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OGH 27.07.2023, 12Os61/23x

OGH 27.07.2023, 12Os61/23x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Schriftführers Rechtspraktikant Obergruber LL.M. in der Auslieferungssache des * A*, AZ 27 HR 249/22t des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 27 HR 249/22t17, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 27 HR 249/22t17, verletzt in dem in Punkt (2) erfolgten Ausspruch, dass die Auslieferung „ohne die Wirkungen der Spezialität“ erfolgt, Art 14 Abs 1 EuAlÜbk (idF Art 3 EuAlÜbk) und § 23 Abs 1 ARHG sowie Art 4 Abs 1 EuAlÜbk iVm § 32 Abs 1 erster und zweiter Satz ARHG.

Beschluss wird im Umfang dieses Ausspruchs aufgehoben und insoweit ausgesprochen, dass die Auslieferung dem Grundsatz der Spezialität unterliegt.

Text

Gründe:

[1] Mit Note vom ersuchte das Bundesamt für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft um Auslieferung zur Strafverfolgung des – zum damaligen Zeitpunkt – in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Feldkirch befindlichen * A* in Form der vorübergehenden Übergabe für Dauer von acht Wochen (Art 19 Abs 2 EuAlÜbk; ON 2 S 3).

[2] Dem angeschlossenen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom zufolge besteht gegen A* der Verdacht, er habe von 13. bis im Zusammenwirken mit zwei Mittätern acht Einbruchsdiebstähle in der Stadt St. Gallen verübt, weshalb von gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande begangenem, solcherart qualifiziertem Diebstahl (Art 139 Z 1 bis 3 chweizerisches StGB) auszugehen sei. seien die Tatbestände der Sachbeschädigung nach Art 144 Abs 1 chweizerisches StGB und des Hausfriedensbruchs nach Art 186 Schweizerisches StGB verwirklicht. Überdies sei er der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts nach Art 115 Abs 1 lit a und b Ausländer und Integrationsgesetz (AIG) verdächtig, die er dadurch begangen habe, dass er nicht über die zur Einreise in die Schweiz benötigten Reisedokumente verfügt habe, sodass seine Einreise und sein Aufenthalt in der Schweiz rechtswidrig (ON 2 S 5 ff).

[3] Nach Antragstellung der Staatsanwaltschaft Feldkirch (ON 1 S 1 f) führte das Landesgericht Feldkirch am zu AZ 27 HR 249/22t eine mündliche Verhandlung durch, in der der Betroffene „einer vereinfachten Übergabe, und zwar einer vorläufigen, auf die Dauer von maximal acht Wochen befristeten Übergabe unter der Bedingung der anschließenden Rücküberstellung [...] nach Österreich“ zustimmte (ON 7 S 2).

[4] Daraufhin übermittelte das Landesgericht Feldkirch den Akt „zur Durchführung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens“ an das Bundesministerium für Justiz (ON 8), das seinerseits das Bundesamt für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft am darüber informierte, dass die Bundesministerin für Justiz gestützt auf Art 19 Abs 2 EuAlÜbk die zeitweilige (vorübergehende) Übergabe des A* bewilligt habe (ON 9 S 3).

[5] Aufgrund dessen Hinweises, wonach eine vorübergehende Übergabe – als bloße Vollzugsmodalität – eine rechtskräftige Entscheidung über das formelle Ausersuchen voraussetze (ON 12 S 3), führte das Landesgericht Feldkirch am – unter Einhaltung Verfahrensbestimmungen des förmlichen Verfahrens (Art 22 Abs 1 EuAlÜbk idF Kap III Art 4 ZPEuAlÜbk; § 31 ARHG) – eine Auslieferungserhandlung durch, in der sich nunmehr in Strafhaft befindende (ON 13) Betroffene „einer vereinfachten Auslieferung (und zwar vorläufig, zeitlich befristet aber auch endgültig) allerdings lediglich … wegen des mehrfachen, eventuell qualifizierten Diebstahles, der mehrfachen Sachbeschädigung und des mehrfachen Hausfriedensbruches“ zustimmte (ON 14 S 3). In diesem Umfang wurde die Vorlage des Akts an das Bundesministerium für Justiz avisiert. Ferner wurde der Beschluss gefasst, Übergabe des Betroffenen bis zur Verbüßung der mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom (richtig:) , AZ 20 Hv 65/22b, verhängten Freiheitsstrafe aufzuschieben. Hinsichtlich der Vorwürfe der mehrfachen rechtswidrigen Einreise und des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts erklärte das Landesgericht Feldkirch die Auslieferung des Betroffenen für unzulässig. Die Beschlüsse erwuchsen infolge Rechtsmittelverzichts durch die Verfahrensbeteiligten in Rechtskraft (ON 14).

[6] Den vom Landesgericht Feldkirch mit entsprechender Mitteilung (ON 15) vorgelegten Akt retournierte das Bundesministerium für Justiz am unter Hinweis darauf, dass mit Blick auf die zugrundeliegenden Tath eine Auslieferung nur nach Durchführung des förmlichen Auslieferungsverfahrens gesamte Auslieferungs bewilligt werden könne (ON 16).

