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OGH vom 18.01.2023, 15Os121/22s

OGH vom 18.01.2023, 15Os121/22s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * W* wegen Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB, AZ 49 Bl 34/22i des Landesgerichts Salzburg (AZ 6 St 77/22b der Staatsanwaltschaft Salzburg), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , AZ 49 Bl 34/22i, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner und des Verteidigers Dr. Metzler zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , AZ 49 Bl 34/22i, verletzt § 196 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 195 Abs 1 Z 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird der Antrag des * W* auf Fortführung des Verfahrens gegen * We* und * S*, AZ 6 St 77/22b der Staatsanwaltschaft Salzburg, abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Salzburg führte zu AZ 6 St 77/22b ein Ermittlungsverfahren gegen * W*, * We* sowie * S* wegen des Verdachts mehrerer im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung am in M* begangener strafbarer Handlungen.

[2] Nach dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion B* (ON 2) wurde gegen den Taxilenker * W* der Vorwurf erhoben, er hätte seine Fahrgäste * We* und * S* nach einer verbalen Auseinandersetzung über den verrechneten Fahrpreis zu Boden gerungen und am Boden fixiert und dabei We* einen Außenbandriss am rechten Sprunggelenk und S* eine Kreuzbeinfraktur zugefügt. Er selbst beschuldigte wiederum We* und S*, auf ihn eingeschlagen und ihn bedroht zu haben. Außerdem wäre ihm seine Halskette heruntergerissen worden.

[3] Mit Strafantrag vom (ON 3) legte die Staatsanwaltschaft * W* zwei Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB zur Last.

[4] Das Ermittlungsverfahren gegen * We* und * S* stellte sie gemäß § 190 Z 2 StPO ein (ON 1.2 S 1) und begründete dies – auf Verlangen des W* (§ 194 Abs 2 zweiter Satz StPO) – damit, dass dieser – entgegen seiner Aussage im Rahmen der Vernehmung als Beschuldigter [ON 2.9] – bei Erkundigungen unmittelbar nach dem Vorfall bloß angegeben hätte, We* und S* wären provokant gewesen und er hätte sie gepackt und zu Boden gebracht, sei selbst aber nicht verletzt worden [ON 2.20, 2]. We* und S* hätten bestritten, gewalttätig geworden zu sein. * R*, ein Freund der Genannten, hätte als Zeuge zwar Provokationen derselben zugestanden, eine körperliche Attacke jedoch nicht erwähnt [ON 2.20, 2, ON 2.12]. Da die Angaben der Beschuldigten We* und S* – auch mit Blick auf deren objektivierte Verletzungen – glaubwürdiger wären als jene des W*, und dessen Kette jedenfalls nicht vorsätzlich beschädigt worden sei, wäre die Begehung einer Straftat durch jene nicht nachzuweisen (ON 7).

[5] Mit Antrag vom (ON 6) begehrte W* die Fortführung des Ermittlungsverfahrens. Dabei brachte er insbesondere vor, dass die Staatsanwaltschaft mit Blick auf die bisher erhobenen Beweismittel „die nochmalige Vernehmung des seitens der Polizei nur oberflächlich befragten Zeugen R* anordnen“ hätte müssen. Vor allem wäre dieser zu den Differenzen in den Aussagen der Beschuldigten zu vernehmen gewesen, um deren Glaubwürdigkeit abwiegen zu können.

[6] Mit Beschluss vom , AZ 49 Bl 34/22i (ON 11), ordnete das Landesgericht Salzburg die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen * We* und * S* „betreffend den Vorfall am in M* mit * W*“ an.

[7] Der Fortführungswerber hätte – nominell verfehlt gestützt auf § 195 Abs 1 Z 3 StPO – zutreffend aufgezeigt, dass die nochmalige Vernehmung des Zeugen R* zu einer umfassenden Aufklärung des Vorfalls erforderlich gewesen wäre und die Staatsanwaltschaft demnach die Aufnahme aktenkundiger Beweismittel, die zu einer Intensivierung des Tatverdachts hätte führen können, unterlassen habe. Zum Zeitpunkt der Vernehmung dieses Zeugen am wären die von W* erst am erhobenen Vorwürfe gegen We* und S* noch nicht bekannt gewesen, weshalb sie nicht Gegenstand seiner Vernehmung gewesen wären. Im Ergebnis hätte R* damit bei seiner Einvernahme keine Gelegenheit gehabt, über sämtliche wahrgenommenen Tatsachen auszusagen, sodass dessen ergänzende Befragung (§ 161 Abs 2 StPO) bei realistischer Betrachtung zu einer weiteren relevanten Klärung des Sachverhalts hätte führen können. „Infolge Vorliegens des Fortführungsgrundes gemäß § 195 Abs 1 Z 1 StPO“ wäre daher die Fortführung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Dieser Beschluss des Landesgerichts Salzburg steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[9] Als Ausgleich für die ausschließlich in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft fallende Verfahrenseinstellung sieht das Gesetz die gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung aufgrund eines Fortführungsantrags gemäß § 195 StPO vor, wobei die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft lediglich einer Art Missbrauchskontrolle unterworfen werden soll (RIS-Justiz RS0126209; Nordmeyer, WK-StPO § 196 Rz 16).

