OGH vom 17.01.2023, 10ObS59/22g

OGH vom 17.01.2023, 10ObS59/22g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinz Schieh und Mag. Elke Wostri (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger Mag. Markus Stranimaier Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte Strafverteidiger OG in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. EvaMaria BachmannLang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufrechnung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 19/22h14, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 56 Cgs 143/21y9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Den Gegenstand des Rekursverfahrens bildet die Frage, ob der Sozialversicherungsträger befugt ist, eine zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des GSVG-Versicherten bestehende Beitragsschuld auch dann durch Aufrechnung abzudecken, wenn die Alterspension des Versicherten erst nach Insolvenzeröffnung angefallen ist.

[2] Der Kläger ist am * 1954 geboren. Er hat keine Sorgepflichten. Mit Bescheid vom hat die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft den Anspruch des Klägers auf Alterspension ab anerkannt. Seine monatliche Pension betrug im Jahr 2019 806,55 EUR.

[3] Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet (Beginn der Wirkungen der Eröffnung: ). Auf Grundlage eines Rückstandsausweises vom selben Tag meldete die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft am im Insolvenzverfahren offene Sozialversicherungsbeiträge an, und zwar 6.516,85 EUR aus dem Zeitraum von bis als Insolvenzforderung. Aus dem Zeitraum von bis wurden 975,42 EUR als Masseforderung angemeldet.

[4] Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom wurde der Sanierungsplan bestätigt. Demnach sollten die Gläubiger eine Quote von 20 % mit einer Zahlungsfrist bis erhalten. Von den Parteien wurde außer Streit gestellt, dass nach Zahlung der Quote (rechnerisch) Sozialversicherungsbeiträge aus dem Zeitraum von bis in Höhe von 5.262,24 EUR offen geblieben sind.

[5] Mit Bescheid vom hat die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen – auf Grundlage eines Rückstandsausweises vom , der diesen Betrag als offene Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum von bis ausweist – die Aufrechnung ihrer offenen Forderung an Beiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von 5.262,24 EUR ab gegen den Leistungsanspruch des Klägers auf Alterspension erklärt. In der Information über die Anweisung wurde die monatliche Abzugsrate mit 30 EUR festgelegt.

[6] Das Erstgericht wies das gegen den Bescheid vom gerichtete Klagebegehren auf Unterlassung der Aufrechnung gegen den Leistungsanspruch des Klägers ab und sprach aus, dass die Aufrechnung der offenen Forderung der beklagten Partei an Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 5.262,24 EUR ab auf den Leistungsanspruch des Klägers zulässig sei.

[7] Bei einem monatlichen Pensionseinkommen in Höhe von 806,55 EUR habe der Kläger 2019 nicht über Einkünfte verfügt, die über das Existenzminimum hinausgingen. Aus diesem Grund betreffe eine mögliche Aufrechnung nur den unpfändbaren Teil der Pensionsbezüge. Im Sinn des Vorrangs der Aufrechnungsbestimmung des § 71 GSVG gegenüber dem Exekutionsrecht sei eine Aufrechnung auch gegen den unpfändbaren Teil der Pensionsbezüge des Schuldners zulässig. Es bleibe dem alleinigen Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsraten auf relativ niedrigem Niveau festzulegen. § 71 Abs 1 Z 1 GSVG erlaube dem Sozialversicherungsträger allerdings nur eine Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90 % des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 150 GSVG verbleiben müsse. Durch den aufgerechneten Beitrag in der Höhe von 30 EUR monatlich habe die beklagte Partei diese Beschränkung jedenfalls nicht überschritten.

[8] Die Restschuldbefreiung führe nicht zum Erlöschen der für die Aufrechnung herangezogenen Forderungen an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen. Der die Sanierungsquoten übersteigende Teil der Forderung der Sozialversicherung bleibe daher bestehen und wandle sich nicht in eine Naturalobligation um. Weiters komme auch die Beschränkung des § 12a Abs 2 IO – wonach das Recht zur Aufrechnung nach zwei Jahren nach der Insolvenzeröffnung erlösche – bei der Aufrechnung gegen den unpfändbaren Teil nicht zur Anwendung.

