OGH vom 18.10.2022, 10ObS113/22y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Claudia Biegler, MA (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, geboren * 1960, *, vertreten durch die Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 115/21i34, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 29 Cgs 78/20a25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie – einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Teils – insgesamt lauten:
Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die von der klagenden Partei im Zeitraum von bis erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate iSd § 4 Abs 3 APG und § 607 Abs 14 ASVG iVm der Schwerarbeitsverordnung seien, wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG.
[2] Der * geborene Kläger ist seit als Rettungssanitäter bzw Notfallsanitäter tätig. Seit ist er überdies im Rahmen eines freien Dienstvertrags als Flugrettungssanitäter, abwechselnd in geringfügiger bzw in vollversicherter Form tätig. Mit seinen Aufgabenstellungen wurden vom Kläger durchschnittlich pro Arbeitstag bei acht Tagesarbeitsstunden 1.536 Arbeitskilokalorien nach Abzug von Unproduktivzeiten oder Leerzeiten verbraucht. Der „Break Even“ zum Erreichen oder Überschreiten des Grenzwerts bei regelmäßigen Mehrstunden errechnet sich mit 10,5 Nettoarbeitsstunden.
[3] Der Kläger hat im Zeitraum von bis (nur) in acht Monaten, nämlich in den Monaten November 2004, Jänner 2006, März 2006, Juli 2006, September 2006, Juni 2007, April 2009 und April 2013, an mindestens 15 Tagen zumindest 10,5 Nettoarbeitsstunden geleistet.
[4] Mit Bescheid vom stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt fest, dass der Kläger zum Feststellungszeitpunkt insgesamt 503 Beitragsmonate der PflichtversicherungErwerbstätigkeit und neun Ersatzmonate, insgesamt 512 Versicherungsmonate erworben habe, lehnte aber die „Anerkennung“ von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis ab.
[5] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die von ihm im Zeitraum von bis erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien.
[6] Die Beklagte bestritt und brachte – soweit im Revisionsverfahren relevant – vor, dass bei den vom Kläger verrichteten Tätigkeiten nicht zumindest 2.000 Arbeitskilokalorien pro Arbeitstag verbraucht worden seien.
[7] Das Erstgericht stellte fest, dass von den vom Kläger im Zeitraum von bis insgesamt erworbenen Beitragsmonaten der Pflichtversicherung die Monate November 2004, Jänner 2006, März 2006, Juli 2006, September 2006, Juni 2007, April 2009 und April 2013 (insgesamt acht Monate) als Schwerarbeitsmonate iSd § 4 Abs 3 APG und § 607 Abs 14 ASVG iVm § 1 Abs 1 Z 4 der SchwerarbeitsV zu qualifizieren seien, und wies das darüber hinausgehende Feststellungsbegehren ab.
[8] Das Berufungsgericht wies die gegen den klagsstattgebenden Teil des Urteils gerichtete Berufung der Beklagten zunächst mangels Beschwer zurück.
[9] Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen von der Beklagten erhobenen Rekurs Folge, hob diesen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurück, weil eine Beschwer aufgrund der Bindung des Versicherungsträgers an die festgestellten Schwerarbeitszeiten auch dann anzunehmen ist, wenn die festgestellten Schwerarbeitszeiten nach geltender Rechtslage keine Leistungsansprüche des Versicherten begründen können (10 ObS 52/22b).
[10] Mit der nunmehr gegenständlichen Entscheidung gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Überlegungen des Obersten Gerichtshofs zur Beschwer würden nach Beurteilung des Berufungssenats sinngemäß auch für die Frage des Feststellungsinteresses des Klägers gelten. Ausgehend von der überbundenen Rechtsansicht sei nicht nur eine Beschwer der Beklagten, sondern auch ein Feststellungsinteresse des Klägers hinsichtlich der von ihm erworbenen und von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht angezweifelten acht Schwerarbeitsmonate zu bejahen. Der Beklagten sei auch entgegen zu halten, dass es der Grundsatz der sukzessiven Kompetenz gebiete, dass jedenfalls dann, wenn – wie hier – der Versicherungsträger einen Bescheid im Sinn des § 247 Abs 2 ASVG erlassen habe, eine Klageerhebung möglich sei, ohne dass es einer weitergehenden Prüfung eines „gesonderten Feststellungsinteresses“ bedürfe. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
[11] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im zur Gänze klageabweisenden Sinn.
