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OGH 20.09.2023, 1Ob102/23s

OGH 20.09.2023, 1Ob102/23s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. WesselyKristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, 2. Dr. M*, 3. D* und 4. St*, sämtliche vertreten durch die Heiss Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Parteien Dr. Ma*, vertreten durch die Dr. Ganner Lawfirm Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. H*, vertreten durch die CHG Czernich Haidlen Gast Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 853.409 EUR sA (Erstkläger), 79.778,25 EUR sA (Zweitklägerin), je 11.963,94 EUR sA (Drittklägerin und Viertkläger), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 18/22m76, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 43 Cg 16/21v62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision der erst- und zweitklagenden Partei wird Folge gegeben, der Revision der dritt- und viertklagenden Partei wird hingegen nicht Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung – einschließlich der bestätigten und der abgeänderten Teile – als Teilurteil lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden Partei binnen 14 Tagen 79.778,25 EUR samt 4 % Zinsen von bis aus 126.375,60 EUR, von bis aus 125.542,60 EUR, von bis aus 80.633,35 EUR und seit aus 79.778,25 EUR zu zahlen.

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der drittklagenden und der viertklagenden Partei binnen 14 Tagen jeweils 11.963,94 EUR samt 4 % Zinsen von bis aus 18.956,34 EUR, von bis aus 18.831,34 EUR, von bis aus 12.091,92 EUR und seit aus 11.963,60 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung des Teilurteils bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im vom Teilurteil nicht berührten Umfang – also in Ansehung eines Zahlungsbegehrens der erstklagenden Partei von 853.409 EUR sA – wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der im Jahr 1940 in Südtirol geborene N* (Verstorbener) wurde ab in seiner (im Inland gelegenen) Wohnung von einer Pflegerin gepflegt. Vom bis war er auf Rehabilitation, vom bis stationär im Krankenhaus. Er verstarb am ledig und kinderlos; seine Eltern und Großeltern waren vorverstorben.

[2] Das Verlassenschaftsgericht bestellte den auf Beklagtenseite beigetretenen Nebenintervenienten zum Gerichtskommissär. Am wurde die Pflegerin in dessen Kanzlei vorstellig und übergab an den Notarsubstituten die Schlüssel des Verstorbenen sowie ein verschlossenes Kuvert mit der Aufschrift „Verschlossen an Fr. S* am 25. März zur Verwahrung übergeben“. Das Kuvert wurde vom Notarsubstituten im Beisein der Pflegerin geöffnet. Es enthielt nachfolgendes, vom Verstorbenen handschriftlich erstelltes und unterfertigtes, Schreiben:

„I*,

Mein freier Wille

Ich N*, bestimme hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte

* S*

* [= Pflegerin]

zu meiner alleinig Begünstigten.

Diese Verfügung soll den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung erfüllen und nach dem Ermessen von Frau S* angewendet werden.

* N*

*

*

*

*“

[3] Mit Schreiben vom gab E*, ein Cousin zweiten Grades des Verstorbenen, dem Gerichtskommissär die Namen zweier Cousins und einer Cousine ersten Grades des Verstorbenen mit deren jeweiliger Adresse in Italien bekannt, und zwar den Erstkläger und dessen Bruder sowie die Zweitklägerin (deren Schwester). Diese drei Personen wurden in der Todesfallaufnahme und im Abhandlungsprotokoll auch als gesetzliche Erben angeführt. Nicht genannt war der vormalige Drittkläger (ein inzwischen ebenfalls verstorbener Neffe zweiten Grades des Erblassers), dessen Rechtsnachfolger die aktuelle Drittklägerin und der Viertkläger sind.

[4] Der Notarsubstitut interpretierte die handschriftlich verfasste Verfügung vom als letztwillige Anordnung des Verstorbenen und legte diese der Abhandlung zu Grunde. Er hielt am Rücksprache mit dem Gerichtskommissär, der die Einschätzung, dass es sich um ein formgültiges und unbedenkliches Testament handle, teilte.

[5] Die Kläger wurden vom Gerichtskommissär zur Abhandlung am nicht geladen. Die Pflegerin gab zum gesamten Nachlass eine unbedingte Erbantrittserklärung zu Protokoll, und erstattete eine Vermögenserklärung, nach der ein reiner Nachlass von 1.516.507,17 EUR ausgewiesen war.

[6] Der Gerichtskommissär beantragte sodann beim Verlassenschaftsgericht, die Verlassenschaft nach dem am Verstorbenen der Pflegerin als Erbin aufgrund des Testaments vom einzuantworten.

[7] Der Erstkläger sowie dessen Bruder und die Zweitklägerin erhielten am eine vom Gerichtskommissär übersandte Kopie des von ihm als formgültig und unbedenklich eingestuften „Testaments“ des Erblassers vom samt Übernahmeprotokoll vom . Der Notarsubstitut wartete die nachweisliche Zustellung an die gesetzlichen Erben nicht ab.

[8] Am suchte der Erstkläger den auf Klagsseite beigetretenen Nebenintervenienten, einen österreichischen Rechtsanwalt, auf und unterfertigte eine Vollmacht. Noch am ersuchte dieser den Notarsubstituten zunächst telefonisch und dann um 12:10 Uhr mit EMail (unter Anschluss einer Vollmachtskopie) um Übermittlung einer Abschrift des Verlassenschaftsakts. Das verwehrte ihm der Notarsubstitut am mit der Begründung, dass der Erstkläger keine Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren habe und der Akt noch am gleichen Tag dem Verlassenschaftsgericht überreicht werde. Daraufhin versuchte der Nebenintervenient auf Klagsseite am Abend des und am mehrfach erfolglos, den Verlassenschaftsrichter telefonisch zu erreichen, was ihm erst am gelang, als der Einantwortungsbeschluss bereits erlassen war.

