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OGH vom 05.07.2023, 15Os73/23h

OGH vom 05.07.2023, 15Os73/23h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers OKontr. Bodinger in der Strafsache gegen * B* und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 31 HR 394/20m des Landesgerichts Wels, über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom , AZ 7 Bs 73/23v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

* B* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Das Landesgericht Wels verhängte mit Beschluss vom über * B* die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO (ON 117).

[2] Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Linz der Beschwerde des Beschuldigten B* gegen den erstgerichtlichen Beschluss nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus demselben Haftgrund an (AZ 7 Bs 73/23v).

[3] Dabei nahm das Beschwerdegericht den dringenden Verdacht an (BS 2), B* „habe in W* und an anderen Orten des Bundesgebietes

1./ seit zumindest Anfang 2009 bis laufend vorschriftswidrig Suchtgift

1./1./ gemeinsam mit anderen Mitgliedern einer albanisch-stämmigen Tätergruppierung in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) jedenfalls übersteigenden Menge ein- und ausgeführt, indem er wiederholt unbekannte Mengen Kokain aus Deutschland und dem Kosovo bzw aus Albanien eingeführt habe bzw einführen habe lassen, wobei das Suchtgift versteckt in PKWs und Reisebussen nach Österreich geschmuggelt worden sei;

1./2./ in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er zumindest zwei Kilogramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinsubstanzgehalt von 44,8 % Cocain an diverse Abnehmer weitergegeben habe;

2./ seit einem unbekannten Zeitpunkt bis zum in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, und zwar zirka 200 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von 44,8 % Cocain;

3./ gemeinsam mit * R* die Zwangslage eines anderen, nämlich des * L*, dadurch ausgebeutet, dass er sich oder einen Dritten für eine Leistung, nämlich nachstehender Darlehen, einen dazu im auffallenden Missverhältnis stehenden Vermögensvorteil versprechen bzw gewähren habe lassen, indem er dem * L*

3./1./ im Jahr 2017 einen 'Wucherkredit' von 60.000 Euro mit einer jährlichen Zinsrate von 24.000 Euro gewährt habe, wobei dieser 'Wucherkredit' bis etwa Mitte 2019 im Gesamtbetrag von rund 84.000 Euro zurückbezahlt worden sei, und

3./2./ im Jänner 2023 einen weiteren 'Wucherkredit' von 30.000 Euro, mit einer monatlichen Zinsrate von 2.400 Euro gewährt habe, wobei bis zur Fälligkeit der Rückzahlung des 'Wucherkreditbetrags' nach April 2023 die Zinsen monatlich zu begleichen gewesen seien“.

[4] Zur subjektiven Tatseite führte das Oberlandesgericht aus (BS 10): „Bei realitätsbezogener Betrachtung ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer um das Verbot des Umgangs mit Suchtmitteln und des Geldwuchers ... wusste. Der jeweilige deliktsspezifische Vorsatz ist schon aufgrund des objektiven Tatgeschehens indiziert. Aus der Durchführung von Kokainschmuggelfahrten sowie dem Überlassen von Suchtgift an andere Personen über einen Zeitraum von über zehn Jahren sind der Additionsvorsatz als auch der (zumindest) bedingte Vorsatz, sowohl beim Schmuggel als auch beim Überlassen von Suchtgift jeweils die genannten Mengen zu überschreiten, mit der notwendigen qualifizierten Wahrscheinlichkeit abzuleiten.“

[5] Diese Taten qualifizierte das Beschwerdegericht als das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG (1./1./), das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./2./), das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (2./) sowie das Vergehen des Geldwuchers nach § 154 Abs 1 StGB (3./).

Rechtliche Beurteilung

[6] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des B*.

[7] Im Ergebnis zu Recht wendet sie betreffend 1./1./ das Fehlen einer Sachverhaltsbasis zur Begehung in Bezug auf Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge ein.

[8] Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es nämlich selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen – in objektiver wie in subjektiver Hinsicht – eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird (RIS-Justiz RS0120817 [T7]).

[9] Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, indem sie sich zu 1./1./ auf die Annahme beschränkt, der Beschwerdeführer habe vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Kokain, „in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) jedenfalls übersteigenden Menge ein- und ausgeführt“ (BS 2, 8), ohne das Nettogewicht samt jeweiligem Reinheitsgehalt zu nennen. Damit kann schon in Bezug auf die objektive Tatseite nicht beurteilt werden, ob sich der dringende Tatverdacht auf eine Überschreitung der Grenzmenge (§ 28b SMG iVm der Suchtgift-Grenzmengenverordnung) bezieht (RIS-Justiz RS0111350; Schwaighofer in WK2 SMG § 28b Rz 9 ff).

[10] Dennoch wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Der dringende Tatverdacht zu 1./2./ ist nämlich hafttragend (vgl RIS-Justiz RS0061132) und wird von der Grundrechtsbeschwerde erfolglos bekämpft.

[11] Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsgrundlagen der Haftentscheidung in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden; eine am Gesetz orientierte Beschwerde hat somit einen Darstellungs- oder Begründungsmangel aufzuzeigen oder anhand deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (RIS-Justiz RS0110146, RS0114488). Dabei hat sie sich an der Gesamtheit der Erwägungen des Beschwerdegerichts zu orientieren (vgl RIS-Justiz RS0119370).

[12] Dem entspricht die Beschwerde nicht, indem sie ausführt, aus den Angaben der Belastungszeugin * P* und aus dem „weiteren Akteninhalt“ ließe sich nicht auf die Weitergabe der vom Oberlandesgericht angenommenen Reinsubstanzmenge durch den Beschuldigten schließen. Sie lässt nämlich die Erwägungen im bekämpften Beschluss betreffend die Ergebnisse von Observationen und der Telefonüberwachung, Ermittlungsergebnisse aus Deutschland und die Angaben einer Vertrauensperson (BS 4 ff) unberücksichtigt. Den – aufgrund von Berichten der Vertrauensperson vom Beschwerdegericht verifizierten – Umstand, dass der Beschuldigte im Verfahren AZ 25 Hv 52/21w des Landesgerichts Wels nach Durchführung einer Berufungsverhandlung am vom Oberlandesgericht Linz von einer Anklage (letztlich rechtskräftig) freigesprochen wurde (BS 6 f), führte dieses bloß illustrativ (nämlich zur Fundierung der Richtigkeit der Angaben der Vertrauensperson) und nicht als notwendige Bedingung für die (vorläufige) Feststellung einer entscheidenden Tatsache an. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen geht daher ins Leere (RIS-Justiz RS0116737).

[13] Der Beschuldigte wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00073.23H.0705.000

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