[12] In der – ihm freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
[14] 1.1. Nach § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG besteht ein Anspruch auf Schwerarbeitspension, wenn in den letzten 240 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate aufgrund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden (Schwerarbeitszeiten).
[15] 1.2. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Schwerarbeitspension wird durch Entscheidungen der versicherten Person über ihren Versicherungsverlauf (etwa die weitere Ausübung oder Beendigung der belastenden Tätigkeit) maßgeblich beeinflusst, die typischerweise vor dem Eintritt des Versicherungsfalls liegen. Schon vor einem allfälligen Pensionsstichtag hat eine versicherte Person daher ein wesentliches rechtliches Interesse an der Klärung, ob die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension erfüllbar sind, insbesondere ob und welche Schwerarbeitszeiten verrichtet wurden (Pöltner, Die Feststellung von Zeiten der Schwerarbeit, DRdA 2007, 406 [409]).
[16] 1.3. Dieses rechtliche Interesse rechtfertigt nach der Literatur die Erlassung eines Feststellungsbescheids gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG (Pöltner, DRdA 2007, 406 [409]), jedenfalls, wenn es um die Meldung von Schwerarbeitszeiten nach § 5 SchwerarbeitsV geht (Panhölzl, Vollziehungsprobleme bei der Schwerarbeitspension, DRdA 2009, 98 [106]; Pöltner, DRdA 2007, 406 [408]). Da die Angelegenheiten nach § 410 Abs 1 Z 7 ASVG als Verwaltungssache dem Rechtszug nach § 414 Abs 2 ASVG unterliegen, sind sie der Kognition der ordentlichen Gerichte entzogen. Der Kläger gründet sein Feststellungsbegehren daher zutreffend nicht auf § 410 Abs 1 Z 7 ASVG.
[17] 1.4. Über § 410 Z 7 ASVG hinaus kennt § 247 Abs 2 ASVG einen Feststellungsbescheid eines Versicherungsträgers über das Vorliegen und die zeitliche Lage (RISJustiz RS0084976 [T5]) von Schwerarbeitszeiten. Nach dem Gesetzeswortlaut hat der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger die Schwerarbeitszeiten iSd § 607 Abs 14 ASVG und des § 4 Abs 3 APG festzustellen, wenn die versicherte Person dies frühestens zehn Jahre vor Vollendung des Anfallsalters nach § 607 Abs 12 ASVG oder frühestens zehn Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallsalters nach § 4 Abs 3 APG (für männliche Versicherte handelt es sich nach beiden Bestimmungen um das 60. Lebensjahr) beantragt und aufgrund der bisher erworbenen Versicherungsmonate anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen nach § 607 Abs 14 ASVG oder nach § 4 Abs 3 APG vor Erreichen des Regelpensionsalters (§ 253 ASVG: Vollendung des 65. Lebensjahres) erfüllt werden.
[18] 2.1. Die Feststellung von Versicherungszeiten nach § 247 ASVG ist gemäß § 354 Z 4 ASVG (§ 65 Abs 1 Z 4 ASGG) eine Leistungssache (RS0084976 [T2]). Darunter fällt die „Ablehnung“ eines geltend gemachten Anspruchs (vgl VwGH 91/08/0040).
[19] 2.2. Die Frist für die Erhebung der Klage gegen einen – jedenfalls zu erlassenden (§ 367 Abs 1 ASVG) – Bescheid beträgt grundsätzlich vier Wochen, bei Leistungen der Pensionsversicherung jedoch drei Monate (§ 67 Abs 2 ASVG). Die Wendung „Leistungen der Pensionsversicherung“ meint den Inhalt der Klage, der sich auf Leistungen der Pensionsversicherung beziehen muss. Die Art des erhobenen Klagebegehrens (Leistungs- oder Feststellungsbegehren) ist dafür nicht von Belang, sodass auch für Feststellungsbegehren, die sich auf Leistungen der Pensionsversicherung beziehen, die dreimonatige Klagsfrist gilt (aA Panhölzl, DRdA 2009, 98 [109]). Die am eingebrachte Klage gegen den Bescheid vom war daher jedenfalls rechtzeitig.
