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OGH vom 12.10.2022, 1Ob168/22w

OGH vom 12.10.2022, 1Ob168/22w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj L*, vertreten durch den Vater S*, vertreten durch die Stapf Neuhauser Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S* AG, *, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 7.700 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 65/22w-34, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom , GZ 2 C 1109/20d-26, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Am verletzte sich die damals 14jährige Klägerin beim Benützen einer QuattroReifenpendelSchaukel in einem von der Beklagten betriebenen Berg- und Naturerlebnispark. Bei diesem (in den Jahren 2007/2008 errichteten) Spielgerät sind kreuzweise auf Stahlseilen vier Gehänge montiert. Jedes dieser Gehänge besteht aus einer Stange mit Gewinde, welches in der kardanischen Aufhängung eingeschraubt und mit einem Splint gegen Verdrehen gesichert ist. Am unteren Ende der Stange befindet sich ein Reifen, der als Sitzfläche dient. Der Sicherungsstift bewirkt, dass sich das Gewinde nicht nach unten herausdrehen kann.

[2] Als die Klägerin die Schaukel nutzte, brach der bereits stark vorgeschädigte Sicherungsstift an beiden äußeren Seiten. Die Stange löste sich von der Befestigung, worauf die Klägerin mit dem Reifen zu Boden stürzte und von der Stange getroffen wurde.

[3] Mit der jährlichen Hauptinspektion der Spielgeräte beauftragte die Beklagte die T* GmbH, die diese seit dem Jahr 2014 durchführte.

[4] Die Klägerin begehrt – gestützt auf die Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten – von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von 7.700 EUR sA.

[5] Das wies das Klagebegehren ab.

[6] Das gab dem Klagebegehren mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt. Schon weil bei den von der T* GmbH durchgeführten Überprüfungen die Sicherungsstifte bislang nie kontrolliert worden seien, sei der Beklagten der Nachweis misslungen, dass sie am eingetretenen Schaden kein Verschulden treffe. Gerade bei zehn Jahre alten Spielgeräten, die sich auf einem öffentlich zugänglichen Spielplatz im Freien befinden würden und die ständig der Witterung ausgesetzt seien, sei es aufgrund der starken Beanspruchung erforderlich, Sicherungsstifte, die das Lösen von Schraubverbindungen verhindern sollten, in regelmäßigen Abständen – zumindest jährlich – auf eine mögliche Korrosion oder auf andere Anzeichen, die auf eine Verformung oder einen Bruch hindeuteten, zu kontrollieren, auch wenn die Herstellerangaben diesbezüglich keine Hinweise enthielten.

[7] Über Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich für zulässig, weil zur Frage, ob die T* GmbH als staatlich akkreditierte Prüfstelle als Erfüllungsgehilfin der Spielplatzbetreiberin tätig geworden sei, bisher – soweit ersichtlich – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[8] Die ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts . Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. Unstrittig ist zwischen den Parteien durch die Entrichtung des (in das gelöste Seilbahnticket der Klägerin inkludierten) Eintrittsgeldes für die Erlebniswelt der Beklagten ein Vertragsverhältnis entstanden.

[10] Die Beklagte stellt auch nicht in Abrede, dass sie gegenüber ihren Vertragspartnern die vertragliche Pflicht trifft, im Rahmen des Zumutbaren für die gefahrlose Benutzung der Spielgeräte zu sorgen (vgl RS0017049). Sie meint nur, ihr könne nicht angelastet werden, dass die Kontrolle der Sicherungsstifte unterlassen wurde.

[11] 2. Nach ständiger Rechtsprechung hängt der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Wesentlich ist, ob eine Gefahr für einen sorgfältigen Menschen war und welche Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr möglich und zumutbar sind (RS0023726; RS0023487; RS0110202 ua).

[12] An die Verkehrssicherheitspflicht auf Spielplätzen sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, was eine besondere Verantwortung für die Ausstattung und den Erhaltungszustand von Spielgeräten in sich schließt. Allerdings ist auch in diesem Bereich die Grenze des Zumutbaren zu beachten. Absolut sicher können nämlich Spielgeräte, die dem Bewegungsdrang und der Abenteuerlust von Kindern Raum geben, nie sein; die Errichtung und Erhaltung von Spielplätzen darf nicht an einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis und an einer Überspannung der Sorgfaltspflicht ihrer Betreiber scheitern. Es ist daher in jedem Einzelfall abzuwägen, ob ein Sorgfaltsverstoß vorliegt (5 Ob 540/94). Generelle Richtlinien für die Ausgestaltung von Spielplätzen und Spielgeräten, die über den Hinweis auf die allgemeine, wenngleich mit Rücksicht auf die Verkehrsbeteiligten erhöhte Verkehrssicherungspflicht hinausgehen, kann die Judikatur in der Regel nicht geben (RS0023902 [T5]).

[13] 3. Die Beklagte zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

[14] 3.1. Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (allenfalls durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (RS0026290). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) oder – wie hier – aus einem Vertrag ergibt; ebenso, dass die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen unzumutbar oder unmöglich gewesen sei (RS0022476).

