Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.04.2015, RV/3100235/2015

Familienbeihilfenanspruch bei länger andauernder Unterbringung in Anstaltspflege mit Kostentragung durch die Jugendwohlfahrt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R****** in der Beschwerdesache B******, gegen den Bescheid des Finanzamtes Landeck Reutte vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juni bis Oktober 2008

zu Recht erkannt:

I.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1) Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Kindesmutter die an sie ausbezahlte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen zurück. Begründet wurde dies damit, dass die Tochter nach Auskunft des zuständigen Jugendamtes seit Mai 2008 in einem Heim in P****** untergebracht wäre und die Kindesmutter keinen Unterhalt leiste.

Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig (damals) Berufung erhoben. Nicht bestritten wurde, dass sich die Tochter (über Veranlassung des Jugendamtes) in Heimunterbringung befinde. Dadurch seien der Kindesmutter jedoch zusätzliche Kosten entstanden. Dies für die Versorgung der Tochter mit frischem Obst, für die "Wäschepflege zuhause", für zusätzliche Behördengänge und für Mehraufwendungen an Treibstoff betreffend die "Extra-Fahrten" für die vorgenannten Maßnahmen.
In der Folge kam es zu Kontaktaufnahmen des Finanzamtes mit dem Jugendamt. Bestätigt wurde, dass die Kosten für die Heimunterbringung durch das Jugendamt bezahlt werden. Die Kindesmutter hätte seit der Unterbringung keinen Unterhalt bezahlt, sie besuche aber ihre Tochter öfters.

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom hielt das Finanzamt fest, dass die Tochter nach den eingeholten Informationen ständig im Heim in Pfronten lebe und sich weder an den Wochenenden noch in den Ferien im Haushalt der Kindesmutter aufhalte. Von der Kindesmutter würden keine Zahlungen für die Unterbringung der Tochter im Heim geleistet. Der Argumentation in der Berufung trat das Finanzamt entgegen, da nach Auskunft des Jugendamtes sowohl die Wäschepflege als auch die Behörderngänge durch die im Heim tätigen Personen durchgeführt werden. Die Begründung endete mit der Aussage: "Da Sie zu den Unterhaltskosten für E****** nicht zu mindestens in Höhe der Familienbeihilfe beitragen, liegt keine überwiegende Kostentragung Ihrerseits vor. Damit besteht für Sie kein Anspruch auf Familienbeihilfe."

Daraufhin wurde mit Eingabe vom (datiert mit ) ein "Antrag auf Entscheidung über die Berufung zur Berufungsvorentscheidung" gestellt. Es sei nicht richtig, dass sich die Tochter ständig im Heim aufhalte und weder an Wochenenden noch in den Ferien bei ihrer Mutter sei. Dies könne durch entsprechende Zeugenaussagen bewiesen werden. Dadurch seien private Unterbringungs- und Verpflegungskosten angefallen. Zudem sei seitens der Mutter kein Antrag auf Unterbringung der Tochter "in dieser Anstalt" gestellt worden, weshalb sie "diesbezüglich auch keine Kosten übernehmen" werde. Bei den Behördengängen würde es sich um jeweils zwei Fahrten zu einem Bezirksgericht und einem Landesgericht handeln. Hierfür wären € 100,00 an Benzinkosten und für Parkgebühren sowie € 920,00 an "Aufwandsentschädigung für Begleitperson" angefallen. Die privaten Unterbringungs- und Verpflegungskosten würden monatlich mit pauschal € 30,00 angesetzt, sonstige Verpflegungskosten (Obst, Gemüse, Getränke etc) monatlich pauschal mit € 25,00. Dazu kämen diverse Ausgaben, welche mittels Belegen nachgewiesen werden.

Das Finanzamt legte die Berufung mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht wird darauf hingewiesen, dass sich die Tochter seit Oktober 2010 in einem SOS-Kinderdorf in X****** befindet. Eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter sei "bis dato" nicht erfolgt.