[9] Am wurde der Verlassenschaftsakt vom Gerichtskommissär dem Verlassenschaftsgericht zur Einantwortung vorgelegt. Am erließ der zuständige Verlassenschaftsrichter den Einantwortungsbeschluss, der aufgrund des Rechtsmittelverzichts der eingeantworteten Alleinerbin (Pflegerin) sofort in Rechtskraft erwuchs.

[10] Die gesetzlichen Erben wurden weder durch den Gerichtskommissär noch durch den Verlassenschaftsrichter gemäß § 157 AußStrG belehrt oder verständigt.

[11] Gegen den Einantwortungsbeschluss erhoben der Erstkläger, dessen Bruder und die Zweitklägerin sowie der Cousin zweiten Grades des Verstorbenen, alle nunmehr vertreten durch den Nebenintervenienten auf Klagsseite, Rekurs. Das Landesgericht Innsbruck wies diesen Rekurs mit Beschluss vom mangels Rechtsmittellegitimation der Rekurswerber zurück. Dagegen wurde kein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben.

[12] Nach umfangreichen Nachforschungen zu den gesetzlichen Erben des Verstorbenen in Südtirol brachten der Erstkläger, dessen Bruder, die Zweitklägerin und der vormalige (mittlerweile verstorbene) Drittkläger am eine Erbschaftsklage gegen die Pflegerin sowie einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein. Die einstweilige Verfügung wurde in Ansehung eines Wertpapierdepots samt Verrechnungskonto erlassen, auf das die Pflegerin Vermögenswerte des Verstorbenen transferiert hatte. Der Erbschaftsklage wurde rechtskräftig stattgegeben und die Pflegerin zur Zahlung von insgesamt 1.516.507,17 EUR sA verurteilt, weil ihr der Nachweis eines Testierwillens des Erblassers in der Verfügung vom nicht gelang. Bis auf einen Betrag von 660.265,28 EUR, der aus einer Pfändung des Wertpapierdepots samt Verrechnungskonto realisiert werden konnte, erwiesen sich die Forderungen der gesetzlichen Erben gegen die Pflegerin als uneinbringlich.

[13] Der Bruder des Erstklägers trat diesem am die ihm gegenüber der Pflegerin rechtskräftig zugesprochene Forderung verbunden mit dem Recht ab, Schadenersatzansprüche, insbesondere auch gegenüber der Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung, hinsichtlich der bei der Pflegerin uneinbringlichen Beträge geltend zu machen. Der Erstkläger nahm diese Abtretung an.

[14] Der Höhe nach außer Streit stehen den Klägern in den bisherigen Verfahren entstandene Verfahrenskosten von 100.873,23 EUR.

[15] Die Kläger begehren aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von insgesamt 957.115,13 EUR sA. Das Vorgehen des Gerichtskommissärs, der auch für das Handeln seines Notarsubstituten verantwortlich sei, sei unvertretbar gewesen und führe zur Haftung der Beklagten. Die Vorschriften des § 157 AußStrG, bei denen es sich um ein Schutzgesetz handle, seien gröblich missachtet worden, indem der Gerichtskommissär die ihm bereits vor der Todesfallaufnahme bekanntgegebenen Gesetzeserben nicht gesetzmäßig aufgefordert und verständigt und ihnen sogar die Akteneinsicht und Parteistellung aberkannt habe. Somit sei den gesetzlichen Erben jede Möglichkeit genommen worden, eine Erbantrittserklärung abzugeben. Überdies hätte der Gerichtskommissär erkennen müssen, dass es sich bei der Verfügung vom nicht um ein Testament, sondern vielmehr um eine Verfügung unter Lebenden mit bestimmtem Widmungszweck gehandelt habe. Er habe die Verfügung ungeprüft und in rechtlicher Fehlinterpretation als Testament gewertet. Hätte er gesetzmäßig gehandelt, wäre der gesamte Reinnachlass nicht an die Pflegerin gegangen. Zudem hätte er erkennen müssen, dass es der Pflegerin bereits aus gesetzlichen Gründen aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 69 GewO in Verbindung mit der Verordnung über Standes- und Ausübungsregeln für Leistungen der Personenbetreuung verwehrt gewesen wäre, die Verlassenschaft anzunehmen. Der Pflegerin hätte der Nachlass nach dem Verstorbenen nicht eingeantwortet werden dürfen. Diese Vorwürfe seien auch dem Verlassenschaftsrichter zu machen.

[16] Wäre der Gerichtskommissär den gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen, so hätten die zu diesem Zeitpunkt bekannten Erben eine Erbantrittserklärung abgegeben. Nachdem auch die Pflegerin eine Erbantrittserklärung abgegeben habe, wären widerstreitende Erbantrittserklärungen vorgelegen, sodass der Gerichtskommissär verpflichtet gewesen wäre, den Akt dem Verlassenschaftsgericht zur Entscheidung nach §§ 161 ff AußStrG vorzulegen. Diesfalls wäre keine Einantwortung an die Pflegerin erfolgt und wäre insbesondere auch der vormalige Drittkläger als Erbschaftskläger aufgetreten. Nach § 158 Abs 1 AußStrG hätte der Gerichtskommissär über die bereits bekannten Gesetzeserben hinaus eine Frist einräumen müssen, innerhalb welcher die weiteren gesetzlichen Erben bekannt gegeben worden wären, dies entsprechend dem Verfahrensablauf in der vorliegenden Erbschaftsklage. Jedenfalls hätte das Verlassenschaftsgericht nach Vorliegen der Erbantrittserklärungen der vier bekannten Gesetzeserben keine Einantwortung vorgenommen, sondern das Verfahren auf Feststellung des Erbrechts eingeleitet.