[10] Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zugrunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass (doch) nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).

[11] Der Antrag oder die Äußerung (§ 196 Abs 1 StPO) muss die Gründe einzeln und bestimmt bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind (§ 195 Abs 2 vierter Satz StPO). Diese Pflicht des Fortführungswerbers korreliert mit einer ebensolchen Begründungspflicht des Gerichts (RIS-Justiz RS0126210 [T2]).

[12] Das Gesetz unterscheidet bei Einstellungen aus – wie hier – tatsächlichen Gründen (§ 190 Z 2 StPO) zwischen Ermessensmissbrauch (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO), der sich aus einer willkürlichen (also nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 StPO mangelhaft begründeten) Beurteilung ergeben kann, und erheblich bedenklichem Ermessensgebrauch (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO; Nordmeyer, WK-StPO § 195 Rz 15/2).

[13] Der Fortführungsgrund des § 195 Abs 1 Z 1 StPO kann grundsätzlich auch mit dem Einwand unrichtiger Beurteilung der Einstellungsvoraussetzungen nach § 190 Z 2 StPO infolge Unterbleibens einer Aufnahme aktenkundiger Beweise, die zu einer Klärung des Sachverhalts und Intensivierung des Tatverdachts hätte führen können, geltend gemacht werden, bloß spekulative Erwägungen über eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch neuerliche Aufnahme ohnedies bereits von der Staatsanwaltschaft verwerteter und gewürdigter Beweise reichen dafür aber nicht aus (vgl 11 Os 155/19g).

[14] Fallbezogen wurde der Zeuge R* zunächst bei Erkundigungen unmittelbar nach dem Vorfall von der Polizei befragt (ON 2.20, 2) und am folgenden Tag außerdem als Zeuge förmlich zur Sache vernommen (ON 2.12), wobei er schilderte, dass er während des Streits zwischen W* und seinen Freunden We* und S* die Schi aus dem Taxi des W* ausgeladen und (erst) „auf einmal […] gesehen [hätte], dass die beiden am Boden gelegen sind und der Taxifahrer auf ihnen draufliegt“. Demnach hätte er weder den Angriff des W* auf We* und S* gesehen noch Attacken von deren Seite gegen den Fortführungswerber wahrgenommen. Dass eine neuerliche Vernehmung dieses Zeugen – auch mit Blick auf die erfolgte Belehrung über seine Pflicht zu einer wahrheitsgemäßen Aussage (vgl § 154 Abs 2 StPO; ON 2.12, 2) und dessen abschließende Erklärung „Das ist alles, was ich sagen kann.“ (ON 2.12, 4) – zur restlosen Klärung des Sachverhalts unbedingt erforderlich gewesen wäre und sich daraus ergeben würde, dass die Angaben des We* und des S* in weiten Teilen unglaubwürdig seien und dass We* gedroht hätte, er werde W* „herschlagen“, wird damit im Fortführungsantrag bloß spekulativ behauptet. Einen rechtsfehlerhaften (willkürlichen) Ermessensmissbrauch (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO; vgl Nordmeyer, WK-StPO § 195 Rz 15/2) bei der Einstellungsentscheidung vermag der Antrag damit nicht darzustellen. Dem Landesgericht Salzburg war es demnach verwehrt, dem Antrag aus diesem Grund stattzugeben.

[15] Das (nominell) aus Z 1 und 2 des § 195 Abs 1 StPO erstattete Antragsvorbringen sah schon das Landesgericht Salzburg als nicht prozessförmig an. Der Fortführungsantrag wäre daher abzuweisen gewesen.

[16] Der Fortführungsbeschluss hat sich zum Nachteil des * We* und des * S* ausgewirkt. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verbinden, den Beschluss aufzuheben und den Fortführungsantrag abzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00121.22S.0118.000

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