OGH vom 18.01.2023, 15Os88/22p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 71 Hv 3/22p118, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, (A./), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (B./), der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und Abs 4 erster und zweiter Fall StGB idF BGBl I 2017/117 (C./) und der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz zweiter Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG (D./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, bestehend aus ihm selbst sowie * D* („Cirkovic“, JID: 3c7923), * Pe* („Asterix“, JID: stoneegg), * S* („Wiena“, JID: rhymetown), * Sa* (JID: damageforgot), * Sav* („Ongbak“, JID: funnynative) und weiteren Personen, darauf ausgerichtet war, dass von ihren Mitgliedern fortgesetzt Verbrechen nach dem SMG begangen werden,
A./ zur vorschriftswidrigen Aus- und Einfuhr von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge nach Österreich beigetragen, indem er gemeinsam mit Mittätern die Einfuhr von 10 kg Heroin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 44 % Heroin, 2,82 % Acetylcodein und 0,7 % Monoacetylmorphin nach Österreich organisierte, woraufhin ein unbekannt gebliebener Suchtgiftkurier am das Heroin nach Österreich transportierte und im Auftrag des * D* an * S* übergab, der das Suchtgift sodann in eine der Bunkerwohnungen der kriminellen Vereinigung in *, verbrachte;
B./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen verschafft, indem er von 16. bis im Auftrag des * D* 3 kg Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 9,67 % Heroin, 0,6 % Acetylcodein und 0,5 % Monoacetylmorphin und 700 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 54,8 % Cocain aus der Bunkerwohnung in *, entnahm und in die Bunkerwohnung des * Pe* und des * Sa* in *, transportierte;
C./ als Mitglied der beschriebenen kriminellen Vereinigung, die sich auch zur fortgesetzten Geldwäscherei verbunden hatte, wissentlich Vermögensbestandteile in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtwert, die aus mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlungen, nämlich aus Vergehen und Verbrechen nach dem SMG, stammten, an sich gebracht, verwahrt, verwaltet und Dritten übertragen, indem er im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung in wiederholten Angriffen für * D* („Cirkovic“, JID: 3c7923) in arbeitsteiliger Vorgehensweise das Einsammeln der Erlöse aus den Suchtgiftverkäufen bei den sogenannten Läufern sowie die Abrechnungen organisierte, die Erlöse von den Suchtgiftverkäufern einsammelte und übernahm und zumindest zum Teil an andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung weiterleitete, und zwar
1./ am insgesamt 34.600 Euro,
2./ am insgesamt 64.480 Euro,
3./ am zumindest 76.830 Euro,
4./ am 85.200 Euro und 12.450 Euro,
5./ am 9.000 Euro sowie weitere
44.940 Euro,
6./ am insgesamt 24.790 Euro,
7./ am insgesamt 29.630 Euro,
8./ am 33.450 Euro,
9./ am 20.600 Euro.
D./ am vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 10.000 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 54,8 % Cocain, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * R* als Mittäter (§ 12 StGB) mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, indem er das Suchtgift übernahm.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, „9“ und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in teilweiser Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.
[4] Der Verfahrensrüge (Z 3) zuwider begründet die Verlesung der „ANOM Chat-Auswertungen“ (Hv-Protokoll ON 114 S 29 und ON 117 S 2 f) keine Nichtigkeit nach Z 3 iVm § 140 Abs 1 StPO. Das Schöffengericht hielt nämlich fest, dass die Ermittlungen mittels abhörsicherer, verschlüsselter „ANOM-Handys“ des FBI ohne Zutun und ohne Veranlassung österreichischer Strafverfolgungsbehörden in die Wege geleitet worden waren (US 6 f; Hv-Protokoll ON 97 S 7). Demgegenüber behauptet der Angeklagte, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden in die Operation „Trojan Shield“des FBI „tatsächlich involviert“ gewesen wären.