[17] Unter anteiliger Berücksichtigung des nach Abzug der (außer Streit gestellten) Kosten von 100.873,23 EUR verbleibenden Realisats aus dem gepfändeten Wertpapierdepot von 539.126,77 EUR und weiterer Realisate von 10.000 EUR und 10.265,28 EUR stehe dem Erstkläger (ausgehend von der im Erbschaftsprozess zugesprochenen Forderung von 1.225.843,29 EUR zuzüglich der ihm von seinem Bruder abgetretenen Forderung von 126.375,60 EUR) ein Betrag von 853.409 EUR, der Zweitklägerin (ausgehend von 126.375,60 EUR) ein Betrag von 79.778,25 EUR und der Drittklägerin sowie dem Viertkläger (ausgehend von der dem vormaligen Drittkläger zugesprochenen Forderung von 37.912,68 EUR) ein Betrag von jeweils 11.963,94 EUR zu.

[18] Eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG oder der Schadensminderungspflicht liege nicht vor.

[19] Der Nebenintervenient auf Klagsseite verwies insbesondere darauf, dass den Klägern schon mangels Kenntnis, ob der Verstorbene über ein Vermögen oder nur über Verbindlichkeiten verfügt habe, die Abgabe einer unbedingten oder – mit der kostenpflichtigen Errichtung eines Inventars verbundenen – bedingten Erbserklärung noch am 15. oder nicht zumutbar gewesen sei.

[20] Die Beklagte und der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten bestritten. Die Amtshaftungsansprüche der Kläger würden schon mangels unvertretbaren Handelns des Gerichtskommissärs bzw dessen Substituten und des Verlassenschaftsrichters ausscheiden. Es sei insbesondere vertretbar gewesen, allein aufgrund des Wortlauts der Erklärung vom von deren Unbedenklichkeit auszugehen und daher nicht nach § 157 AußStrG die gesetzlichen Erben zu verständigen. Es sei auch durchaus lebensnah, dass eine letztwillige Verfügung errichtet werde, um künftige Pflegeleistungen sicherzustellen. Ein allfälliger Verstoß gegen § 69 GewO ziehe keine von Amts wegen aufzugreifende Erbunwürdigkeit nach sich. Weiters stehe den Amtshaftungsansprüchen die Verletzung der Rettungspflicht gemäß § 2 Abs 2 AHG bzw die Verletzung der Schadensminderungspflicht sowie ein Mitverschulden entgegen. Zur Wahrung der Rechte der von ihm im Verlassenschaftsverfahren Vertretenen hätte der Nebenintervenient auf Klagsseite noch am oder spätestens am Vormittag des eine Erbantrittserklärung für die von ihm vertretenen gesetzlichen Erben abgeben können und müssen, nachdem er habe erkennen müssen, dass die Erlassung des Einantwortungsbeschlusses kurz bevorstehe. Außerdem hätten die Kläger einen außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom erheben müssen, der jedenfalls abstrakt geeignet gewesen wäre, den Schaden abzuwenden.

[21] Der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten verwies insbesondere auch darauf, dass der vormalige Drittkläger im Verlassenschaftsverfahren nicht bekannt gewesen sei und daher jedenfalls nicht hätte verständigt werden müssen.

[22] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[23] Den Klägern sei nicht zumutbar gewesen, gegen die Entscheidung des Landesgerichts Innsbruck vom einen außerordentlichen Revisionsrekurs zu erheben, weil ein solcher aufgrund der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs offenbar aussichtslos gewesen wäre. Unter Heranziehung des festgestellten Sachverhalts – insbesondere der äußerst straffen Chronologie der Ereignisse – habe es den Klägern im Sinne der Rettungsobliegenheit bzw Schadensminderungspflicht auch nicht zugemutet werden können, zwischen Erhalt der Abschrift der Verfügung vom am und dem am gefassten Einantwortungsbeschluss ohne vorhergehende Einsichtnahme in den Verlassenschaftsakt eine – auch „nur“ bedingte – Erbantrittserklärung abzugeben. Die Kläger hätten daher weder gegen die Rettungsobliegenheit des § 2 Abs 2 AHG noch gegen die Schadensminderungspflicht des § 1304 ABGB verstoßen.

[24] Der Gerichtskommissär und der Verlassenschaftsrichter hätten allerdings in vertretbarer Weise davon ausgehen dürfen, dass die Verfügung vom ein formgültiges und unbedenkliches Testament gewesen sei. Damit sei das Vorgehen der handelnden Organe gesetzmäßig und jedenfalls vertretbar im Sinn des AHG gewesen.

[25] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und ließ die ordentliche Revision zu.

[26] Es schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an, wonach sowohl der Gerichtskommissär als auch das Verlassenschaftsgericht zum damaligen Zeitpunkt mit dem damaligen Wissensstand davon hätten ausgehen dürfen, dass es sich bei der Verfügung vom um ein unbedenkliches formgültiges Testament gehandelt habe, dies aufgrund der äußeren Aufmachung des Dokuments (verschlossenes Kuvert mit handschriftlicher Anmerkung), der Erfüllung der Formvorschriften (eigenhändige schriftliche Verfügung) sowie der verwendeten Formulierungen, die zwar nicht exakt einer Erbseinsetzung entsprechen würden, jedoch bei einer rechtsunkundigen Person als durchaus gebräuchlich zu werten seien („mein freier Wille“, „im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte“, „Verfügung“, „zu meiner alleinig Begünstigten“). Es treffe zwar zu, dass die Bezugnahme auf „den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung“ mit einem allfälligen Testierwillen nicht vereinbar sei, da eine solche Betreuung nur zu Lebzeiten hätte erfolgen können und das Vermögen von rund 1,5 Millionen EUR in keinem Verhältnis zur relativ kurzen Betreuungsdauer von 125 Tagen stehe. Der Gerichtskommissär und sein Substitut hätten die Wendung aber auf künftige Betreuungen anderer Personen als des Verstorbenen bezogen und als Art Auflage verstanden. Diese Auslegung sei vertretbar.