2) Sachverhalt:

Für das in Rede stehende minderjährige Kind wurde über Veranlassung der zuständigen Behörde im Mai 2008 der Kindesmutter wegen Gefahr in Verzug die Obsorge entzogen und das Kind nach kurzfristigen Aufenthalten in einem Krankenhaus und einer anderen Einrichtung dauerhaft vorerst in einem Kinderheim in P******, später in einem SOS-Kinderdorf untergebracht.
Die Kindesmutter besuchte das Kind während der Unterbringung im Kinderheim, an den Kosten der Unterbringung beteiligte sie sich jedoch nicht (vgl die diesbezüglichen Ausführungen im Vorlageantrag) und wurden diese Kosten von der Jugendwohlfahrt getragen. Ab wurde die Kindesmutter zu einem monatlichen Kostenersatz in Höhe von € 150,00 verpflichtet; dieser wurde später bis zur Volljährigkeit des Kindes auf monatlich € 50,00 verringert und entfiel dann vollständig. 

3) Rechtslage:

Nach § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat die Person, zu deren Haushalt das beihilfenvermittelnde Kind gehört, Anspruch auf Familienbeihilfe. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt (§ 2 Abs 5 FLAG 1967). Die Haushaltsführung gilt nicht als aufgehoben, wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält (§ 2 Abs 5 lit a FLAG 1967) oder wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet und die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe bzw - gegebenenfalls - in Höhe der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung beiträgt.

Nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 hat eine Person, die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Für den Kinderabsetzbetrag enthält § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988 eine gleichartige Bestimmung.

4) Erwägungen:

Im vorliegenden Fall ist für den Beihilfenanspruch der (nunmher) Beschwerdeführerin entscheidend, ob ihre Tochter auch nach der behördlich angeordneten Unterbringung in einem Kinderheim allenfalls bei ihr haushaltszugehörig gewesen ist oder ob - wenn dies nicht mehr der Fall war - sie zu den Kosten des Unterhalts überwiegend beigetragen hat.

Aus dem Geschehensablauf ist für das Bundesfinanzgericht unbestreitbar, dass mit dem Entzug der Obsorge und der behördlich verfügten Fremdunterbringung die tatsächliche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Beschwerdeführerin und Kind beendet wurde. Hinsichtlich einer nur vorübergehenden Abwesenheit vom Haushalt der Kindesmutter und einer sich daraus ergebenden fiktiven Haushaltszugehörigkeit nach § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 ist auf das Erkenntnis , zu verweisen, nach dem bei einer längerfristigen dauernden Unterbringung in einem Kinderheim im Zuge einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt von einem als nur vorübergehend anzusehenden Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung nicht mehr gesprochen werden kann.
In diesem Zusammenhang ist es auch nicht entscheidend, ob das Kind tatsächlich nach der Heimunterbringung an einigen Wochenenden oder während der Ferien - wie vom Finanzamt bestritten, von der Beschwerdeführerin jedoch behauptet - noch bei der Beschwerdeführerin genächtigt haben sollte.
Faktum ist, dass derartige Nächtigungen von der zuständigen Behörde in Abrede gestellt werden. In Anbetracht des Umstandes, dass ein Entzug der Obsorge erfolgt ist und zur Sicherung des Kindeswohls ist es auch durchaus nachvollziehbar, dass solche Aufenthalte nicht stattgefunden haben. Insbesondere ist aber kein Anlass ersichtlich, wieso seitens der zuständigen Behörde dem Finanzamt hier eine falsche Auskunft erteilt worden sein soll. Im Gegensatz dazu hat die Beschwerdeführerin lediglich ausgeführt, dass es nicht richtig wäre, dass sich die Tochter ständig im Heim aufhalte und sodann allgemein auf einen möglichen Beweis durch Zeugenaussagen verwiesen. Um welche Person(en) es sich dabei handelt, wurde nicht bekannt gegeben und bliebt diese Behauptung somit völlig substanzlos. Es wäre aber die Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, den Feststellungen des Finanzamtes konkret und nachprüfbar entgegenzutreten. Es ist daher davon auszugehen, dass tatsächlich ab Juni 2008 keine Nächtigungen der Tochter im Haushalt der Beschwerdeführerin mehr stattgefunden haben.
Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, könnten sporadisch erfolgte Übernachtungen nicht dazu führen, eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, somit eine Haushaltszugehörigkeit iSd FLAG 1967, zu begründen bzw aufrecht zu erhalten (vgl idS , und ). Derartige vereinzelte Nächtigungen würden nämlich den bestehenden Heimaufenthalt nicht unterbrechen.  
Letztlich ist auch der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs 5 lit c FLAG 1967 nicht gegeben, da die Heimunterbringung des Kindes nicht wegen eines Leidens oder Gebrechens erfolgte.

