OGH vom 27.06.2023, 1Ob234/22a

OGH vom 27.06.2023, 1Ob234/22a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. WesselyKristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, und 2. S*, beide *, Deutschland, vertreten durch die Heinisch Weber Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 30.284,98 EUR sA (erstklagende Partei), 25.094,98 EUR sA (zweitklagende Partei) sowie jeweils wegen Feststellung, über die Rekurse aller Parteien und den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs und Rekursgericht vom , GZ 14 R 123/22v23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 30 Cg 24/21a17, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen sowie die klagenden Parteien mit ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihrer Anträge nach §§ 184, 303 ZPO auf diese Entscheidung verwiesen wurden, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

I. Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, und es wird in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 14.052,04 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 6.714,40 EUR Pauschalgebühr) binnen 14 Tagen anteilig zu ersetzen, und zwar:

* die erstklagende Partei 7.447,58 EUR

* die zweitklagende Partei 6.604,46 EUR

II. Die klagenden Parteien werden mit ihrem auf die Entscheidung über ihren Rekurs verwiesen.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten für die Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die (in Deutschland wohnhaften) Kläger – ein Ehepaar – reisten am nach Mathon im Paznauntal. Sie reisten bereits am (anstatt wie geplant am ) ab. Der Erstkläger hatte ab erste Symptome einer COVID-19-Erkrankung. Er wurde stationär im Krankenhaus behandelt, wobei er am positiv getestet wurde und zwischenzeitig auch auf einer Intensivstation betreut werden musste. Die Zweitklägerin wurde am positiv getestet und in der Folge unter häusliche Quarantäne gestellt.

[2] Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird auf den in der Entscheidung zu 1 Ob 199/22d wiedergegebenen (identischen) Sachverhalt verwiesen.

[3] Die Kläger begehren Schadenersatz (der Erstkläger insgesamt 30.284,98 EUR an Schmerzengeld und Therapiekosten; die Zweitklägerin 25.094,98 EUR an Schmerzengeld, „Angehörigenschmerzengeld“ und Therapiekosten) sowie die Feststellung der Haftung des beklagten Bundes für alle weiteren bereits entstandenen, aber noch nicht bezifferbaren sowie künftig entstehenden Schäden, die „direkt oder indirekt auf Fehler und Versäumnisse der der beklagten Partei zuzurechnenden Organe im Zusammenhang mit der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus im Paznauntal in der Zeit von bis und die dadurch verursachte COVID-19-Erkrankung beider Kläger zurückzuführen“ seien.

[4] Sie hätten sich infolge des „rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens“ der Organe der Beklagten mit dem Coronavirus infiziert. Hätten die Behörden rechtmäßig und unverzüglich gehandelt, wären sie nicht erkrankt.

[5] Den Behörden sei spätestens am bekannt gewesen, dass das SARS-CoV-2-Virus auch in Ischgl „grassiere“. Sie hätten daher spätestens ab die gesetzlich gebotenen unabdingbaren Maßnahmen setzen müssen, um die Quelle der Infektionen zu identifizieren und die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Insbesondere wären sie verpflichtet gewesen,

-spätestens am öffentlich bekannt zu geben, dass in Ischgl der Verdacht zahlreicher SARS-CoV-19-Infektionen und augenscheinlich eine erhöhte Infektionsgefahr bestehe;

-ab gemäß § 5 EpiG sämtliche infizierten Personen ausfindig zu machen und nachzuvollziehen, woher deren Infektion stammte;

-ab sämtliche Veranstaltungen in und um Ischgl gemäß § 15 EpiG zu untersagen;

-spätestens ab sämtliche Seilbahnbetriebe, Skihütten und Gastronomiebetriebe gemäß § 20 EpiG zu schließen;

-ab , spätestens jedoch ab jegliche Ein- und Ausreise aus Ischgl bzw dem Paznauntal gemäß § 24 EpiG zu unterbinden bzw allenfalls für eine geordnete und kontrollierte Abreise zu sorgen;

-die verhängten Maßnahmen auch gemäß § 43 Abs 4 EpiG konsequent durchzusetzen.

Stattdessen hätten die Behörden

-bis die Öffentlichkeit „mutmaßlich bewusst falsch“ informiert und sonst nichts unternommen;

-erst am das „evidentermaßen kontaminierte“ Lokal „K*“ geschlossen;

-erst mit Wirkung vom den AprèsSkiBetrieb eingestellt, die zulässige Besetzung der Gondeln auf die Hälfte reduziert und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 100 Personen beschränkt;

- es verabsäumt, die wenigen gesetzten Maßnahmen tatsächlich durchzusetzen;

-durch die vorzeitige Verkündung der Isolation des Paznauntals ohne ordnungsgemäße Vorbereitung der Ausreisemaßnahmen eine unkoordinierte und chaotische Ausreise zahlreicher Urlauber am 13. und verursacht.