[27] Auch aus der Stellung der Begünstigten als Pflegerin sei für die Kläger nichts zu gewinnen. Die Verbote der Geschenkannahme durch Pflegepersonen in § 1 Abs 1 der Standes- und Ausübungsregeln für Leistungen der Personenbetreuung, BGBl II 2007/278 idF BGBl II 2015/396, und § 12 des Tiroler Heim- und Pflegeleistungsgesetzes, LGBl 2005/23, bezögen sich auf Zuwendungen unter Lebenden. Eine Ausweitung auf letztwillige Verfügungen sei nicht angezeigt. Auch aus der gesetzlichen Regelung des Pflegevermächtnisses (§§ 677 f ABGB) ergäbe sich keine offenkundige Bedenklichkeit der Verfügung, wobei der Gerichtskommissär, dessen Substitut und das Verlassenschaftsgericht von einem Testament ausgegangen seien, das keine Abgeltung von Pflegeleistungen, sondern eine Erbseinsetzung darstellen sollte.

[28] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil noch keine ausdrückliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob die zu § 75 AußStrG alt entwickelte Judikatur, welche Personen als vermutliche Erben anzusehen seien, auch auf § 157 Abs 1 AußStrG umzulegen sei.

Rechtliche Beurteilung

[29] Die – von der Beklagten und dem Nebenintervenienten auf Beklagtenseite beantwortete – Revision der Kläger ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist teilweise auch berechtigt.

1. Zur Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens

[30] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hob mit Beschluss vom das in dieser Rechtssache am ergangene (erste) Berufungsurteil wegen Befangenheit zweier Mitglieder des Berufungssenats als nichtig auf (1 Ob 144/22s), wies in der Folge die Revision und Revisionsbeantwortungen der Parteien zurück, hob die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander auf und stellte den Akt dem Oberlandesgericht Innsbruck zur neuerlichen Entscheidung zurück (1 Ob 5/23a).

[31] 1.2. Die Kläger rügen als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, und zwar als massive Verletzung des § 511 ZPO, dass dem nunmehr angefochtenen (zweiten) Berufungsurteil ganz offensichtlich keine eigenständige Entscheidungsfindung durch den neu zusammengesetzten Berufungssenat zugrunde liege, weil die Urteile vom und vom nicht nur eine idente Begründung aufweisen würden, sondern sogar wortgleich seien.

[32] 1.3. Die Aufhebung des ersten Berufungsurteils als nichtig erfolgte im Ablehnungsverfahren nach § 25 letzter Satz JN. Eine über die dort geltend gemachte Befangenheit zweier an der Entscheidung mitwirkender Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck hinausgehende Überprüfung des Berufungsurteils durch den Obersten Gerichtshof fand nicht statt. Eine Verletzung der Bindungswirkung des § 511 Abs 1 ZPO, weil der neu zusammengesetzte Berufungssenat eine inhaltlich dem aufgehobenen Berufungsurteil idente Entscheidung gefällt hat, liegt nicht vor.

2. Im Amtshaftungsprozess ist nicht zu prüfen, ob ein bestimmtes behördliches Verhalten richtig war, sondern nur, ob es auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruhte (RS0049955 [T2, T22]). Eine vertretbare Auffassung stellt auch kein leichtes Verschulden bzw Versehen dar (RS0050216; RS0049955 [T23]). Das Abweichen von einer klaren Rechtslage oder ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, ist allerdings in der Regel unvertretbar (RS0049969; RS0049912; RS0049955 [T14]; RS0049951 [T4]).

[34] Die Frage nach der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und bildet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn eine im Interesse der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt (RS0110837; RS0044088).

[35] 3. Das ist hier der Fall, weil den Organen der Beklagten entgegen der Ansicht der Vorinstanzen eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung von Vorschriften des Verlassenschaftsverfahrens zur Last zu legen ist.

3.1. ZuVer

[36] 3.1.1. § 75 AußStrG idF RGBl 1854/208, die bis zur Einführung des AußStrG 2003, BGBl I 2003/111, in Geltung stehende Vorgängerbestimmung des § 157 AußStrG, lautete:

„Außer den angeführten Fällen (§§ 72–74) hat das Gericht die vermuthlichen Erben auf die in den §§ 115 und 116 festgesetzten Weise von dem Erbanfalle mit der Aufforderung zu verständigen, die Erbserklärung beizubringen, damit die Erbverhandlung gepflogen werden könne.

Als vermuthliche Erben sind, je nachdem die gesetzliche, oder die testamentarische, oder die vertragsmäßige Erbfolge Statt hat, diejenigen anzusehen, welche zu der einen oder anderen berufen sind.“

[37] Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs waren bei der testamentarischen Erbfolge etwaige gesetzliche Erben des Verstorbenen nicht als vermutliche Erben im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten und daher auch nicht von Amts wegen der Abhandlung beizuziehen, solange ein „mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenes unbedenkliches Testament“ vorlag (so schon 2 Ob 210/34 SZ 16/58; 8 Ob 251/67 SZ 40/135; 5 Ob 243/70 SZ 43/179). Bei dieser Prüfung war entsprechend dem Zweck des § 75 AußStrG aF als Schutzbestimmung zugunsten der potentiellen Erben ein strenger Maßstab anzulegen. Bei Zweifeln, ob die letztwillige Verfügung in unbedenklicher Weise als Testament angesehen werden konnte, waren auch die gesetzlichen Erben vom Erbanfall mit der Aufforderung zu verständigen, die Erbserklärung beizubringen, damit die Erbverhandlung gepflogen werden könne (7 Ob 544/87 [7 Ob 545/87]; RS0007679; RS0007686).