[9] Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es mit der Begründung zu, dass in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten werde, für die Zulässigkeit der Aufrechnung in den unpfändbaren Teil der Geldleistung werde deren Bestand im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorausgesetzt.

[10] Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Berufungsgericht zugrunde, dass über die Aufrechnung vom Sozialgericht nur dann entschieden werden könne, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden sei. Zwar habe der Kläger außer Streit gestellt, dass im Zeitpunkt der Konkurseröffnung eine Beitragsschuld bestanden habe. Allerdings habe er die von der beklagten Partei aufgerechnete Beitragsschuld insofern bestritten, als diese als Naturalobligation nicht mehr durchsetzbar sei, weil er durch die Bestätigung des Sanierungsplans von den seinerzeitigen Insolvenzforderungen befreit worden sei. Nach dem Akteninhalt könne nicht beurteilt werden, ob – und gegebenenfalls in welcher betragsmäßigen Höhe – den Rückstandsausweisen der beklagten Partei vom bzw vom rechtskräftige (Beitrags)Bescheide zugrunde lägen. Eine Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung sei daher noch nicht möglich.

[11] Eine Entscheidung im Sinne einer Klagestattgabe wäre nur möglich, wenn die Aufrechnung (jedenfalls) daran scheitern würde, dass der Leistungsanspruch des Klägers gegenüber der beklagten Partei erst nach der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden ist. Dieser vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung schließe sich das Berufungsgericht allerdings nicht an. Bestehe – wie im vorliegenden Sachverhalt – der Anspruch auf Pension im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht, scheide zwar eine Aufrechnung in den pfändbaren Teil der Pension schon grundsätzlich aus. Für die Aufrechnung in den unpfändbaren Teil des Einkommens kämen hingegen die Bestimmungen der IO nicht zum Tragen. Der Sozialversicherungsträger sei in diesem Bereich nicht Konkursgläubiger und weiterhin zur Aufrechnung berechtigt. Die Möglichkeit der Aufrechnung in den unpfändbaren Bezugsteil bestehe insbesondere auch dann, wenn der Beitragsschuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Pensionsanspruch aus der Sozialversicherung erlangt habe.

[12] Dies spreche durchaus dafür, dass auch die Restschuldbefreiung die Möglichkeit der Aufrechnung der (gesamten) Beitragsrückstände in den pfändungsfreien Teil des Einkommens nicht beeinträchtige (10 ObS 128/17x). Daraus entstehe allerdings ein gewisses Spannungsverhältnis dazu, dass für die Ermittlung der Beitragszeiten nach § 115 Abs 1 Z 1 GSVG nur der der Quote entsprechende Teil der Beitragszahlung heranzuziehen sei, wenn im Rahmen eines Zahlungsplans eine aufgrund einer Versicherung nach dem GSVG bestehende Beitragsschuld nur mit der Quote bezahlt werde.

[13] Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht zunächst mit den Parteien die Frage zu erörtern haben, ob und gegebenenfalls in welcher betragsmäßigen Höhe den Rückstandsausweisen vom bzw vom rechtskräftige (Beitrags-)Bescheide zugrunde lägen. Sei die Beitragsschuld weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt, werde das Erstgericht das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der zum Zeitpunkt der Aufrechnung offenen Beitragsschuld (unter Einbeziehung des Umstands, dass der Kläger einen Sanierungsplan abgeschlossen und offensichtlich auch erfüllt habe) zu unterbrechen haben.

[14] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, der Oberste Gerichtshof möge in der Sache im klagestattgebenden Sinn entscheiden.

[15] Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge in der Sache entscheiden und das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherstellen.

Rechtliche Beurteilung

[16] Der Rekurs ist entsprechend dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Er ist auch im Sinne einer Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Erstgerichts berechtigt.