[6] Die Organe der Beklagten hätten dadurch nicht nur gegen näher genannte Bestimmungen des Epidemiegesetzes, sondern auch gegen ihre aus Art 2 und Art 8 EMRK und aus europarechtlichen Vorschriften (Art 2, Art 3 GRC) abgeleitete Verpflichtung verstoßen, angemessene Maßnahmen zum Schutz des Lebens zu ergreifen und die Öffentlichkeit über lebensbedrohende Notfälle zu informieren. Auf die GRC könnten sich die Kläger insbesondere deshalb berufen, weil sie die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch genommen hätten.

[7] Zur Präzisierung des Vorbringens zur inneren Tatseite stellten die Kläger gemäß § 184 ZPO eine Reihe von (in einem Schriftsatz aufgezählten) Fragen an die Beklagte. Sie beantragten darüber hinaus, dieser gemäß §§ 303 ff ZPO die Vorlage „sämtlicher ihr zur Verfügung stehenden Urkunden“ über die Übertragung der Zuständigkeit für den Vollzug des EpiG von einem Tiroler Landesrat an den Landesamtsdirektor im März 2020 aufzutragen, falls sie diese nicht freiwillig vorlege.

[8] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, die Erkrankung der Kläger sei von ihren Organen keinesfalls zu verantworten. Es fehle schon an einer Kausalität zwischen einem Organverhalten und der Erkrankung der Kläger. Die Gesundheitsbehörden hätten darüber hinaus zu jedem Zeitpunkt unverzüglich sämtliche dem Ermittlungsstand entsprechenden, erforderlichen und durch die bestehende Rechtslage zur Verfügung stehenden Maßnahmen gesetzt. Von einem rechtswidrigen und schuldhaften Handeln oder Unterlassen durch ihre Organe, die nicht zuletzt in einer besonderen, krisenhaften Situation rasche Entschlüsse hätten treffen müssen, könne daher keine Rede sein.

[9] Im Übrigen sei der Schadenersatzanspruch der Kläger nicht vom Schutzzweck des EpiG umfasst, dessen ausschließlicher Sinn und Zweck der Schutz der Allgemeinheit vor einer anzeigepflichtigen Krankheit sei und das schon seiner Bezeichnung nach nur die Verbreitung einer ansteckenden Krankheit in großem Ausmaß verhindern und nicht einzelne Betroffene schützen wolle.

[10] Überdies hätte den Klägern aufgrund der Medienberichterstattung die mit SARS-CoV-2 verbundene epidemiologische Gefahr bekannt sein müssen. Dass sie sich dennoch bewusst dafür entschieden haben, ihre Reise anzutreten und sich der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen, sei ihnen als Alleinverschulden anzurechnen.

[11] Das Erstgericht wies die Klagebegehren mit Urteil und unter einem die Anträge der Kläger auf Zulassung ihrer Fragen an die Beklagte (§ 184 ZPO) und auf Erteilung eines Auftrags zur Urkundenvorlage (§ 303 ZPO) mit Beschluss ab.

[12] Rechtsgrundlage für behördliches Handeln sei im vorliegenden Fall das EpiG in der damaligen Fassung gewesen. Dieses bezwecke den Schutz der Allgemeinheit vor der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten, nicht jedoch die Verhütung der Ansteckung Einzelner. Es fehle daher der Rechtswidrigkeitszusammenhang. Abgesehen davon habe aus näher dargestellten Gründen auch kein schuldhaftes Organverhalten vorgelegen.

[13] Schutzpflichten nach Art 2 EMRK richteten sich nur an den Gesetzgeber. Die GRC sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Ein unmittelbar auf eine Verletzung von Grundrechten, sei es Art 2 EMRK oder die europäische GRC, gestützter Anspruch scheide daher aus. Die Strafbestimmungen der §§ 178 f StGB schützten das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit und nicht bestimmte Personen. Mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs könnten die Kläger daraus daher ebenfalls keine Ansprüche ableiten.

[14] Die von den Klägern nach § 184 ZPO an die Gegenseite gestellten Fragen zielten schon nach ihrem Vorbringen darauf ab, die innere Tatseite der beteiligten Organe zu erforschen. Im Rahmen der Amtshaftung komme es aber nicht auf die innere Tatseite und Motivlage der Organe an, sondern darauf, ob deren Handeln und Unterlassen bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände ex ante vertretbar gewesen sei. Aus diesem Grund sei auch der Antrag auf Urkundenvorlage abzuweisen.