[38] So erachtete der Oberste Gerichtshof etwa ein mündliches Testament als nicht unbedenklich, weil bei einem Zeugen zumindest Zweifel berechtigt waren, ob er das Bewusstsein hatte, Testamentszeuge zu sein (8 Ob 251/67 SZ 40/135). Zu 3 Ob 619/76 (NZ 1978, 174), 7 Ob 544/87 (7 Ob 545/87) und 9 Ob 88/04p sah der Oberste Gerichtshof es jeweils als zweifelhaft an, ob die letztwillige Verfügung des Erblassers als Testament oder Kodizill auszulegen war.

[39] 3.1.2. § 157 Abs 1 AußStrG lautet nunmehr:

„Der Gerichtskommissär hat die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen nachweislich aufzufordern, zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft antreten oder ob sie diese ausschlagen wollen. Die Aufforderung hat einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs 3 und – soweit diese Personen nicht von einem Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind – eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Abgabe der unbedingten und bedingten Erbantrittserklärung sowie über die Möglichkeit der Antragstellung nach § 184 Abs 3 zu enthalten.“

[40] In der Entscheidung 7 Ob 48/08x setzte der Oberste Gerichtshof, wenngleich ohne weitere Begründung, die gemäß § 157 Abs 1 AußStrG „nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen“ mit den „vermutlichen Erben“ im Sinn des § 75 AußStrG aF gleich.

[41] Demgegenüber wurde die Ansicht der Kläger, die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen im Sinn des § 157 Abs 1 AußStrG gingen über den Kreis der vermutlichen Erben hinaus, neben den Testamentserben wären auch aus der Todesfallaufnahme bekannten gesetzlichen Erben als potentielle Erben zu einer Erbantrittserklärung aufzufordern, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung so noch nicht vertreten (offenlassend etwa 2 Ob 21/22k [Rz 5]).

[42] Frage wurde vom Gerichtskommissär und dem Verlassenschaftsrichter schon aus diesem Grund jedenfalls gelöst (vgl zu den [zumindest scheinbar] divergierenden Meinungen in der Literatur: Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 157 Rz 1 Fn 2 [Stand , rdb.at]; Verweijen, Verlassenschaftsverfahren, Handbuch [2014] 125; siehe aber auch ders in Schneider/Verweijen, AußStrG § 157 Rz 3 unter Hinweis auf Schilchegger/Kieber, Verlassenschaftsverfahren² [2015] 103).

[43] 3.1.3. Allerdings hätten die Organe der Beklagten die aus dem Akt hervorgehenden gesetzlichen Erben zu einer Erbantrittserklärung auffordern müssen, weil unbedenkliche Testament des Verstorbenen vorlag:

[44] Grundlegende Voraussetzung für die Gültigkeit eines Testaments oder eines Vermächtnisses in einem Kodizill ist der Testierwille (animus testandi). Für eine letztwillige Verfügung ist nicht der Gebrauch bestimmter Ausdrücke erforderlich. Es muss nur klar hervorkommen, dass über das Schicksal des Vermögens oder einzelner Vermögenswerte nach dem Tod des Erklärenden verfügt werden soll (10 Ob 66/99z). Fehlt die Absicht, seinen letzten Willen zu erklären, liegt kein Testament vor (RS0012413 [T2]).

[45] In der handschriftlichen Verfügung vom werden zwar Ausdrücke und Formulierungen wie „mein freier Wille“, „im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte“ und „ich bestimme … S* … zu meiner alleinig Begünstigten“ verwendet, die den Eindruck eines Testaments erwecken. Jedoch lässt sich kein Begriff eindeutig nur mit einer letztwilligen Verfügung in Zusammenhang bringen (anders als zB „Erbe“, „letzter Wille“, „ich vermache“). Der Tod des Erklärenden wird mit keinem einzigen Wort für die Erfüllung der Verfügung vorausgesetzt. Dies fällt hier umso mehr ins Gewicht, als der Absatz, dass „diese Verfügung … den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung erfüllen und nach dem Ermessen von Frau S* angewendet werden“ soll, sich auf den ersten Blick nicht in ein Testament einfügt, weil eine Betreuung des Erklärenden nur zu dessen Lebzeiten erfolgen kann. Diese Bestimmung erfordert daher eine Auslegung und gegebenenfalls (Neu-)Einordnung der gesamten Erklärung. Dieser Passus könnte zwar allenfalls auch so verstanden werden, dass der Erklärende damit nach seinem Ableben die künftige Betreuung anderer Personen durch seine Pflegerin fördern wollte. Zumindest genauso gut möglich ist aber, dass er seiner Pflegerin bloß eine Vollmacht ausstellen wollte, um seine eigene Betreuung zu Hause sicherzustellen. Darauf deutet die Formulierung hin, dass die „Verfügung … nach dem Ermessen von Frau S* angewendet“ werden soll. Auch der Umstand, dass die Verfügung der Pflegerin in einem Kuvert „verschlossen … zur Verwahrung übergeben“ wurde, schließt eine Vollmacht nicht aus, weil eine Abrede zwischen dem Erklärenden und der Pflegerin denkbar ist, dass die Vollmacht zu verwahren und davon nur im Fall der Fälle Gebrauch zu machen sei. Insgesamt lässt die Erklärung daher konkrete Zweifel am Vorliegen eines Testierwillens des Verstorbenen und an einer Erbseinsetzung aufkommen, die aufgrund des Wortlauts und der Umstände der Übergabe weder in die eine noch in die andere Richtung ausgeräumt werden können.