[20] 3. Der gerichtlichen Geltendmachung des gegenständlichen Feststellungsanspruchs stand daher kein prozessuales Hindernis entgegen. Zu prüfen ist somit, ob das Feststellungsbegehren des Klägers (für die noch strittigen Monate) auf § 247 Abs 2 ASVG gestützt werden kann.
[21] 3.1. Wird ein Antrag nach § 247 ASVG gestellt, so bildet die Feststellung der Versicherungszeiten einen Teil des Leistungsverfahrens. In diesem Fall wird das Verfahren zweigeteilt. Die bis zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag erworbenen Zeiten werden – abgesehen von einer Änderung der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen – bindend festgestellt und sind daher ohne weitere Prüfung dem künftigen Leistungsverfahren zugrundezulegen. Bei der Feststellung von Versicherungszeiten gemäß § 247 ASVG handelt es sich damit um einen vorgezogenen Teil des Leistungsverfahrens (RS0084976).
[22] 3.2. Dieses Verfahren verfolgt den Zweck, dem Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, welche Zeiten der Prüfung eines Pensionsanspruchs zugrunde zu legen sind. Es soll ihm eine Grundlage für die Entscheidung geben, ob er einen Pensionsantrag stellt oder ob er weiter im Arbeitsleben bleibt, um weitere Zeiten zu erwerben, bzw ob ein solcher Pensionsantrag sinnvoll ist, wenn etwa für eine bestimmte Pensionsleistung eine gewisse Mindestzahl von Zeiten vorgesehen ist (10 ObS 58/20g [Pkt 2.6]; 10 ObS 154/19y SSVNF 34/25 [Pkt 2.8]; 10 ObS 244/03k SSVNF 18/33; Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 247 ASVG Rz 7).
[23] 3.3. Aus diesem Grund sollte versicherten Personen nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers ein Recht auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten eingeräumt werden (ErläutRV 1314 BlgNR 22. GP 3). § 247 Abs 2 ASVG gewährt daher einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten.
[24] 3.4. Dieser Anspruch ist jedoch an zwei Voraussetzungen geknüpft. Bei seiner Schaffung durch das SozialversicherungsÄnderungsgesetz 2006 (SVÄG 2006), BGBl I 2006/130, bestanden diese in einer zeitlichen Einschränkung der Antragstellung (frühestens drei Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallsalters für eine Schwerarbeitspension) und im Vorliegen von bereits 444 Versicherungsmonaten. Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SVZG), BGBl I 2017/125, wurden beide Voraussetzungen im Sinn der geltenden Fassung modifiziert und der Feststellungsanspruch im Ergebnis erweitert, weil die Frist für die Antragstellung auf zehn Jahre vor dem frühestmöglichen Anfall einer Schwerarbeitspension verlängert wurde und nicht mehr auf das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Versicherungsmonaten abgestellt wird, sondern eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten (bereits dann) möglich sein soll, wenn aufgrund des bisherigen Versicherungsverlaufs anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension erfüllt werden. Diese letztgenannte Voraussetzung des Feststellungsanspruchs kann als besonderes Feststellungsinteresse bezeichnet werden.
[25] 3.5. Die Erweiterung des Feststellungsanspruchs nach § 247 Abs 2 ASVG wird in den Gesetzesmaterialien – dem erst im Zuge des Gesetzgebungsprozesses eingebrachten Abänderungsantrag zum SVZG (Stenographische Protokolle zur 190. Sitzung des NR, 190/NRSITZ, 25. GP 192) – wie folgt begründet:
„Versicherten, die unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen erwerbstätig sind, soll zur besseren Orientierung über ihren Versicherungsverlauf das Recht eingeräumt werden, das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten bereits zehn Jahre vor der Erreichung des einschlägigen frühestmöglichen Pensionsanfallsalters feststellen zu lassen (derzeit: drei Jahre vor Erreichung dieses Alters). Das Vorliegen von mindestens 444 Versicherungsmonaten ist nicht mehr erforderlich.
Diese Maßnahme dient der besseren Abschätzbarkeit der Pensionsantrittsmöglichkeiten.