[15] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil zur Erweiterung der Sachverhaltsgrundlage auf, verwies die Kläger mit ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihrer Anträge nach §§ 184, 303 ZPO auf diese Entscheidung, weil es den Rekurs der Mängelrüge in der Berufung zuordnete und dort abhandelte, und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.

[16] Die von den Klägern genannten Bestimmungen des Epidemiegesetzes schützten nur die Allgemeinheit, nicht aber bestimmte Personen oder Personengruppen. Dass die Kläger naturgemäß ein Teil der Allgemeinheit seien, bedeute nicht, dass sie aus möglichen Verstößen gegen das EpiG individuelle Schadenersatzansprüche ableiten könnten. Insofern fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang. Ob es solche Verstöße überhaupt gegeben habe, müsse daher nicht untersucht werden. Die von den Klägern vermissten radikalen und einschneidenden Maßnahmen ab dem ersten Verdachtsmoment wären aus grundrechtlicher Sicht unverhältnismäßig und daher unzulässig gewesen. Durch deren Unterbleiben seien ihre Grundrechte nicht verletzt worden.

[17] Allerdings folge aus dem Recht auf Leben (Art 2 EMRK) und auf körperliche Unversehrtheit (Art 8 EMRK), dass staatliche Informationen über drohende Gefahren – auch wenn sie nicht verpflichtend seien – zum Schutz aller Empfänger richtig und vollständig zu sein hätten. Dies sei bei der „wider besseres Wissen“ veröffentlichten Medienmitteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung vom („Ansteckung im Flugzeug“) nicht der Fall gewesen. Die Haftung hänge hier aber davon ab, ob die Kläger diese „Landesinformation“ gekannt und ihr vertraut hätten. Wenn nicht, könnte ihr Schaden nicht durch die Fehlinformation verursacht worden sein, was einen Schadenersatzanspruch ausschließen würde. Diese Frage sei im fortgesetzten Verfahren zu klären. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens lägen aus näher dargestellten Gründen nicht vor.

[18] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil Rechtsprechung zum Schutzzweck der §§ 5, 20, 24 EpiG, der behördlichen Medieninformationen und Pressekonferenzen und der aus Art 2, Art 8 EMRK abgeleiteten Verpflichtung, keine falschen oder irreführenden Informationen über drohende Gefahren zu verbreiten, fehle; weiters auch zu den Voraussetzungen einer „Reisewarnung“ oder zur rechtlichen Grundlage für die „Landesinformation“ vom 5. 3. und .

Zu I. 

Rechtliche Beurteilung

[19] Die gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurse aller Parteien sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie sind im Ergebnis alle – weil Entscheidungsreife vorliegt (RS0043853) und das Verbot der reformatio in peius beim Rekurs nach § 519 Abs 2 ZPO nicht gilt (RS0043939) – auch berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der ausführlich begründeten Entscheidung zu 1 Ob 199/22d in einem gegen dieselbe Beklagte wie hier gerichteten Fall mit vergleichbarem Sachverhalt, wie er hier von den Klägern vorgebracht wurde, mit denselben Rechtsfragen eingehend auseinandergesetzt und eine rechtliche Grundlage für die Haftung der Beklagten verneint. Zusammengefasst ist den Argumenten der Kläger auf der Grundlage dieser Entscheidung entgegenzuhalten:

1.1. Sowohl die Materialien zur Stammfassung des EpiG als auch eine Analyse der von den Klägern in ihrem Rechtsmittel herangezogenen Bestimmungen dieses Gesetzes zeigen, dass die der Behörde im II. Hauptstück (§§ 6 ff EpiG) auferlegten Handlungspflichten den Schutz der Allgemeinheit bezwecken. Der Einzelne ist von den Wirkungen und damit dem Schutz solcher Maßnahmen nur indirekt in Form einer Reflexwirkung betroffen. Allein der Umstand, dass die hier strittigen Maßnahmen nach dem EpiG, wären sie – allenfalls früher – ergriffen worden, möglicherweise auch den Klägern zu Gute gekommen wären, weil sie dann etwa nicht angereist oder ein bestimmtes Lokal nicht besucht hätten, kann den für eine Haftung erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht begründen. Damit kann aus der behaupteten Unterlassung des nach Sicht der Kläger gebotenen Behördenverhaltens keine Amtshaftung abgeleitet werden. Eine weitere Prüfung, ob überhaupt eine schuldhafte Pflichtverletzung vorlag, hat daher zu unterbleiben. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.B., verwiesen.

1.2. Mangels unmittelbarer Wirkung für die Verwaltung und damit für das konkrete behördliche Handeln können aus dem von den Klägern behaupteten Verstoß gegen Schutzpflichten nach Art 2 und Art 8 EMRK durch unzureichende Informationen keine Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.C., verwiesen.