[46] Damit mag die handschriftliche Verfügung zwar vertretbar als Testament gewertet werden können, es handelt sich dabei aber keinesfalls um ein unbedenkliches Testament, was den für die Beklagte handelnden Organen auch erkennbar war. Sie haben daher rechtswidrig und schuldhaft davon abgesehen, die damals bereits aktenkundigen gesetzlichen Erben nachweislich zur Abgabe einer Erbantrittserklärung oder zur Ausschlagung der Erbschaft gemäß § 157 Abs 1 AußStrG aufzufordern.

[47] 3.2. Im Übrigen haben die Organe der Beklagten durch die forcierte und sofortige Einantwortung der Pflegerin den vereitelt. Nach dieser Bestimmung sind den Parteien und jenen, die nach der Aktenlage aufgrund des Gesetzes zur Erbfolge berufen wären, unbeglaubigte Abschriften (ua) der vom Gerichtskommissär nach Abs 1 leg cit übernommenen Testamente zuzustellen. Die Materialien (ErlRV 224 BlgNR 22. GP 98 f) führen dazu aus, dass

„die Verständigung derjenigen, die nach dem Gesetz zur Erbfolge berufen wären ... der Verwirklichung eines effektiven rechtlichen Gehörs [dient], weil sie denjenigen, die bei Ungültigkeit der Erklärung als Erben in Frage kämen, im frühestmöglichen Verfahrensstadium substantielle Informationen an die Hand gibt. Sollten die als gesetzliche Erben in Frage Kommenden eine Bekämpfung der letztwilligen Verfügung erwägen, wären sie auf die Erbantrittserklärung und das Verfahren über das Erbrecht im Sinne der §§ 160 ff verwiesen“.

[2022] Die Übermittlung des Testaments dient daher dazu, den gesetzlichen Erben dessen Bekämpfung im Verfahren über das Erbrecht zu ermöglichen (so auch Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 152 Rz 7; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 152 Rz 6; Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren3 [2021] Rz 169). Dies wurde den aktenkundigen gesetzlichen Erben hier faktisch unmöglich gemacht, weil sie das Testament erst drei Tage vor der Einantwortung erhielten und daher nicht ausreichend Zeit hatten, durch Erbantrittserklärung ihre Rechte geltend zu machen.

[48] 3.3. Da schon darin ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Gerichtskommissärs und des Verlassenschaftsrichters zu erblicken ist, kommt es weder auf den von den Klägern erhobenen Vorwurf an, ihnen wäre schon vor Abgabe der Erbantrittserklärung Parteistellung und Rekurslegitimation zuzuerkennen gewesen, weil (zumindest) der Erstkläger bereits aktiv sein Interesse am Erbantritt bekundet habe, noch auf ihre Erwägungen, hier läge ein per se bedenkliches „Pflegetestament“ vor.

4. Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang

[49] 4.1. Auch für das Gebiet des Amtshaftungsrechts muss untersucht werden, welche Interessen die verletzte Norm schützen soll, damit beurteilt werden kann, ob das schadenstiftende Verhalten des Organs gegenüber dem Beschädigten als rechtswidrig anzusehen ist (RS0050038). Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RS0027553 [T24]). Es wird nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellen, derentwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt hat (RS0050038 [T4]).

[50] 4.2. § 157 Abs 1 AußStrG ist – wie sich bereits aus der Rechtsprechung zu § 75 AußStrG alt ergibt – eine Schutzbestimmung zugunsten der potentiellen Erben (RS0007679 [T1]). Geschützt sind nach dem Wortlaut der Bestimmung jedoch nur „die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen“. Auch die Materialien (ErlRV 224 BlgNR 22. GP 102) sprechen davon, dass „bei bekannten Erben ... der Gerichtskommissär gehalten [ist], die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Parteien zur Erbantrittserklärung mit Zustellnachweis aufzufordern“. Gegenüber unbekannten Erben bestehen daher keine Verpflichtungen nach § 157 Abs 1 AußStrG, sodass die damals noch nicht aktenkundigen gesetzlichen Erben durch die unterbliebene Aufforderung nicht unmittelbar geschädigt sind. Dasselbe gilt für die Bestimmung des § 152 Abs 2 AußStrG.

[51] 4.3. Dies führt dazu, dass nicht alle geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind:

[52] Nach dem Inhalt des Verlassenschaftsakts waren der Erstkläger und die Zweitklägerin sowie deren Bruder und schließlich der Cousin zweiten Grades des Verstorbenen bekannt, nicht aber der vormalige Drittkläger und die anderen gesetzlichen Erben, die nach dem Klagevorbringen ihre Ansprüche (schon vor Einbringung der Erbschaftsklage) schenkungsweise an den Erstkläger abgetreten haben.

[53] Der Schaden der letzteren wäre zwar nicht eingetreten, wenn die Organe der Beklagten die Verfahrensbestimmungen des § 157 Abs 1 AußStrG eingehalten und den Zweck des § 152 Abs 2 AußStrG ausreichend beachtet hätten, weil die bekannten gesetzlichen Erben nicht zuletzt über Aufforderung durch den Gerichtskommissär, aber auch dann, wenn ihnen mehr Zeit zur Verfügung gestanden wäre, (unbestritten) eine Erbantrittserklärung abgegeben hätten und sodann keine Einantwortung an die Pflegerin erfolgt wäre. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Reflexwirkung des pflichtgemäßen Handelns (vgl RS0031143 [T4, T12]). Der Schaden der nunmehrigen Drittklägerin und des Viertklägers steht daher nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang zum Verstoß gegen § 157 Abs 1 AußStrG bzw § 152 Abs 2 AußStrG. Gleiches gilt für die dem Erstkläger abgetretenen Ansprüche der anderen im außerstreitigen Verlassenschaftsverfahren noch unbekannten Gesetzeserben.