[5] Über die Sachverhaltsgrundlage einer prozessualen Verfügung entscheidet das dafür zuständige richterliche Organ in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO). Der Oberste Gerichtshof überprüft diesen der kritisierten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nur bei einer darauf bezogenen Anfechtung nach Art einer Mängel- oder Tatsachenrüge (Z 3 iVm Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 49 f; RIS-Justiz RS0118977, RS0118016). Diesen Anfechtungsrahmen verfehlt die Beschwerdeschrift mit den Hinweisen auf
eine Urteilspassage (US 7), wonach es durch das vom FBI vorgenommene Auslesen der (ua vom Angeklagten) mittels ANOM-Mobiltelefonen durchgeführten Kommunikation gelang, „die kriminelle Vereinigung im Zuge der weltweit durchgeführten Operation 'Trojan Shield' (in Österreich 'Operation Achilles') auszuforschen und die Identitäten der Mitglieder weitgehend zu klären“ und den weiteren tatrichterlichen Ausspruch, dass das Bundeskriminalamt „zig Chatnachrichten“ ausgewertet habe (US 13),
einen auf der Website des BMI veröffentlichten – erst mit der Beschwerde vorgelegten – Artikel mit dem Titel „Kriminalitätsbekämpfung“ und dem Untertitel „800 Festnahmen weltweit“,
ein Detail aus der Zeugenaussage der Polizeibeamtin * F*, wonach das FBI das Bundeskriminalamt „eingebunden“ habe, wobei sie aber den Zeitpunkt dieser Einbindung nicht mehr wisse (Hv-Protokoll ON 114 S 25), sowie
den Umstand, dass „auf sämtlichen Aktenbestandteilen“ (so etwa auf ON 29, 30, 55 und 82) der Titel der Operation, nämlich „Achilles“ in irgendeiner Form zu finden sei.
[6] Demnach handelt es sich bei den Gesprächsauswertungen nicht um Ergebnisse einer nach dem 5. Abschnitt des 8. Hauptstücks der StPO angeordneten Ermittlungsmaßnahme. Eine innerstaatlich als Überwachung von Nachrichten nach § 134 Z 3 StPO zu beurteilende Vorgangsweise ausländischer Behörden unterliegt keinem Beweisverwendungsverbot nach § 140 Abs 1 StPO, weil sich die inländischen Verfahrensgesetze nicht auf – wie hier – ohne Veranlassung durch österreichische Strafverfolgungsbehörden entfaltete Tätigkeiten ausländischer Behörden beziehen und sich die StPO daher nur an österreichische – und nicht auch an ausländische – Strafverfolgungsorgane als Normadressaten wendet (vgl RIS-Justiz RS0119110; zuletzt – in der aktuellen Strafsache gegen den Angeklagten – 15 Os 11/22i).
[7] Das Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 3), wonach für eine Überwachung von Nachrichten (§ 134 Z 3 StPO) „weder die materiellen noch die formellen Voraussetzungen“ (vgl § 135 und §§ 137 ff StPO) vorgelegen wären, geht daran vorbei, dass die Ermittlungen des FBI – wie dargestellt – ohne Zutun und ohne Veranlassung österreichischer Strafverfolgungsbehörden in die Wege geleitet wurden und sich die StPO nicht an ausländische Strafverfolgungsorgane als Normadressaten wendet, weshalb der darauf aufbauenden Argumentation der Boden entzogen ist.
[8] Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung am – nach dem darüber aufgenommenen, ungerügten Protokoll – „die im Akt befindlichen ANOM Chat-Auswertungen weder vorzuhalten noch zu verlesen oder sonst zu verwenden, zumal diese Beweismittel bei sonstiger Nichtigkeit nicht verwertet werden dürfen, da diese rechtswidrig erlangt wurden und daher unter anderem auch gegen § 140 StPO verstoßen“ (ON 97 S 3).
[9] Die gegen die Abweisung (ON 97 S 7) dieses Antrags gerichtete Verfahrensrüge (Z 4) ist nicht im Recht: Auch Anträge, die – wie hier – keine Beweisanträge sind, müssen inhaltlichen Erfordernissen entsprechen, die ihre Beurteilung ermöglichen, also eine Begründung – wie sie § 55 Abs 1 StPO für Beweisanträge vorschreibt – enthalten (RIS-Justiz RS0130796 [T3]). Die Gründe sind vollständig, deutlich und bestimmt zu bezeichnen; dem Schöffengericht soll die Berechtigung des Antrags nachgewiesen und ihm damit die für ein den Verfahrensgrundsätzen entsprechendes Zwischenerkenntnis erforderliche (Gegen-)Position aufgezeigt werden. Darzulegen ist, welche Verfügung zu welchem Zweck begehrt wird, warum die begehrte Verfügung zum angestrebten Zweck tauglich ist und warum der angestrebte Zweck mit einer (Fall-)Norm in Verbindung steht, die ihrerseits aus dem rechtlichen Zweck des Anklage und Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens zur Feststellung der entscheidenden Tatsachen auf die konkrete Verfahrenssituation hin gebildet wurde (Danek/Mann, WK-StPO § 238 Rz 7/1; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 333 f).