[17] 1. Der Umstand, dass der Kläger die Stattgebung seines Begehrens, die Beklagte hingegen dessen Abweisung anstrebt, hindert nicht die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils. Ein „Verbot der reformatio in peius“ kommt in diesem Fall nicht zum Tragen (RS0043903, RS0043939).

[18] 2. In seinem Rekurs weist der Kläger darauf hin, dass die Höhe der Beitragsschuld laut Rückstandsausweis – 5.262,24 EUR aus dem Zeitraum von bis – unstrittig sei; dieser Betrag sei auch im Sanierungsverfahren vom Insolvenzverwalter nicht bestritten worden. Aus diesem Grund sei eine Unterbrechung des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht nötig, sondern es könne in der Sache im klagestattgebenden Sinn entschieden werden.

[19] Die beklagte Partei sei nämlich nicht befugt, erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (am ) in den unpfändbaren Teil der Pensionsbezüge aufzurechnen, wenn die Pension erst nach Insolvenzeröffnung (hier mit ) angefallen sei. Die Forderung des Klägers sei erst mit Erlassung des Pensionsbescheids am existent geworden. Eine Aufrechnungsmöglichkeit würde voraussetzen, dass sich die Forderung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung kompensabel gegenübergestanden seien. Bis zum Zeitpunkt der bescheidmäßigen Zuerkennung der Pension habe „im alten Umlagesystem“ überhaupt keine Forderung des Insolvenzschuldners bestanden, gegen die der Sozialversicherungsträger aufrechnen hätte können.

[20] 3. § 71 Abs 1 Z 1 GSVG gibt dem Sozialversicherungsträger das Recht, fällige Sozialversicherungsbeiträge auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen aufzurechnen, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist. Nach § 71 Abs 2 GSVG ist die Aufrechnung nach Abs 1 Z 1 nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90 % des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 150 GSVG verbleiben muss. Soweit diese Grenzen eingehalten werden, kann der monatliche Aufrechnungsbetrag vom Sozialversicherungsträger nach freiem Ermessen „auf relativ niedrigem Niveau“ festgesetzt werden (10 ObS 152/01b SSV-NF 15/105; RS0110621 [T6]).

[21] 4. Die Rechtsprechung qualifiziert § 71 Abs 2 GSVG – ebenso wie die Parallelnorm in § 103 Abs 2 ASVG – als eine dem eigentlichen Exekutionsrecht vorrangige spezielle Norm, die selbst eine Aufrechnung in den pfändungsfreien Teil der Pensionsbezüge zulässt (10 ObS 54/11f SSVNF 25/99; RS0110621 [T1]). Dieses spezifische Aufrechnungsrecht besteht auch im Insolvenzverfahren fort; es wird als eine einem Absonderungsrecht gleichkommende Befugnis qualifiziert, die selbst den Abschluss eines Sanierungsplans überdauert (10 ObS 152/01b SSVNF 15/105; RS0064257 [T4]). Von der Rechtsprechung werden allerdings insolvenzrechtliche Normen, die sich auf Absonderungsrechte beziehen, im Fall des § 71 GSVG nicht angewendet (Weber-Wilfert, Beitragsrückstände – keine Entschuldungsmöglichkeit? ZIK 2018/110, 86 [87 f]).

[22] 5. Für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherten differenziert die Rechtsprechung danach, ob sich die Aufrechnung auf die pfändbaren, dh zur Insolvenzmasse gehörenden oder auf die unpfändbaren (insolvenzfreien) Einkommensteile bezieht (Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 103 ASVG [Stand , rdb.at] Rz 29).