Es sind allerdings Fallkonstellationen denkbar, in denen die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension nicht vor der Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden können (etwa weil eine nur geringe Zahl von Versicherungsmonaten vorliegt). In diesen Fällen wird der Versicherungsträger zunächst die antragstellende Person aufzufordern haben, allfällige ausländische Versicherungszeiten bekannt zu geben. Liegen auch nach einer derartigen Prüfung Versicherungszeiten lediglich in einem Ausmaß vor, das die Erfüllbarkeit der langen Versicherungsdauer bis zum Regelpensionsalter ausschließt, so kann der Antrag auf Feststellung der Schwerarbeitszeiten in einem vereinfachten Verfahren zurückgewiesen werden.“
[26] 3.5.1. In den Gesetzesmaterialien wird für die Fälle, in denen das besondere Feststellungsinteresse des § 247 Abs 2 ASVG fehlt, zwar ausgeführt, dass der Antrag „in einem vereinfachten Verfahren zurückgewiesen“ werden kann. Auch in der Literatur wird (noch zu § 247 Abs 2 ASVG idF des SVÄG 2006) vertreten, dass der zuständige Versicherungsträger bei Nichtvorliegen der normierten Voraussetzungen den Antrag „zurückzuweisen“ habe (Kneihs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 367 ASVG Rz 29 unter Hinweis auf Pöltner/Pacic, ASVG § 367 Anm 1, wo sich eine auf § 247 Abs 2 ASVG bezogene Aussage allerdings nicht findet).
[27] 3.5.2. Dem ist nicht zu folgen. Nach dem Wortlaut des § 247 Abs 2 ASVG ist das Bestehen des dort normierten Feststellungsanspruchs an die beiden ausdrücklich genannten Voraussetzungen geknüpft. Es handelt sich daher nicht um eine der eigentlichen Leistungssache vorgelagerte verfahrensrechtliche Hauptfrage, die mit Bescheid im Verwaltungsverfahren zu erledigen wäre (vgl VwGH 92/08/0142; 93/08/0018; 91/08/0062), sondern um eine Frage der Begründetheit des Antrags selbst und somit um materiellrechtliche Voraussetzungen. Dass die Formulierung des § 247 Abs 2 ASVG auf den Pensionsversicherungsträger abstellt („Der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger hat [...]“), entspricht dem Leistungsrecht des ASVG, das sich ganz grundsätzlich an den Pensionsversicherungsträger richtet, und steht dem nicht entgegen. Anhaltspunkte für eine verfahrensrechtliche Voraussetzung lassen sich dem Gesetz vielmehr nicht entnehmen. Die Stellung der Bestimmung im Vierten Teil des ASVG (und nicht in dessen das Verfahren regelnden Siebenten Teil) bestätigt diese Auslegung. Die nur in den Materialien enthaltene, im Gesetz aber nicht angedeutete gegenteilige Aussage kann im Weg der Auslegung nicht Geltung erlangen (RS0008799).
[28] 3.5.3. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 247 Abs 2 ASVG ist daher im sozialgerichtlichen Verfahren zu prüfen. Ihr Fehlen führt nicht zur Zurück-, sondern zur Abweisung des Feststellungsbegehrens mangels Vorliegens eines Feststellungsanspruchs.
[29] 4. Dass der Kläger den gegenständlichen Antrag innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem frühestmöglichen Anfallsalter für eine Schwerarbeitspension stellte, wird von keiner Partei in Zweifel gezogen. Der Feststellungsanspruch des Klägers scheitert hingegen am Fehlen des in § 247 Abs 2 ASVG außerdem vorausgesetzten besonderen Feststellungsinteresses.
