OGH vom 28.02.2023, 14Os8/23t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Lonin im Verfahren zur Unterbringung der * W* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 55 Hv 89/22t-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil sie in W* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung,
I./ am * A* und * Wi* gefährlich mit dem Tod bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie 35 Sprachnachrichten auf dem Mobiltelefon des Letztgenannten hinterließ, in denen sie unter anderem äußerte
1./ „Wenn ich die (gemeint: A*) noch einmal sehe, dann steige ich so aufs Gas, dass sie in der Hausmauer pickt. Dann steige ich aus, hole mir eine Axt und hacke ihr den Schädel ab. Sie ist eine Hure, eine verlogene, intrigante, dreckige scheiß Nutte. Ich wünsche ihr, dass sie noch einmal in ihrem Leben so leidet, dass sie schreit vor Schmerzen. Wenn ich die noch einmal sehe und ich werde sie sehen, weil du Trottel sie als Zeugin bei Gericht angegeben hast, dann ist die einen Kopf kleiner.“ und
2./ „Ich bring dich (gemeint: Wi*) um, ich schwör dir, ich drehe dir den Hals um!“;
II./ im ein Jahr übersteigenden Zeitraum von zumindest April 2019 bis Wi* fortgesetzt in einer Weise widerrechtlich beharrlich verfolgt hat, die geeignet war, ihn in seiner Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigten, indem sie regelmäßig in Hunderten von Angriffen im Wege einer Telekommunikation und unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels Kontakt zu ihm herstellte, indem sie ihn über elf verschiedene Mobiltelefonnummern und zumindest drei Facebook-Accounts telefonisch privat und auf seiner Dienststelle, per WhatsApp und Facebook-Messenger kontaktierte, durch Vermittlung über Kollegen und Freunde versuchte, Kontakt mit ihm aufzunehmen und an seiner Wohnadresse und Dienststelle seine räumliche Nähe aufsuchte;
sohin Taten begangen hat, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (I./) und das Vergehen der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 und 2 sowie Abs 3 erster Fall StGB (II./) mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen, der keine Berechtigung zukommt.
[3] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung mehrerer in der Hauptverhandlung am gestellter Anträge der Betroffenen Verteidigungsrechte nicht verletzt:
[4] Der Antrag (ON 57 S 70) auf (ersichtlich gemeint:) Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens, weil „es noch weitere Ärzte gegeben hat“, und zwar die in der Justizanstalt tätigen Dr. I* und Dr. R*, welche die Angeklagte befundet und sich der „in diesem fachärztlichen Gutachten beschlossenen Stellungnahme“ (gemeint: dem „fachärztlichen Befundbericht“ der forensisch-psychiatrischen Abteilung der Justizanstalt Josefstadt; ON 55) angeschlossen haben, wonach keine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, wurde zu Recht abgewiesen (ON 57 S 71). Denn ein – nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens bestehen gebliebener – Mangel iSd § 127 Abs 3 erster Satz erster bis dritter Fall StPO im Befund oder Gutachten (vgl dazu RISJustiz RS0127941, RS0127942; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 35 ff) des beigezogenen Sachverständigen Univ.Doz. Dr. * H* wurden im Antrag nicht – unter substanziierter Auseinandersetzung mit den vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgenommenen Modifikationen und Ergänzungen – schlüssig aufgezeigt, womit dieser auf eine (im Hauptverfahren nicht vorgesehene) Erkundungsbeweisführung hinauslief (RIS-Justiz RS0117263, RS0102833; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 30 ff; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351). Soweit der Antrag auch darauf gerichtet war, die Zurechnungsfähigkeit der Betroffenen im Tatzeitraum unter Beweis zu stellen, wird die Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig (§ 433 Abs 1 iVm § 282 Abs 1 StPO) nicht zum Vorteil der Betroffenen ausgeführt (RISJustiz RS0126727).
[5] Das ergänzende Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde ist mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
[6] Zutreffend abgewiesen (ON 57 S 72) wurde der Antrag (ON 57 S 71) auf Einsichtnahme in von der Zeugin * Win* erwähnte, dem Gericht zur Verfügung zu stellende Ausdrucke von Inhalten der Betroffenen zugehöriger Computerdateien, „um das Gericht insoweit in Kenntnis zu setzen“, dass die Betroffene zumindest von dritter Seite massiv bedrängt worden sei und daher keine wahnhafte, objektiven Tatsachen widersprechende Vorstellung, sondern eine auf tatsächlichen Umständen beruhende Besorgnis der Betroffenen vorgelegen sei. Denn das Beweisthema betraf keine erheblichen Tatsachen, somit solche, die unmittelbar oder mittelbar der Feststellung entscheidender (hier: für die Begehung und Subsumtion der Anlasstaten sowie den in § 21 Abs 1 StGB beschriebenen Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstaten maßgebliche Tatsachen dienen (vgl RIS-Justiz RS0116503 sowie [erneut] RS0126727).
[7] Gleiches gilt für die Anträge (ON 57 S 71 ff) auf zeugenschaftliche Vernehmung von * As* zum Beweis, dass er die Betroffene wegen gegen sie gerichteter Verfolgungshandlungen beraten habe, diese somit nicht aus bloßer Emotionalität heraus gehandelt, sondern eine sachliche Problemlösung versucht habe, sowie von * M* zum Beweis, dass er von A* über die Lebensumstände der Betroffenen befragt worden sei. Denn auch bei diesen Anträgen war eine Eignung der Beweismittel, erhebliche Tatsachen zu beweisen, nicht erkennbar (RIS-Justiz RS0116987).
[8] Unterbleiben konnte auch die zeugenschaftliche Vernehmung des * K* zum Beweis, „dass es unzutreffend sei“, dass die Betroffene Wi* „bei seiner Wohnungstüre aufgelauert habe“ (ON 57 S 73), zumal der Antrag nicht erkennen ließ, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erbringen sollte, somit auf eine (im Hauptverfahren unzulässige) Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS-Justiz RS0118444).
[9] Mit dem Hinweis auf die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Doz. Dr. H*, wonach er bemerke, dass sich „seit der Begutachtung und vor allem, wenn sie sich diese Sprachnachrichten anhören“, der Zustand der Betroffenen nachhaltig beruhigt habe, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken (RIS-Justiz RS0118780). Bloße Ermessensentscheidungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose können wiederum nur mit Berufung bekämpft werden (RIS-Justiz RS0113980, RS0116498).
[10] Indem die Beschwerde (nominell Z 10, der Sache nach Z 9 lit a) zu I./ die Beurteilung der Drohungen als milieubedingte Unmutsäußerungen (vgl RIS-Justiz RS0093096, RS0092448 [T5]) anstrebt, vernachlässigt sie die gegenteiligen Konstatierungen (US 6 f) zum Bedeutungsinhalt und zur Ernsthaftigkeit der Äußerungen (RISJustiz RS0112523).
[11] Die Sanktionsrüge (Z 11) ist mit den Behauptungen, der Ansicht des Erstgerichts, wonach sich die Betroffene zu den Tatzeitpunkten in einem auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand befunden habe (vgl US 7; vgl im Übrigen erneut RISJustiz RS0126727), könne nicht beigepflichtet werden, und es sei nicht nachvollziehbar, warum von der Betroffenen eine Gefährlichkeit iSd § 21 Abs 1 StGB ausgehen solle, nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, sondern erschöpft sich in Berufungsvorbringen.
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00008.23T.0228.000 |
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