[54] 4.4. Eine Verletzung der Bestimmung des § 158 Abs 1 AußStrG (insbesondere Anhaltspunkte für die Existenz weiterer Erben, vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 158 Rz 3) haben die Kläger weder substantiiert dargetan, noch steht eine solche fest.

5. Die Ansprüche der Drittklägerin und des Viertklägers und zum Teil auch des Erstklägers lassen sich auch nicht auf ihr Vorbringen gründen, die Pflegerin des Verstorbenen hätte die Verlassenschaft nicht annehmen dürfen, woraus sich die (offenbar von den Organen des Verlassenschaftsverfahrens wahrzunehmende) Nichtigkeit der Verfügung vom ergebe:

[56] Das Berufungsgericht hat den Klägern entgegen gehalten, dass sich die von ihnen herangezogenen Bestimmungen des § 1 Abs 1 der Standes- und Ausübungsregeln für Leistungen der Personenbetreuung, BGBl II 2007/278, sowie § 12 des Tiroler Heim- und Pflegeleistungsgesetzes nur auf Zuwendungen unter Lebenden bezögen und letzteres Gesetz schon mangels Betreuung des Verstorbenen in einem Heim nicht zur Anwendung gelange.

[57] Mit dieser Argumentation (vgl 2 Ob 152/23d) setzt sich die Revision der Kläger aber nicht auseinander, sodass sie insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Der in diesem Zusammenhang begehrten Feststellungen (zur Kenntnis bzw Unkenntnis des Verlassenschaftsrichters/ Gerichtskommissärs/Notarsubstituten von diesen Bestimmungen und der Stellung der Begünstigten als Pflegerin) bedarf es daher nicht.

6. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass den Rechtsnachfolgern des vormaligen Drittklägers, nämlich der Drittklägerin und dem Viertkläger, kein Amtshaftungsanspruch zukommt. Da ihr Klagebegehren von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen wurde, ist dieser Teil der angefochtenen Entscheidung zu bestätigen. Unberechtigt ist auch die Forderung des Erstklägers insoweit, als darin ihm abgetretene Ansprüche der im Verlassenschaftsverfahren noch nicht bekannten Erben enthalten sind. In welchem Umfang das der Fall ist, wurde bislang nicht erörtert und festgestellt. Diesbezüglich erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. Darüber hinaus sind die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche aber berechtigt.

7. Die Beklagte kann den Klägern insoweit auch nicht mit Erfolg eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG und der Schadensminderungspflicht bzw ein Mitverschulden entgegenhalten:

[60] 7.1. Gemäß § 2 Abs 2 AHG besteht keine Amtshaftung, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel abwenden hätte können. Das Gesetz überlässt diesem zunächst die Wahrung seiner Interessen. Er hat sämtliche ihm zur Verfügung stehenden und eine Abwendung seines Schadens ermöglichenden Rechtsbehelfe auszuschöpfen (RS0026901). Das Unterlassen offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen lässt die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG allerdings nicht eintreten. Offenbar aussichtslos ist auch ein Rechtsmittel entgegen einer einhelligen, in der Lehre unwidersprochen gebliebenen, ständigen Judikatur (RS0109421; vgl RS0108815). Nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts (§ 1304 ABGB) setzt auch der Ausschluss des Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 2 AHG ein Verschulden oder besser eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern voraus (RS0027565). Bei Beurteilung der Frage nach dem „Verschulden“ bzw der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten kommt es einerseits auf die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten und andererseits auf die gesamten Begleitumstände seines Verhaltens an (RS0027565 [T5]).

[61] 7.2. Auch dem übergangenen Erben ist es nach der Rechtsprechung verwehrt, den Einantwortungsbeschluss mit Rekurs zu bekämpfen und darin geltend zu machen, das Erstgericht habe es verabsäumt, ihm die Gelegenheit zur rechtzeitigen Abgabe einer Erbantrittserklärung zu geben (RS0126598; RS0123316 [T2, T4]). Die gegenteilige Entscheidung 4 Ob 50/08v blieb vereinzelt und wurde in den Folgeentscheidungen ausdrücklich abgelehnt, weil – wie bereits 1 Ob 86/08s klargestellt hat – aus § 164 Satz 1 AußStrGunzweifelhaft“ folge,

„dass es der betreffenden Partei verwehrt ist, den Einantwortungsbeschluss mit Rekurs zu bekämpfen und darin etwa geltend zu machen, das Erstgericht habe es verabsäumt, ihr die Gelegenheit zur rechtzeitigen Abgabe einer Erbantrittserklärung zu geben. Dies ergibt sich auch klar aus den Gesetzesmaterialien (vgl nur ErläutRV, abgedruckt etwa bei Fucik/Kloiber, AußStrG 483 f), nach denen verhindert werden soll, dass eine Durchführung des Einant-wortungsbeschlusses ansonsten vor Ablauf der Rekursfrist nicht möglich wäre, weil der Ablauf der Frist auch für bisher nicht Beteiligte abgewartet werden müsste“.