[23] 5.1 Während auf den pfändbaren Teil der Geldleistung insolvenzrechtliche Vorschriften angewendet werden (§§ 12a, 19, 113a IO), werden für die Aufrechnung der Forderung gegen den unpfändbaren Teil der zu erbringenden Geldleistung die Bestimmungen der Insolvenzordnung ausgeblendet (anzuwenden sind die Regeln des § 71 GSVG): Der unpfändbare Bezugsteil bildet keinen Bestandteil der Insolvenzmasse, weshalb die Beschränkungen des § 12a IO nicht gelten (OGH 10 ObS 63/12f SSVNF 26/52; 10 ObS 54/11f DRdA 2013/6, 46 [Nunner-Krautgasser/ Ph. Anzenberger] = SSVNF 25/99; RS0110621 [T4]; Konecny/Weber, Aufrechnung durch Sozialversicherungsträger im Privatkonkurs, ZIK 1999, 191 [194]). Die Aufrechnungsbefugnis gegen den unpfändbaren Teil der Pension bedarf auch keiner Anzeige des Aufrechnungsberechtigten iSd § 113a IO (RS0127355).

[24] 5.2 In Bezug auf den unpfändbaren Teil der Geldleistung müssen sich schließlich die gegenseitigen Forderungen nicht bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechenbar gegenüberstehen. Die Möglichkeit der Aufrechnung in den unpfändbaren Bezugsteil besteht daher insbesondere auch dann, wenn der Beitragsschuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Pensionsanspruch erlangt (Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 103 ASVG [Stand , rdb.at] Rz 31/2).

[25] 5.3 Dass die Möglichkeit der Aufrechnung in den unpfändbaren Bezugsteil auch einen rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan überdauert, hat der Oberste Gerichtshof auch nach Ergehen der Entscheidung eines verstärkten Senats zu 6 Ob 179/14p – wonach der Insolvenzgläubiger nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans und Beendigung des Insolvenzverfahrens regelmäßig nur mehr mit der Sanierungsplanquote seiner Forderung aufrechnen könne – aufrechterhalten (10 ObS 128/17x SSV-NF 31/59; krit dazu Weber-Wilfert, ZIK 2018/110, 86).

[26] 5.4 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass

a) die Alterspensionsleistung des Klägers erst nach Insolvenzeröffnung angefallen ist und

b) die Aufrechnung von der beklagten Partei erst lange nach rechtskräftiger Bestätigung eines Sanierungsplans verfügt wurde (speziell dazu Weber-Wilfert, ZIK 2018/110, 86 [89]).

[27] 5.5 Der Rekurs befasst sich allein mit der unter a) angeführten Frage und geht nicht auf die unter b) genannte Frage ein.

[28] Der Kläger verlangt – entgegen der Entscheidung 10 ObS 128/17x – als Voraussetzung für die Aufrechnung, dass zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits ein Pensionsanspruch zuerkannt gewesen sein muss. Auch Prantner (in Neumann, GSVG für Steuerberater2 [2018] § 71 Rz 23) lehnt eine Aufrechnung in den unpfändbaren Teil ab, wenn die Geldleistung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht zuerkannt war. Aus den beiden Entscheidungen, auf die er sich für seinen Standpunkt beruft, geht diese Voraussetzung allerdings nicht hervor: Die Entscheidung 10 ObS 152/01b (SSV-NF 15/105) differenziert – wie bereits dargestellt – zwischen pfändbaren und unpfändbaren Bezugsteilen; nur für pfändbare Bezugsteile wird die Anforderung aufgestellt, dass sich die Forderungen schon bei Verfahrenseröffnung aufrechenbar gegenüber gestanden sein müssen (§ 19 Abs 1 IO). Die Entscheidung 10 ObS 54/11f (SSV-NF 25/99) enthält keine eigene Aussage dazu.

[29] 5.6 Wird allerdings § 71 GSVG als Spezialbestimmung qualifiziert, die – entgegen exekutions- und insolvenzrechtlichen Normen – auch einen Zugriff auf die pfändungs-/insolvenzfreien Bezüge selbst während eines Insolvenzverfahrens ermöglicht, ist nicht erkennbar, warum bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein Leistungsanspruch des Versicherten bestanden haben muss, damit erst der pfändungsfreie Teil der Pensionsbezüge angegriffen werden kann. Insoweit werden keine Argumente aufgezeigt, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen würden.

[30] 6. Ausgehend davon ist dem Rekurs des Klägers im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils stattzugeben.

[31] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00059.22G.0117.000

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