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OGH 22.08.2023, 10ObS36/23a

OGH 22.08.2023, 10ObS36/23a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Lena Steiger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl SchmidWilches (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch die Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 83/22g-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 41 Cgs 71/22g-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 209,39 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 34,90 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von bis .

[2] Die Klägerin ist die Mutter der am geborenen S*. Sie lebt in einer Lebensgemeinschaft mit Ma*, die die Mutter der am geborenen M* ist. Beide Mütter haben sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen und jeweils die Elternschaft für das Kind der Lebensgefährtin anerkannt. Bis bezog die Klägerin Wochengeld.

[3] Die Klägerin beantragte am für S* pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante „730 Tage ab Geburt des Kindes“ für die höchstmögliche Bezugsdauer. Ihre Lebensgefährtin beantragte am ihrerseits für M* einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von bis .

[4] Mit vom gewährte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau der Klägerin für S* pauschales Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von bis . Das die Zeit von bis erfassende Mehrbegehren wies sie ab. Der Anspruch habe während des Wochengeldbezugs der Klägerin zunächst geruht und dann mit dem der Geburt von M* vorangehenden Tag geendet. Mit Ende des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld für M* lebe er aber wieder auf, sodass der Klägerin Kinderbetreuungsgeld ab zustehe.

[5] Mit ihrer begehrt die Klägerin, ihr Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß auch für die Zeit von bis zu gewähren. Nach § 2 Abs 2 KBGG sei der gleichzeitige Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch beide Elternteile lediglich für dasselbe Kind ausgeschlossen. Dieser Fall liege hier nicht vor, weil sie und ihre Lebensgefährtin nur für das Kind, das sie jeweils zur Welt gebracht hätten, Kinderbetreuungsgeld begehrten. Zudem komme § 6 Abs 2 KBGG zur Anwendung, der für Elternteile jeglichen Geschlechts gelte.

[6] Die hielt dem entgegen, dass der Anspruch der Klägerin gemäß § 3 Abs 6 KBGG durch die Geburt von M* geendet habe, woran § 6 Abs 2 KBGG nichts ändere.

[7] Das schloss sich dieser Ansicht an. Die auf Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klage wies es für die Zeit von (Ende des Wochengeldbezugs) bis (Ende des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld für M*) ab und sprach die im Bescheid für den Zeitraum von bis zuerkannte Leistung erneut zu.

[8] Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Nach ständiger Rechtsprechung gebühre Kinderbetreuungsgeld nur für das jüngste Kind, also für jenes, das den höchsten Betreuungsaufwand verursache. Für ältere Kinder habe der Gesetzgeber dagegen bewusst keine zusätzlichen Leistungen oder Beihilfen vorgesehen, sodass die von der Klägerin geforderte teleologische Reduktion des § 3 Abs 6 KBGG mangels einer planwidrigen Lücke ausscheide. Der Verfassungsgerichtshof habe diese Regelung auch schon wiederholt als verfassungskonform beurteilt. Eine unsachliche Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare sei nicht zu erkennen.

[9] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die der Klägerin, mit der sie im Ergebnis begehrt, ihrer Klage zur Gänze stattzugeben. Hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge.

[10] Die Beklagte hat bereits vor Freistellung durch den Obersten Gerichtshof eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie beantragt, die Revision zurückzuweisen, eventualiter ihr nicht Folge zu geben. Ein Vorgehen nach § 508a Abs 2 ZPO war daher nicht mehr erforderlich.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[12] Voranzustellen ist, dass die jeweilige Eigenschaft der Klägerin und ihrer Lebensgefährtin als Elternteil (§ 144 Abs 2 ABGB) für M* und S* sowie die daran anknüpfenden Wirkungen des § 144 Abs 3 ABGB (vgl Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG4 § 2 Rz 6) nicht strittig sind. Unstrittig ist auch, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 KBGG erfüllt sind.