[62] Die Beklagte verweist zwar richtig darauf, dass Bajons (in NZ 2005/18, 43) für eine Rechtsmittelmöglichkeit des übergangenen Erbprätendenten (unter Nachtrag einer Erbantrittserklärung) eintritt, weil insofern eine Rechtsschutzlücke vorliege. Höllwerth (in Gitschthaler/ Höllwerth, AußStrG² § 164 Rz 17) führte dazu aber schon aus, dass die Materialien genau aufgrund der von Bajons selbst zitierten Belegstellen nahelegen würden, dass der Gesetzgeber diese Situation erkannt und zugunsten der Möglichkeit einer raschen Durchführung des Einantwortungsbeschlusses bewusst in Kauf genommen habe. Im Übrigen könne von einer gefestigten Judikatur ausgegangen werden (Höllwerth aaO Rz 14). Diese hat, wenn auch nicht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Bajons, die von ihr vorgeschlagene sinngemäße Anwendung des § 164 Satz 2 AußStrG im Ergebnis eindeutig abgelehnt (vgl 1 Ob 86/08s).

[63] Vor diesem Hintergrund wäre ein außerordentlicher Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aussichtslos gewesen (RS0052920 [T2]), sodass dessen Einbringung den Klägern – wie bereits das Erstgericht ausgeführt hat – nicht zumutbar war.

[64] 7.3. Unter Rechtsmitteln im Sinn des § 2 Abs 2 AHG sind nur prozessuale Rechtsbehelfe, wenn auch im weiteren Sinn zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise zu beseitigen (RS0050080; RS0110188).

[65] Ob die Abgabe einer Erbantrittserklärung als solcher Rechtsbehelf zu sehen sein könnte oder ob aus deren Unterlassen nur ein Mitverschulden der Kläger eingewandt werden könnte (vgl RS0050199; RS0050080 [T7]), kann dahin stehen. Eine Erbantrittserklärung der Gesetzeserben hätte zwar die Einantwortung an die Pflegerin am verhindert. Keinem der Kläger kann aber die Nichtabgabe einer Erbantrittserklärung in der Zeit zwischen Erhalt der handschriftlichen Verfügung des Verstorbenen am und dem zum Vorwurf gemacht werden. Nicht zuletzt in Anbetracht der in § 157 Abs 2 AußStrG statuierten Mindestfrist von vier Wochen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung war den (im Ausland lebenden) Klägern nicht zuzumuten, innerhalb von nicht einmal drei Tagen die Verfügung (anwaltlich) überprüfen zu lassen und die weiteren Schritte einzuleiten, ohne vorher Einsicht in den Verlassenschaftsakt nehmen zu können. Dem in diesem Zeitraum (im Übrigen als einzigen) bereits anwaltlich vertretenen Erstkläger hat der Notarsubstitut, wie festgestellt, diese Einsicht sogar verweigert, sodass keine Rede davon sein kann, der Nebenintervenient auf Klagsseite hätte schon damals über alle erforderlichen Informationen verfügt.

[66] 7.4. Auf den Einwand, die Kläger seien zwischen dem Einantwortungsbeschluss am und der Einbringung der Erbschaftsklage am schuldhaft untätig geblieben, den bereits das Erstgericht unter Hinweis auf die in dieser Zeit getätigten umfangreichen Nachforschungen zu den übrigen Gesetzeserben verworfen hat, kommt die Beklagtenseite in dritter Instanz nicht zurück.

8. Diese Erwägungen führen zu folgendem Ergebnis:

[67] 8.1. Der Zweitklägerin steht ein Schadenersatzanspruch von 79.778,25 EUR sA zu, dessen Berechnung nicht substantiiert bestritten wurde und der aus diesem Grund spruchreif ist. Die Forderung des Erstklägers erweist sich als berechtigt, soweit er sie auf seine eigene gesetzliche Erbquote sowie auf die ihm von seinem Bruder und (allenfalls) vom Cousin zweiten Grades des Verstorbenen, die auch beide bereits im Verlassenschaftsverfahren bekannt waren, abgetretenen Ansprüche stützen kann. Inwieweit das der Fall ist, muss im fortgesetzten Verfahren – wie bereits dargelegt – noch geklärt werden, weshalb die Entscheidung der Vorinstanzen im Umfang der vom Erstkläger geltend gemachten Forderung zur Gänze aufzuheben ist. Schäden der im Verlassenschaftsverfahren noch unbekannten gesetzlichen Erben sind nicht vom Schutzzweck der §§ 152, 157 AußStrG erfasst, sodass dieser Teil des Begehrens des Erstklägers letztlich abzuweisen sein wird.

[68] 8.2. Die Forderungen der Drittklägerin und des Viertklägers von jeweils 11.963,94 EUR sA sind aus dem letztgenannten Grund zur Gänze unberechtigt und daher schon jetzt abzuweisen.

9. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Ist ein im Verlassenschaftsverfahren aktenkundiges Testament nicht unbedenklich, sind auch die gesetzlichen Erben nach § 157 Abs 1 AußStrG zur Abgabe einer Erbantritts-erklärung aufzufordern.

Die Verpflichtung zur Übermittlung der unbeglaubigten Abschrift einer aktenkundigen letztwilligen Anordnung an die gesetzlichen Erben (§ 152 Abs 2 AußStrG) und die Verpflichtung, die nach der Aktenlage als Erben in Betracht kommenden Personen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern (§ 157 AußStrG), dienen der Wahrung des rechtlichen Gehörs möglicher Erben im Verlassenschafts-verfahren und damit der Verhinderung einer materiell falschen Einantwortung. Schäden aufgrund einer solchen Einantwortung stehen daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Verletzung dieser Pflichten.

[70] 10. Die Kostenentscheidung des Teilurteils beruht auf § 52 Abs 4 ZPO, der Kostenvorbehalt im Aufhebungsbeschluss auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00102.23S.0920.001

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