[30] 4.1. Der Gesetzgeber wollte im Rahmen des SVZG das Recht versicherter Personen auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten erweitern, und zwar nicht bloß durch die Ausdehnung des Zeitraums, innerhalb dessen ein Antrag gestellt werden kann, sondern auch durch die Abschaffung des Erfordernisses, dass mindestens 444 Versicherungsmonate vorliegen müssen. Stattdessen sollte ein Feststellungsanspruch lediglich in solchen Fallkonstellationen ausscheiden, in denen ein Anspruch auf Schwerarbeitspension in der Zukunft nicht entstehen kann, weil dann ein Feststellungsinteresse fehlt. Nach dem Zweck des Gesetzes und den Absichten des historischen Gesetzgebers ist dieses Erfordernis daher einschränkend zu interpretieren. Im Rahmen der Prüfung sind somit keine Vorhersagen darüber zu treffen, ob und welche Versicherungszeiten in der Zukunft von der versicherten Person wahrscheinlich noch erworben werden, sondern ausschließlich, ob die Anspruchsvoraussetzungen für eine Schwerarbeitspension vor der Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden . Nur im umgekehrten Fall, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension nicht mehr erfüllbar sind, etwa weil die erforderlichen Versicherungsmonate (also auch Schwerarbeitsmonate) bis zum Erreichen des Regelpensionsalters (auch unter günstigsten Bedingungen, etwa die Fortsetzung einer als Schwerarbeit zu qualifizierenden Tätigkeit in der Zukunft) nicht mehr erworben werden können, ist das erforderliche Feststellungsinteresse und damit ein Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG zu verneinen.
[31] 4.2. Der Kläger erreicht das Regelpensionsalter * 2025. Berücksichtigt man die festgestellten acht Schwerarbeitsmonate bis zum ist es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, dass der Kläger vor dem Erreichen des Regelpensionsalters die für eine Schwerarbeitspension nach § 607 Abs 14 ASVG oder § 4 Abs 3 APG erforderlichen 120 Schwerarbeitsmonate erwirbt. Eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten iSd § 247 Abs 2 ASVG kommt daher nicht in Betracht, und zwar auch nicht in Bezug auf die im gegenständlichen Zeitraum unstrittig vorliegenden acht Schwerarbeitsmonate.
[32] 5.1. Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, dass ihm in der Entscheidung 10 ObS 52/22b die Rechtsansicht überbunden worden sei, dass das Feststellungsinteresse des § 247 Abs 2 ASVG vorliege, beruht dies auf einem Missverständnis. Im Rahmen der Entscheidungen 10 ObS 52/22b und 10 ObS 12/22w war lediglich zu prüfen, ob die Beklagte durch die Feststellung von Schwerarbeitszeiten beschwert war, obwohl (nach geltender Rechtslage) ein Anspruch auf Schwerarbeitspension nicht erworben werden kann. Dies wurde in den genannten Entscheidungen bejaht, weil die Feststellung iSd § 247 Abs 2 ASVG die Beklagte im Fall der Rechtskraft für die Zukunft bindet (was bei Änderung der Rechtslage auch zu Leistungsansprüchen führen könnte). Von dieser (möglichen) Wirkung einer Entscheidung iSd § 247 Abs 2 ASVG, die zu ihrer Anfechtbarkeit führt, ist aber die Frage zu unterscheiden, ob die Entscheidung in der Sache zutrifft. Anlass für Aussagen des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage gab es im Rahmen der genannten Entscheidungen nicht.
[33] 5.2. Der vom Berufungsgericht und vom Kläger in der Revisionsbeantwortung darüber hinaus ins Treffen geführte Grundsatz der sukzessiven Kompetenz ist hier nicht einschlägig, weil es – wie ausgeführt (oben Punkt 3.5.1. f) – um materiellrechtliche Voraussetzungen für das Bestehen eines Feststellungsanspruchs geht, die sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes ergeben. Erlässt der Versicherungsträger daher einen Bescheid nach § 247 Abs 2 ASVG, kann dagegen – dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz entsprechend – Klage erhoben und die Frage einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden. Der Umstand, dass im gerichtlichen Verfahren die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind und eine Klage gegebenenfalls abzuweisen ist, tut dem keinen Abbruch.
[34] 5.3. Der Kläger weist in der Revisionsbeantwortung darauf hin, dass sich die Rechtslage ändern könnte, und befürchtet den Eintritt einer für allfällige Pensionsansprüche ungünstigen Bindungswirkung. Aus dem Umstand, dass das Klagebegehren abgewiesen wird, folgt allerdings nicht die Feststellung, dass Schwerarbeitszeiten nicht vorliegen. Das Klagebegehren ist vielmehr bloß mangels Bestehen eines Feststellungsanspruchs abzuweisen, weil (aufgrund der hervorgekommenen Versicherungsmonate) nicht anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension vor Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden.