[15] 3.2. Die Klägerin hat bewiesen, dass ein bereits stark vorgeschädigter Sicherungsstift in der Aufhängung der Schaukel wegen Überbeanspruchung brach und sie deswegen verletzt wurde. Sie hat weiters unter Beweis gestellt, dass vor dem Unfall weder durch die Beklagte selbst noch durch die T* GmbH jemals eine Kontrolle des Sicherungsstifts erfolgte, was vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung als „Wartungsfehler“ beschrieben wurde. Vom Vorliegen eines „Wartungsfehlers“ geht auch die Revisionswerberin aus. Die Beklagte meint allerdings, dieser begründe kein Verschulden auf ihrer oder auf Seite der T* GmbH.

[16] Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht bewiesen habe, dass sie am eingetretenen Schaden kein Verschulden treffe, ist auf Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen allerdings nicht zu beanstanden:

[17] Es steht zwar fest, dass die Herstellervorgaben der Schaukelanlage eine Überprüfung des Sicherungsstifts nicht vorsahen. Es steht aber auch fest, dass technisch das Zerlegen des Gewindes und das Herauslösen des Sicherungsstifts bei den jährlichen Kontrollen sinnvoll gewesen wäre. Darüber hinaus lässt sich die Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen schon an der Funktion und der Bedeutung des – wie das Berufungsgericht hervorgehoben hat – ausdrücklich als Sicherungsstift bezeichneten Splints für den Betrieb der Schaukel erkennen: Er soll das Herausdrehen des Gewindes und damit den Absturz der schaukelnden Personen verhindern, wird dabei aber durch die äußeren Verdrehkräfte permanent auf Scherung beansprucht. Auch die – aufgrund der Situierung des Spielgeräts im Freien offenkundige – Gefahr der Korrosion legt das Erfordernis wiederkehrender Überprüfungen bzw eines Austauschs des Sicherungsstifts nahe.

[18] 3.3. Der Vorwurf der Beklagten, die (rechtliche) Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, die Sicherungsstifte wären in regelmäßigen Abständen auf Korrosion oder andere Anzeichen, die auf eine Verformung oder einen Bruch hindeuten, zu kontrollieren, sei nicht durch die erstinstanzlichen Feststellungen gedeckt bzw aktenwidrig, trifft daher nicht zu. Ob die Kontrollen tatsächlich jährlich hätten stattfinden müssen oder auch längere Intervalle genügt hätten, kann dahin gestellt bleiben, weil fest steht, dass eine Kontrolle oder ein Austausch der Sicherungsstifte des 2019 schon mehr als zehn Jahre alten Spielgeräts jedenfalls seit 2014 gar nicht stattfand.

[19] 3.4. Die Beklagte kann sich auch nicht damit entlasten, dass sie die jährliche Inspektion der Spielgeräte der T* GmbH übertragen hat.

[20] Es begegnet keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht diese GmbH der Beklagten als Erfüllungsgehilfin zugerechnet hat. Die Beklagte erklärt auch nicht näher, warum sie nicht für die Unterlassungen der T* GmbH einzustehen hätte, derer sie sich nach den Feststellungen zur Kontrolle der Spielgeräte und damit zur Erfüllung ihrer vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Besuchern des Erlebnisparks bedient hat (RS0028435).

[21] Daran vermag auch die Akkreditierung der T* GmbH als Konformitätsbewertungsstelle im Sinn des Akkreditierungsgesetzes 2012 nichts zu ändern. Die Haftung des Schuldners nach § 1313a ABGB wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gehilfe aufgrund seiner Sachkenntnisse selbständig arbeitet und der Schuldner gar nicht in der Lage ist, nähere Anweisungen zu geben. Auf eine Weisungsbefugnis kommt es nicht an, sondern nur darauf, dass sich der Schuldner zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten eines Dritten bedient (RS0028447 [T7, T8]).

[22] 3.5. Von einer Verletzung des Neuerungsverbots durch die Klägerin, weil sie in der Berufung darauf hingewiesen hat, dass die Handlungen der T* GmbH der Beklagten zurechenbar seien, kann keine Rede sein. Wie gezeigt wurde, hätte die Beklagte zu beweisen gehabt, dass sie die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen – sei es selbst, sei es durch einen Erfüllungsgehilfen – getroffen hat, nachdem die Klägerin nachzuweisen vermochte, dass die Schädigerin objektiv ihre Pflicht nicht erfüllt hat.

[23] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Bei der mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ausgesprochenen Zurückweisung eines nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erhobenen Rekurses oder einer Revision gegen ein Teilurteil findet kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO statt (RS0123222). Diese Vorgangsweise ist auch bei einem Zwischenurteil, das über den Grund des Anspruchs abschließend entscheidet, berechtigt (RS0123222 [T10]). Mangels begründeter Ausführungen zur Unzulässigkeit der Revision ist die Revisionsbeantwortung der Klägerin nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geeignet und deshalb nicht zu honorieren (vgl RS0123222 [T11]).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00168.22W.1012.000

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