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OGH vom 22.11.2022, 10ObS127/22g

OGH vom 22.11.2022, 10ObS127/22g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*, Msc, *, vertreten durch die Gillhofer Plank Rechtsanwälte GesBR in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 25/22b-20.2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Revisionsgegenständlich ist die Frage, ob die Klägerin und ihr am im Ausland geborenes Kind, die im Ausland leben, den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs 1 Z 4 KBGG), weil die Klägerin ihr Kind in Österreich zur Welt bringen und die Karenz in Österreich verbringen wollte, diesen Plan aber aufgrund der Pandemie nicht umsetzen konnte.

[2] Die Klägerin ist seit an einer Adresse in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet. Am begann die Klägerin bei einem österreichischen Generalkonsulat im Ausland zu arbeiten. Die Stelle war zunächst befristet auf ein halbes Jahr, wurde dann aber bis 2023 verlängert. Im Juni 2019 lernte die Klägerin ihren späteren Ehemann kennen und erfuhr im Oktober 2019 von ihrer Schwangerschaft.

[3] Die Klägerin wollte ihren Sohn in Österreich zur Welt bringen und nahm diesbezüglich bereits im Jänner 2020 Kontakt mit einem Krankenhaus in Österreich auf. Anschließend wollte sie die Zeit der Karenz in Österreich verbringen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte sie diesen Plan nicht umsetzen. Es kann nicht festgestellt werden, dass es der Klägerin unmöglich gewesen wäre nach Österreich zurückzureisen.

[4] Das Kind wurde am im Ausland geboren und ist seit ebenfalls an der Adresse der Klägerin in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet. Die Klägerin und das Kind leben gemeinsam mit dem Vater im Ausland. Die Familie war seit der Geburt noch kein einziges Mal in Österreich. Der Vater konnte aufgrund der Corona-Pandemie kein Visum erhalten, Direktflüge nach Österreich gab es erst ab Oktober 2020, diese waren jedoch sehr teuer.

[5] Mit Bescheid vom wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Klägerin vom auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von bis ab.

[6] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld und „Feststellung einer aufrechten Krankenversicherung“ gerichtete Klagebegehren ab. Die Klägerin und ihr Kind seien seit der Geburt nicht in Österreich aufhältig gewesen, sondern im Ausland, wo der Vater und die Klägerin vor und nach der Karenz ihren Beschäftigungsort gehabt hätten. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum hätten die Klägerin und ihr Kind ihren Lebensmittelpunkt im Ausland gehabt. Dass die Klägerin die Zeit der Karenz in Österreich verbringen habe wollen, ändere daran nichts.

Rechtliche Beurteilung

[7] In der außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) geltend.

1. Eine Anspruchsvoraussetzung für das Kinderbetreuungsgeld ist, dass der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs 1 Z 4 KBGG).

2. Ein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet ist dann anzunehmen, wenn sich eine Person ständig in Österreich aufhält und sich aus der Gesamtabwägung aller Umstände ergibt, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (RISJustiz RS0130844). Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zu dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie leben (10 ObS 45/20w; 10 ObS 180/19x SSVNF 34/10; 10 ObS 65/06s SSVNF 20/47).

3. Die Klägerin war bereits seit April 2019 im Ausland beschäftigt und lebt mit ihrem Ehemann und seit dessen Geburt auch mit dem gemeinsamen Kind im Ausland. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die den Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin und ihres Kindes im Bundesgebiet für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum verneinten, weicht von der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht ab.

3.1. Dass ein Aufenthalt an einem bestimmten Ort von begrenzter oder absehbarer Dauer ist, steht der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege an diesem Ort, nicht entgegen (10 ObS 8/16y). Nichts anderes gilt daher für die seit 2019 im Ausland lebende Klägerin, deren Beschäftigung dort bis 2023 befristet ist. Die von der Klägerin angeführte Bestimmung des § 3 Abs 2 ASVG, wonach bestimmte Dienstnehmer, deren Beschäftigungsort im Ausland liegt, als im Inland beschäftigt gelten, bewirkt die Einbeziehung in den Versicherungsschutz nach dem ASVG, um den es hier aber nicht geht.

3.2. Der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass sie geplant hatte, das Kind in Österreich zur Welt zu bringen und danach während der Karenzzeit in Österreich zu leben, stellt bloß die subjektive Absicht dar, den nicht im Bundesgebiet befindlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich (neu) zu begründen, änderte aber allein noch nichts an ihrem ständigen Aufenthalt am und an der engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehung zum bisherigen Aufenthaltsort. Aus welchen Gründen die Klägerin diesen Plan nicht umsetzte, den Mittelpunkt der Lebensinteressen also tatsächlich nicht nach Österreich verlegte, ist unerheblich, wenn und weil die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG dadurch nicht hergestellt wurde. Es kommt somit auch nicht darauf an, ob die Klägerin – wie sie behauptet – durch höhere Gewalt daran gehindert war, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nach Österreich zu kommen.

3.3. Soweit die Revision eine unsachliche Ungleichbehandlung im Vergleich zu solchen Personen sieht, die sich erst seit sehr kurzer Zeit im Bundesgebiet aufhalten, befinden sich diese Personen und jene wie die Klägerin in völlig unterschiedlichen Situationen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund das Abstellen auf den (wenn auch erst kürzlich begründeten) ständigen Aufenthalt und der dadurch objektivierten (engen) Beziehung zum Bundesgebiet unsachlich sein soll.

[14] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00127.22G.1122.000

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