[35] Der Zweck des § 247 Abs 2 ASVG und ihr Verweis auf § 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 3 APG stellen klar, dass das Vorliegen des besonderen Feststellungsinteresses von der Erfüllbarkeit der im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gültigen Voraussetzungen für den Erwerb einer Schwerarbeitspension abhängt. Sollten sich diese Voraussetzungen nach dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ändern, steht die Rechtskraft der abweisenden Entscheidung einem neuerlichen Verfahren nach § 247 Abs 2 ASVG somit nicht entgegen.
[36] Im Übrigen wird durch die Verneinung des besonderen Feststellungsinteresses des § 247 Abs 2 ASVG nur das Vorliegen eines Feststellungsanspruchs (als Hauptfrage) entschieden. Im Fall der Verneinung des Feststellungsanspruchs (sei dies wegen Antragstellung mehr als zehn Jahre vor Vollendung des Regelpensionsalters, sei dies wegen Fehlen des besonderen Feststellungsinteresses) kommt es – entgegen der Befürchtung des Klägers in der Revisionsbeantwortung – nicht zu einer spruchmäßigen Feststellung dahingehend, dass bestimmte Zeiten Schwerarbeitszeiten (nicht) darstellen. Die Frage, ob und wieviele Schwerarbeitsmonate im betreffenden Zeitraum vorliegen, wird vielmehr nur als Vorfrage für das Bestehen eines Feststellungsanspruchs geprüft. Die bloße Lösung als Vorfrage in den Entscheidungsgründen und die Tatsachenfeststellungen dazu lösen eine Bindungswirkung aber schon grundsätzlich nicht aus (RS0041342; RS0042554; RS0041180), sodass die vorliegende Entscheidung den Kläger auch nicht an der Stellung eines Antrags auf Zuerkennung einer Schwerarbeitspension hindert.
6. Zusammenfassend ergibt sich:
[37] Das nach § 247 Abs 2 ASVG für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten erforderliche Feststellungsinteresse ist im Gerichtsverfahren auch dann zu prüfen, wenn der bekämpfte Bescheid die Feststellung aus anderen Gründen ablehnte. Dieses Feststellungsinteresse ist (nur) zu verneinen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension vor der Erreichung des Regelpensionsalters nicht erfüllbar sind, etwa weil die erforderlichen Versicherungsmonate (oder Schwerarbeitsmonate) bis dahin (auch unter günstigsten Bedingungen) nicht mehr erworben werden können. In diesem Fall ist der in § 247 Abs 2 ASVG normierte Feststellungsanspruch zu verneinen und das auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten gerichtete Klagebegehren abzuweisen.
[38] 7. Der Revision der Beklagten ist somit Folge zu geben und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen. Dabei war nur über den Feststellungsanspruch nach § 247 Abs 2 ASVG abzusprechen. Die Rechtsprechung, wonach der Bescheid, mit dem der Versicherungsträger gemäß § 247 ASVG die Versicherungszeiten feststellt, eine inhaltliche Einheit bildet (RS0084896) und daher über den gesamten Bescheidinhalt neuerlich abzusprechen wäre (RS0084896 [T4]), geht auf die Rechtslage vor Schaffung des § 247 Abs 2 ASVG zurück und fußt maßgeblich auf der Überlegung, dass das Begehren auf Feststellung weiterer Versicherungszeiten immer auch die im Bescheid festgestellte Gesamtanzahl der Versicherungsmonate berührt (vgl 10 ObS 55/87 SSVNF 1/41; 10 ObS 26/87 SSVNF 1/18). Dies trifft auf die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung iSd § 247 Abs 1 ASVG jedoch nicht zu, weil es nicht um das Vorliegen von (weiteren) Versicherungszeiten geht, sondern nur um ihre Qualifikation als Schwerarbeitszeit. Dafür spricht auch, dass das Gesetz für die Feststellung von Versicherungszeiten und von Schwerarbeitszeiten unterschiedliche Bestimmungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen vorsieht.
[39] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00113.22Y.1018.000 |
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