung sowie die später gegen ihn geführten Verfahren auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, Kindesunterhalt und Obsorge sowie das Kontaktrechtsregelungsverfahren (vgl ES 5) betrafen – im Sinn der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs – eine „zusammenhängende Sache“, in welcher die Beschuldigten Vertretungshandlungen zum einen für, zum anderen gegen C* P* setzten, wodurch sie gegen das Verbot der materiellen Doppelvertretung verstießen.

[6] Der mit dem Argument des Fehlens schriftlicher Aufzeichnungen über das mit C* P* geführte Beratungsgespräch begründeten Ansicht der Berufungen, es habe nicht einmal theoretisch die Gefahr eines Nachteils für C* P* bestanden, ist zu erwidern, dass eine Doppelvertretung auch dann gegen das Gesetz verstößt, wenn gewiss ist, dass durch die Vertretung die Interessen der Gegenpartei nicht beeinträchtigt, geschädigt oder auch nur gefährdet werden können. Es ist also nicht notwendig, dass ein Vertrauensmissbrauch im materiellen Sinn stattgefunden hat. Eine Doppelvertretung ist vielmehr deshalb disziplinär strafbar, weil durch sie stets der Anschein erweckt wird, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben (RIS-Justiz RS0118082, vgl auch AZ 20 Ds 2/20d).

[7] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats betrieben die Disziplinarbeschuldigten *, * und * gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei (ES 4), die den Bezugspunkt für die Prüfung einer allfälligen Doppelvertretung bildet (RIS-Justiz RS0113207 [T5]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RAO Rz 14, § 1 DSt Rz 41 und § 10 RL-BA 2015 Rz 12). Das Verbot der materiellen Doppelvertretung erstreckt sich daher, unabhängig von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung der Kanzleigemeinschaft und davon, dass * als Substitut arbeitete (vgl ES 4), auch auf Letzteren, der über die Beratung des C* P* durch * informiert war und zeitlich spätere Vertretungshandlungen gegen ihn setzte (ES 5 f).

[8] Der Vollständigkeit halber sind die Berufungen, die – ohne damit einen Nichtigkeitsgrund zur Darstellung zu bringen (vgl 23 Ds 1/21f) – zur Widerlegung der Ansicht des Disziplinarrats im angefochtenen Erkenntnis darauf hinweisen, dass spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien bei Beachtung dieser Ansicht nur einen eingeschränkten Klientenkreis vertreten könnten, darauf zu verweisen, dass eine solche selbst gewählte Spezialisierung regelmäßig bedingt, dass ein allenfalls eingeschränkter Personenkreis Bedarf an solchem Sonderwissen haben wird. Das führt indes, wie in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (VfGH B 1050/09 VfSlg 19.089) bereits klargestellt wurde, nicht dazu, dass das Verbot der Doppelvertretung die Tätigkeit eines Rechtsanwalts grundsätzlich ausschließen würde, sondern nur Fallkonstellationen festlegt, in denen ein Tätigwerden unzulässig ist. Von einer unsachlichen Einschränkung der (Erwerbs-)Tätigkeit spezialisierter Anwaltskanzleien kann daher nicht ausgegangen werden.

[9] Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Sinne des § 464 Z 2 erster Fall StPO (vgl RIS-Justiz RS0128656) vermag im Übrigen keine Bedenken gegen den in der angefochtenen Entscheidung vom Disziplinarrat festgestellten Sachverhalt zu wecken, hat der Disziplinarrat doch die wesentlichen Verfahrensergebnisse einer widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Würdigung unterzogen.

[10] Der Berufung der Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.

[11] Auch den Strafberufungen gelingt es nicht, Bedenken gegen die im angefochtenen Disziplinarerkenntnis verhängten Sanktionen hervorzurufen. Die Unbescholtenheit beider Beschuldigter, auf die insbesondere * verweist, wurde ohnedies als mildernd berücksichtigt.

[12] Die von den Beschuldigten angestrebte Strafreduktion durch Erteilung eines schriftlichen Verweises im Sinne des § 16 Abs 1 Z 1 DSt setzt einen geringen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat voraus (idS Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11, § 16 Rz 5). Davon kann allerdings beim festgestellten Sachverhalt, nach dem beiden Disziplinarbeschuldigten das Beratungsgespräch des Beschuldigten * mit C* P* über die Scheidung bekannt war und sie dennoch die Vertretung der J* P* übernahmen und in deren Vertretung Aufteilungs-, Kindesunterhalts-, Obsorge- und Kontaktrechtsregelungsverfahren gegen den C* P* einleiteten bzw führten, keine Rede sein. Bei einer solchen Doppelvertretung kommt die mildeste Disziplinarstrafe eines bloßen Verweises daher nicht in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0110145).

[13] Von den im angefochtenen Erkenntnis bereits zutreffend herangezogenen Strafzumessungsgründen ausgehend erweisen sich die verhängten Sanktionen als einer Reduktion nicht zugänglich.

[14] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0210DS00005.22F.0314.000

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