[13] In der Revision hält die Klägerin weiter an ihrem schon im Berufungsverfahren vertretenen Standpunkt fest, dass eine planwidrige Lücke vorliege, die durch teleologische Reduktion des § 3 Abs 6 KBGG zu schließen sei. Dieser stelle auf verschiedengeschlechtliche Paare ab und führe bei Konstellationen wie der vorliegenden zum nicht sachgerechten Ergebnis, dass die Mutter vor der Wahl stehe, entweder ihr neugeborenes Kind zu betreuen und erhebliche finanzielle Einbußen zu erleiden oder ihre Erwerbstätigkeit nach Ende des Wochengeldbezugs sofort wieder aufzunehmen. Diese Entscheidung, die verschiedengeschlechtliche Eltern von mehreren Kindern so nicht treffen müssten, werde noch dadurch verschärft, dass sowohl sie als auch ihre Lebensgefährtin durch die Entbindung eine besonders innige emotionale Beziehung zu dem von ihnen jeweils geborenen Kind hätten. Adoptionen seien damit nicht vergleichbar, weil dabei kein Elternteil das Kind selbst zur Welt bringe. Diese Überlegungen würden im Zusammenhalt mit der in § 6 Abs 2 KBGG zum Ausdruck kommenden Wertung dazu führen, dass in ihrer Situation beide Elternteile Kinderbetreuungsgeld beziehen könnten.

[14] Damit zeigt die Klägerin weder eine (verdeckte) Lücke auf, noch vermag sie verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 3 Abs 6 (iVm § 3a) KBGG, so wie er auch vom Berufungsgericht ausgelegt wurde, zu wecken.

1. Entwicklung der Rechtslage

[15] 1.1 Das KBGG sah schon in seiner Stammfassung vor, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind endet (§ 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2001/103). Die Gesetzesmaterialien führten damals aus, dass bei nachfolgenden Geburten während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld der Anspruch für das zuerst geborene Kind mit dem Tag, der der Geburt des nachfolgenden Kindes vorangeht, endet. Ab dem Tag der Geburt des nachfolgenden Kindes beginnt ein neuer Anspruch für dieses weitere Kind. Wenn der Anspruch für das nachfolgende Kind innerhalb des ursprünglichen Bezugszeitraums (für das zuerst geborene Kind) endet, lebt der ursprüngliche Anspruch für die restliche Dauer (maximal bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des „früheren“ Kindes) wieder auf (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 60).

[16] In Abkehr von der ursprünglich restriktiven Regelung (vgl § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2001/103) wurde mit Einführung des § 3a KBGG mit der Novelle BGBl I 2003/58 für Mehrlingsgeburten eine Ausnahme in Form eines Erhöhungsbetrags geschaffen, was mit den im Vergleich zu nacheinander geborenen Kindern höheren finanziellen Aufwendungen, der stärkeren Belastung durch die Betreuung und höheren Kosten im Fall einer außerhäuslichen Betreuung begründet wurde (ErläutRV 123 BlgNR 22. GP 2 und 3).

[17] Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Rechtslage ausgesprochen, dass der Gesetzgeber Eltern, die gleichzeitig mehrere Kinder betreuen, bewusst nicht (zusätzlich) unter die Arme greife. Mit Ausnahme der eng begrenzten Ausnahme für Mehrlingsgeburten entspreche es der Absicht des Gesetzgebers, bei nacheinander erfolgten Geburten Kinderbetreuungsgeld nur für das jüngste Kind einer Familie zu gewähren (10 ObS 118/07m EF-Z 2008/43, 71 [Leitner] ua).

[18] 1.2 Nach § 5 Abs 5 KBGG idF der Novelle BGBl I 2007/76 endete der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit Ablauf jenes Tages, welcher der Geburt eines weiteren Kindes bzw der Adoption (In-Pflege-Nahme) eines jüngeren Kindes voranging. Nach den Gesetzesmaterialien sollte damit lediglich eine Klarstellung dahin erfolgen, dass das Kinderbetreuungsgeld jedenfalls endet, wenn ein weiteres Kind geboren bzw ein jüngeres Kind adoptiert oder in Pflege genommen wird, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern für das jüngere Kind tatsächlich Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen oder nicht (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5).

[19] Vor diesem Hintergrund hielt der Oberste Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung aufrecht und führte wiederholt aus, dass das Kinderbetreuungsgeld auch nach der Novelle BGBl I 2007/76 nur für das jeweils jüngst geborene Kind einer Familie gebühre (10 ObS 73/21i; 10 ObS 72/21t SSV-NF 35/39).

[20] 1.3 Diese Regelung wurde mit der Novelle BGBl I 2016/53 (wörtlich) in den hier maßgeblichen, derzeit in Geltung stehenden § 3 Abs 6 KBGG übergeführt; weitergehende Ausführungen dazu enthalten die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 5) nicht.