1.3. Die GRC bietet mangels Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall keine Grundlage für jene Handlungspflichten der Organe der Beklagten, aus deren Verletzung die Kläger Ansprüche ableiten. Auch andere von ihnen ins Treffen geführte unionsrechtliche Bestimmungen vermögen eine Haftung nicht zu begründen. Diese Rechtslage ist aufgrund der bereits zu 1 Ob 199/22d zitierten Entscheidungen des EuGH so eindeutig, dass ein Vorabentscheidungsersuchen unterbleiben kann. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.D., verwiesen.

1.4. Die von den Klägern genannten strafrechtlichen Bestimmungen sind jedenfalls nicht als Schutzgesetze im Sinn von § 1311 ABGB anzusehen. Auch sonst lässt sich aus strafrechtlichen Bestimmungen keine zivilrechtliche Haftung für Unterlassungen ableiten: Im Zusammenhang mit angeblichen Informationspflichtverletzungen fehlte schon eine Handlungspflicht der Vollziehung, sodass es umso weniger Handlungspflichten von Organwaltern geben konnte. Pflichten nach dem EpiG haben keinen individualschützenden Charakter, weswegen eine allfällige Verletzung unabhängig von strafrechtlichen Erwägungen keine Amtshaftung begründen kann. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.E.1., verwiesen.

1.5. Eine unrichtige Information kann nach allgemeinen amtshaftungsrechtlichen Grundsätzen nur dann zur Haftung führen, wenn dadurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde. Das war bei den Medienmitteilungen vom und nicht der Fall. Da die Haftung daher (auch) insofern schon dem Grunde nach zu verneinen ist, erübrigt sich eine Aufhebung zur Prüfung der Kausalität. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.E.2., verwiesen.

[26] 1.6. Im Zusammenhang mit dem behaupteten „Abreisechaos“ am 13. und liegt von vornherein kein Fall einer fehlerhaften Behördeninformation vor. Ein allfälliges Fehlverhalten des Bundeskanzlers im Rahmen seiner nach dem BMG bestehenden Koordinationspflicht stünde nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den hier geltend gemachten Schäden. Auch sonst lässt sich bei der gebotenen Ex-ante-Betrachtung aus dem Vorbringen des Klägers kein Amtshaftungsanspruch ableiten. Für die nähere Begründung wird auf die Entscheidung zu 1 Ob 199/22d, Punkt I.E.3., verwiesen.

2. Zu den angeblichen Verfahrensmängeln:

2.1. Die Nichtzulassung von Fragen und das Unterbleiben von Aufträgen nach den §§ 303 ff ZPO wurde vom Berufungsgericht zutreffend im Rahmen der Mängelrüge der Berufung geprüft. Die Verneinung des insofern geltend gemachten Verfahrensmangels ist daher als Teil der Entscheidung in der Sache und nicht als impliziter – und nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unanfechtbarer – Beschluss anzusehen (näher 1 Ob 199/22d, Punkt I.F.). Damit ist den Klägern aber nicht geholfen, weil nach ständiger Rechtsprechung Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die – wie hier – vom Berufungsgericht verneint wurden, im Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden können (RS0043111; RS0042963).

[28] 2.2. Dem im Rekurs der Kläger gerügten Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Pflicht zur Selbstergänzung fehlt die Relevanz, weil eine Ergänzung des Verfahrens zu Fragen der Kausalität aus rechtlichen Gründen nicht erforderlich ist. Relevante Feststellungsmängel (und damit allenfalls verbundene sekundäre Verfahrensmängel) liegen nicht vor, weil eine Haftung aus den dargestellten Gründen ohnehin schon aufgrund des (Sach)Vorbringens der Kläger zu verneinen ist.

3. Ergebnis und Kosten

3.1. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist eine Haftung der Beklagten schon dem Grunde nach zu verneinen, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Ergänzung des Verfahrens ankäme. Dies führt infolge der Rekurse aller Parteien – das Verbot der reformatio in peius gilt im Anwendungsbereich des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht (RS0043939) – zur Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils.

3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 46 Abs 1 in Verbindung mit § 50 ZPO. Die Kläger haften für die Kosten der Beklagten als formelle Streitgenossen grundsätzlich nach dem (gerundeten) Verhältnis ihrer Beteiligung am Rechtsstreit (RS0125635 [T1]).

Zu II. 

[31] Mit ihrem Revisionsrekurs sind die Kläger aus den oben (Punkt I.2.1.) genannten Gründen auf die das Ersturteil wiederherstellende Rekursentscheidung zu verweisen. Kosten für die Revisionsrekursbeantwortung sind nicht gesondert zuzusprechen (Obermaier,Kostenhandbuch3 [2018] Rz 1.258).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00234.22A.0627.000

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