[7] Mit Beschluss vom (ON 17) erklärte das Landesgericht Feldkirch in Punkt (2) die Auslieferung des A* an die Schweizerischen Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung wegen der im Haftbefehl der Staatsanwaltschaft St. Gallen vom , St.2022.30293, angeführten Taten des mehrfachen – eventuell qualifizierten – Diebstahls (Art 139 Z 1 bis 3 Schweizerisches StGB), der mehrfachen Sachbeschädigung (Art 144 Abs 1 Schweizerisches StGB) und des mehrfachen Hausfriedensbruchs (Art 186 Schweizerisches StGB) für zulässig und sprach aus, dass die Auslieferung „ohne die Wirkungen der Spezialität“ erfolgt. Ferner wurden die in der Auslieferungsverhandlung vom mündlich verkündeten Beschlüsse wiederholt. Sowohl der Betroffene als auch die Staatsanwaltschaft verzichteten auf Rechtsmittel (Mitteilung vom , ON 1 letzte Seite).

Rechtliche Beurteilung

[8] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 27 HR 249/22t17, in Punkt (2) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[9] Zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft – soweit hier von Bedeutung – das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) vom , BGBl 1969/320 (ergänzt durch Zusatzprotokolle BGBl 1983/296, BGBl 1983/297, BGBl III 2015/70 und BGBl III 2016/42) Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl 1974/717)

[10] Nach Art 12 Abs 1 3. Art 7 Abs 1 4.  ist das EuAlÜbk sinngemäß anzuwenden, soweit es mit den Bestimmungen der genannten Zusatzprotokolle vereinbar ist. Art 22 EuAlÜbk normiert betreffend das Verfahren der Auslieferung – soweit im Übereinkommen nichts anderes bestimmt ist – die ausschließliche Anwendung des Rechts des ersuchten Staats, des ARHG.

[11] § 31 ARHG regelt das (förmliche) Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung. Im Auslieferungsrecht gilt als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts der Grundsatz der Spezialität (Art 3 4. ZP-EuAlÜbk, Art 14 EuAlÜbk; § 23 Abs 1 und 2 ARHG). Dieser soll sicherstellen, dass der Verfolgte vom ersuchenden Staat ausschließlich wegen der Straftat, deretwegen Österreich die Auslieferung bewilligt hat, strafrechtlich verfolgt wird (RISJustiz RS0087147; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 23 Rz 2; Göth-Flemmich in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 23 ARHG Rz 2).

[12] Ferner kann sich die betroffene Person aufgrund eines ausländischen Ersuchens um Auslieferung mit dieser einverstanden erklären und einwilligen, ohne Durchführung eines förmlichen Auslieferungsverfahrens im Rahmen der vereinfachten Auslieferung übergeben zu werden (Art 1 und Art 4 3. ZP-EuAlÜbk; § 32 Abs 1 erster Satz ARHG). Eine solche Erklärung führt – anders als eine Auslieferung im Rahmen des förmlichen Verfahrens – zum Verlust der Spezialitätsbindung (Art 4 Abs 1 und Art 5 lit a EuAlÜbk einschließlich der von Österreich bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde betreffend das 3. ZPEuAlÜbk zu dessen Art 5 abgegebenen Erklärung; § 32 Abs 2 ARHG; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 23 Rz 12; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 2 und 6, vgl auch RIS-Justiz RS0073377).

[13] Eine Erklärung der Einwilligung zur Durchführung des vereinfachten Verfahrens ist im Fall (wie hier) mehrerer Ersuchen nur wirksam, wenn sie Ersuchen (in ihrer Gesamtheit) umfasst (§ 32 Abs 1 zweiter Satz ARHG; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 3; vgl auch EBRV StRÄG 2003, 32).

[14] Bei Bedenken gegen die Zulässigkeit der Auslieferung (etwa im Hinblick auf die beiderseitige gerichtliche Strafbarkeit oder einer wirksamen Zustimmung) ist das förmliche Auslieferungsverfahren nach §§ 31, 33 f ARHG durchzuführen (§ 34 Abs 3 zweiter Satz ARHG; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 5; Göth-Flemmich in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 32 ARHG Rz 4; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 34 Rz 9).

[15] A* hat sich nicht mit der Auslieferung in ihrer Gesamtheit einverstanden erklärt, seine Zustimmung nur bezogen auf einzelne Taten, hinsichtlich anderer hingegen nicht vor. Eine insgesamt wirksame (vereinfachten) Auslieferung war daher gegeben.

[16] Ferner stellen die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Taten teilweise („hinsichtlich des rechtswidrigen Aufenthalts“) keine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen nach österreichischem Recht dar (ON 16) und unterliegen demnach nicht der Auslieferung (Art 2 Abs 1 EuAlÜbk; Art II Abs 2 des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des und die Erleichterung seiner Anwendung; § 11 Abs 1 ARHG).

[17] Solcherart war die Durchführung des förmlichen Verfahrens, in dem der Grundsatz der Spezialität uneingeschränkt gilt, zwingend. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine vereinfachte Auslieferung und der nur damit verbundenen Aufhebung der Spezialitätsbindung erging der Ausspruch, dass die Auslieferung „ohne die Wirkung der Spezialität“ erfolgt, zu Unrecht und verletzt Art 14 Abs 1 EuAlÜbk (idF Art 3 -EuAlÜbk), § 23 Abs 1 ARHG sowie Art 4 Abs 1 -EuAlÜbk iVm § 32 Abs 1 erster und zweiter Satz ARHG.

[18] Die aufgezeigte Gesetzesverletzung ist geeignet, zum Nachteil des Betroffenen zu wirken. Deren Feststellung war daher auf die im Spruch ersichtliche Weise (vgl dazu Ratz, WKStPO § 292 Rz 29) mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00061.23X.0727.000

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Fundstelle(n):
AAAAB-54816