[21] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang die Anwendung des § 5 Abs 5 KBGG aF (BGBl I 2007/76) grundsätzlich auch in einem Fall bejaht, in dem eine Krisenpflegemutter ein Kind am und ein weiteres am in Pflege nahm (10 ObS 87/19w SSVNF 33/53). In der Entscheidung 10 ObS 123/09z (SSVNF 23/63) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass durch die Geburt einer Tochter am der Anspruch des Vaters auf Kinderbetreuungsgeld für seinen am geborenen Sohn am Tag vor der Geburt der Tochter endet.

[22] Der Gesetzgeber nimmt in Kauf, dass der Kinderbetreuungsgeldanspruch für das ältere Kind auch dann endet, wenn zwischen Geburten von Kindern (oder deren Adoption oder In-Pflege-Nahme) nur ein kurzer zeitlicher Abstand liegt, selbst wenn dieser Abstand weit unter der Dauer einer regulären Schwangerschaft liegt.

[23] 3. In den beiden geschilderten Fällen war jeweils der Anspruch desselben Elternteils für zwei Kinder zu beurteilen. Im vorliegenden Fall machen zwei Elternteile einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeweils eines ihrer beiden gemeinsamen Kinder geltend. Das entscheidende Sachverhaltsmerkmal ist also, dass die Eltern des älteren Kindes auch die Eltern des jüngeren Kindes sind. Es handelt sich um gemeinsame Kinder, auch wenn die biologische Mutter die jeweils andere Partnerin ist.

[24] 4.1 Das Gesetz unterscheidet allerdings nicht zwischen der Rolle als Vater/Mutter/zweiter Elternteil und den Grundlagen für die rechtliche Elternschaft (wie zB Geburt durch die Mutter nach § 143 ABGB, Abstammungsvermutung nach § 144 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 ABGB, Anerkenntnis nach § 144 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 ABGB, gerichtliche Feststellung nach § 144 Abs 1 Z 3 und Abs 2 Z 3 ABGB, Adoption nach §§ 191 ff ABGB).

[25] 4.2 Immer dann, wenn beide Elternteile des älteren Kindes auch die Elternteile des jüngeren Kindes sind, endet (für beide Elternteile) die Bezugsberechtigung für das ältere Kind mit Ablauf des Tages vor der Geburt (bzw Adoption oder In-Pflege-Nahme) des jüngeren Kindes (Burger-Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG3 [2017] § 3 KBGG Rz 42).

[26] 5. Auch aus § 6 Abs 2 KBGG lässt sich nichts für den Standpunkt der Klägerin gewinnen. Nach dieser Bestimmung ruht der Anspruch des Vaters auf Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind in dem Zeitraum nicht, in dem die Mutter einen Wochengeldanspruch anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes hat (10 ObS 118/07m). Das für den Vater Gesagte gilt nach § 144 Abs 3 ABGB in gleicher Weise für die Frau, die nach § 144 Abs 2 ABGB Elternteil eines Kindes ist. Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht das Zusammentreffen eines Kinderbetreuungsgeldanspruchs mit einem Wochengeldanspruch zu beurteilen, sondern das Zusammentreffen zweier potenzieller Ansprüche auf Kinderbetreuungsgeld, sodass die genannte Bestimmung nicht einschlägig ist.

[27] 6. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (G 43/06 VfSlg 17.954/2006 und G 81/06 VfSlg 18.109/2007) hat der Oberste Gerichtshof gegen den Verlust des Kinderbetreuungsgeldanspruchs für das ältere Kind bei Geburt (bzw Adoption oder In-Pflege-Nahme) eines weiteren Kindes in ständiger Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken gehegt (RS0120660 [T2, T4, T5]).

7. Ergebnis:

[28] Auch in einem Fall eines gleichgeschlechtlichen Paares, in dem die Eltern des älteren Kindes auch die Eltern des jüngeren Kindes (mit „vertauschten“ Elternteilrollen) sind, scheidet ein gleichzeitiger Kinderbetreuungsgeldbezug der Elternteile für beide gemeinsamen Kinder aus, selbst wenn diese sehr kurz nacheinander geboren wurden.

[29] Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.

[30] 8. Dem Begehren der Klägerin, der Beklagten den Ersatz der Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen, steht in Bezug auf Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz entgegen, dass die Kostenentscheidung der zweiten Instanz ausnahmslos unanfechtbar ist (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO). Dieser Rechtsmittelausschluss gilt auch für die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (RS0044233 [T24]; RS0053407 [T13]).

[31] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ist eine Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängig, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen (RS0085871).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00036.23A.0822.000

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