[10] Dem wird der in Rede stehende Antrag nicht gerecht, behauptete er doch bloß – ohne nähere Begründung – die rechtswidrige Erlangung der (nicht näher bezeichneten) „ANOM Chat-Auswertungen“ und daran anknüpfend – sinngemäß durch Erwähnung des § 140 Abs 1 StPO – ein Beweiserhebungsverbot (im Sinn eines Vorkommensverbots für die Hauptverhandlung; vgl Kirchbacher/Sadoghi, WK-StPO § 246 Rz 50 f).
[11] Bleibt anzumerken, dass bereits bei der Antragstellung der Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift hätte aufgezeigt werden müssen, der den mit ausdrücklicher Nichtigkeit bedrohten nach § 281 Abs 1 Z 2 und 3 StPO wenigstens annähernd gleichwertig ist (zum aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO eröffneten Anfechtungskalkül s Ratz, WK-StPO § 281 Rz 336 ff).
[12] Die erst in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Fundierung des Antrags umfänglich nachgetragenen Argumente sind zufolge des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich; der Oberste Gerichtshof prüft die Frage, ob durch die Abweisung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt wurden, nur auf Grundlage des Antragsvorbringens (RIS-Justiz RS0099117, RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).
[13] Die Feststellungen zur objektiven Tatseite zu D./ stützte das Schöffengericht auf die Auswertung von mittels ANOM-Mobiltelefon geführten Chat-Nachrichten, aus denen sich ergab, dass der Angeklagte als führendes Mitglied unter * D* tätig war und das beim Angeklagten sichergestellte ANOM-Mobiltelefon mit der JID „Marquez“ durchgehend von diesem verwendet worden war (US 13 f), sowie insbesondere auf die zwischen dem Angeklagten und * R* ausgetauschten Chat-Nachrichten (ON 91, darin ON 82 S 28) und den Abschlussbericht des Bundeskriminalamts vom (ON 82 S 3 in ON 91; US 17).
[14] Der dagegen erhobenen Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist diese Ableitung unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Dass die im Urteil angeführten Gründe den Angeklagten nicht überzeugen oder aus den Verfahrensergebnissen auch andere, für ihn günstigere Schlüsse als jene des Erstgerichts möglich gewesen wären, stellt keine Nichtigkeit her (RIS-Justiz RS0118317 [T9], RS0099455).
[15] Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur geht die gegen Schuldspruch A./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) fehl. Die Tatrichter trafen – worauf auch der Rechtsmittelwerber hinweist – zur Beitragshandlung des Angeklagten auf US 8 folgende Feststellung: „Der Angeklagte organisierte im März 2021 mit weiteren Mittätern eine Lieferung von 10 kg Heroin aus dem Ausland (vermutlich aus Serbien) nach Österreich“. Die Beschwerde hebt die Begründungspassage im Urteil hervor, wonach die „Mitorganisationstätigkeiten“ des Angeklagten nicht näher feststellbar gewesen wären (US 18) und führt aus, allein das Wissen um die Einfuhr von Suchtgift begründe die Strafbarkeit nicht. Dabei lässt sie aber die – wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung disloziert getroffenen – Feststellungen zu der zwischen dem Angeklagten und einem weiteren Mitglied der kriminellen Vereinigung stattgefundenen Kommunikation während des Transports des Suchtgifts nach Österreich außer Acht (US 18; vgl jedoch RIS-Justiz RS0099810).
[16] Ein mit Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO bedrohter Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) liegt vor, wenn Tatsachen, die schon die Strafdrohung bestimmen, womit nur subsumtionsrelevante Umstände gemeint sind, als erschwerend herangezogen werden (RIS-Justiz RS0130193). Mit dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11), das Schöffengericht habe generalpräventive Erwägungen in besonders hohem Maß einfließen lassen, obwohl für den Gesetzgeber bei der SMG-Novelle 2007 Gründe der Generalprävention für die Festsetzung der Strafdrohungen maßgeblich waren, wird ein solcher Verstoß nicht aufgezeigt (vgl zur Mitberücksichtigung der Generalprävention bei der Strafbemessung Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 32 StGB Rz 7).
[17] Mit dem Hinweis, das Erstgericht hätte die Unbescholtenheit des Angeklagten nicht ausreichend berücksichtigt, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.
[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00088.22P.0118.000 |
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