Somit steht fest, dass die Beschwerdeführerin ihren Beihilfenanspruch nur auf die Tatsache der überwiegenden Kostentragung stützen könnte.
Dazu ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin selbst außer Streit stellt, dass sie sich an den Kosten der Heimunterbringung nicht beteiligt. Diese betrugen ab der Unterbringung in P****** € 170,33 täglich; mit der Übersiedlung des Kindes nach O****** verringerten sich die Kosten auf täglich gerundet ca € 74,00 bis € 78,00.

Angesichts dieser Kosten (monatlich anfänglich über € 5.000,00, später monatlich über € 2.200,00) kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin, selbst wenn die von ihr angeführten Aufwendungen allesamt als Unterhaltsleistungen zu qualifizieren wären, tatsächlich überwiegend zum Unterhalt ihrer Tochter beigetragen hätte.
Betrachtet man die angeführten Ausgaben im Detail, stellt die Kostenposition "Behördengänge" überhaupt keine Position dar, mit welcher zum Unterhalt des Kindes beigetragen wurde. Während nämlich in der (damals) Berufung noch behauptet worden ist, die Beschwerdeführerin hätte diese Aufwendungen zur Beschaffung von "Schulbescheinigungen, ärztlichen Attesten etc" auf sich zu nehmen gehabt, wird im Vorlageantrag von Fahrten zu Gerichten gesprochen und macht den Hauptteil der hierfür veranschlagten Aufwendungen die "Aufwandsentschädig für Begleitperson (Unterbevollmächtigter des Rechtsanwaltes der Frau A****** und gleichzeitig Generalbevollmächtigter derselbigen)" aus. Dies für Verfahren, die sie selbst betreffen. Einen Beitrag zum Unterhalt der Tochter stellen diese genannten Aufwendungen somit in keinem Fall dar. 
Der Ansatz pauschaler privater Unterbringungs- und Verpflegungskosten ist unzulässig, da mangels tatsächlicher Aufenthalte der Tochter im Haushalt der Beschwerdeführerin (vgl die Ausführungen oben) keine solchen Aufwendungen entstanden sind.
Für "sonstige Verpflegungskosten" werden pauschal € 25,00 monatlich angesetzt und soll dadurch der Aufwand für die Versorgung der Tochter mit Obst, Gemüse, Getränken etc dargestellt werden. Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin ihre Tochter besuchte. Dass von ihr dabei auch Obst, Gemüse oder Getränke sowie andere Artikel mitgebracht worden sind, erscheint zumindest denkbar. In den vorgelegten Rechnungen scheinen sodann aber wiederum Kosten für zB Getränke (vgl Rg. aus&raus vom ) oder einen Endiviensalat (vgl Rg. Norma vom 4. Feber 2009) auf.
Der Großteil der vorgelegten Rechnungen betrifft Bekleidung, Drogerie- und Kosmetikprodukte (Shampoo`s, Cremen) und Handyprepaid-Karten. Inwieweit diese Utensilien tatsächlich ausschließlich für die Tochter angeschafft wurden, ist auf Grund der Anzahl der einzelnen Positionen zweifelhaft. Eine genauere Auseinandersetzung mit dieser Problematik kann jedoch dahin gestellt bleiben, da auch die gesamten angeführten Ausgaben keinesfalls ausreichen, tatsächlich mehr als 50% der entstandenen Kosten zu übersteigen.

Wie bereits oben dargelegt, lebte das Kind ab Ende Mai 2008 nicht mehr im Haushalt der Kindesmutter und war aus diesem auch nicht nur vorübergehend abwesend. Da die Anstaltspflege nicht wegen eines Leidens oder Gebrechens erfolgte, liegt keine fiktive Haushaltszugehörigkeit vor (§ 2 Abs 5 FLAG 1967). Da die tatsächlich entstandenen Kosten von der Kindesmutter nicht überwiegend getragen wurden, kann ein Beihilfenanspruch auch nicht vom Tatbestand der überwiegenden Kostentragung abgeleitet werden. Somit bestand ab Juni 2008 mangels Vorliegen einer Voraussetzung kein Beihilfenanspruch der Kindesmutter mehr und wurde die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag daher zu Unrecht bezogen.

Die Rückforderung des Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages durch das Finanzamt erfolgte daher zu Recht.

5) Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig (Art 133 Abs 4 B-VG), da mit dem gegenständlichen Erkenntnis keine Rechtsfrage zu lösen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab oder fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auf die in der Begründung zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes wird verwiesen.

Innsbruck, am

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